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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 21.02.2006
Aktenzeichen: 10 K 171/03 Kg
Rechtsgebiete: PO-NschA, EStG, BGB, BaföG, SchVG NW


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
SchVG NW § 26b Abs. 1 Satz 2
SchVG NW § 26 Abs. 2
PO-NschA § 1 Satz 1
PO-NschA § 2 Satz 2
PO-NschA § 4 Abs. 3
PO-NschA § 11 Satz 1
PO-NschA § 16
PO-NschA § 17
BaföG § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
BGB § 1601
BGB § 1610 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

I.

Strittig ist, ob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für die am 12. April 1981 geborene Tochter Birgit der Klägerin ab Juli 2002 mit der Begründung aufheben durfte, dass die Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler mangels Einbindung in eine schulische Mindestorganisation keine Berufsausbildung darstelle.

Birgit besuchte im Schuljahr 2000/2001 die 13. Klasse der ...-Schule (Städt. Gymnasium) in...Die Beklagte, die für dieses Kind fortlaufend Kindergeld zahlte, befristete die Zahlung am 28. Februar 2001 im Hinblick auf das voraussichtliche Ende des Schulbesuchs bis zur Abiturprüfung mit Wirkung zum Ende des Monats Juli 2001 (Kindergeldakte I Bl. 206). Mit Schreiben vom 8. Mai 2001 teilte die Klägerin mit, dass Birgit nicht zur Abiturprüfung zugelassen worden sei. Sie bereite sich deshalb auf die Abiturprüfung für Nichtschüler vor. Dafür habe sie sich bereits bei der Bezirksregierung vorgestellt. Auf Anfrage der Beklagten teilte die ...-Schule mit, dass Birgit sich bis zum 26. Januar 2001 in Schulausbildung befunden und danach vorzeitig die Schule verlassen habe. Die Beklagte befristete daraufhin die Weiterzahlung des Kindergeldes für Birgit am 7. Juni 2001 bis zum Januar 2003 (Kindergeldakte II Bl. 217), zahlte jedoch ab September 2001 - ohne Aufhebung der Festsetzung - Kindergeld nur noch für die Kinder Sabine, Monika und Elena (alle Namen geändert) (Kindergeldakte II Bl. 219, 225).

Die Klägerin beantragte am 2. Dezember 2001 Kindergeld auch für Birgit und teilte mit, dass Birgit seit dem 1. Oktober 2001 am Katholischen Institut in Paris Französisch und französische Kultur studiere. Als Nachweis legte sie eine Bestätigung vom 7. November 2001 und eine Studienbescheinigung vom 25. Januar 2002 vor. In der Studienbescheinigung wurde als Datum des voraussichtlichen Endes des Studiums der 28. Juni 2002 angegeben. Die Beklagte setzte daraufhin wieder Kindergeld für Birgit bis Juni 2002 fest und zahlte das Kindergeld für September 2001 bis Februar 2002 nach (Kindergeldakte II Bl. 243 f.). Mit Schreiben vom 14. Juli 2002 teilte die Klägerin mit, dass Birgit ihre Ausbildung in Paris beendet habe und in jedem Fall eine weitere Ausbildung absolvieren wolle. Sie beanspruche daher weiterhin für dieses Kind Kindergeld. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2002 teilte die Klägerin mit, dass Birgit sich auf die Abiturprüfung für Nichtschüler vorbereite. Sie legte ein Schreiben der Bezirksregierung Düsseldorf vom 30. September 2002 vor, in dem diese Birgit die Anmeldung bestätigte. Die schriftlichen Prüfungen sollten danach voraussichtlich im Februar 2003 und die mündlichen Prüfungen des zweiten Prüfungsteils im Juni 2003 stattfinden.

Die Beklagte hob die Festsetzung des Kindergeldes für Birgit durch Bescheid vom 28. Oktober 2002 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab Juli auf (Kindergeldakte II Bl. 261 f.). Sie begründete dies damit, dass die Abiturprüfung für Nichtschüler keine Ausbildung i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG sei.

