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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 22.01.2008
Aktenzeichen: 10 K 5110/06 Kg
Rechtsgebiete: AufenthG, EStG, FGO


Vorschriften:

AufenthG § 25 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
EStG § 52 Abs. 61a S. 2
EStG § 62 a.F.
EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a
EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b
EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c
FGO § 101 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

10 K 5110/06 Kg

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid vom 27.7.2006, mit dem die Beklagte einen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld abgelehnt hat.

Die Klägerin ist Staatsbürgerin von Serbien und Montenegro und zumindest seit 1999 in der Bundesrepublik Deutschland. Nach erfolglos verlaufenem Asylverfahren stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 10.6.2005 fest, dass ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) hinsichtlich Serbien und Montenegro vorliege (Bl. 37 ff der Gerichtsakte). Hierbei verwies es auf eine bei der Klägerin festgestellte Erkrankung und die in ihrer Heimat fehlende "fachärztliche Betreuung oder kontinuierliche medikamentöse Versorgung". Daraufhin wurde unter dem 22.9.2005 eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt. Diese wurde inzwischen verlängert.

Im Juli 2006 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld für ihre drei Kinder. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse ab (Bescheid vom 27.7.2006). Den Einspruch der Klägerin wies sie unter dem 23.11.2006 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren trägt die Klägerin vor:

Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, denn nach ihrer Rechtsauffassung bestehe ein Anspruch auf Kindergeld.

Die Beklagte habe bei ihrer Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie (die Klägerin) sich mit ihrer gesamten Familie bereits seit vielen Jahren berechtigt in Deutschland aufhalte. Das gelte zum einen für die Zeit nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, aber auch schon für den Zeitraum davor, denn seinerzeit seien immer wieder Duldungen bzw. Aufenthaltsgestattungen verfügt worden. Grundsätzlich seien sie und ihr Ehemann auch berechtigt, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wenn eine entsprechende Erlaubnis erteilt werde. Derzeit seien sie allerdings nicht berufstätig, weil es ihnen nicht gelinge, eine Arbeitsstelle zu finden. Das liege nicht zuletzt daran, dass sie in ihrem Heimatland unmenschlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen und nunmehr schwer traumatisiert sei. Daher bedürfe sie nahezu permanent einer Betreuung und diese werde überwiegend vom Ehemann erbracht.

Vor diesem Hintergrund sei die angefochtene Entscheidung der Beklagten, die sich bisher auf den Wortlaut des § 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in einer inzwischen überholten Fassung gestützt habe, fehlerhaft. Die Bestimmung sei unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in einerEntscheidung vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97, Sammlung der Entscheidungen des BVerfG <BVerfGE> 111, 160) verfassungswidrig gewesen. Das gelte im Übrigen auch für die nach der genannten Entscheidung ergangene Gesetzesänderung (vergl. dazu die mit dem Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006, Bundesgesetzblatt I 2006, 2915 erlassene Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG). Der Gesetzgeber habe insbesondere die Differenzierung bei der Bewilligung von Kindergeld für Ausländer nicht sachgerecht vorgenommen. Sie beispielsweise sei im Rahmen der Kindererziehung persönlich und finanziell in gleicher Weise belastet wie Ausländer, denen Kindergeld zugebilligt werde. Insoweit sei allein die Art des Aufenthaltstitels kein Differenzierungskriterium, das anerkannt werden könne. Das gelte insbesondere deshalb, weil im Streitfall schon im Hinblick auf das behördlich verfügte Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 7 AufenthG) davon ausgegangen werden müsse, dass sie sich vermutlich auf Dauer oder zumindest auf unbestimmte Zeit in Deutschland aufhalten werde. Das wiederum sei das einzig entscheidende Kriterium zur Bewilligung des Kindergeldes und nicht die vom Gesetzgeber in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe c EStG eingeführte Voraussetzung der Erwerbstätigkeit. Wegen der Einzelheiten der von der Klägerin vorgetragenen Gründe für die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG wird auf die Schriftsätze vom 7.5. und 22.6.2007 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.7.2006 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 23.11.2006 zu verpflichten, ihr (der Klägerin) rückwirkend ab dem 19.7.2006 Kindergeld für ihre drei Kinder zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin wird durch den ablehnenden Bescheid vom 27.7.2006 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung <FGO>), denn dieser Bescheid ist rechtmäßig.

