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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 22.12.2008
Aktenzeichen: 10 K 404/08 Kg
Rechtsgebiete: EStG, VO 1408/71/EWG


Vorschriften:

EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
VO 1408/71/EWG Art. 13 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

10 K 404/08 Kg

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I. Strittig ist, ob der Kläger für den Zeitraum Februar 2006 bis Dezember 2006 Anspruch auf Kindergeld für seine im Jahr 2005 geborene Tochter "A" hat.

Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er wohnt zusammen mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter in "B" in Polen. Dort unterliegt er auch der Sozialversicherung (Kindergeldakte - KG-Akte - Bl. 5). Seine Ehefrau war in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 28. November 2007 in Polen ausschließlich gesundheitsversichert (Gerichtsakte - GA - Bl. 102).

Der Kläger wurde am 8. Februar 2006 von der "C" Spólka z o.o. mit Sitz in "D" befristet auf ein Jahr als Monteur eingestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde später um ein Jahr verlängert (GA Bl. 104 f., 169 ff.). Die "C" wird in einer der deutschen GmbH vergleichbaren Rechtsform geführt. Nach einer Lohnsteuerbescheinigung für den Zeitraum vom 13. Februar 2006 bis zum 1. Dezember 2006 bezog der Kläger von diesem Unternehmen, das sich in der Lohnsteuerbescheinigung als "C" GmbH bezeichnete, für eine im Inland ausgeübte Tätigkeit einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 12.009,77 Euro. Davon wurde lediglich Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag einbehalten, nicht jedoch Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag und zur gesetzlichen Rentenversicherung (GA Bl. 103). Dem Kläger wurde am Beschäftigungsort ("E") eine Wohnung zugewiesen (GA Bl. 100 f.). Die Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag wurden an das Finanzamt (FA) "F" abgeführt. Dort wurde der Kläger auch zusammen mit seiner Ehefrau für das Jahr 2006 zur Einkommensteuer veranlagt (GA Bl. 36 f.).

Der Kläger beantragte nach Beendigung seiner Tätigkeit im Inland für seine Tochter Kindergeld. In dem Antrag gab er an, dass seine Ehefrau in der Zeit von September 2005 bis August 2007 von der "GOPS" Kindergeld für "A" in Höhe von 48 Zloty erhalten habe (KG-Akte Bl. 3). Als Inhaber des Kontos, auf das das Kindergeld überwiesen werden sollte, benannte er Herrn "G", der zusammen mit Herrn "H" unter der Firma "I" geschäftsmäßig Anträge auf Kindergeld für polnische Arbeitnehmer stellte (KG-Akte Bl. 2, 13).

Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 12. Dezember 2007 ab (KG-Akte Bl. 10). Den dagegen unter Hinweis auf die während der Tätigkeit in Deutschland bestehende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht eingelegten Einspruch wies sie durch Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2008 zurück. Sie begründete dies damit, dass der Kläger während seiner Tätigkeit nur in Polen und nicht in Deutschland sozialversichert gewesen sei. Deutsches Kindergeldrecht sei daher nach Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern - VO (EWG) 1408/71 - vom 14. Juni 1971 nicht anwendbar (KG-Akte Bl. 20 ff.).

Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ob ihm ein Anspruch auf Kindergeld zustehe, richte sich - so der Kläger - allein nach den in den §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) getroffenen Regelungen und nicht nach der VO (EWG) 1408/71 oder der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihrer Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern - VO (EWG) Nr. 574/72 - vom 21. März 1972. Danach stehe ihm nach Abzug der für seine Tochter in Polen erhaltenen Leistungen in Höhe von ([7 x 43 Zloty : 3,914040 Zloty/Euro =] 76,90 Euro + [4 x 64 Zloty : 3,914040 Zloty/Euro =] 65,41 Euro =) 142,31 Euro - Kindergeld in Höhe von ([11 x 154 Euro =] 1.694 Euro ./. 142,31 Euro =) 1.551,69 Euro zu.