Die Klägerin legte dagegen Einspruch ein, mit dem sie darauf hinwies, dass das Bestehen der Abiturprüfung für Nichtschüler ein vollwertiges Abitur vermittele. Der Lehrstoff, den sich ein Nichtschüler für die Abiturprüfung erarbeiten müsse, sei nicht geringer als der, der Gegenstand einer Abiturprüfung an einem Gymnasium sei. Nach dem Abschluss der zehnten Klasse bestehe keine Schulpflicht mehr. Danach sei es jedem Schüler freigestellt, wie er sich auf das Abitur vorbereite. Birgit habe sich im Hinblick auf ein beabsichtigtes Studium in Frankreich dafür entschieden, sich zunächst durch den Aufenthalt in Paris die dafür erforderlichen Französischkenntnisse anzueignen, sich dann auf die Abiturprüfung für Nichtschüler vorzubereiten und anschließend in Frankreich das Studium aufzunehmen. Die Klägerin legte ein Schreiben der Bezirksregierung Düsseldorf vom 13. November 2002 vor, durch das Birgit zur Abiturprüfung für Nichtschüler für 2003 zugelassen wurde.

Die Beklagte wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2002 als unbegründet zurück. Sie führte aus, dass die Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler nicht als Schulausbildung angesehen werden könne. Schulausbildung sei jede die Arbeitskraft und die Zeit des Auszubildenden überwiegend beanspruchende Ausbildung an allgemein- oder berufsbildenden öffentlichen und privaten Schulen, in denen Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen bzw. in Anlehnung daran erteilt werde. Die Schulausbildung diene der Allgemeinbildung oder beruflichen Bildung, ohne jedoch auf einen bestimmten Beruf ausgerichtet zu sein. Kennzeichnend für eine Schulausbildung sei die Vermittlung von Wissen an einer schulischen Einrichtung. Dies setze voraus, dass der Schüler in eine schulische Mindestorganisation eingebunden sei, die eine gewisse dauernde Lernkontrolle ermögliche. Die Ausbildung dürfe nicht überwiegend in der Gestaltungsfreiheit des Schülers liegen. Außerdem müsse ein gewisser Kontakt und Austausch zwischen dem Schüler und den Lehrern bestehen. Hänge die Dauer und Intensität des Ausbildungsganges im Wesentlichen von der Entscheidung und Selbstverantwortung des Schülers ab, liege keine Ausbildung im steuerrechtlichen Sinne vor. Danach sei die private Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung für eine höhere Klasse oder die Reifeprüfung für Nichtschüler keine Ausbildung i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG, weil es an einer Einbindung in eine schulische Mindestorganisation fehle.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Zahlung von Kindergeld für Birgit ab Juli 2002. Sie trägt ergänzend zum Vorbringen im Vorverfahren vor, dass ein Bewerber, der sich zur Abiturprüfung für Nichtschüler anmelde, schriftliche Nachweise in Form von Studienberichten vorzulegen habe, die eine Auseinandersetzung mit dem Lehrstoff erkennen ließen. Auf der Grundlage von Gesprächen der für die Prüfung verantwortlichen Lehrer mit den Bewerbern werde über die Zulassung entschieden. Dabei würden die Studienberichte kritisch durchgesehen und bisweilen auch Ergänzungen verlangt. Der Arbeitsaufwand für die Vorbereitung auf die Prüfung sei nicht geringer als die eines Schülers, der das 13. Schuljahr des Gymnasiums besuche. Die Abiturprüfung für Nichtschüler lasse sich nicht "nebenbei" erledigen. Eltern blieben einem Kind während dieser Zeit weiterhin zum Unterhalt verpflichtet. Dies müsse bei der Ausbildung des Merkmals "Berufsausbildung" im Hinblick auf die Zielsetzung des steuerlichen Kindergeldes, wie sie in § 31 Satz 1 EStG normiert sei, berücksichtigt werden. Nur soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich sei, diene es nach § 31 Satz 2 EStG der Förderung der Familie. Damit habe es nur noch nachrangig den Charakter einer Sozialleistung.

