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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 25.06.2008
Aktenzeichen: 4 K 3738/07 Z
Rechtsgebiete: ZK, VO Nr. 2913/92/EWG, VO Nr. 2454/93/EWG


Vorschriften:

ZK Art. 4 Nr. 7
ZK Art. 203 Abs. 1
VO Nr. 2913/92/EWG Art. 220 Abs. 1 S. 1
VO Nr. 2454/93/EWG Art. 865 Unterabs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

4 K 3738/07 Z

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.

Die Klage wird abgewiesen, soweit der Beklagte ihr nicht abgeholfen hat.

Die Klägerin trägt 35 v.H. und der Beklagte trägt 65 v.H. der Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin bezog in den Jahren 2001 bis 2004 von der in Estland ansässigen A (A) Aluminiumlegierungen, die sie im Streckengeschäft an die in Griechenland ansässige B (B) veräußerte. Die Waren wurden im Hafen von "Q/Estland" verschifft und nach ihrem Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft entweder im Hafen von "S/Deutschland" oder im Hafen von "R/Belgien" umgeladen. Im Hafen von "S/Deutschland" war eine Freizone des Kontrolltyps I errichtet worden, während im Hafen von "R/Belgien" keine Freizone errichtet worden war. Nach der Umladung der Aluminiumlegierungen wurden diese unmittelbar auf dem Seeweg nach "P/Griechenland" weiterbefördert, von wo aus sie an die B ausgeliefert wurden. Die Klägerin stellte - vertreten durch die Zeugen X und Y - in dem Zeitraum vom 14. November 2001 bis zum 20. März 2004 in 48 Fällen für die Aluminiumlegierungen jeweils Versandpapiere T2L aus, die zusammen mit den von ihr für die B bestimmten Rechnungen dem Zollamt M vorgelegt wurden. Das Zollamt M versah die Versandpapiere T2L auf Grund der Angaben der Klägerin mit einem Sichtvermerk, was zur Folge hatte, dass die Aluminiumlegierungen nach ihrer Anlieferung bei der B nicht mehr verzollt wurden. Die Versandpapiere T2L wurden zum Teil nach der Verschiffung der Waren in "Q/Estland" ausgestellt. Teilweise wurden die Versandpapiere T2L am Tag der Verschiffung der Waren in "Q/Estland" oder an einem Tag oder mehreren Tagen vor der Verschiffung der Waren in "Q/Estland" ausgestellt. In einigen Fällen ist nicht mehr feststellbar, wann die Waren in "Q/Estland" verladen worden sind. Wegen der Einzelheiten der einzelnen Einfuhren wird auf die Anlagen 1 und 2 zu dem Steueränderungsbescheid vom 12. Juli 2006 (Bl. 60, 62 und 63 der Rechtsbehelfsakte des beklagten Hauptzollamts) Bezug genommen. In den Fällen K 14 und K 15 wurden die Aluminiumlegierungen am 14. August 2003 in "Q/Estland" verschifft und später in "R/Belgien" umgeladen.

Im Anschluss an Ermittlungen des Zollfahndungsamts N ging das beklagte Hauptzollamt davon aus, dass die Aluminiumlegierungen dadurch der zollamtlichen Überwachung entzogen worden seien, dass ihnen fälschlicherweise der zollrechtliche Status von Gemeinschaftswaren zuerkannt worden sei. Es setze deshalb gegen die Klägerin mit Bescheid vom 7. Februar 2006 insgesamt 102.369,81 EUR Zoll fest. In dem Bescheid, welcher der Klägerin am 9. Februar 2006 zugestellt worden ist, wies das beklagte Hauptzollamt darauf hin, dass die Klägerin in Höhe von 35.659,40 EUR zusammen mit dem Zeugen X und in Höhe von 66.710,41 EUR zusammen mit dem Zeugen Y zur Zahlung verpflichtet sei.

Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch machte die Klägerin geltend: Sie habe die Aluminiumlegierungen entweder von der A verzollt erworben oder unverzollt an die B weiterveräußert. Die Verzollung der Waren sei deshalb nicht von ihr vorzunehmen gewesen. Darüber hinaus seien die Waren in "S/Deutschland" sowie in "R/Belgien" umgeladen worden und hätten dort gestellt werden müssen, was offenbar unterblieben sei. Die Zollschuld sei daher entweder in "R/Belgien" oder in "S/Deutschland" entstanden, so dass die dortigen Behörden für die Nacherhebung des Zolls zuständig seien. Als Zollschuldner wären zudem die Frachtführer in Betracht gekommen, was im Rahmen der Ausübung des Auswahlermessens nicht berücksichtigt worden sei. Schließlich sei die Nacherhebung der Abgabenbeträge in 15 Fällen wegen Verjährung unzulässig.

