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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Brandenburg
Urteil verkündet am 29.09.2005
Aktenzeichen: 1 K 1584/03
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 10 Abs. 4 Nr. 2
UStG § 10 Abs. 5 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht des Landes Brandenburg - 1. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. September 2005 durch den Präsidenten des Finanzgerichts Hartig, den Richter am Finanzgericht Prof. Dr. Stapperfend, die Richterin am Finanzgericht Herdemerten, sowie die ehrenamtlichen Richter Herr Göhlich und Frau Krömer

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Änderung des Bescheides vom 20.02.2001 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 19.06.2003 wird die Umsatzsteuer 1995 auf ./. 35.960,18 EUR (./. 70.332,00 DM) festgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu erstattenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Beschluss:

Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand

Die Klägerin betreibt einen Großhandel mit technischen Artikeln. In den Jahren 1994/1995 bebaute sie ihr Grundstück in L... mit einem Geschäftshaus. Die Herstellungskosten des Gebäudes betrugen 4.248.977,31 DM. Die Investitionsbank des Landes Brandenburg gewährte einen Zuschuss von 767.300 DM, den die Klägerin buchhalterisch als Minderung der Herstellungskosten erfasste. Mit notariellem Vertrag vom 14.12.1995 übertrug die Klägerin das bebaute Grundstück auf die X... GbR. Die Gesellschafter dieser GbR sind identisch mit den Gesellschaftern der X... GmbH & Co. KG in M..., die wiederum alleinige Kommanditistin der Klägerin ist. Den Kaufpreis berechnete die Klägerin gegenüber der GbR gemäß Rechnung vom 30.11.1995 mit insgesamt 3.964.677,31 DM zuzüglich ausgewiesener Umsatzsteuer, wobei auf das Gebäude ein Kaufpreisanteil von 3.481.677,31 DM entfiel, was den Herstellungskosten nach Abzug des Zuschusses entsprach.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung beurteilte der Prüfer diesen Vorgang als Lieferung an eine nahestehende Person, für die die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) anzuwenden sei. Diese entspreche gemäß § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG den Kosten, die 4.248.977,31 DM betragen hätten. Die sich daraus ergebende Umsatzsteuererhöhung betrage 115. 095 DM. Auf Ziffer C. I. des Prüfungsberichts vom 20.11.2000 wird Bezug genommen.

Am 21.04.2000 erteilte die Klägerin der GbR eine berichtigte Rechnung, in der sie den Kaufpreisanteil für das Gebäude mit 4.248.977,31 DM ansetzte.

Gegen den entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1995 legte die Klägerin Einspruch ein, mit dem sie sich gegen den Ansatz der Mindestbemessungsgrundlage und gegen die Zinsfestsetzung wandte. Im Wesentlichen trug sie vor, das vereinbarte Entgelt sei unter Zugrundelegung der einschlägigen Immobilienpreise marktüblich gewesen, außerdem komme die Mindestbemessungsgrundlage zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen nicht zur Anwendung. Die Zinsfestsetzung sei EG-rechtswidrig, da der Besitz einer Rechnung mit Steuerausweis nicht Entstehungsvoraussetzung, sondern lediglich Ausübungsvoraussetzung für den Vorsteueranspruch sei. Da nach Art. 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie Umsatzsteuer und Vorsteuer zum gleichen Zeitpunkt entstünden, könne es nicht zu einer Verzinsung der Umsatzsteuer kommen, ein Liquiditätsvorteil sei nicht eingetreten.

Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück und führte im Wesentlichen aus, es erscheine nicht glaubhaft, dass das marktübliche Entgelt genau den um den Zuschuss geminderten Herstellungskosten entspreche. Zudem habe die Klägerin eine geänderte Rechnung ausgestellt, der die Auffassung der Finanzverwaltung zugrunde liege. Die Frage des Entstehung des Vorsteueranspruchs der GbR sei im Übrigen nicht Gegenstand des Verfahrens der Klägerin. Die Verzinsung nachträglich festgesetzter Umsatzsteuer sei auch dann nicht sachlich unbillig, wenn sich per Saldo ein Ausgleich von Steuer und Vorsteuer ergebe. Die Entstehungsvoraussetzungen für die Umsatzsteuer und die Vorsteuer seien nicht deckungsgleich.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin ergänzend vor, die berichtigte Rechnung sei nur ausgestellt worden, um die bei ihr - der Klägerin - fällige Umsatzsteuer aus der erhöhten Bemessungsgrundlage durch Abtretung des Vorsteuerabzuges der GbR auszugleichen. Diese Rechnung könne jederzeit berichtigt werden.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Bescheides vom 20.02.2001 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 19.06.2003 die Umsatzsteuer 1995 auf ./. 35.960,18 EUR (./. 70.332,00 DM) sowie die Zinsen in entsprechender Höhe festzusetzen sowie die Hinzuziehung der Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er verweist ergänzend auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 01.07.2004 (V R 33/01) und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29.04.2004 (C-152/02), wonach der Unternehmer Vorsteuerbeträge erst in dem Besteuerungszeitraum abziehen könne, in diem die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG insgesamt vorlägen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig. Der Beklagte hat die Umsatzsteuer zu Unrecht nach der Mindestbemessungsgrundlage berechnet. Diese ist im Streitfall nicht anwendbar.

Für Lieferungen, die Personengesellschaften im Rahmen ihres Unternehmens an ihre Gesellschafter oder diesen nahestehende Personen ausführen, wird die Umsatzsteuer nach den Kosten bemessen, wenn diese das Entgelt übersteigen (Mindestbemessungsgrundlage, § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG). Diese Regelung ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Die in § 10 Abs. 4 und 5 UStG enthaltene Regelung zur Mindestbemessungsgrundlage weicht von der in Art. 11 der Sechsten Richtlinie 77/388 EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17.05.1977 (Amtsblatt der EG Nr. L 145, 1) vorgesehenen Regelung der Besteuerungsgrundlage ab. Diese Abweichung ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom 29.05.1997 (Rs. C-63/96, Skripalle, Slg. 1997, I-02847, Randnummer 22 ff.), dem sich der erkennende Senat anschließt, auf der Grundlage des Art. 27 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie zulässig. Danach kann der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von der Sechsten Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhindern. Diese Sondermaßnahmen sind dabei eng auszulegen und dürfen von der in Art. 11 der Sechsten Richtlinie geregelten Besteuerungsgrundlage nur insoweit abweichen, als dies für die Erreichung dieses Ziels - im Falle der Mindestbemessungsgrundlage der Vermeidung von Steuerhinterziehung und -umgehung - unbedingt erforderlich ist (EuGH am angegebenen Ort - aaO - Randnummer 24 mit weiteren Nachweisen).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn bei - wie hier - ordnungsgemäß durchgeführter Lieferung zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen besteht objektiv keine Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung. Der Steuerentstehung auf der Seite des Lieferers steht die entsprechende Vorsteuerabzugsberechtigung auf Seiten des empfangenden Unternehmers gegenüber, so dass unabhängig von der Höhe der Bemessungsgrundlage immer ein Ausgleich von Steuer und Vorsteuer hergestellt wird (sog. Belastungsneutralität, vgl. dazu z.B. Urteil des EuGH vom 17.02.2005, C-453/02, Linneweber, Umsatzsteuer-Rundschau 2005, 194). Aus diesem Grunde ist ein durch Geschäftsbeziehung oder Beteiligungsstruktur begründeter Einfluss in der Unternehmerkette für die Umsatzbesteuerung unerheblich (vgl. Wagner in Sölch/Ringleb, UStG § 10 Anm. 444). Dem entspricht schließlich auch der Gesetzeszweck des § 10 Abs. 5 UStG, der einen unbesteuerten Letztverbrauch vermeiden will (vgl. Husmann a.a.O. Anm. E 244.)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 135 Abs. 1, 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.

Ende der Entscheidung

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