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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 10 K 3840/04 AO
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 11 Abs. 1 S. 3
EStG § 38 Abs. 2
EStG § 38a Abs. 1 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

10 K 3840/04 AO

Tenor:

Unter Änderung des angefochtenen Nachforderungsbescheides vom 16.12.2003 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 23.6.2004 wird der nachzufordernde Betrag von 111.691,16 EUR um 111.039,76 EUR auf 651,40 EUR herabgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Tatbestand:

Streitig ist die Frage, ob der Beklagte von der Klägerin nachträglich Lohnsteuer fordern kann für zunächst nicht ausgezahlte Bestandteile von Arbeitsentgelt.

Im Januar 1998 hatte die Klägerin ihren damaligen (zehn) Arbeitnehmern ein Modell zur betrieblichen Altersversorgung vorgestellt. Danach hatten die Arbeitnehmer zugunsten einer von der Klägerin versprochenen zusätzlichen Versorgungsleistung im Alter ("Versorgungslohn statt Barlohn") auf die Auszahlung von künftig erwarteten Lohnbestandteilen (z.B. Weihnachtsgeld) verzichten können. Die nicht sofort ausgezahlten Lohnbestandteile sollten bei der Klägerin angesammelt und mit mindestens 5 v.H. pro Jahr verzinst werden (sogenannte Anpassung). Kapital und Anpassung sollten grundsätzlich erst nach Eintritt des Versorgungsfalles (z.B. Vollendung des 65. Lebensjahres) in drei Jahresraten ausgezahlt werden. Wegen der Einzelheiten der Beschreibung des Modells und des Textes der vorgesehenen Vereinbarung mit den Arbeitnehmern wird auf die Anlage 1 zur Klagebegründung vom 25.1.2005 und auf die Anlagen zum Schriftsatz der Klägerin vom 10.4.2008 Bezug genommen.

Mit Wirkung vom 1.1.1999 an wurde das vorgenannte Modell im Unternehmen der Klägerin auch tatsächlich eingeführt und in der Folgezeit angewandt. Dabei meldete die Klägerin die nicht mehr ausgezahlten Entgelte nicht als Arbeitslohn an und führte auch keine Lohnsteuer ab.

Im Kalenderjahr 2003 führte der Beklagte eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch, und zwar für den Zeitraum vom 1.12.1998 bis zum 31.12.2002. Hierbei griff der Außenprüfer auch die steuerliche Handhabung des Modells zur zusätzlichen Altersversorgung auf. In seinem Bericht vom 24.11.2003 (Abschnitt B. Tz 3) vertrat er die Rechtsauffassung, dass das Modell nicht anerkannt werden könne, soweit die Klägerin von einer Gehaltsminderung bei ihren Arbeitnehmern ausgegangen sei. Dies begründete er unter Berufung auf einen Erlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 5. August 2002 (IV C 4 - S 2222 - 295/02, Bundessteuerblatt <BStBl> I 2002, 767) mit dem Hinweis, dass die im Erlass vorgesehene Altersgrenze (60. Lebensjahr; Tz 144, 146 des Erlasses) nicht durchgängig eingehalten worden sei. Ferner gehe die in das Modell der Klägerin eingearbeitete Hinterbliebenenversorgung über die im Erlass (Tz 147 Satz 1) vorgesehene Grenzziehung hinaus.

Wegen der Einzelheiten der Argumentation des Außenprüfers wird auf den Prüfungsbericht vom 24.11.2003 Bezug genommen.

Der Beklagte folgte der Rechtsauffassung des Prüfers und erließ unter dem 16.12.2003 einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid, mit dem er in pauschalierter Form (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes <EStG>) neben anderen nicht streitigen Beträgen auch Lohnsteuer und Nebenleistungen nachforderte. Für die nach Ansicht des Beklagten erfolgte Verwendung von fälligen Lohnbestandteilen zur Altersversorgung der Arbeitnehmer ergab sich bezogen auf den Zeitraum vom 1.12.1998 bis 31.12.2002 eine Nachforderung in Höhe von insgesamt 111.039,76 EUR. Den am 21.1.2004 beim Beklagten eingegangenen Einspruch der Klägerin wies er unter dem 23.6.2004 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren trägt die Klägerin vor:

Der angefochtene Nachforderungsbescheid sei wegen sachlicher und verfahrensrechtlicher Fehleinschätzungen des Beklagten rechtswidrig.

