Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 22.01.2008
Aktenzeichen: 10 K 926/05 Kg
Rechtsgebiete: AO, VO (EWG) 1408/71
Vorschriften:
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 | |
VO (EWG) 1408/71 Art. 13 Abs. 1 | |
VO (EWG) 1408/71 Art. 17 |
Finanzgericht Düsseldorf
10 K 926/05 Kg
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger und als Angestellter bei einer Bank in Griechenland, bei der es sich um eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Athen handelt, beschäftigt. Im Jahre 1994 versetzte die Bank den Kläger nach Düsseldorf. Der Kläger lebte seit seiner Versetzung mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern in Düsseldorf. Anfang April 1999 kehrte er mit seiner Familie nach Griechenland zurück.
Im Juli 1997 stellte der Kläger einen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld. In dem Antrag gab er an, in Griechenland sozialversichert zu sein. Der Antrag des Klägers blieb ohne Erfolg. Die Familienkasse begründete ihre ablehnende Entscheidung damit, der Kläger sei als Beamter für die Bank in Griechenland in Deutschland tätig. Gemäß der Verordnung (VO) (EWG) 1408/71 bestehe deshalb kein Anspruch auf Kindergeld.
Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, es treffe nicht zu, dass er als Beamter für die Bank tätig sei. Er arbeite dort vielmehr als Angestellter.
Mit Bescheid vom 8. Januar 1998 wies die Familienkasse den Einspruch zurück. Zur Begründung führte sie an, aufgrund der Tatsache, dass der Kläger in Griechenland sozialversichert sei, bestehe kein Anspruch auf Kindergeld.
Auf seine Klage wurde die Familienkasse durch Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19. August 1999 (10 K 2890/98 Kg) verpflichtet, für die Kinder des Klägers in der Zeit von Januar 1997 bis März 1999 Kindergeld festzusetzen. Das Gericht ging dabei davon aus, dass die Tätigkeit des Klägers in Deutschland nicht nur vorübergehend gewesen sei und seinem nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) bestehenden grundsätzlichen Kindergeldanspruch auch nicht Artikel 17 VO (EWG) Nr. 1408/71 entgegen gestanden habe, da die zuständige Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA) auf Anfrage des Gerichtes mitgeteilt habe, dass Unterlagen über eine Ausnahmevereinbarung nicht vorgelegen hätten.
Vor diesem Hintergrund bat die Beklagte unter dem 21.09.1999 die AOK , für den Kläger Sozialversicherungsbeiträge nachzuerheben, da nach dem Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf von einer Beitragspflicht des Klägers in Deutschland auszugehen sei.
Unter dem 30.3.2001 unterbreitete das griechische Ministerium für Arbeit und Sozialversicherung - Direktion für Überstaatliche Sozialversicherung - (Direktion) der DVKA den Vorschlag, unter Anwendung des Artikel 17 VO (EWG) 1408/71 auf den Kläger für die Zeit vom 29.6.1994 bis zum 28.2.1999 ausschließlich die griechischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit anzuwenden. In einer Fußnote heißt es weiter:
"Für den Arbeitnehmer wurden vom Arbeitgeber Renten- und Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 29.6.1994 bis zum 28.2.1999 regelmäßig und werden laufend gezahlt".
Die DVKA bat in mehreren Schreiben um Mitteilung, warum der Antrag so spät gestellt worden und ob der Kläger weiterhin an dem Abschluss der beantragten Ausnahmevereinbarung interessiert sei. Hierauf antwortete die Direktion unter dem 23.10.2002, dass "nach Telefongespräch sowohl mit dem Kläger als auch mit seinem Arbeitgeber die Freistellung von den deutschen Rechtsvorschriften noch im Interesse des Betreffenden" liege.
Die DVKA erwiderte (Schreiben vom 7.11.2002), dass der Kläger darauf hinzuweisen sei, dass er bei Zustandekommen der gewünschten Ausnahmevereinbarung gegebenenfalls das in Deutschland erhaltene Kindergeld zurückzahlen müsse, und bat erneut um Mitteilung der Gründe für die verspätete Antragstellung.
