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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 28.04.2006
Aktenzeichen: 1 K 1778/05 Ki
Rechtsgebiete: KAG, KiStO NW, KiStG NW


Vorschriften:

KiStG NW § 4 Abs. 4 Satz 3
KiStO NW § 6 Abs. 5 Satz 2
KAG § 8 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob Zahlungen an die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde F-Stadt auf das besondere Kirchgeld angerechnet werden können.

Die Klägerin ist Mitglied der Evangelischen Kirche; ihr Ehemann - der Prozessvertreter - gehört der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde in F-Stadt an.

Mit Bescheiden vom 20. April 2004 und 7. Mai 2004 setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin ein besonderes Kirchgeld 2002 von 156 EUR und 2003 von 276 EUR fest. Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein und machte geltend, im Hinblick auf die Zuwendungen/Gemeindebeiträge ihres Ehemanns an die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde von 2.602 EUR (2002) und 1.800 EUR (2003) die Kirchgeldfestsetzung aufzuheben. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 31. März 2005 als unbegründet zurück. Nach § 6 Abs. 5 Satz 2 der Kirchensteuerordnung der evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen (KiStO NW) beschränke sich die Anrechnung auf "Beiträge", die der nicht kirchensteuerpflichtige Ehegatte an eine öffentlich-rechtliche Körperschaft entrichte, die keine Kirchensteuer erhebe; vorliegend handele es sich ausweislich der Sammelbestätigung indes nicht um (Mitglieds-)Beiträge, sondern um freiwillige Zuwendungen.

Hiergegen richtet sich die Klage, die die Klägerin im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Ausführungen des Beklagten seien reine "Wortklauberei"; entscheidend sei allein, dass Zahlungen an die Freikirchliche Gemeinde erfolgt seien, die der Leistende nicht als "Spende" bezeichnet habe. Die Mitglieder der Freikirchlichen Gemeinde leisteten - so die Gemeindeordnung - durch Opferbereitschaft entsprechend ihrem Einkommen (freiwillige) Beiträge, die - neben Sammlungen, Spenden und Vermögenserträgen - der Finanzierung des Gemeindehaushalts dienten. Die gesetzliche Möglichkeit der Anrechnung beschränke sich nicht auf zwangsweise entrichtete Beiträge. Das ergebe sich eindeutig aus dem Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens. Ausweislich der Protokolle der Ausschuss- und Plenarsitzungen (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 16. Dezember 2005) sowie der Bestätigungen der Abgeordneten Sylvia Löhrmann vom 1. Dezember 2005 und Volkmar Klein vom 25. April 2006 sei es den Abgeordneten wichtig gewesen, diejenigen Kirchenmitglieder, deren Ehepartner freiwillige Beiträge an eine Freikirche entrichteten, nicht mit besonderem Kirchgeld zu belegen. Die freikirchlichen Vereinigungen, Baptisten und Mennoniten hätten den Gesetzentwurf begrüßt, weil sie angesichts der Anrechnung von Beiträgen nicht zu Bittstellern gemacht, sondern gesetzlich geschützt worden seien. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) definiere mit Urteil vom 10. Oktober 2001 XI R 52/00 (BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201) Zahlungen an öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften, die keine Kirchensteuern erheben, als Kirchen-"Beiträge" - unabhängig davon, ob sie freiwillig oder zwangsweise geleistet würden.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide über die Festsetzung des besonderen Kirchgeldes 2002 und 2003 vom 20. April 2004 und 7. Mai 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. März 2005 ersatzlos aufzuheben,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verbleibt bei seiner Ansicht, dass der in der kirchensteuerrechtlichen Anrechnungsvorschrift enthaltene Begriff des "Beitrages" nicht jede beliebige (freiwillige) Zahlung umfasse, sondern nur - wie im Kommunalabgabengesetz definiert - eine Zwangsabgabe. Der Begriff des Beitrages dürfe nicht "verwässert" werden. Sowohl das Kirchensteuergesetz als auch die Kirchensteuerordnung hätten mit Bedacht den Begriff des "Beitrages" und nicht den des "Betrages" gewählt. Das verdeutliche auch der vor Erlass der KiStO geführte Schriftwechsel zwischen der Staatskanzlei des Landes NRW und den Evangelischen Kirchen im Land Nordrhein-Westfalen (s. Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 23. März 2006). Die Staatskanzlei hatte die Kirchen im November 2001 darauf hingewiesen, dass der Entwurf der Anrechnungsvorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 2 KiStO das Wort "Beträge" enthalte, das jedoch durch "Beiträge" zu ersetzen sei. Die Evangelische Kirche im Rheinland hatte geantwortet, dass es sich bei dem Begriff "Beträge" um einen redaktionellen Fehler handele, der auf einem bloßen Versehen der Lippischen Landeskirche bei der Beschlussfassung beruhe. Wenn demgegenüber - so der Beklagte weiter - in der parlamentarischen Debatte ein Politiker von "freiwilligen Beiträgen" gesprochen habe, sei das ein Widerspruch in sich, was man aber einem Politiker, der nicht vom Fach sei, kaum verübeln dürfe.

Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Klagevorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der dem Gericht vorgelegten Steuer- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Kirchensteuerbescheide sind rechtwidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die vom Ehemann der Klägerin an die Freikirche geleisteten Zahlungen auf das besondere Kirchgeld anzurechnen.

Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 3 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen (KiStG NW) und § 6 Abs. 5 Satz 2 KiStO NW sind auf ein besonderes Kirchgeld die Beiträge anzurechnen, die der nicht kirchensteuerpflichtige Ehegatte als Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft, die keine Kirchensteuern erhebt, entrichtet hat. Die Auslegung des in diesen Bestimmungen enthaltenen Begriffs der "Beiträge" ergibt, dass hierunter sämtliche Zahlungen fallen, die das Mitglied zum Zwecke der Finanzierung des Haushalts der Freikirche geleistet hat.

Für die Auslegung von Steuergesetzen ist der objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut und aus dem Sinnzusammenhang der Vorschrift ergibt. Der subjektive Wille der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen kann für die Auslegung nur insofern von Bedeutung sein, als er die Richtigkeit einer nach den sonstigen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die sonst nicht ausgeräumt werden könnten. Die Motive und Vorstellungen der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie im Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden haben (BFH-Urteile vom 14. Mai 1991 VIII R 31/88, BFHE 164, 516, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1992, 167; 13. Oktober 1998 VIII R 78/97, BFHE 187, 227, BStBl II 1999, 163; damit folgt der BFH der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. Kruse/Drüen in Tipke, Kruse, AO und FGO, § 4 AO Tz. 232).

Der Begriff "Beitrag" der Bestimmungen in KiStG und KiStO NW umfasst nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Zweck der Vorschriften ergibt, alle freiwilligen oder unfreiwilligen zweckgebundenen, zur Finanzierung des Gemeindehaushalts bestimmten Zuwendungen der Gemeindemitglieder; der subjektive Wille des Gesetzgebers bestätigt dieses Auslegungsergebnis.

Unter "Beitrag" versteht man nach allgemeinem Sprachgebrauch jegliche Zuwendung, die zur Unterstützung eines bestimmten Zwecks beisteuern bzw. "beitragen" soll. Maßgeblich ist dabei die Sicht des Leistenden. Ebenso vielfältig wie die verfolgten Zwecke sein können - etwa zur Förderung eines Sportvereins, einer Universität, einer kirchlichen Körperschaft -, sind auch unterschiedliche Beweggründe für die Zahlung denkbar - sie kann etwa durch Gesetz, Satzung o. ä. auferlegt sein, freiwillig erfolgen oder auf einem faktischen Zwang beruhen; insoweit entspräche eine Differenzierung weder dem Sprachgebrauch noch ist sie für die Zweckerreichung derartiger Zahlungen - die Finanzierung des Gemeindehaushalts - von Bedeutung. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung in Steuersachen beschränkt den Anwendungsbereich von Beiträgen nicht auf unfreiwillig geleistete Zuwendungen. So hat der BFH mit Urteil vom 10. Oktober X I R 52/00 (BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201) Kirchen-"Beiträge" (i.S. von R 101 der Einkommensteuerrichtlinien) insoweit von Kirchensteuern abgegrenzt, als (nur) letztere zwangsweise erhoben würden. In der steuerrechtlichen Fachliteratur wird ebenfalls die Formulierung der "freiwilligen Beiträge" verwendet (etwa Hutter in Blümich, EStG, § 10 Rdn. 486; Suhrbier/Hahn, Kirchensteuerrecht, S. 210).

Die sich aus dem Sprachgebrauch ergebende Ausdehnung des Begriffs "Beitrag" auch auf freiwillige Zahlungen entspricht hier zugleich dem Zweck der kirchensteuerrechtlichen Bestimmungen. Mit den Regelungen über das besondere Kirchgeld sollten bestehende Lücken im System der Kirchensteuer geschlossen und auf diese Weise für mehr Finanzierungsgerechtigkeit gesorgt werden. Kirchenangehörige, die in glaubensverschiedener Ehe leben und deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nach Einschätzung der Kirchen bislang überhaupt nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden konnte, sollten in einem angemessenen Umfang zur Tragung kirchlicher Lasten herangezogen werden; gleichzeitig sollte die Besserstellung glaubensverschiedener Ehen gegenüber konfessionsgleichen oder konfessionsverschiedenen Ehen wenigstens teilweise ausgeglichen werden (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2005 I R 76/04, BFHE 211, 90, BStBl II 2006, 274). In der Höhe indes, in der der Ehepartner des in glaubensverschiedener Ehe lebenden Kirchenmitglieds Zuwendungen an die Freikirche leistet, der er angehört, ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eheleute durch zu kirchlichen Zwecken bestimmte Zahlungen gemindert; insoweit entfällt der Grund für die Erhebung eines besonderen Kirchgeldes.