1. Sachlich fehlerhaft sei der Bescheid, weil im streitigen Zeitraum im Zusammenhang mit der Anwendung des Versorgungsmodells keine Lohnsteuer angefallen sei.

Ihren Arbeitnehmern sei nämlich im Zusammenhang mit dem Gehaltsverzicht und der Zusage von künftig zu erbringenden Versorgungsleistungen kein Lohn zugeflossen.

Eine Auszahlung der fälligen Lohnbestandteile sei unstreitig nicht erfolgt.

Zwar könne nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein Zufluss auch dann angenommen werden, wenn der Lohn nicht ausgezahlt, sondern im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer anderweitig verwendet werde, eine solche Verwendungsabrede liege im Streitfall aber nicht vor. Vielmehr sei die zwischen ihr und den Arbeitnehmern bestehende Vergütungsvereinbarung in der Weise modifiziert worden, dass die Arbeitnehmer auf einen Teil ihrer künftigen, noch nicht durch Dienstleistung konkretisierten Vergütungsansprüche verzichtet hätten und sie (die Klägerin) im Gegenzug einen im Versorgungsfall auszuzahlenden Versorgungslohn zugesagt habe. In diesem Zusammenhang nehme sie auch Bezug auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 26. Juni 1990 (3 AZR 641/88, Entscheidungen des BAG <BAGE> Bd. 65, 215). Darin habe das Gericht lediglich darauf abgestellt, ob der Arbeitnehmer für eine Lebensversicherung Eigenmittel eingesetzt habe, über die er frei habe verfügen können.

Eine solche Fallgestaltung sei im Streitfall nicht gegeben, denn durch die Gehaltsumwandlung vertraue der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber einen künftigen Teil des noch nicht verdienten Gehalts an und verlasse sich anschließend auf die aus dessen Betriebsvermögen finanzierte Vorsorge. Der Arbeitnehmer sei daher ebenso schutzwürdig wie in anderen Fällen der Altersversorgung.

Soweit der Beklagte demgegenüber argumentiere, dass das von ihr angewendete Versorgungsmodell nicht als betriebliche Altersvorsorge im Sinne des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) anzusehen sei, könne dem nicht gefolgt werden. Zwar sei es richtig, dass die steuerliche Beurteilung von der Einhaltung der Bestimmungen des BetrAVG abhängig sei, diese seien jedoch im Streitfall bei der hier maßgeblichen arbeitsrechtlichen Beurteilung nicht verletzt.

2. Der Beklagte sei auch verfahrensrechtlich gehindert, seine vermeintlichen Rechte geltend zu machen.

Sie habe nämlich dem Beklagten in Schreiben vom 29.10. und 18.11.1997 den gesamten Sachverhalt, dessen steuerliche Beurteilung nunmehr streitig sei, im Rahmen eines Antrages auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft (§ 42e EStG) umfassend geschildert. Daraufhin habe der Beklagte unter dem 24.11.1997 mitgeteilt, dass ein lohnsteuerpflichtiger Zufluss von Arbeitslohn erst im Zeitpunkt der Erfüllung des Versorgungsversprechens anzunehmen und ein Lohnsteuerabzug daher erst in diesem Moment vorzunehmen sei. An diese Auskunft sei der Beklagte im Streitfall nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gebunden.

Das gelte im Übrigen auch für die Arbeitnehmer. Zwar werde vertreten, dass die Anrufungsauskunft grundsätzlich keine Bindungswirkung für die Wohnsitzfinanzämter der einzelnen Arbeitnehmer entfalte, dies könne jedoch für den Streitfall nicht gelten.

Es sei nämlich zu berücksichtigen, dass sie die sozialpolitischen Entwicklungen bei der Altersversorgung frühzeitig erkannt und ihren Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt habe, diese aus eigenen Mitteln aufzubauen. Dieses Vorhaben sei aber nur durchführbar gewesen, wenn auch die Arbeitnehmer hinsichtlich der lohnsteuerlichen Behandlung des Sachverhalts Sicherheit gehabt hätten, denn sie hätten disponieren müssen. Werde in derartigen Fällen über Kontrollmitteilungen der einzelne Arbeitnehmer herangezogen, führe dies zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit des Arbeitgebers, der dadurch wiederum zur Übernahme etwaiger Mehrsteuern veranlasst werde. Letztlich trage er dann doch diejenigen Aufwendungen, deren Entstehung durch die Anrufungsauskunft er gerade habe vermeiden wollen.