Mit Schriftsatz vom 15. April 2003 hat die Klägerin mitgeteilt, dass Birgit den ersten Prüfungsteil bestanden habe. Birgit habe sich bislang täglich zwischen acht und zehn Stunden im Selbststudium mit dem Lehrstoff beschäftigt, um die Prüfung zu bestehen. Zum Nachweis für die Ausbildungsbemühungen hat die Klägerin zwei Ordner mit Studienberichten und Unterlagen zur Prüfungsvorbereitung vorgelegt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides für Birgit vom 28. Oktober 2002 und der Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2002 zu verpflichten, Kindergeld für dieses Kind ab Juli 2002 festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an der in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten im Klageverfahren wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Das Gericht hat die den Streitfall betreffenden Kindergeldakten der Beklagten beigezogen.

Die Bezirksregierung Düsseldorf hat auf Anfrage des Berichterstatters mitgeteilt, dass Birgit die Abiturprüfung für Nichtschüler im Rahmen der Wiederholungsprüfung 2004 bestanden hat (Gerichtsakte Bl. 37).

Gründe

II.

Die Klage ist begründet, soweit die Klägerin sich dagegen wendet, dass die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für Birgit mit der Begründung verweigert hat, bei der Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler handele es sich nicht um eine Ausbildung i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG. Insoweit sind der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Gericht vermag allerdings allein deshalb dem Begehren der Klägerin, die Beklagte zur Festsetzung von Kindergeld für Birgit ab Juli 2002 zu verpflichten, nicht zu entsprechen. Ein Finanzgericht (FG) ist nicht in jedem Fall verpflichtet, die Sache zur Spruchreife zu bringen. Aufgabe der Gerichte ist es, das bisher Geschehene bzw. das Unterlassene auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht jedoch, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben. Insbesondere darf danach das FG nicht von der Verwaltung bisher noch nicht geprüfte Sachverhalte aufgreifen und durch eigene Ermittlungen klären. Es hat nur die Pflicht, den Sachverhalt bis zur Entscheidungsreife für den Erlass eines Bescheidungsurteils aufzuklären. Da es der Klägerin entscheidend darum geht, der Beklagten aufzugeben, die Kindergeldfestsetzung nicht mit dem Argument abzulehnen, dass die Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler keine Berufsausbildung sei, beschränkt sich die Aufgabe des Gerichts darauf, den ablehnenden Bescheid der Beklagten und die Einspruchsentscheidung insoweit auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Juni 2005 III R 66/04, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 210, 265, und unten 2.).

1. Das Gericht legt den für Birgit erlassenen Bescheid vom 28. Oktober 2002 dahin aus, dass die Beklagte mit diesem Bescheid entgegen der darin gewählten Formulierung nicht eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben, sondern den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Kindergeld vom 14. Juli 2002 abgelehnt hat. Diese Auslegung beruht darauf, dass die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für dieses Kind bis Juni 2002 befristet hatte. Diese Befristung ist auch dadurch bekannt gegeben und damit wirksam geworden (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung - AO 1977 - i. V. m. § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG), dass das Kindergeld nur bis Juni 2002 gezahlt wurde. Damit war für die Klägerin erkennbar, dass die Beklagte das Kindergeld nur befristet festgesetzt hatte, weshalb sie einen erneuten Kindergeldantrag gestellt hat. Dieser ist durch den Bescheid vom 28. Oktober 2002 abgelehnt worden. Eine Aufhebung der Festsetzung ab Juli 2002 war nicht möglich, weil die Festsetzung im Hinblick auf die Befristung keine Rechtswirkungen mehr entfaltete (§ 124 Abs. 2 AO 1977).