Er sei während des Streitzeitraums auf Antrag als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt worden (GA Bl. 52). Während seiner Tätigkeit in Deutschland sei er in einem Zweipersonenapartment untergebracht gewesen, das ihm sein deutscher "Arbeitgeber" gestellt habe. Sein (formaler) polnischer Arbeitgeber habe im Hinblick auf die dadurch entstehenden Kosten den Lohn gekürzt. Dieser habe dem deutschen Entleiher keine Miete gezahlt. Damit habe nur der deutsche Entleiher durch das Überlassen der Unterkunft eine Leistung erbracht, für die er - der Kläger - durch seine Arbeitsleistung eine Gegenleistung erbracht habe. Es bestünden daher Zweifel daran, dass eine (allein) arbeitsrechtliche Bindung zu seinem (formalen) polnischen Arbeitgeber bestanden habe. Anweisungen für seine Tätigkeit seien allein durch Führungskräfte des deutschen "Arbeitgebers" erfolgt. Sein (formaler) polnischer Arbeitgeber habe keine auf das Direktionsrecht gestützte arbeitsrechtliche Kontrolle ausgeübt; sämtliche Anweisungen seien vom deutschen Entleiher ausgegangen. Bei der "C" sei er nur während seiner Entsendung nach Deutschland beschäftigt gewesen, nicht in der Zeit davor und danach. Eine Montagetätigkeit im Ausland unter Beibehaltung eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses liege daher nicht vor.

Unabhängig davon, ob Beschäftigungsland im Streitfall Deutschland oder Polen sei, stehe ihm ein Anspruch auf Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zu, weil er während seiner Tätigkeit in Deutschland hier unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei und es dem Wohnsitzstaat nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)vom 20. Mai 2008 in der Rechtssache C-352/06 (Bosmann, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2008, 877) unbenommen sei, Familienleistungen in Anknüpfung an den Wohnsitz zu gewähren, auch wenn Beschäftigungsland i. S. der VO (EWG) 1408/71 ein anderer Staat sei. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG schließe den Anspruch nicht aus, weil bei Ansprüchen auf Familienleistungen in mehreren Mitgliedstaaten der EU nur die Kollisionsregelungen der Art. 76 VO (EWG) 1408/71 und Art. 10 VO (EWG) 574/72 anwendbar seien.

Der Berichterstatter hat den Kläger durch eine auf § 79 b Abs. 2 FGO gestützte Anordnung vom 1. Juli 2008, auf die verwiesen wird, aufgefordert, sein Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht zu ergänzen und näher bezeichnete Nachweise vorzulegen (GA Bl. 40 f.). Wegen der Stellungnahmen des Klägers dazu sowie wegen weiterer Einzelheiten seines Vorbringens im Klageverfahren wird auf die Klageschrift und die Schriftsätze vom 13. Mai, 4. Juli, 8. August, 16. und 27. Oktober, 18. November und 12. Dezember 2008 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 12. Dezember 2007 (KG-Nr. 365/918440) und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für das Kind "A" für den Zeitraum Februar 2006 bis Dezember 2006 in Höhe von 1.694 Euro festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass der Kläger, weil er ausschließlich in Polen sozialversicherungspflichtig sei, nur nach polnischen Vorschriften Anspruch auf Familienleistungen habe. Ein inländischer Kindergeldanspruch sei im Hinblick auf die durch die VO (EWG) 1408/71 getroffene Rechtszuweisung zu dem Mitgliedstaat, dessen Sozialversicherungsvorschriften der Kläger unterliege, ungeachtet eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts ausgeschlossen. Dass der Kläger auch während seiner Tätigkeit für die "C" in Deutschland ausschließlich den polnischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterlegen habe, ergebe sich auch aus Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71. Die Voraussetzung dieser Vorschrift seien erfüllt, weil die "C" ihren Sitz in Polen habe. In "E" habe sie nur eine Zweigniederlassung, die nicht als Arbeitgeber angesehen werden könne. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten wird auf ihre Schriftsätze vom 21. April und 19. August 2008 verwiesen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II. Die Klage ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid vom 12. Dezember 2007 verletzt den Kläger nicht i. S. von § 101 Satz 1 FGO in seinen Rechten, weil er nicht rechtswidrig ist. Die Beklagte hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, Kindergeld festzusetzen. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob deutsches Kindergeldrecht (§§ 62 ff. EStG) im Streitfall anwendbar ist. Selbst wenn es anwendbar sein sollte, besteht ein inländischer Kindergeldanspruch jedenfalls deshalb nicht, weil für das Kind im Streitzeitraum in Polen Leistungen gewährt wurden, die dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).