Wegen der Einzelheiten des Vortrages der Klägerin wird auf deren Schriftsätze vom 25.1.2005, vom 29.5.2006 und vom 29.1.2007 Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht mit den Beteiligten die Frage erörtert, ob der Einspruch der Klägerin innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 der Abgabenordnung <AO>) erhoben worden ist. Dazu hat sich die Klägerin wie folgt geäußert:

Das Original des angefochtenen Bescheides habe sie vor der Verhandlung nicht mehr herbeischaffen können. In ihrem Unternehmen werde nämlich vorwiegend "aktenlos" gearbeitet und vermutlich sei der fragliche Bescheid in eine andere Dienststelle des Verbundes ausgelagert worden. Der Vorgang lasse sich aber auch mit Hilfe der zum Einspruchsvorgang gereichten Ablichtung des Haftungs- und Nachforderungsbescheides vom 16.12.2003 rekonstruieren. Schon daraus sei ersichtlich, dass ihr der Bescheid erst am 22.12.2003 (Montag) zugegangen sei, denn der angefochtene Bescheid trage einen entsprechenden (eckigen) Eingangsstempel. Wäre ihr der angefochtene Bescheid bereits am 20.12.2003 (Samstag) zugegangen, wäre er mit dem Eingangsdatum dieses Tages versehen worden, denn ihre Poststelle sei auch samstags besetzt und könne die angelieferte Post bearbeiten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem weiteren auf dem Bescheid angebrachten (runden) Stempel. Derartige Stempel würden von den einzelnen Abteilungen ihres Unternehmens auf der zu bearbeitenden Korrespondenz angebracht. Zwar sei der runde Stempel auf der zum Einspruchsvorgang gereichten Ablichtung des Bescheides kaum lesbar, es sei aber nachweisbar, dass dieser Stempel nicht das Datum vom 20.12.2003 enthalte. Zum einen habe sie in ihren Unterlagen noch eine Ablichtung des angefochtenen Bescheides vorgefunden, die nicht mit dem runden Stempel versehen sei. Folglich müsse dieser Stempe nach dem Eingangsstempel vom 22.12.2003 angebracht worden sein. Zum anderen sei auch noch ein ebenfalls unter dem 16.12.2003 erlassener Bescheid vorhanden, der an die "A" GmbH gerichtet gewesen sei. Auch dieser Bescheid sei mit einem runden Stempel versehen worden, der lesbar sei und das Datum vom 29.12.2003 enthalte.

Die Klägerin beantragt,

den Nachforderungsbescheid vom 16.12.2003 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 23.6.2004 in Höhe von 111.039,76 EUR aufzuheben,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor:

Der angefochtene Nachforderungsbescheid sei rechtmäßig.

Das gelte zunächst in verfahrensrechtlicher Hinsicht, denn die Bindungswirkung einer Anrufungsauskunft beschränke sich auf das Lohnsteuer-Abzugsverfahren.

Aber auch sachlich sei der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden.

Das von der Klägerin praktizierte Versorgungsmodell werde durch die Arbeitnehmer selbst finanziert, denn diese hätten durch den Verzicht auf künftige Vergütungsansprüche gleichsam der Gutschrift auf einem Vorsorgekonto zugestimmt. Das angesparte Kapital werde alsdann verzinst und später wieder an die Arbeitnehmer ausgezahlt. Eine Pensionszusage im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG könne darin jedoch nicht gesehen werden. Das ergebe sich aus dem auch schon im Rahmen der Außenprüfung herangezogenen Erlass vom 5. August 2002.