Das beklagte Hauptzollamt änderte mit Bescheid vom 12. Juli 2006 den Bescheid vom 7. Februar 2006 dahingehend, dass es die Summe des nacherhobenen Zolls auf insgesamt 97.763,15 EUR reduzierte, indem es die Zollwerte nicht mehr auf der Grundlage der von der Klägerin der B in Rechnung gestellten Beträge, sondern auf der Grundlage der ihr von der A in Rechnung gestellten Beträge zuzüglich der Frachtkosten ermittelte. Alsdann wies es mit Entscheidung vom 23. August 2007 den Einspruch der Klägerin zurück und führte aus: Die Waren seien dadurch der zollamtlichen Überwachung entzogen worden, dass ihnen fälschlicherweise der zollrechtliche Status von Gemeinschaftswaren zuerkannt worden sei. Dies sei in M geschehen, so dass der Zoll in Deutschland zu erheben sei. Eine frühere Entstehung der Zollschuld könne nicht festgestellt werden. Die Zollschuld sei auch nicht teilweise wegen Verjährung erloschen, weil der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt sei.

Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Ursprünglich seien die von der A bezogenen Aluminiumlegierungen bei ihr angeliefert worden, um vor Ort die Qualität zu prüfen. Die Waren seien damals zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet worden, auf Grund ihres präferenziellen Ursprungs jedoch zollfrei gewesen. Nach der Durchführung der Qualitätskontrollen habe der seinerzeit bei ihr angestellte Zeuge X Versandpapiere T2L ausgestellt und diese beim Zollamt M mit Sichtvermerken versehen lassen. Die Waren seien sodann ohne weitere zollrechtliche Behandlung zur B befördert worden. Die Ausstellung der Versandpapiere T2L habe eine Eigendynamik entwickelt, die bedauerlicherweise auch bei den in Rede stehenden Einfuhrfällen fortgesetzt worden sei. Die Zeugen X und Y seien auf Grund der anfänglichen Abwicklung der Lieferungen davon ausgegangen, dass die Waren einer zollrechtlichen Bestimmung zugeführt worden seien. Die von ihr in der Folgezeit ausgestellten Versandpapiere T2L seien überwiegend bereits mit einem Sichtvermerk des Zollamts M versehen worden, als sich die Waren noch nicht im Zollgebiet der Gemeinschaft befunden hätten. Gewöhnlich benötige ein Frachtschiff für die Fahrt von "Q/Estland" nach "R/Belgien" zwei Tage, nach "S/Deutschland" weniger. In den Fällen, in denen sich die Waren noch nicht im Zollgebiet der Gemeinschaft befunden hätten, könne die Ausstellung der Versandpapiere T2L nicht zur Folge gehabt haben, dass eine zollamtliche Überwachung vereitelt worden sei. Die Ausstellung der Versandpapiere habe sich erst bei der Anlieferung der Waren in Griechenland ausgewirkt, so dass die griechischen Behörden für die Erhebung des Zolls zuständig seien. Die Zollschuld sei zudem dadurch noch vor der Ausstellung der Versandpapiere T2L entstanden, dass die Waren in "R/Belgien" umgeladen und nicht gestellt worden seien. Hinsichtlich der Umladung der Waren in "S/Deutschland" sei nicht ersichtlich, dass sie in einer Freizone des Kontrolltyps I stattgefunden habe. Bezüglich der in den Anlagen zum Steueränderungsbescheid vom 12. Juli 2006 unter K 1 bis K 13 sowie S 1 und S 2 aufgeführten Fälle, sei die Zollschuld wegen Verjährung erloschen. Die Zeugen X und Y hätten nicht vorsätzlich gehandelt. Schließlich habe das beklagte Hauptzollamt sein Ermessen bei der Auswahl der verschiedenen Zollschuldner nicht ausgeübt. Die Frachtführer, welche die Waren in "S/Deutschland" und "R/Belgien" umgeladen hätten, seien aus den Unterlagen ersichtlich gewesen und hätten vom beklagten Hauptzollamt ermittelt werden können.