Das Gericht geht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) davon aus, dass der Kläger aufgrund der Regelungen der VO (EWG) 1408/71 während des Streitzeitraums nur nach polnischem Recht und nicht nach deutschem Recht Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter hatte.

1. Die VO (EWG) 1408/71 ist anwendbar. Beim Kläger handelt es sich um einen Arbeitnehmer i. S. von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, der den polnischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterliegt, weil er dort sozialversichert ist. Er ging auch während des Streitzeitraums in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich Deutschland, einer nicht selbständigen Tätigkeit nach. Damit handelt es sich aus Sicht der VO (EWG) 1408/71 um einen innerhalb der Gemeinschaft zugewanderten Arbeitnehmer. Ein sog. reiner Inlandssachverhalt, d. h. ein Sachverhalt ohne jegliches grenzüberschreitendes Merkmal (Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach D, I. Kommentierung Europarecht, Art. 73 Rz. 5), ist folglich nicht gegeben.

Das Gericht geht weiter davon aus, dass mit der Regelung in Anhang I Teil I E (im Streitzeitraum: Anhang I Teil I D) keine Einschränkung des allgemeinen persönlichen Anwendungsbereichs der VO (EWG) 1408/71 verbunden ist, sondern lediglich eine Einschränkung ihres persönlichen Anwendungsbereichs hinsichtlich der Familienleistungen . Zwar "verdrängt" die Definition in Anhang I Teil I E die Definition in Art. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, jedoch nicht mit Wirkung für die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften (vgl. die Überschrift des Titels II), sondern nur für die Bestimmung des Personenkreises, der Anspruch auf Familienleistungen hat (vgl. EuGH-Urteil vom 5. März 1998 in der Rechtssache C-194/96, Kulzer, Slg. I 1998, 895). Auch nach dem Einleitungssatz des Anhangs I Teil I E gilt die Definition ausdrücklich nur "für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung". Die Regelung in Anhang I Teil I E soll folglich nicht über die Anwendbarkeit eines gesamten Sozialversicherungssystems eines Mitgliedstaats, d. h. über den gesamten sachlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 i. S. ihres Art. 4 entscheiden, sondern nur über den persönlichen Anwendungsbereich hinsichtlich der Leistungsart "Familienleistung" i. S. von Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71. Damit ist die Frage, welche Rechtsvorschriften nach den Art. 13 ff. VO (EWG) 1408/71 anzuwenden sind, d. h. in die Zuständigkeit welches Mitgliedstaats der Sachverhalt fällt, vorrangig zu prüfen.

a) Der Kläger unterliegt gemäß Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 den Rechtsvorschriften Polens über soziale Sicherheit und damit nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71 auch den polnischen Vorschriften über Familienleistungen, zu denen das Kindergeld bzw. eine vergleichbare ausländische Leistung gehört (Urteile des Bundesfinanzhofsvom 13. August 2002 VIII R 54/00, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2002, 1581; VIII R 61/00, BFH/NV 2002, 1584, und VIII R 97/01, BFH/NV 2002, 1588). Nach Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, der eine von Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 abweichende Regelung trifft, unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitzeitraum vor.