Soweit die Klägerin demgegenüber vortrage, dass sie mit ihren Arbeitnehmern lediglich eine Gehaltsänderungsvereinbarung getroffen habe, könne dem nicht gefolgt werden. Auch die insoweit behauptete Gehaltsminderung könne nämlich nur dann steuerlich anerkannt werden, wenn Versorgungsleistungen im Sinne des BetrAVG zugesagt worden seien. Daran aber fehle es, denn das von der Klägerin praktizierte Versorgungsmodell sei nichts anderes als ein Sparvorgang, der nicht ausschließlich die Abdeckung biometrischer Risiken zum Inhalt habe. Die Teilnahme sei für jeden Arbeitnehmer freiwillig und die Höhe der eigenen Beiträge jeweils frei bestimmbar. Die Verschiebung der Auszahlung liege deshalb im eigenen (steuerlichen) Interesse der Arbeitnehmer und sei deshalb von ihnen selbst veranlasst. Insoweit hätten die Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Ansprüche auch keinen bedingungslosen Verzicht im Sinne des BFH-Urteils vom 30. Juli 1993 (VI R 87/92, BStBl II 1993, 884) erklärt, denn die Guthaben würden verzinst und nach den vorliegenden Vereinbarungen sei ein Verlust nicht zu befürchten. Die noch verfallbaren Versorgungsansprüche würden bei einem Ausscheiden aus dem Betrieb der Klägerin nämlich ausgezahlt und im Todesfall seien die Ansprüche gleichsam vererblich. Folglich begründe der von der Klägerin hervorgehobene "Gehaltsverzicht" gleichzeitig eine Forderung gegen die Klägerin und müsse deshalb als Lohnverwendungsabrede eingestuft werden.

Wegen der Einzelheiten des Vortrages des Beklagten wird auf dessen Schriftsatz vom 10.10.2006 und die beigefügten Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Nachforderungsbescheid vom 16.12.2003 in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung <FGO>), denn dieser Bescheid ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig.

1. Diese Feststellung trifft das Gericht auch angesichts der Regelung über die Einhaltung einer Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO). Dabei kann unterstellt werden, dass der Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 16.12.2003 an diesem Tag auch tatsächlich zur Post gegeben hat. Zwar sieht das Gesetz vor, dass die Einspruchsfrist regelmäßig am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post zu laufen beginnt (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO), das gilt aber nur, wenn der Bescheid nicht "zu einem späteren Zeitpunkt" zugeht.

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.

Die Klägerin hat nämlich vorgetragen, dass ihr der angefochtene Bescheid erst am 22.12.2003 zugegangen sei und hat dies auch hinreichend glaubhaft gemacht.

Zum einen ist eine Verzögerung im Postlauf angesichts des während der Weihnachtszeit erhöhten Postaufkommens nicht ungewöhnlich. Zum anderen haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der umstrittene Bescheid bei der Klägerin einen fehlerhaften Eingangsstempel erhalten hat. Dabei kann dahinstehen, ob die bei der Klägerin eingehende Post ausnahmslos mit einem Eingangsstempel versehen wird (Hinweis auf die in den Anlagen zur Klagebegründung enthaltene Korrespondenz, die keinen solchen Eingangsstempel trägt). Jedenfalls ist der weitere auf dem Bescheid angebrachte (runde) Stempel nicht geeignet, einen früheren Zugang des Bescheides nachzuweisen. Die zum Einspruchsvorgang gereichte Ablichtung des Bescheides ist insoweit nämlich nur schlecht lesbar und ein Datum vom 20.12.2003 (Samstag) kann daraus nicht abgeleitet werden. Vielmehr folgt das Gericht den Erläuterungen, welche die Klägerin in der mündlichen Verhandlung abgegeben hat, nach deren Inhalt der runde Stempel allenfalls nach dem Eingangsstempel von der zur Bearbeitung zuständigen Abteilung angebracht worden ist. Ihre Darstellung des Sachverhalts wird nämlich durch die zu den Gerichtsakten (Bl. 157 bis 160) gereichten Ablichtungen gestützt und auch der Beklagte hat insoweit keine Einwendungen erhoben bzw. einen anderweitigen Sachverhalt behauptet.

2. Die vom Gericht festgestellte Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ist auf verfahrensrechtliche und sachliche Gesichtspunkte zurückzuführen.