Das beklagte Hauptzollamt hat in der mündlichen Verhandlung den Steueränderungsbescheid vom 12. Juli 2006 aufgehoben, soweit hinsichtlich der in den Anlagen zu diesem Bescheid unter K 1 bis K 15, S 1 bis S 14 und S 17 bis S 19 aufgeführten Einfuhrfälle Zoll nacherhoben worden ist. Die Beteiligten haben daraufhin insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt,

den Steueränderungsbescheid des beklagten Hauptzollamts vom 12. Juli 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. August 2007 aufzuheben, soweit er nicht durch Erklärung der Vertreterin des beklagten Hauptzollamts in der mündlichen Verhandlung bereits aufgehoben worden ist.

Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

die Klage im noch anhängigen Teil abzuweisen.

Zur Begründung trägt es vor: Zwar könne eine Zollschuld für eine Nichtgemeinschaftsware nur entstehen, wenn sie sich im Zollgebiet der Gemeinschaft befinde. Dennoch sei in den in Rede stehenden Fällen eine Zollschuld entstanden. In den Fällen, in denen die Versandpapiere T2L ausgestellt worden seien, als sich die Aluminiumlegierungen in den Häfen in "S/Deutschland" und "R/Belgien" befunden hätten, seien die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen worden. In den anderen Fällen sei die Zollschuld bei der Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr in Griechenland entstanden. Die gesetzlich geschuldeten Abgabenbeträge seien dort jedoch auf Grund der Vorlage der unzutreffenden Versandpapiere T2L nicht buchmäßig erfasst worden. In sämtlichen Fällen sei nach Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex - ZK -) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl EG Nr. L 302/1) die Bundesrepublik Deutschland für die Erhebung der Zollschuldbeträge zuständig. Es habe nicht berücksichtigt werden müssen, dass wegen Zuwiderhandlungen in den Häfen in "S/Deutschland" und "R/Belgien" unbekannte Personen in Anspruch zu nehmen gewesen seien.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Steueränderungsbescheid des beklagten Hauptzollamts vom 12. Juli 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. August 2007 ist - soweit er noch angefochten wird - rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte Hauptzollamt hat hinsichtlich der in den Anlagen zu dem Steueränderungsbescheid vom 12. Juli 2006 unter K 16 und K 17, S 15 und S 16 sowie S 20 bis S 31 aufgeführten Fälle zu Recht Zoll nacherhoben. Rechtsgrundlage für die Nacherhebung des Zolls für die vorgenannten Einfuhrfälle sind die Art. 220 Abs. 1 Satz 1, 221 Abs. 1 ZK. Die einer Zollschuld entsprechenden Abgabenbeträge waren insoweit noch nicht buchmäßig erfasst worden.

Die Zollschuld ist in den vorgenannten Fällen nach Art. 203 Abs. 1 ZK i.V.m. Art. 865 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (ZKDVO) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl EG Nr. L 253/1) entstanden. Gemäß Art. 865 Unterabs. 1 ZKDVO stellt unter anderem die Vorlage eines Dokuments zur Bescheinigung durch die zuständigen Behörden ein Entziehen der Ware aus der zollamtlichen Überwachung i.S. des Art. 203 Abs. 1 ZK dar, wenn dieses Vorgehen zur Folge hat, dass der Ware fälschlicherweise der zollrechtliche Status einer Gemeinschaftsware (Art. 4 Nr. 7 ZK) zuerkannt wird. Das ist hier geschehen. Bei den Aluminiumlegierungen handelte es sich um Nichtgemeinschaftswaren (Art. 4 Nr. 8 ZK), weil das Gebiet der Republik Estlands erst seit dem 1. Mai 2004 zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehört. Die Aluminiumlegierungen unterlagen daher vom Zeitpunkt ihres Verbringens in das Zollgebiet der Gemeinschaft an der zollamtlichen Überwachung (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 ZK). Die Ausstellung der Versandpapiere T2L und das Versehen dieser Papiere mit einem Sichtvermerk des Zollamts M hatten nach den Art. 315 Abs. 1, 316 Abs. 2 ZKDVO zur Folge, dass den Aluminiumlegierungen fälschlicherweise der zollrechtliche Status von Gemeinschaftswaren zuerkannt worden ist.