Die Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler, die Birgit seit ihrer Rückkehr aus Paris anstrebte, stellt eine Berufsausbildung dar. Diese Ausbildung hat spätestens mit der Anmeldung bei der Bezirksregierung im September 2002 begonnen. Der Zeitraum zwischen dem Ende der Ausbildung in Paris und dem Beginn der Ausbildung in Deutschland unterschreitet daher den Zeitraum von vier Monaten i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG, so dass Birgit nach dieser Vorschrift auch für die Übergangszeit bis zur Anmeldung zur Abiturprüfung für Nichtschüler berücksichtigt werden kann.

Berufsausbildung i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG ist jede Ausbildung für einen künftigen Beruf. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Die Ausbildungsmaßnahme muss nicht in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sein. Die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern ist auch dann gemindert, wenn sich Kinder unabhängig von vorgeschriebenen Studiengängen in Ausbildung befinden und von ihren Eltern unterhalten werden (vgl. dazu BFH-Urteile vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; VI R 34/98, BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 705; VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706; VI R 92/98, BFHE 189, 103, BStBl II 1999, 708; VI R 143/98, BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710, und VI R 16/99, BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713).

Die Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler stellt eine Berufsausbildung in diesem Sinne dar (ebenso FG Baden-Württemberg, Urteile vom 26. November 1998 8 K 268/97, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1999, 296, und vom 4. Mai 2001 14 K 73/01, EFG 2001, 1299; vgl. auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Februar 2002 2 K 212/01, EFG 2002, 771, zur Teilnahme an einem Fernlerngang zur Vorbereitung auf die Abiturprüfung als Berufsausbildung). § 26 b Abs. 2 des Schulverwaltungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (SchVG NW) sah für den im vorliegenden Fall strittigen Zeitraum ab Juli 2002 vor, dass das für den Schulbereich zuständige Ministerium durch Rechtsverordnung Prüfungsordnungen für Prüfungen, durch die Nichtschüler einen Abschluss erwerben, erlassen konnte. Auch der Nichtschüler hatte dabei nachzuweisen, dass er das Ziel des jeweiligen Bildungsganges erreicht hat (§ 26 b Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 SchVG NW). Aufgrund dieser Verordnungsermächtigung erging am 30. Januar 2000 die Verordnung über die Abiturprüfung für Nichtschülerinnen und Nichtschüler (PO-NSchA). Danach führt die Abiturprüfung für Nichtschülerinnen und Nichtschüler zur allgemeinen Hochschulreife (§ 1 Satz 1 PO-NSchA). Die Prüfungsanforderungen und die Aufgabenstellung in den Fächern der Abiturprüfung für Nichtschülerinnen und Nichtschüler müssen den Richtlinien und Lehrplänen für die gymnasiale Oberstufe entsprechen (§ 2 Satz 2 PO-NSch). Zur Abiturprüfung ist nach § 4 Abs. 3 PO-NSchA zuzulassen, wer darlegt, dass er sich angemessen auf die Prüfung vorbereitet hat, z. B. durch Selbststudium, die Teilnahme an Fernlehrgängen oder an anderen geeigneten Vorbereitungslehrgängen, und in dem Kalenderhalbjahr, in dem die Prüfung beginnt, mindestens das 19. Lebensjahr vollendet. Die Leistungsbewertung richtet sich nach § 25 der Allgemeinen Schulordnung (§ 11 Satz 1 PO-NSchA). Hat ein Prüfling die Bedingungen gemäß § 16 erfüllt, erklärt der Zentrale Abiturausschuss die Abiturprüfung für bestanden und erkennt die allgemeine Hochschulreife zu, die in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland anerkannt ist. Ein Prüfling, dem die allgemeine Hochschulreife zuerkannt worden ist, erhält ein "Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife" (§ 17 Abs. 1 und 3 PO-NSchA). Diese Regelungen zeigen, dass die aufgrund einer erfolgreichen Abiturprüfung für Nichtschüler erworbene allgemeine Hochschulreife der durch den Besuch eines Gymnasiums oder einer Gesamtschule erworbenen Hochschulreife in jeder Beziehung gleichwertig ist. Die so erworbene Hochschulreife unterscheidet sich - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - nicht nach ihrem Inhalt, sondern nur hinsichtlich des dahin führenden Weges von der durch erfolgreichen Besuch der gymnasialen Oberstufe erworbenen Hochschulreife.