Unter dem 30.4.2004 wies die Direktion die DVKA daraufhin, dass nach der Fußnote im Schreiben vom 23.10.2002 der Kläger und sein Arbeitgeber informiert worden seien und der Kläger bei seinem Wunsch auf Befreiung von der deutschen Sozialversicherung nach Artikel 17 VO (EWG) 1408/71 geblieben sei. Wegen des neuerlichen Schreibens der DVKA sei man nochmals an den Kläger herangetreten; dabei sei der Kläger in Kenntnis der Schreiben der DVKA bei seinem Befreiungsantrag geblieben.
Mit Schreiben vom 25.5.2004 erklärte sich die DVKA mit der vorgeschlagenen Vereinbarung nach Artikel 17 VO (EWG) 1408/71, wonach der Arbeitnehmer für die angegebene Dauer der Beschäftigung nicht den deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit, sondern den griechischen Rechtsvorschriften unterliege, einverstanden. Man gehe davon aus, dass die Vereinbarung im Interesse des Betreffenden liege und dieser mit dem Abschluss der Vereinbarung einverstanden sei.
Nachdem dieser Sachverhalt der Beklagten bekannt geworden war, fragte sie bei der DVKA an (Schreiben vom 6.8.2004), ob die Vereinbarung tatsächlich im Interesse des Klägers gelegen habe, und erkundigte sich nach den Ursachen für eine fünf Jahre zurückwirkende Vereinbarung. Die DVKA wies im Schreiben vom 22.9.2004 auf den ab 2001 einsetzenden Schriftverkehr zwischen ihr und der Direktion hin.
Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte durch Bescheid vom 27.12.2004 die Kindergeldfestsetzung ab Januar 1997 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf. Grundlage des Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19.8.1999 sei die Feststellung gewesen, dass der Kläger kein entsandter Arbeitnehmer gewesen sei und zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Vereinbarung nach Artikel 17 VO (EWG) 1408/71 vorgelegen habe. Inzwischen sei jedoch eine solche Vereinbarung geschlossen worden. Der Kläger sei daher verpflichtet, das für die Zeit von Januar 1997 bis März 1999 erhaltene Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO zurückzuzahlen.
Der hiergegen eingelegte Einspruch vom 29.12.2004 wurde durch Einspruchsentscheidung vom 1.3.2005 als unbegründet zurückgewiesen.
Am 4.3.2005 hat der Kläger Klage erhoben und Folgendes vorgetragen: Es habe keine ordnungsgemäße Anhörung des Klägers im Einspruchsverfahren stattgefunden, denn das Schreiben vom 30.9.2004 sei nicht an ihn, sondern an seinen ehemaligen und jetzigen Prozessbevollmächtigten gerichtet gewesen. Er wisse nicht, was hinter seinem Rücken die Krankenkasse, sein Arbeitgeber und andere Behörden gemacht hätten. Die Ausnahmevereinbarung nach Artikel 17 VO (EWG) 1408/71 habe nicht in seinem Interesse, sondern ausschließlich im Interesse seines Arbeitgebers gelegen, der nicht bereit gewesen sei, für den streitigen Zeitraum für ihn Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Auf die Frage der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen komme es aber nach dem Urteil des Finanzgerichtes Düsseldorf nicht an. Sein Arbeitgeber hätte ihn in Deutschland versichern müssen. Als dieser von der AOK und der Beklagten hierzu später aufgefordert worden sei, habe er den Antrag nach Artikel 17 VO (EWG) 1408/71 gestellt, und zwar erst im Jahre 2004. Er - der Kläger - habe in mehreren Telefonaten mit seinem Arbeitgeber zum Ausdruck gebracht, dass er nicht für dessen Fehler oder Unterlassungen hafte. Er sei nicht über die Folgen der Ausnahmevereinbarung unterrichtet gewesen und habe zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass er trotz dieser Konsequenzen am Abschluss festhalten möchte. Weder die DVKA noch die griechischen Behörden seien zum Abschluss einer solchen Vereinbarung berechtigt gewesen. Er sei von keiner Behörde informiert worden. Insbesondere habe er das Schreiben der Direktion vom 30.3.2001 nicht erhalten. Er habe auch keine Kenntnis von der Absicht seines Arbeitgebers gehabt. Ebenso wenig kenne er das Schreiben vom 23.10.2002 noch sei er damit einverstanden gewesen. Es habe auch keine Telefongespräche zwischen ihm und den zuständigen griechischen Behörden gegeben. Die Beklagte habe bisher keinen Nachweis dafür erbracht, dass er der Ausnahmevereinbarung zugestimmt habe