Die Klägerin hat nämlich bis zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung der Beklagten vom 23.11.2006 keinen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld für ihre Kinder gehabt.

Das gilt auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung des BVerfG vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97, a.a.O.).

Der Gesetzgeber hat nämlich auf diese Entscheidung reagiert und die für die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts maßgebliche Bestimmung des § 62 EStG geändert. Da die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG auch für alle Zeiträume anzuwenden ist, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 13. Dezember 2006), sind etwaige Ansprüche der Klägerin auf Kindergeld auch für Zeiträume vor dem 1. Januar 2006 nicht mehr nach § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 bzw. der geänderten Fassung aufgrund des Zuwanderungsgesetzes, sondern nach § 62 Abs. 2 EStG in der neuen Fassung zu beurteilen.

Aus dieser Neufassung des Gesetzes lässt sich für die Klägerin jedoch kein Anspruch auf die Bewilligung von Kindergeld ableiten.

Zwar hat die Klägerin im September 2005 eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 25 Abs. 3 AufenthaltG erhalten, dieser Sachverhalt kann einen Anspruch auf Kindergeld aber nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG begründen (vergl. dazu das Urteil des erkennenden Senats vom 23. Januar 2007 - 10 K 3095/06 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte <EFG> 2007, 607).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedoch nicht erfüllt.

Zwar hält sich die Klägerin schon mehr als drei Jahre "rechtmäßig" im Bundesgebiet auf (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a EStG), es fehlt aber an der weiteren Voraussetzung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG. Die Klägerin ist nämlich schon nach eigenem Vortrag bisher nicht erwerbstätig gewesen. Eine Elternzeit hat sie ebenfalls nicht in Anspruch genommen und sie hat auch keine laufenden Geldleistungen nach dem SGB III erhalten.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang die Rechtsauffassung vertritt, dass ihr dennoch ein Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld zustehe, weil auch die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG verfassungswidrig sei, folgt das Gericht ihrer Argumentation nicht.

Das BVerfG hat in derEntscheidung vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97, a.a.O.) das mit der gesetzlichen Neufassung des § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 verfolgte Ziel, Kindergeld nur noch solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben (BT-Drucks. 12/5502, S. 44), als solches nicht beanstandet, sondern nur die dafür gewählte Form. Durch die Neuregelung wird das genannte Ziel nach Auffassung des Gerichts in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise umgesetzt. Zwar knüpft die Regelung des § 62 Abs. 2 EStG in der neuen Fassung auch noch an die verschiedenen Aufenthaltstitel an, das Regelungssystem zeigt aber, dass der Gesetzgeber hierbei eine Reihe von Umständen herangezogen hat, die unter Berücksichtigung sachgerechter Gesichtspunkte eine hinreichend verlässliche Prognose für einen nur vorübergehenden oder dauerhaften Aufenthalt im Inland ermöglichen. Erster Anhaltspunkt ist hierbei der Umstand, dass sich ein Ausländer erkennbar nur zum Zweck einer kurzfristigen Erwerbstätigkeit im Inland aufhält. Diese Ausländer hat der Gesetzgeber nicht in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbezogen (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstaben a und b EStG).

Auf der anderen Seite hat er Ausländern, die sich bereits seit längerer Zeit in einer "gesicherten Rechtsposition" im Inland aufhalten und deshalb eine Niederlassungserlaubnis erhalten haben, einen Anspruch auf Kindergeld zuerkannt.

Die Entscheidung des Gesetzgebers, eine entsprechende Regelung für die Fallgruppe des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG nicht zu schaffen, ist darauf zurückzuführen, dass die dort genannten Aufenthaltstitel einen vorläufigen Charakter haben. In den genannten Fällen handelt es sich nämlich regelmäßig um Ausländer, die vor Erhalt der Aufenthaltserlaubnis zur Ausreise verpflichtet waren, und es erscheint nicht gerechtfertigt, eine Prognose über den weiteren Aufenthalt in Deutschland allein darauf zu stützen, dass sie dieser Verpflichtung aus eigenem Entschluss nicht gefolgt sind.