Für die Auslegung, dass die Vorbereitung auf die Nichtschülerprüfung eine Ausbildung i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG darstellt, spricht ferner § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG). Nach dieser Vorschrift wird Ausbildungsförderung auch geleistet, wenn der Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnitts, für den er Ausbildungsförderung beantragt, das 30. Lebensjahr vollendet hat, die Zugangsvoraussetzungen für die zu fördernde Ausbildung aber u. a. durch eine Nichtschülerprüfung erworben hat. Der Gesetzgeber wollte dadurch aus bildungspolitischen Gründen Absolventen des sog. Zweiten Bildungswegs altersunabhängig fördern (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 4. August 1993 11 C 15/92, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1995, 76). Darin kommt zum Ausdruck, dass er auch die Vorbereitung auf die Nichtschülerprüfung als Ausbildung ansieht.

Das Gericht folgt nicht der abweichenden Rechtsauffassung des Bundesamtes für Finanzen - BfF - (seit dem 1. Januar 2006: Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen), nach der die private Vorbereitung auf die Nichtschüler-Reifeprüfung regelmäßig keine Berufsausbildung im Sinne des EStG darstelle, weil es an der Einbindung in eine schulische Mindestorganisation fehle (vgl. DA 63.3.2.1. Abs. 2 Satz 7 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - vom 5. August 2004, BStBl I 2004, 742). Dieser Anweisung liegt noch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zugrunde, nach der die Vorbereitung auf die Nichtschüler-Reifeprüfung keine Schulausbildung i. S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) a. F. darstellt, wenn der Nichtschüler nicht an einem irgendwie kontrollierten Unterricht teilnimmt, sondern den Erwerb des Prüfungsstoffes nach eigener freier Verantwortung bestimmt (Urteil vom 7. September 1988 10 RKg 6/87, Aktueller Informationsdienst für die berufsgenossenschaftlichen Sachbearbeiter - HVBG-INFO - 1988, 2115 = Juris-Dok. Nr. KSRE032653406).

Diese Rechtsprechung ist jedoch aus den vom BFH in den Urteilen vom 9. Juni 1999 VI R 33/98 (BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701), VI R 34/98 (BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 705), VI R 50/98 (BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706), VI R 92/98 (BFHE 189, 103, BStBl II 1999, 708), VI R 143/98 (BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710) und VI R 16/99 (BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713) dargelegten Gründen für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "für einen Beruf ausgebildet" in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG nicht maßgeblich. Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen des nach dem BKGG zu zahlenden sozialrechtlichen Kindergeldes und dem nach dem EStG zur Steuerfreistellung des für das Existenzminimum des Kindes erforderlichen Elterneinkommens als Steuervergütung zu zahlenden Kindergeldes muss dieses Tatbestandsmerkmal in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG weiter ausgelegt werden als in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BKGG a. F., um der unterhaltsrechtlichen Verpflichtung der Eltern während einer Ausbildung des Kindes (vgl. §§ 1601, 1610 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) Rechnung zu tragen. Unterhaltsrechtlich sind Eltern aber jedenfalls verpflichtet, einem Kind den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife zu ermöglichen, wenn das Kind - wie im Streitfall Birgit diesen Abschluss benötigt, um ein Studium aufzunehmen, für das es schon Kenntnisse der Sprache und Kultur des Landes erworben hat, in dem es studieren will. Es ist deshalb unerheblich, dass die Sozialgerichte bei der Anwendung des BKGG an ihrer Auslegung des Begriffs der Schulausbildung festhalten (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 13. Mai 2004 L 14 Kg 2/02, Juris-Dok. Nr. KSRE025271307). Die Rechtsauffassung des BFH findet vielmehr eine Bestätigung darin, dass das BSG sich in seiner Rechtsprechung zum Waisenrentenrecht (vgl. § 48 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ebenfalls unter Hinweis auf die Verschiedenartigkeit der Rechts- und Regelungsbereiche von der steuerrechtlichen Auslegung des Merkmals "Schulausbildung" abgegrenzt hat (Urteil vom 18. Juni 2003 B 4 RA 37/02 R, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2004, Beilage 1, 101).