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Aufhebung des Kindergeldes auf die Zeit von Januar 1997 bis Februar 1999 beschränkt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 27.12.2004 und die Einspruchsentscheidung vom 1.3.2005 aufzuheben,
hilfsweise
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Aus den Schreiben der zuständigen griechischen Behörde ergebe sich, dass der Kläger sehr wohl über die rechtlichen Folgen der Ausnahmevereinbarung informiert gewesen sei. Er sei auch über die Konsequenzen - Rückzahlung des in Deutschland erhaltenen Kindergeldes - unterrichtet worden. Trotz dieser Kenntnis habe der Kläger daran festgehalten. Soweit der Kläger Vorwürfe gegen die griechischen Behörden erhebe, seien diese nicht Gegenstand des Verfahrens. Er - der Beklagte - sei an die Unterlagen der griechischen Behörden gebunden. Der Abschluss der Ausnahmevereinbarung stelle ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Kindergeldakte und die Akte des Verfahrens 10 K 2890/98 Kg.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 27.12.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.03.2005 ist hinsichtlich des Streitzeitraumes (Januar 1997 bis Februar 1999) rechtmäßig und verletzt daher den Kläger nicht in seinen Rechten.
I. Der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung steht nicht die Rechtskraft des Urteils des Senats vom 19.08.1999 - 10 K 2890/98 Kg -, in dem dem Kläger Kindergeld für den streitigen Zeitraum zugesprochen wurde, entgegen. Zwar binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, allerdings nur, "soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist" (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO).
Aus dieser Einschränkung folgt, dass die Beklagte durch das Urteil in tatsächlicher Hinsicht nur an die dem Finanzgericht zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils bekannten Umstände gebunden ist (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 110, Rz. 18). Eine solche Bindung tritt demnach nicht bezüglich solcher Umstände ein, die dem Gericht bei der Urteilsfindung nicht bekannt waren oder die erst nach Erlass des Urteils entstanden sind.
So liegt die Sache hier, denn der von der Beklagten für maßgeblich gehaltene Umstand, nämlich der Abschluss einer Vereinbarung nach Art. 17 VO (EWG) 1408/71, ist erst im Jahr 2004 zustande gekommen, also nach Erlass des Urteils vom 19.08.1999.
II. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ist § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Danach ist ein Steuerbescheid unter anderem aufzuheben, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
1) Durch den Vorschlag der Direktion vom 30.03.2001 und die Zustimmung der DVKA vom 25.05.2004 ist ein rückwirkendes Ereignis eingetreten, denn nach der dadurch zustande gekommenen Vereinbarung gelten für den Kläger in der Zeit vom 29.06.1994 bis 28.02.1999 und damit auch im Streitzeitraum ausschließlich die griechischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit.
2) Die Vereinbarung zwischen der Direktion und der DVKA wirkt auch unmittelbar auf die steuerliche (hier: kindergeldrechtliche) Position des Klägers ein. Für Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union (EU) gilt die VO (EWG) 1408/71. Der Kläger unterliegt - was dem Grundsatz nach zwischen den Beteiligten unstreitig ist - dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung, denn er war im streitigen Zeitraum Arbeitnehmer i. S. d. Art. 2 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 und war als im damaligen Zeitraum in Deutschland wohnhafter und abhängig Beschäftigter hier sozialversicherungspflichtig (§ 2 Abs. 2 Nr. 1, § 3 Nr. 1 SGB IV, § 1 Nr. 1 SGB VI).