Dies gilt nach Auffassung des Senats unzweifelhaft in den noch in Rede stehenden Fällen, in denen die Versandpapiere T2L nach der Verschiffung der Waren in "Q/Estland" ausgestellt worden sind. Hierbei handelt es sich um die Fälle K 16 und K 17 sowie S 24 bis S 31 der Anlagen zum Steueränderungsbescheid vom 12. Juli 2006. In diesen Fällen unterlagen die Aluminiumlegierungen im Zeitpunkt des Ausstellens der Versandpapiere T2L nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 ZK der zollamtlichen Überwachung, weil sie zuvor in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden waren. Die Klägerin hat nachvollziehbar und vom beklagten Hauptzollamt unwidersprochen vorgetragen, dass ein Frachtschiff für die Fahrt von "Q/Estland" nach "R/Belgien" gewöhnlich zwei Tage benötige, nach "S/Deutschland" weniger. Die Zollschuld ist gemäß Art. 203 Abs. 2 ZK in dem Zeitpunkt entstanden, in dem die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sind. Das ist in dem Sonderfall des Art. 865 Unterabs. 1 ZKDVO grundsätzlich der Zeitpunkt des fälschlichen Zuerkennens des Status einer Gemeinschaftsware (Lichtenberg in Dorsch, Zollrecht, ZK Art. 203 Rdnr. 4; Witte, ZK, 4. Aufl., Art. 203 Rdnr. 15; Stüwe in Hübschmann/Hepp/Spitaler, ZK Art. 203 Rdnr. 42). In den Fällen K 16 und K 17 sowie S 24 bis S 31 war dies mithin der Zeitpunkt, zu dem das Zollamt M die Versandpapiere T2L mit den Sichtvermerken versehen hat. Nach Art. 215 Abs. 1 Anstrich 1 ZK ist die Zollschuld in M entstanden, weil dort der Tatbestand eingetreten ist, der die Zollschuld hat entstehen lassen. Im Falle der Begehung von Zuwiderhandlungen ist nach Art. 203 Abs. 2 i.V.m. Art. 215 Abs. 1 Anstrich 1 ZK der Ort der Entstehung der Zollschuld derjenige, an dem die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wurde, mithin dort wo die Tathandlung begangen wurde (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteile vom 11. Juli 2002 Rs. C-371/00, Slg. 2002, I-6227 Rdnr. 52 und 57 sowie vom 3. April 2008 Rs. C-230/06, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern - ZfZ - 2008, 136 Rdnr. 25 und 28).

Der Annahme einer Zollschuldentstehung gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK i.V.m. Art. 865 Unterabs. 1 ZKDVO in den Fällen K 16 und K 17 sowie S 24 bis S 31 steht nicht entgegen, dass zu den Zeitpunkten, zu denen das Zollamt M die Versandpapiere T2L mit den Sichtvermerken versehen hat, nicht früher bereits eine Zollschuld nach Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK entstanden war. Dies war nämlich nicht der Fall. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass in den Fällen, in denen die Zollschuld für eine Ware einmal entstanden ist, nachfolgende Handlungen oder Unterlassungen in Bezug auf dieselbe Ware zollschuldrechtlich grundsätzlich unerheblich sind. Eine Zollschuld kann daher nicht mehr durch ein Entziehen einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus der zollamtlichen Überwachung entstehen, wenn bereits zuvor hinsichtlich der nämlichen Ware eine Zollschuld entstanden war (BFH-Urteil vom 5. Oktober 2004 VII R 61/03, BFHE 207, 570). Dies kann hinsichtlich der Fälle K 16 und K 17 sowie S 24 bis S 31 jedoch nicht festgestellt werden. In diesen Fällen wurden die Aluminiumlegierungen nach ihrem Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft im Hafen von "S/Deutschland" umgeladen. Gemäß Art. 189 ZKDVO sind Waren, die auf dem Seeweg oder Luftweg aus einem Drittland in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden und auf der Grundlage desselben Beförderungspapiers auf dieselbe Weise ohne Umladung zu einem anderen Hafen bzw. Flughafen der Gemeinschaft weiterbefördert werden, erst in dem Hafen bzw. Flughafen zu gestellen, in dem sie aus- oder umgeladen werden. Anderes gilt jedoch bei einer Umladung der Waren in dem Hafen bzw. Flughafen des erstmaligen Verbringens in das Zollgebiet der Gemeinschaft. Dann sind die Waren grundsätzlich gemäß Art. 38 Abs. 1 Buchst. a ZK zu einer Zollstelle zu befördern und nach Art. 40 ZK zu gestellen oder in eine Freizone zu befördern (Art. 38 Abs. 1 Buchst. b ZK). Demgemäß sind Nichtgemeinschaftswaren bei einem Verbringen in eine Freizone des Kontrolltyps I nicht zu gestellen (Art. 170 Abs. 1 ZK) (Zimmermann in Dorsch, Zollrecht, ZK Art. 170 Rdnr. 9; Witte, ZK Art. 170 Rdnr. 1). Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist und sich aus der im Internet von der Kommission veröffentlichen Liste der in den Mitgliedstaaten errichteten Freizonen ergibt, war im Hafen von "S/Deutschland" eine Freizone des Kontrolltyps I errichtet worden. Es kann zwar nicht mehr festgestellt werden, ob die Aluminiumlegierungen tatsächlich in der Freizone des Kontrolltyps I im Hafen von "S/Deutschland" umgeladen worden sind. Dies kann allerdings auch nicht ausgeschlossen werden. Mithin kann nicht von einer früheren Zollschuldentstehung nach Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK im Hafen von "S/Deutschland" ausgegangen werden, was zu Lasten der Klägerin geht, weil sie sich hierauf beruft.