a) Ein verfahrensrechtlicher Fehler liegt vor, weil dieser Bescheid im Widerspruch steht zu der von der Klägerin (Schreiben vom 29.10. und 18.11.1997) erbetenen Anrufungsauskunft des Beklagten vom 24.11.1997. Darin hat er der Klägerin nämlich mitgeteilt, dass bei dem von ihr geschilderten Sachverhalt ein lohnsteuerpflichtiger Zufluss erst "im Zeitpunkt der Erfüllung des Versorgungsversprechens" anzunehmen sei. Gerade von dieser Beurteilung ist der Beklagte im Prüfungsbericht vom 24.11.2003 und im Bescheid vom 16.12.2003 abgerückt. Zwar rechtfertigt er dies mit dem Hinweis auf die Bindungswirkung einer nach § 42e EStG erteilten Auskunft, die nicht auf die Arbeitnehmer der Klägerin ausgedehnt werden könne (vergl. dazu auch den Beschluss des BFH vom 22. Mai 2007 - VI B 143/06, BFH/NV 2007, 1658), um eine solche Ausdehnung geht es im Streitfall aber nicht. Vielmehr beruft sich nur die Klägerin auf diese Auskunft und nur ihr ist sie erteilt worden. Dass die Auskunft hierbei nicht im Rahmen eines Haftungsbescheides (§ 42d EStG), sondern bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Nachforderungsbescheides im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG Bedeutung erlangt, ist unerheblich. Beide Bestimmungen befinden sich im Abschnitt "Steuerabzug vom Arbeitslohn", daher muss angenommen werden, dass sich auch die Auswirkungen der Anrufungsauskunft, die im selben Abschnitt geregelt sind, auf beide Formen der Inanspruchnahme des Arbeitgebers beziehen (vergl. dazu auch das Urteil des BFH vom 16. November 2005 - VI R 23/02, BStBl II 2006, 210; vergl. ferner Amtliches Lohnsteuerhandbuch 2007 Abschnitt H 147 und Heuermann, Die steuerliche Betriebsprüfung 2006, 96).

b) Auch in der Sache ist der angefochtene Nachforderungsbescheid rechtswidrig.

Für die Lohnbestandteile, die den Arbeitnehmern der Klägerin im Hinblick auf das Versorgungsmodell "Versorgungslohn statt Barlohn" nicht ausgezahlt worden sind, ist in den Streitjahren keine Lohnsteuer entstanden (§ 38 Abs. 2 EStG). Das Entgelt ist den Arbeitnehmern nämlich nicht zugeflossen (§ 11 Abs. 1 Satz 3 EStG in Verbindung mit § 38 a Abs. 1 Satz 3 EStG).

Unstreitig sind die vom Beklagten der Lohnsteuer unterworfenen Entgelte nicht in der Weise in das Vermögen der Arbeitnehmer übergegangen, dass sie ihnen als Bargeld oder als Guthaben auf ihrem eigenen Girokonto zur freien Verfügung gestanden haben.

Allerdings sind diese Formen des Geldtransfers nicht die einzigen Vorgänge, bei denen ein Zufluss beim Empfänger des Geldbetrages angenommen werden kann.

Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten haben die Arbeitnehmer der Klägerin im Streitfall jedoch keine Rechtsposition erlangt, die in ihrer Wirkung dem Erhalt von Bargeld oder der Überweisung auf ein Konto gleichkommt.

aa) So hat die Klägerin mit den einbehaltenen Entgelten nicht etwaige Verbindlichkeiten ihrer Arbeitnehmer bei Dritten erfüllt (vergl. dazu den Beschluss des BFH vom 20. August 1997 - VI B 83/97, BStBl II 1997, 667).

bb) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die als Folge der Vereinbarungen zwischen der Klägerin und ihren Arbeitnehmern erfolgten Buchungen im Buchführungswerk der Klägerin nicht nur das Festhalten von Schuldverpflichtungen darstellen, sondern darüber hinaus zum Ausdruck bringen sollten, dass der Betrag dem jeweiligen Arbeitnehmer mit der Buchung zur jederzeitigen Verwendung zur Verfügung gestanden hat (vergl. dazu das Urteil des BFH vom 14. Mai 1982 - VI R 124/77, BStBl II 1982, 469). Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Zusammenhang mit der vorgesehenen betrieblichen Altersversorgung für ihre Arbeitnehmer ein separates Personenkonto geführt hat, auf dem die zurückbehaltenen Lohnbestandteile verbucht worden sind und von dem sie die Arbeitnehmer gleichsam wie von einem Girokonto jederzeit hätten abziehen können (vergl. dazu das Urteil des BFH vom 14. Februar 1984 - VIII R 221/80, BStBl II 1984, 480 <482>). Vielmehr war nach den Vereinbarungen vorgesehen, dass die Arbeitnehmer die Leistungen erst "im Versorgungsfall" erhalten sollten.