Gemäß Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 unterliegen Personen, für die - wie hier beim Kläger - die Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Dies sind bei dem Kläger gem. Art. 13 Abs. 2 Buchstabe b VO (EWG) 1408/71 die deutschen Rechtsvorschriften, denn der Kläger war in Deutschland (Gebiet eines Mitgliedstaates) in einem Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt. Die Geltung allein der deutschen Rechtsvorschriften und damit auch der Vorschriften des EStG über die Gewährung von Kindergeld war u. a. Voraussetzung für den erkennenden Senat, im Urteil vom 19.08.1999 die Verpflichtungsklage des Klägers auf Gewährung von Kindergeld zuzusprechen.
Diese Rechtslage hat sich aber nach Erlass des Urteils vom 19.08.1999 geändert.
Eine Ausnahme von Art. 13 VO (EWG) 1408/71 ist nämlich u. a. nach Art. 17 VO (EWG) 1408/71 möglich. Danach können zwei oder mehr Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden dieser Staaten oder die von diesen Behörden bezeichneten Stellen im Interesse bestimmter Personengruppen oder bestimmter Personen Ausnahmen von den Artikeln 13 - 16 VO (EWG) 1408/71 vereinbaren.
Eine solche Vereinbarung haben die Direktion und die DVKA am 25.05.2004 geschlossen, und zwar mit dem Inhalt, dass auf den Kläger rückwirkend ausschließlich die griechischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit Anwendung finden.
3) Die Vereinbarung ist von den zuständigen Stellen geschlossen worden. In Anhang 10 zur Verordnung (EWG) 574/72 über die Durchführung der VO (EWG) 1408/71, Buchstabe D (Deutschland), Nr. 3, ist die DVKA als zuständige deutsche Stelle bezeichnet worden. Die Zuständigkeit der zum griechischen Ministerium für Arbeit und Sozialversicherung gehörenden Direktion folgt aus Anhang 1, Buchstabe F Nr. 1 zur Verordnung (EWG) 574/72.
4) Da zu den von der Vereinbarung erfassten Rechtsvorschriften nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h) VO (EWG) 1408/71 auch das Kindergeld ("Familienbeihilfen") zählt (BFH, Urteil vom 13.08.2002 VIII R 70/99, BFH/NV 2003, 29), besaß der Kläger im Streitzeitraum keinen Kindergeldanspruch nach dem EStG. Damit wirkt die Vereinbarung zwischen der DVKA und der Direktion unmittelbar auf den ursprünglich bestehenden Kindergeldanspruch des Klägers (nach dem EStG) ein.
5) Die in der Vereinbarung ausgesprochene Rückwirkung ist zulässig. Der Wortlaut des Art. 17 VO (EWG) 1408/71 enthält keinen Hinweis darauf, dass die Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden oder die von diesen bezeichneten Stellen von der in dieser Vorschrift eingeräumten Befugnis nur für die Zukunft Gebrauch machen können (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, 1. Kammer, Urteil vom 17.05.1984 101/83, EUGHE 1984, 2223). Geist und Regelungszusammenhang von Artikel 17 VO (EWG) 1408/71 gebieten es vielmehr, dass eine Vereinbarung i. S. dieser Bestimmung im Interesse des Arbeitnehmers auch für die Vergangenheit getroffen werden kann. Als Ausnahmevorschrift, die die Schwierigkeiten beheben soll, die sich aus der Anwendung der Art. 13 bis 16 VO (EWG) 1408/71 auf spezifische, nicht besonders berücksichtigte Sachverhalte ergeben können, kann auf Art. 17 VO (EWG) 1408/71 nicht nur zur Verhinderung bestimmter Situationen, sondern auch zu dem Zweck zurückgegriffen werden, in einer bestehenden Situation, die sich erst nach ihrem Eintritt als unbillig erweist, Abhilfe zu schaffen.
6) Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass diese Vereinbarung keine Geltung besitze, weil sie gegen seine Interessen verstoßen habe.
a) Die Bekanntgabe einer Vereinbarung nach Art. 17 VO (EWG) 1408/71 durch einen innerstaatlichen Umsetzungsakt wird von der Rechtsprechung nur dann für erforderlich gehalten, wenn die Vereinbarung nicht nur für einzelne Personen, sondern für einen nach abstrakt - generellen Merkmalen bestimmten Personenkreis gelten soll (Bundessozialgericht, Urteil vom 08.10.1981 7 RAr 30/80, BSGE 52, 210). Diese Sachlage ist aber vorliegend nicht gegeben, denn die DVKA und die Direktion haben lediglich bezüglich des Klägers eine Vereinbarung getroffen. Weitere Personen sind davon nicht berührt.
b) Das Gericht hält Vereinbarungen nach Art. 17 VO (EWG) 1408/71 inhaltlich nur eingeschränkt für überprüfbar.
Art. 17 VO (EWG) 1408/71 sieht weder ein Antragsrecht des betroffenen Arbeitnehmers noch seine förmliche Beteiligung am Zustandekommen der Vereinbarung vor. Adressat dieser Vereinbarung sind allein die dort benannten Stellen.
Die Vorschrift nimmt auch nicht Bezug auf Gründe oder Umstände, die Mitgliedstaaten veranlassen können, eine Ausnahme von den Artikeln 13 bis 16 VO (EWG) 1408/71 zu vereinbaren. Folglich steht den Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum zu (EUGH, a.a.O.).
Zwar haben die zuständigen Stellen dabei auch das Interesse des Arbeitnehmers zu beachten; dieser Gesichtspunkt ist aber nicht Tatbestandsvoraussetzung für die Ermessensbetätigung, sondern nur ein Kriterium der einheitlichen Ermessensausübung beim Abschluss einer solchen Vereinbarung. Die zuständigen Stellen haben beispielsweise auch zu berücksichtigen, dass der Intention der VO (EWG) 1408/71 Rechnung getragen wird, einen Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Sozialansprüche nur einem Rechtssystem zu unterwerfen, und sie sollen dabei das gesamte Sozialsystem, also nicht nur die Auswirkungen auf das Kindergeld, der Mitgliedstaaten beachten.
Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass bei der hier strittigen Vereinbarung der vorab angesprochene Ermessensrahmen nicht eingehalten worden ist. Angesichts der Tatsache, dass das erkennende Gericht in seinem Urteil vom 19.08.1999 nach Art. 13 VO (EWG) 1408/71 von einer ausschließlichen Geltung der deutschen Sozialvorschriften für den Kläger ausgegangen ist, bestand für den Kläger die Gefahr, nachträglich zur Zahlung von deutschen Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen zu werden, obwohl er für den streitigen Zeitraum schon in Griechenland Sozialversicherungsbeiträge gezahlt hatte und er - was die Kranken- und Arbeitslosenversicherung anbelangt - auch nicht mehr rückwirkend in den Genuss von Leistungen dieser Versicherungen gelangen konnte. Zur Vermeidung dieser unbilligen Doppelbelastung erscheint es sachgerecht, dass die zuständigen Behörden kraft einer Vereinbarung nach Art. 17 VO (EWG) 1408/71 den Kläger rückwirkend den griechischen Rechtsvorschriften unterwarfen und damit seine sozialversicherungsrechtliche Situation einheitlich nach griechischem Recht regelten.
Die dadurch bewirkte Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ist weder willkürlich noch grob sachwidrig, sondern sichert die ausschließliche Anwendung eines einzigen nationalen Rechtssystems.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Sache rechtsgrundsätzliche Bedeutung besitzt.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.