Der Kläger wurde am 8. Februar 2006 von der "C" Spólka z o.o. als Arbeitnehmer eingestellt. Arbeitgeber war nicht ein deutsches, nach den Vorschriften des Gesetzes betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründetes Unternehmen. Nach den Ermittlungen des Gerichts war in den Handelsregistern der Bundesrepublik Deutschland unter der Firma "C" GmbH im Streitzeitraum keine Gesellschaft eingetragen (GA Bl. 163 ff.). Dafür, dass es eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft mit dieser Firma nicht gibt, spricht auch, dass die Lohnsteuer, die vom Arbeitslohn des Klägers einbehalten wurde, an das FA "F" abgeführt wurde. Das FA "F" war im Streitzeitraum nach § 1 Nr. 20 der Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung für die Umsatzsteuer sämtlicher in der Republik Polen ansässigen Unternehmer zuständig. Damit war es auch für die Verwaltung der Lohnsteuer und für die Besteuerung des Klägers zuständig (§ 20 a Abs. 1 und 3 der Abgabenordnung - AO -, § 1 der Arbeitnehmer-Zuständigkeitsverordnung-Bau). Gäbe es eine nach deutschem Recht gegründete "C" GmbH, so wäre für deren Besteuerung das FA "E" zuständig (§ 20 Abs. 1 AO). Eine "C" GmbH wurde und wird dort aber nach Auskunft dieses FA nicht geführt (GA Bl. 176). Der Zusatz "GmbH" in der für den Kläger für das Jahr 2006 ausgestellten Lohnsteuerbescheinigung kann daher nur als Übersetzung der polnischen Gesellschaftsbezeichnung "Spólka z o.o." verstanden werden. Die "C" Spólka z o.o. hatte somit in Grevenbroich keine Tochtergesellschaft, sondern allenfalls eine Zweigniederlassung.

Der Kläger ist auch von der "C" zur Ausführung einer Arbeit für deren Rechnung nach Deutschland entsandt worden. Schon der am 8. Februar 2006 geschlossene Arbeitsvertrag sah vor, dass der Kläger die Montagearbeiten, für die er eingestellt worden war, soweit erforderlich, auch bei einem ausländischen Kunden zu erbringen hatte. Dass der Kläger nur zur "C" und nicht auch zu deren Auftraggeber arbeitsrechtliche Bindungen hatte, folgt daraus, dass weder eine Übertragung des der "C" zustehenden Direktionsrechts feststellbar ist noch der inländische Auftraggeber durch Zahlung des Arbeitslohns und Einbehaltung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen Arbeitgeberpflichten erfüllt hat. Gegen eine arbeitsrechtliche Bindung des Klägers an den Auftraggeber der "C" sprechen auch deren Bescheinigung vom 5. Dezember 2007 (KGAkte Bl. 5), nach der der Kläger während des Streitzeitraums aufgrund einer in Polen bestehenden Sozialversicherungspflicht im Inland nicht sozialversicherungspflichtig war, und die von der "C" praktizierte Lohnauszahlung, bei der keine Sozialversicherungsbeiträge einbehalten wurden. Bei der "C" Spólka z o.o. handelt es sich im Übrigen nicht um einen Arbeitnehmer-Verleiher, sondern um ein auf das Erbringen von Bauleistungen gerichtetes Unternehmen, das zwar grenzüberschreitend, aber - wie der Hinweis auf den Arbeitsort bei Aufträgen in der Stadt Stettin im Arbeitsvertrag mit dem Kläger zeigt - auch innerhalb Polens tätig wurde.

Die Dauer der vom Kläger erbrachten Arbeitsleistung überschritt nicht den Zeitraum von zwölf Monaten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass er eine andere Person abgelöst hat, deren Entsendungszeit abgelaufen war. Damit unterlag der Kläger nach Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 den Rechtsvorschriften Polens.

b) Selbst wenn aber eine arbeitsrechtliche Bindung des Klägers zur "C" zu verneinen und deshalb - aufgrund einer Beschäftigung des Klägers in einem inländischen Lohnverhältnis - Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 anwendbar wäre, würde dies keinen Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach deutschen Rechtsvorschriften begründen. Deutsches Kindergeldrecht wäre dann deshalb nicht anwendbar, weil nach Anhang I Teil I E ein Arbeitnehmer nur dann Anspruch auf von einem deutschen Träger zu gewährende Familienleistungen hat, wenn er für den Fall der Arbeitslosigkeit im Inland pflichtversichert ist. Eine Versicherung in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Polen), so sie denn überhaupt besteht, reicht dafür nicht.