cc) Es kann schließlich nicht festgestellt werden, dass der Geldbetrag nur deshalb nicht ausgezahlt wurde, weil er im Wege der Verkürzung des Zahlungsweges wegen einer im Vorhinein vereinbarten Novation bei der Klägerin verblieben ist (vergl. dazu die Urteile des BFH vom 14. Februar 1984 - VIII R 221/80, a.a.O., vom 22. Juli 1997 - VIII R 57/95, BStBl II 1997, 755 und vom 7. Dezember 1999 - VIII R 8/98, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH <BFH/NV> 2000, 825). Es fehlt nämlich an einer eindeutigen Absprache der Arbeitnehmer mit der Klägerin, nach deren Inhalt die ursprünglich aus dem Arbeitsverhältnis erwarteten Lohnverbindlichkeiten bei deren Fälligkeit aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet werden sollten (vergl. dazu Heinrichs in Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 67. Auflage, § 311 Tz 8 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).

Richtig ist allerdings, dass sich ein Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern verpflichten kann, deren Vermögensbildung zu fördern (vergl. dazu auch das Urteil des BFH vom 14. Mai 1982 - VI R 124/77, a.a.O.), etwa in der Weise, dass er Arbeitslohn gleichsam als Spareinlage wieder entgegennimmt, das Kapital zunächst zum eigenen Vorteil betrieblich nutzt und es nach bestimmten Fristen mit einer angemessenen Verzinsung wieder auszahlt.

Eine solche Vereinbarung hat die Klägerin mit ihren Arbeitnehmer jedoch nicht getroffen.

Das zeigt zunächst die äußere Form der Vereinbarungen, denn nach Aktenlage sind sie nicht als Sparvertrag gekennzeichnet oder mit einer vergleichbaren Bezeichnung versehen worden. Vielmehr hat die Klägerin das Versorgungsmodell ihren Arbeitnehmern als "deferred compensation" (= ausgesetzte bzw. aufgeschobene Vergütung) vorgestellt (vergl. zu diesem Modell auch Barein, Der Steuerberater 2000, 250).

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass insoweit eine Falschbezeichnung vorliegt. Das gilt schon deshalb, weil sich die Vertragsbeteiligten der Auswirkungen ihrer Vereinbarungen bewusst gewesen sind und eine fehlerhafte Wortwahl daher ausgeschlossen werden kann. So hat die Klägerin ihren Arbeitnehmern nicht anheim gestellt, von ihrem Arbeitslohn Sparbeiträge abzuzweigen, sondern sie darüber informiert, dass das vorgestellte Modell zu einer "Herabsetzung der Barbezüge" führe (vergl. dazu auch die Entscheidungen des BFH vom 20. Juli 2005 - VI R 165/01, BStBl II 2005, 890 undvom 22. November 2006 - X R 29/05, BStBl II 2007, 402). Dies bringe auch Nachteile mit sich, etwa bei der Höhe der später auszuzahlenden Rente (Hinweis auf Seite 13 der Modellbeschreibung). In steuerlicher Hinsicht hat die Klägerin darauf verwiesen (Seite 12 der Beschreibung des Modells; Abschnitt 7.5 der Vereinbarung über die betriebliche Zusatzversorgung), dass die Besteuerung nicht während der aktiven Tätigkeit, sondern im Rentenalter stattfinde (vergl. zu einem solchen Sachverhalt auch das Urteil des BFH vom 14. Februar 1964 - VI 179/62 U, BStBl III 1964, 243). Auch dies kann für den einzelnen Arbeitnehmer nachteilig sein, etwa wenn er als junger Mensch noch keine Gelegenheit gehabt hat, Vermögen anzusammeln, zum Zeitpunkt des Gehaltsverzichts vergleichsweise geringe Einkünfte hat und erst nach dem Eintritt des Versorgungsfalles, zum Beispiel nach einer auch finanziell erfolgreichen Berufstätigkeit oder nach dem Anfall einer Erbschaft, einer hohen Steuerbelastung ausgesetzt ist. Zwar hat die Klägerin ihre Arbeitnehmer auf diese Gefahr nicht konkret hingewiesen, sondern mögliche Vorteile hervorgehoben, hierbei aber nur auf die "erfahrungsgemäß" niedrigere Steuerbelastung im Rentenalter verwiesen.

Das Gericht hat schließlich keine Vereinbarungen feststellen können, die mit der Herabsetzung des Arbeitslohnes nicht vereinbar, sondern nur im Zusammenhang mit einem Vertrag über Sparleistungen verständlich wären.