Vielmehr ist es angezeigt, über die Feststellung weiterer objektiv erkennbarer Indizien zur Verfestigung des Aufenthalts im Inland die Grundlage für eine verlässliche Prognose zu verbreitern.

Dies wiederum hat der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise getan, denn er hat die weiteren Voraussetzungen für eine Bewilligung von Kindergeld sachgerecht ausgewählt. So ist auch hier der von der Klägerin hervorgehobene zeitliche Anknüpfungspunkt im Gesetz enthalten (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a EStG). Der weitere Gesichtspunkt eines "rechtmäßigen" Verhaltens erscheint dem Gericht ebenfalls plausibel, denn derjenige, der die Rechtsordnung des Gastlandes beachtet, bietet am ehesten die Gewähr, dass er sich ohne Probleme integrieren wird.

Gleiches gilt für die vom Gesetz geforderte Erwerbstätigkeit (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG), denn auch diese fördert die Integration. Zwar trägt die Klägerin zutreffend vor, dass die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG nicht dazu dient, die Integration von Ausländern zu fördern, sie kann aber als bedeutsamer Anhaltspunkt für die auch von der Klägerin geforderte Prognose dienen, ob ein Ausländer vermutlich auf Dauer in Deutschland bleiben wird.

Dagegen spricht nicht die Tatsache, dass der Gesetzgeber auch Zeiten ohne eine Erwerbstätigkeit (Bezug von Arbeitslosengeld, Elternzeit) berücksichtigt hat. Das Arbeitslosengeld ist gleichsam die (vorübergehende) Folge einer nichtselbständigen Tätigkeit und während der Elternzeit wird gerade auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet, um sich der Betreuung eines Kindes widmen zu können.

Soweit die Klägerin ferner meint, dass den Vorgaben des BVerfG in derEntscheidung vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97, a.a.O.) nur Rechnung getragen werde, wenn Kindergeld auch bei bestehenden Abschiebungshindernissen oder bei einer Erkrankung bewilligt werde, schließt sich das Gericht dieser Rechtsauffassung nicht an.

Die genannten Besonderheiten sind ihrem Charakter nach vorübergehender Natur.

Das gilt insbesondere für die von der Klägerin hervorgehobene Krankheiten, denn diese werden regelmäßig behandelt, damit eine Heilung eintritt. Diese würde dann aber bei der Klägerin eine weitere medizinische Versorgung in ihrem Heimatland entbehrlich machen. Außerdem kann möglicherweise schon jetzt (vergl. dazu das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11.1.2005 <4 A 92.04, abrufbar bei [...]>) oder zumindest in absehbarer Zeit auch bei der Erkrankung der Klägerin in ihrer Heimat eine fachgerechte medizinische Versorgung und Betreuung zur Verfügung gestellt werden.

Soweit die Klägerin dies in ihrem Schriftsatz vom 22.6.2007 bestreitet, läuft ihre Argumentation darauf hinaus, dass das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu einem bestimmten Zeitpunkt angeordnete Abschiebeverbot für die Zukunft festgeschrieben wird, und zwar deshalb, weil die Erkrankung der Klägerin nach ihrer Ansicht offenbar nur in Deutschland fachkundig behandelt werden und eine positive Entwicklung in ihrem Heimatland ausgeschlossen werden kann. Unabhängig davon, ob dies zutrifft, ist die Argumentation so auf die möglicherweise im Billigkeitswege (§ 227 der Abgabenordnung) zu berücksichtigenden besonderen Umstände des Streitfalles bezogen, dass daraus nicht die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes hergeleitet werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Zulassung der Revision ergibt sich aus der Regelung des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, denn die von der Klägerin vertretene Rechtsauffassung, dass auch die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG verfassungswidrig sei, wird in einzelnen Entscheidungen der Finanzgerichtsbarkeit und in Teilen der Literatur geteilt.

Ende der Entscheidung

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