2. Das Gericht geht - ohne dass es für die Entscheidung letztlich darauf ankommt - davon aus, dass die Regelungen der VO (EWG) 1408/71 abschließend sind, d. h. dass deutsches Kindergeldrecht auch nicht subsidiär anwendbar ist, wenn nach der VO (EWG) 1408/71 das Recht eines anderen Mitgliedstaats anwendbar ist oder der Arbeitnehmer vom Zugang zu deutschen Familienleistungen ausgeschlossen ist (unten a). Selbst bei einer anderen Rechtsauffassung könnte die Klage aber im Ergebnis keinen Erfolg haben (unten b).

a) Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO (EWG) 1408/71 unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Die Bestimmungen des Titels II der VO (EWG) 1408/71 bezwecken nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die Betroffenen dem System der sozialen Sicherheit nur eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, so dass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden (Urteil vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 60/85, Luijten, Slg. 1986, 2365). Davon ist auch das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 110, 412) ausgegangen.

Der EuGH hat zwar imUrteil vom 20. Mai 2008 in der Rechtssache C-352/06 (Bosmann, HFR 2008, 877) entschieden, dass dem Wohnsitzstaat, auch wenn der Kindergeldprätendent nach der VO (EWG) 1408/71 nicht dessen Rechtsvorschriften unterliegt, "nicht die Befugnis abgesprochen werden kann, den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienbeihilfen zu gewähren". Der Wohnsitzstaat solle durch die VO (EWG) 1408/71 nicht daran gehindert werden, dieser Person nach seinem Recht Familienbeihilfen zu gewähren. Ob nach deutschem Recht für diesen Fall ein Anspruch besteht, hatte der EuGH nicht zu entscheiden. Diese Prüfung ist nach seiner Ansicht Sache der nationalen Gerichte.

Den §§ 62 ff. EStG ist nicht zu entnehmen, dass deutsches Kindergeldrecht auch dann anwendbar ist, wenn nach dem Wortlaut der VO (EWG) 1408/71 die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats Anwendung finden. Ein Anwendungsbefehl zugunsten des nationalen Rechts wäre aber zu erwarten, weil die VO (EWG) 1408/71 als überstaatliches Recht den nationalen Rechtsvorschriften vorgeht und deren Anwendungsbereich begrenzt. Dass der Gesetzgeber von einem Anwendungsvorrang des überstaatlichen Rechts ausgeht, zeigt § 1 Abs. 7 des Bundeserziehungsgeldgesetzes i. d. F. des Gesetzes vom 12. Oktober 2000. Durch diese Vorschrift wurde die Anspruchsberechtigung von Ehegatten von EU-Bürgern mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland hinsichtlich des Erziehungsgeldes für den Fall neu geregelt, dass nur der EU-Bürger in Deutschland erwerbstätig ist, nicht aber sein im Wohnsitzstaat lebender Ehegatte. Der Gesetzgeber wollte damit als Reaktion auf das EuGH-Urteil vom 10. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-245/94 und C-312/94 (Hoever und Zachow, Slg. I 1996, 4895) das nationale Recht der Regelung der VO (EWG) 1408/71 anpassen (BT-Drucks. 14/3118, 10). Dieses bestimmt aus seiner Sicht darüber, ob und in welchem Umfang nationales Recht in Zu- und Abwanderungsfällen anwendbar ist.