Nach Auffassung des Senats ist die Zollschuld auch in den Fällen nach Art. 203 Abs. 1 ZK i.V.m. Art. 865 Unterabs. 1 ZKDVO entstanden, in denen die Versandpapiere T2L am Tag der Verschiffung der Aluminiumlegierungen in "Q/Estland" oder an einem Tag oder mehreren Tagen vor der Verschiffung der Aluminiumlegierungen in "Q/Estland" ausgestellt worden sind. Hierbei handelt es sich um die Fälle S 15 und S 16 sowie S 20 bis S 23 der Anlagen zum Steueränderungsbescheid vom 12. Juli 2006. In diesen Fällen können sich die Aluminiumlegierungen zum Zeitpunkt des Ausstellens und Versehens der Versandpapiere T2L mit den Sichtvermerken des Zollamts M noch nicht im Zollgebiet der Gemeinschaft befunden haben, d.h. sie unterlagen zu diesem Zeitpunkt noch nicht der zollamtlichen Überwachung (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 ZK). Gleichwohl vermag der Senat der Ansicht der Klägerin, die Ausstellung der Versandpapiere T2L habe sich zollschuldrechtlich erst bei der Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr in Griechenland ausgewirkt, nicht zu folgen. Denn die nach Art. 203 Abs. 1 ZK i.V.m. Art. 865 Unterabs. 1 ZKDVO zollschuldrechtlich maßgebliche Tathandlung wurde bereits durch die Bediensteten der Klägerin in M begangen. Der Taterfolg des Entziehens der Nichtgemeinschaftswaren aus der zollamtlichen Überwachung ist eingetreten, nachdem die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft (Art. 3 ZK) verbracht worden sind und damit der zollamtlichen Überwachung unterlagen. Der Senat sieht sich in seiner Rechtsauffassung durch das BFH-Urteil vom 7. Mai 2002 VII R 26/01 (BFH/NV 2002, 1354 - dort unter 1. c a.E.) bestätigt. Den Aluminiumlegierungen wurde bereits vor ihrem Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft fälschlicherweise der zollrechtliche Status von Gemeinschaftswaren zuerkannt. Die vom BFH in seinem Urteil in BFH/NV 2002, 1354 dargestellte Gefahr der unzutreffenden Behandlung der Waren als Gemeinschaftswaren konnte sich ab ihrem Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft auswirken. Hierfür bedurfte es keiner weiteren Verwendung der Versandpapiere T2L, weil Art. 865 Unterabs. 1 ZKDVO es ausreichen lässt, dass einer Nichtgemeinschaftsware fälschlicherweise der zollrechtliche Status einer Gemeinschaftsware zuerkannt wird. Es ist zudem geklärt, dass der Tatbestand des Art. 203 Abs. 1 ZK nicht voraussetzt, dass die zuständige Zollbehörde im Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld eine Überprüfung der Ware durchzuführen beabsichtigt (BFH-Urteil vom 7. Dezember 2004 VII R 21/04, BFH/NV 2005, 1166; BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2007 VII B 352/06, BFH/NV 2008, 629). Die Zollschuld ist in den Fällen S 15 und S 16 sowie S 20 bis S 23 daher gemäß Art. 203 Abs. 2 ZK im Zeitpunkt des Verbringens der Aluminiumlegierungen in das Zollgebiet der Gemeinschaft entstanden.