Die vom Beklagten hervorgehobene Verzinsung der von der Klägerin zurückbehaltenen Gehaltsbestandteile ist in diesem Zusammenhang wenig ergiebig. Zinsen können zwar ein Entgelt für die Überlassung von Kapital darstellen, sie können aber auch einen Ausgleich für eine hinausgeschobene Fälligkeit schaffen (vergl. auch dazu das Urteil des BFH vom 14. Mai 1982 - VI R 124/77, a.a.O.).

Deutlich gewichtiger sind dagegen die in den Vereinbarungen enthaltenen Hinweise auf die Regelungen des BetrAVG zur Unverfallbarkeit der zugesagten Leistungen (vergl. dazu Abschnitt 6 der Vereinbarung über die betriebliche Zusatzversorgung).

Diese sprechen nämlich für eine Gehaltsumwandlung zugunsten einer später von der Klägerin zu erbringenden Versorgungsleistung, denn diese Leistung haben die Vertragsbeteiligten offenbar als gesichert angesehen. Zwar trägt der Beklagte vor, dass durch die den Arbeitnehmern im Streitfall ermöglichte Gehaltsumwandlung die Vorgaben des BetrAVG nicht erfüllt worden seien, das schließt aber nicht aus, dass die Vertragsbeteiligten diese Vorgaben zumindest haben erfüllen wollen. Hätten sie einen Sparvertrag vereinbaren wollen, wären hingegen anderweitige Regelungen zur Sicherung der Einlagen der Arbeitnehmer zu erwarten gewesen, denn entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten hätten die Arbeitnehmer der Klägerin bei Vereinbarungen außerhalb der Regelungen des BetrAVG durchaus einen "Verlust ihrer Ansprüche" befürchten müssen. In diesem Fall hätte es nämlich keine "unverfallbaren" Ansprüche der Arbeitnehmer im Sinne des BetrAVG gegeben.

Zur Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen geeignet ist ferner die in Abschnitt 4.1 der Vereinbarung über die betriebliche Zusatzversorgung vorgesehene Zustimmung der Klägerin zu einer vorgezogenen Altersversorgung. Regelungen, welche die Auszahlung des Kapitals vom Einverständnis des Kreditinstituts abhängig machen, sind einem Sparvertrag nämlich fremd.

Soweit der Beklagte den von ihm angenommenen Zufluss von Arbeitslohn schließlich darauf stützt, dass die von den Vertragsbeteiligten angestrebte Herabsetzung des Gehalts im Zusammenhang mit einer Versorgungsabrede nur dann "steuerlich anerkannt" werden könne, wenn die Vereinbarung den Vorgaben des BetrAVG entspreche, folgt das Gericht seiner Argumentation nicht. Weder das EStG noch das BetrAVG enthält eine Bestimmung, die speziell die Voraussetzungen des (unmittelbaren oder nachgelagerten) Zuflusses von betrieblich zugesagten Versorgungsleistungen regelt. Vielmehr gelten insoweit die allgemeinen Vorschriften über den Zufluss von Einnahmen aus einer nichtselbständigen Tätigkeit. Dem entsprechen die Ausführungen im BMF-Schreiben vom 4. Februar 2000 (IV C 5 - S 2332 -11/00, BStBl I 2000, 354), nach deren Inhalt in einem Fall, in dem die Voraussetzungen des BetrAVG nicht erfüllt sind, unter näher bezeichnete Voraussetzungen eine Abrede über eine Lohnverwendung vorliegen kann. Diese Formulierung ist in dem vom Beklagten herangezogenen BMF-Schreiben vom 5. August 2002 (IV C 4 - S 2222 - 295/02, a.a.O.) nicht (mehr) enthalten. Vielmehr ist von "einer steuerlich anzuerkennenden, durch Entgeltumwandlung finanzierten betrieblichen Altersversorgung" die Rede (Tz 149). Sollte diese Passage so zu verstehen sein, dass der Zufluss von Arbeitslohn nur dann auf den Zeitpunkt der Versorgungsleistungen hinausgeschoben wird, wenn eine (steuerlich anzuerkennende) betriebliche Altersversorgung im Sinne des BetrAVG vorliegt, hätte diese Rechtsauffassung keine gesetzliche Grundlage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



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