Die Anwendung des deutschen Kindergeldrechts erscheint deshalb auch für den Fall fraglich, dass nach der VO (EWG) 1408/71 die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats Anwendung finden, diese aber eine Familienleistung für das Kind nicht vorsehen (für die Anwendung deutschen Rechts in einem derartigen Fall aber Finanzgericht - FG - Niedersachsen, Urteil vom 24. Januar 2008 1 K 83/07, Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1570, und FG Köln, Urteil vom 25. September 2008 10 K 4830/05, [...]). Im Streitfall ergibt sich jedoch, auch wenn dieser Ansicht zu folgen wäre, keine Anwendbarkeit deutschen Rechts, weil der Kläger in Polen für seine Tochter Kindergeld erhalten hat.

b) Selbst wenn aber auch auf diesen Fall deutsches Kindergeldrecht anwendbar wäre, bestünde kein Anspruch des Klägers, weil er jedenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen ist.

aa) Nach § 62 Abs. 1 EStG besteht für Kinder i. S. von § 63 EStG ein Anspruch auf Kindergeld, wenn der Berechtigte im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland entweder nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.

Es kann dahinstehen, ob der Kläger während des Streitzeitraums unter der in der Lohnsteuerbescheinigung angegebenen Anschrift gemäß § 8 AO einen Wohnsitz hatte oder ob er sich dort i. S. von § 9 Satz 2 AO gewöhnlich aufhielt. Er erfüllte jedenfalls die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG. Der Kläger hat im Streitzeitraum inländische Einkünfte gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a EStG erzielt, die angesichts eines Aufenthaltes von mehr als 183 Tagen im Inland nicht nach Art. 15 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 14. Mai 2003 steuerfrei blieben (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG). Soweit feststellbar, hat er keine nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte erzielt. Das FA "F", das den Kläger für 2006 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt hat und dabei § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG zu beachten hatte, hat lediglich den im Inland erzielten Arbeitslohn als Einkünfte angesetzt. Andere, insbesondere außerhalb Deutschlands erzielte Einkünfte wurden nicht in die Veranlagung einbezogen. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass weder der Kläger noch seine Ehefrau derartige Einkünfte erzielt haben.

§ 62 Abs. 2 EStG steht dem Anspruch auf Kindergeld nicht entgegen, weil der Kläger gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern Freizügigkeit genießt (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 10. August 2007 10 K 2447/06 Kg, nicht veröffentlicht).

bb) Die Tochter des Klägers ist gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 EStG zu berücksichtigen. Da sie ihren Wohnsitz in Polen hat, das seit dem 1. Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union ist, steht § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG dem Kindergeldanspruch nicht entgegen.

cc) Die Tochter des Klägers ist nach den von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben des Klägers im Kindergeldantrag auch in seinen Haushalt in Polen aufgenommen. Die Ehefrau des Klägers hat sich damit einverstanden erklärt, dass ihm das Kindergeld gewährt wird. Der Kläger und seine Ehefrau haben damit eine Berechtigtenbestimmung i. S. von § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG zu seinen Gunsten getroffen.

dd) Einem Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seine Tochter steht aber § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG entgegen. Danach wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das im Ausland Leistungen gewährt werden oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die dem Kindergeld oder einer in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Leistung vergleichbar sind.

Der Kläger hat eingeräumt, für sieben Monate (Februar 2006 bis August 2006) 43 Zloty und für vier Monate (September 2006 bis Dezember 2006) 64 Zloty (richtig wohl: 48 Zloty) für "A" erhalten zu haben. Das Gericht geht nach den ihm vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass diese Zahlungen zu Recht erfolgten. Die Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung ist, wie der Ausschluss eines inländischen Kindergeldanspruchs schon bei Bestehen eines vergleichbaren ausländischen Anspruchs zeigt ("oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären"), Voraussetzung für die Anwendung von § 65 Abs. 1 Satz 1 EStG.