Da Art. 215 Abs. 1 Anstrich 1 ZK auf den Ort der Begehung der zollschuldbegründenden Handlung abstellt (EuGH-Urteile in Slg. 2002, I-6227 Rdnr. 52 und 57 sowie in ZfZ 2008, 136 Rdnr. 25 und 28), verbleibt es auch in den Fällen S 15 und S 16, in denen die Waren in "R/Belgien" umgeladen worden sind, bei der Zuständigkeit des beklagten Hauptzollamts für die Nacherhebung der Abgabenbeträge. Die Zollschuld ist in den Fällen S 15 und S 16 auch nicht gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK dadurch gleichzeitig entstanden, dass die Aluminiumlegierungen nach ihrem Verbringen in den Hafen von "R/Belgien" umgeladen und nicht gestellt worden sind. Nach Art. 202 Abs. 2 ZK entsteht die Zollschuld in den in Art. 202 Abs. 1 ZK bezeichneten Fällen nicht schon mit dem Verbringen, sondern erst mit dem vorschriftswidrigen Verbringen der Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft. Eine Zollschuld ist deshalb erst dann nach Art. 202 Abs. 2 ZK entstanden, wenn feststeht, dass die Vorschriften der Art. 38 bis 41 und 177 Anstrich 2 ZK nicht beachtet worden sind (Wäger in Dorsch, Zollrecht, ZK Art. 202 Rdnr. 25; Witte, ZK Art. 202 Rdnr. 17). Dies war im Hafen von "R/Belgien" indessen erst der Fall, nachdem die Aluminiumlegierungen umgeladen worden waren und daher feststand, dass die Gestellungsbefreiung des Art. 189 ZKDVO nicht zur Anwendung kommen konnte. Zuvor war bereits im Zeitpunkt des Verbringens der Aluminiumlegierungen in das Zollgebiet der Gemeinschaft eine Zollschuld gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK entstanden.

Die Klägerin ist nach Art. 203 Abs. 3 Anstrich 1 ZK Zollschuldnerin geworden. Zollschuldnerin kann danach auch eine juristische Person werden (BFH-Urteil vom 7. Dezember 2004 VII R 21/04, BFH/NV 2005, 1166). Die Zeugen X und Y haben als Vertreter der Klägerin die unzutreffenden Versandpapiere T2L ausgestellt, was sich die Klägerin nach Art. 5 Abs. 1 ZK zurechnen lassen muss.

Anders als die Klägerin meint, ist ihre Inanspruchnahme als Zollschuldnerin nicht ermessensfehlerhaft. Die Entscheidung, welcher von mehreren gesamtschuldnerisch nach Art. 213 ZK verpflichteten Abgabenschuldnern in Anspruch genommen werden soll, steht im Ermessen der Finanzbehörde. Der Abgabenschuldner hat ein subjektives Recht darauf, dass die Finanzbehörde bei dieser Ermessensentscheidung in Erwägung zieht, welche weiteren Abgabenschuldner vorhanden sind, ob die Forderung gegen diese durchgesetzt werden könnte und ob eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Abwägung dafür spricht, vornehmlich oder zumindest kumulativ diese in Anspruch zu nehmen (BFH-Urteile vom 20. Juli 2004 VII R 20/02, BFHE 207, 565;vom 10. Oktober 2007 VII R 49/06, BFH/NV 2008, 499). Zwar ist der Klägerin einzuräumen, dass die Namen der Frachtführer aus den Frachtunterlagen ersichtlich oder zumindest zu ermitteln waren. Gleichwohl kamen diese als Zollschuldner gemäß Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK nur in den Fällen in Betracht, in denen der angefochtene Steueränderungsbescheid bereits von der Vertreterin des beklagten Hauptzollamts in der mündlichen Verhandlung aufgehoben worden ist, weil die Zollschuld für die Waren gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK früher als die Ausstellung der Versandpapiere T2L im Hafen von "R/Belgien" entstanden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO, soweit sich der Rechtsstreit dadurch in der Hauptsache erledigt hat, dass das beklagte Hauptzollamt dem Klagebegehren in der mündlichen Verhandlung entsprochen hat. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.



Ende der Entscheidung

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