Dass der Gesetzgeber mit dem Begriff "Beiträge" gerade auch freiwillige Zahlungen gemeint hat, ergibt sich aus den zu den Akten gelangten Ausschuss- und Plenarprotokollen des Gesetzgebungsverfahrens. So hat es etwa der Abgeordnete Volkmar Klein (Vorsitzender des Finanz- und Haushaltsausschusses) in der Plenarsitzung vom 14. Februar 2001 begrüßt, dass in den Fällen, in denen der Ehepartner in einer Freikirche hohe Beiträge abführe, nach der vorgesehenen Regelung des § 4 Abs. 4 eine Kirchensteuerveranlagung ausgeschlossen sei, und zwar dadurch, dass die freiwilligen Beiträge berücksichtigt würden. Die Abgeordnete Sylvia Löhrmann hat ausgeführt, dass man dem berechtigten Anliegen der freikirchlichen Gemeinden Rechnung getragen habe, weil der Gesetzgeber klare Regelungen treffen müsse, um es nicht den Kirchen anzulasten, ihre Ansprüche miteinander auszufechten. Die Abgeordneten Löhrmann und Klein haben auf Anfrage der Klägerin in schriftlichen Stellungnahmen vom 1. Dezember 2005 und 25. April 2006 nochmals ausdrücklich bekräftigt, dass es ein Anliegen gewesen sei, die kleineren Glaubensgemeinschaften gegenüber den großen Amtskirchen nicht zu benachteiligen; das besondere Kirchgeld habe keine Personen treffen sollen, deren Ehepartner Mitglied einer Freikirche sei und dort keine Kirchensteuern oder Pflichtbeiträge zu zahlen habe.

Der subjektive Wille des Gesetzgebers steht damit aufgrund der Sitzungsprotokolle und der bestätigenden Erklärungen der Abgeordneten fest. Der Hinweis der Staatskanzlei, der im Entwurf der Kirchensteuerordnung enthaltene Begriff der "Beträge" sei zu ersetzen durch "Beiträge", rechtfertigt entgegen der Ansicht des Beklagten keine andere Beurteilung, sondern stellt sich als folgerichtiger Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens dar. Da der Gesetzgeber stets die Formulierung "Beiträge" - verstanden als freiwillige Zahlungen an die Freikirchen - verwendet hatte, war dieser Begriff auch für die entsprechende Ergänzung des KiStG und der KiStO vorgesehen. Dass der Entwurf der KiStO demgegenüber den abweichenden Begriff des "Betrages" enthielt, beruhte lediglich auf einem mechanischen Versehen (nur) einer der drei evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen, der Lippischen Landeskirche, und ist sofort nach Bekanntwerden des Irrtums berichtigt worden. Die Wertung des Beklagten, die Ersetzung der Formulierung "Betrag" durch "Beitrag" sei Ausdruck einer Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Anrechnung freiwilliger Zahlungen, steht mit dem Gesetzgebungsablauf nicht im Einklang. Anhaltspunkte dafür, dass bei endgültiger Abfassung des KiStG im Gegensatz zu dem bisherigen zentralen Anliegen der Abgeordneten die Anrechnung "freiwilliger Beiträge" habe versagt werden sollen, liegen hier nicht vor; im Gegenteil haben die Abgeordneten Löhrmann und Klein noch im Klageverfahren die Bedeutung der Formulierung "Beiträge" im Sinne der während des Gesetzgebungsverfahrens geführten Debatten bestätigt.

Der Umstand, dass § 8 Abs. 2 Satz 1, 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG) "Beiträge" als Geldleistungen beschreibt, die von den Grundstückseigentümern als Gegenleistung für bestimmte wirtschaftliche Vorteile erhoben - d. h. als Abgabe festgesetzt - werden, rechtfertigt hier kein anderes Ergebnis. Die dortige Legaldefinition beschränkt sich auf den Anwendungsbereich der Kommunalabgaben, während der Begriff nach dem objektivierten und subjektiven Willen des Gesetzgebers in Kirchensteuerangelegenheiten auch Beiträge umfasst, die nicht besonders festgesetzt und zwangsweise erhoben werden.

Die Kostentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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