Rechtsgrundlage für die Gewährung von Kindergeld in Polen ist das Gesetz über Familienleistungen vom 28. November 2003 (GA Bl. 144 ff.). Danach werden Familienleistungen - darunter das Kindergeld (Art. 2 Abs. 1) - u. a. an polnische Staatsangehörige gezahlt, soweit sie im Gebiet der Republik Polen ihren Wohnsitz haben (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3). Das Kindergeld soll nach Art. 4 Abs. 1 die Aufwendungen für den Unterhalt des Kindes teilweise decken und hat daher eine dem deutschen steuerrechtlichen Kindergeld vergleichbare Zielsetzung (§ 31 Satz 1 EStG). Ein Anspruch auf Kindergeld besteht nach Art. 5 Abs. 1 jedoch nur, soweit das Familieneinkommen pro Familienmitglied höchstens 504 Zloty monatlich beträgt. Dies entspricht im Streitzeitraum umgerechnet zwischen 125,18 Euro (Februar 2006) und 132,83 Euro (Juni 2006; vgl. die vom Bundesministerium der Finanzen veröffentlichten Umsatzsteuer-Umrechnungskurse für das Jahr 2006, Bundessteuerblatt I 2007, 126, 128). Bei einer - wie im Streitfall - dreiköpfigen Familie ergibt sich damit ein monatlicher Betrag von maximal 398,49 Euro, der nicht überschritten werden darf, um den Kindergeldanspruch nicht zu verlieren. Der Kläger hat jedoch im Streitzeitraum monatliche Einnahmen von mehr als (12.009 Euro : 11 =) 1.091 Euro erzielt. Daraus folgt indes nicht, dass die Zahlung von Kindergeld für "A" im Streitzeitraum rechtswidrig war. Zum einen wird das Kindergeld für einen Beihilfezeitraum vom 1. September eines Kalenderjahres bis zum 31. August des nachfolgenden Kalenderjahres festgesetzt (Art. 3 Abs. 10). Als Familieneinkommen gilt aber nicht das im Beihilfezeitraum erzielte Einkommen, sondern das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder im Kalenderjahr, das dem Beihilfezeitraum vorangeht (Art. 3 Abs. 2), d. h. für den Beihilfezeitraum vom 1. September 2005 bis zum 31. August 2006 das Einkommen des Jahres 2004 und für den Beihilfezeitraum vom 1. September 2006 bis zum 31. August 2007 das Einkommen des Jahres 2005. Zum anderen ist das Einkommen nach Art. 3 Abs. 1 u. a. um Unterhaltsbeträge, Werbungskosten, Einkommensteuer und nicht auf die Werbungskosten angerechnete Sozialversicherungs- und Krankenversicherungsbeiträge zu mindern. Es erscheint daher durchaus möglich, dass das Einkommen der Familie des Klägers im maßgeblichen Zeitraum jeweils nicht höher als 504 Zloty monatlich war. Jedenfalls sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Ehefrau des Klägers, die nach den Angaben im Kindergeldantrag Berechtigte hinsichtlich des polnischen Kindergeldanspruchs war, unzutreffende Angaben zu den Voraussetzungen für diesen Anspruch gemacht hat und das Kindergeld deshalb in Polen zu Unrecht gewährt wurde.

Das Kindergeld für das erste Kind betrug in Polen in der Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 31. August 2006 monatlich 43 Zloty; ab dem 1. September 2006 belief es sich für Kinder bis zur Vollendung des fünften Lebensjahres auf monatlich 48 Zloty (vgl. die Nachweise GA Bl. 32 f., 181, 201; die Erhöhung auf lediglich 44 Zloty [GA Bl. 139 u. 155] wurde offenbar rückwirkend geändert). Der Anspruch der Ehefrau auf Kindergeld in dieser Höhe schließt den inländischen Kindergeldanspruch aus; Differenzkindergeld ist nach § 65 Abs. 2 EStG nur für den Fall vorgesehen, dass Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder Kinderzuschüsse aus den gesetzlichen Rentenversicherungen um mehr als 5 Euro niedriger sind als das Kindergeld. Solche Leistungen liegen hier aber nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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