Der Beurteilung, dass es sich bei der Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler um eine Ausbildung i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG handelt, steht auch das BFH-Urteil vom 20. Juli 2000 VI R 123/98 (BFHE 192, 480, BStBl II 2001, 107) nicht entgegen. Der BFH hat dort zwar ausgeführt, das Kind habe im Rahmen seines zusätzlich angestrebten Berufsziels als staatlich geprüfter Medizintechniker den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen bei organisatorischer Eingliederung in den Fachschulbetrieb in einer Art und Weise verfolgt, die keinen Zweifel aufkommen lasse, dass inhaltlich von einer Ausbildung gesprochen werden könne. Aus dieser Formulierung kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass er wie das BSG die Eingliederung in eine schulische Mindestorganisation für erforderlich hält, um eine Ausbildung i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG annehmen zu können. Der Hinweis auf die BFH-Urteile vom 9. Juni 1999 VI R 33/98 (BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701), VI R 34/98 (BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 705), VI R 50/98 (BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706), VI R 92/98 (BFHE 189, 103, BStBl II 1999, 708), VI R 143/98 (BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710) und VI R 16/99 (BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713) zeigt vielmehr, dass dieser Formulierung keine für die Auslegung des Begriffs "Ausbildung" relevante Bedeutung zukommt.

2. Die Beklagte hat als Folge der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Einspruchsentscheidung über den Antrag der Klägerin vom 14. Juli 2002 erneut zu entscheiden. Dieser Antrag darf nicht mehr mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler keine Berufsausbildung darstelle.

Die Beklagte wird aber noch zu prüfen haben, ob alle sonst für den Anspruch auf Kindergeld erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört u. a., dass sich Birgit ernsthaft auf die Prüfung vorbereitet hat. Das Gericht weist zu diesem Gesichtspunkt allerdings zur Vermeidung eines erneuten gerichtlichen Verfahrens (wenngleich ohne Bindungswirkung gemäß § 101 Satz 2 FGO) darauf hin, dass die umfangreichen Unterlagen, die die Klägerin im Klageverfahren vorgelegt hat, zumindest für die Zeit bis März 2003 für eine ernsthafte Vorbereitung sprechen. Über diesen Zeitraum hinaus spricht für eine ernsthafte Vorbereitung ungeachtet des Scheiterns in der Prüfung im Jahr 2003, dass Birgit die Wiederholungsprüfung im Jahr 2004 bestanden hat. Die Beklagte hat ferner zu prüfen, ob Birgit über eigene Einkünfte und Bezüge verfügte. Insoweit liegt lediglich für die Zeit bis Ende 2002 eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen vor (Kindergeldakte II Bl. 247), die aus Sicht des Gerichts keinen Grund zu Beanstandungen gibt. Die verantwortliche abschließende Prüfung liegt allerdings auch insoweit bei der Beklagten (vgl. BFH-Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04, BFHE 210, 265).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Das Gericht weicht bei seiner Entscheidung von der Anweisung in DA 63.3.2.1 Abs. 2 Satz 7 DA-FamEStG ab. Diese Anweisung zeigt, dass das BfF ungeachtet der Veröffentlichung der Rechtsprechung des BFH zur Auslegung des Merkmals "Berufsausbildung" in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG im BStBl teilweise an der Rechtsprechung des BSG zum sozialrechtlichen Kindergeld gemäß dem BKGG festhält. Angesichts der Bedeutung der DA-FamEStG für die Tätigkeit der Familienkassen und der damit für die Kindergeldberechtigten verbundenen Folgen hält das Gericht eine Klärung der im Streitfall entscheidungserheblichen Rechtsfrage durch den BFH für erforderlich.

Ende der Entscheidung

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