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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.10.2005
Aktenzeichen: 11 K 5617/04 E
Rechtsgebiete: EStG, DBA Schweiz, FGO
Vorschriften:
EStG § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 | |
EStG § 50 Abs. 7 | |
EStG § 50a | |
FGO § 101 Satz 1 | |
FGO § 102 | |
DBA Schweiz Art. 17 Abs. 2 |
Tatbestand
Auszugsweise Veröffentlichung der Entscheidung:
Streitig ist, ob der Beklagte gemäß § 50 Abs. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) 1999 verpflichtet ist, einen Steuerabzugsbetrag im Sinne des § 50 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG in der Fassung des Artikel 1 Nr. 54 Buchstabe a des Gesetzes vom 24.03.1999 ganz oder teilweise zu erlassen.
Gründe
...
Die Klage ist unbegründet.
Die Entscheidung des Beklagten, den Erlass der gemäß § 50 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG einzubehaltenden Einkommensteuer für die Auftritte der Kläger in Nordrhein-Westfalen in der Zeit vom...abzulehnen, ist rechtmäßig.
Die Erlassentscheidung gemäß § 50 Abs. 7 EStG ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung, die gemäß § 102 FGO grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt. Die Erlassentscheidung darf vom Finanzgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie rechtswidrig ist, weil die Behörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht einwandfrei und erschöpfend ermittelt, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dabei darf das Finanzgericht nicht die allein maßgeblichen Verwaltungserwägungen durch eigene Erwägungen ersetzen. Für die gerichtliche Prüfung sind diejenigen tatsächlichen Verhältnisse maßgebend, die der Behörde im Zeitpunkt der letzten Ermessensausübung bekannt waren oder bekannt sein mussten (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 X R 14/95, BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642). Gleichwohl kann das Gericht ausnahmsweise gemäß § 101 Satz 1 FGO eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (vgl. zur sog. Ermessensreduktion auf Null BFH-Urteil vom 25. November 1997 IX R 28/96, BFHE 185, 94, BStBl II 1998, 550).
Gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sind die Einkünfte der Kläger aus den Tanzveranstaltungen beschränkt steuerpflichtig. Steuerschuldner sind die Mitglieder des Ensembles. Auch wenn - wie im Streitfall - die Vereinbarung über die künstlerischem Auftritte im Inland mit einer Künstlergruppe abgeschlossen wurde, besteht die Besonderheit, dass diese zivilrechtlich zwar Gläubiger der Vergütung im Sinne des § 50 a Abs. 5 Satz 2 EStG ist, nach der Systematik des EStG aber nicht beschränkt steuerpflichtig sein kann (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juli 1995 I B 200/94, BFH/NV 1996, 311). Gemäß § 50 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen, die Einkünfte durch die Ausübung einer Tätigkeit als Künstler erzielen, im Wege des Steuerabzuges erhoben. Für das Honorar der Mitglieder des Schweizer Tanzensembles war somit grundsätzlich die Einkommensteuer durch Steuerabzug zu erheben.
Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte der Kläger steht gemäß Art. 17 DBA Deutschland-Schweiz der Bundesrepublik Deutschland zu. Zwar wurden die Veranstaltungen auch mit öffentlichen Mitteln des Ansässigkeitsstaates gefördert. Diese Mittel erreichten jedoch keinen "erheblichen Umfang" im Sinne des Art. 17 Abs. 2 DBA Deutschland-Schweiz, da sie weniger als 1/3 der Gesamtmittel ausmachten (vgl. Kempermann in Flick-Wassermeyer-Wingert-Kempermann, DBA Deutschland-Schweiz, Art. 17 Tz. 16).
Gemäß § 50 Abs. 7 EStG können die obersten Finanzbehörden der Länder oder die von ihnen beauftragen Finanzbehörden mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen ganz oder zum Teil erlassen oder mit einem Pauschbetrag festsetzen, wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist oder eine gesonderte Berechnung der Einkünfte besonders schwierig ist.
Wann ein Erlass aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist, ergibt sich weder aus § 50 Abs. 7 EStG noch aus § 34 c Abs. 5 EStG, der das gleiche Tatbestandsmerkmal verwendet. Aus der Entstehungsgeschichte von § 50 Abs. 7 EStG lässt sich ableiten, dass volkswirtschaftliche Gründe, die einen Erlass oder eine Pauschalierung rechtfertigen, vorliegen, wenn die Allgemeinheit von der Tätigkeit des Steuerpflichtigen durch die nachhaltige Förderung gesamtwirtschaftlicher Ziele im Inland einen über das Normalmaß hinausgehenden Vorteil hat (vgl. Herkenroth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 50 EStG Rz. 483; Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 17. Dezember 1975 II 828/67, EFG 1976, 452 m. w. N.). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 19. April 1978 2 BvL 2/75, BVerfGE 48, 210, BStBl II 1978, 548 zum Begriff "volkswirtschaftliche Gründe" in § 34 c Abs. 3 EStG 1956, der dem heutigen § 34 c Abs. 5 EStG entsprach, entschieden, dass dieser Begriff unter Berücksichtigung von Sinnzusammenhang, Zielsetzung und Entstehungsgeschichte hinreichend konkretisiert sei. § 34 c Abs. 3 EStG 1956 sei auf Ausnahmefälle beschränkt, nämlich auf die Regelung von besonderen Sachverhalten, die im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von jeweiligen ausländischen handels- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen zum Schutz der eigenen Volkswirtschaft eine schnelle, auf den Einzelfall bezogene entlastende Reaktion der Finanzbehörde erforderten, Entscheidungen, die der Gesetzgeber selbst von der Natur der Sache her zu treffen außerstande sei. Nach Ansicht des BMF im Schreiben vom 23. Januar 1996, IV B 4 - S 2303 - 14/96, BStBl I 1996, 89, Tz. 1.4 sind bei der Anwendung von § 50 Abs. 7 EStG auch wettbewerbs, -kultur- und sportpolitische Aspekte zu berücksichtigen, so dass ein Erlass oder eine Steuermäßigung für im internationalen Wettbewerb stehende Großveranstaltungen (z. B. Europa- und Weltmeisterschaften, Olympische Spiele) in Betracht komme.
Nach Ansicht des Senats ist Mindestvoraussetzung für die Annahme eines volkswirtschaftlichen Grundes als Voraussetzung für einen Steuererlass, dass die Tätigkeit des beschränkt Steuerpflichtigen sich überhaupt auf die volkswirtschaftliche Entwicklung auswirken kann, wie das z. B. bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 der Fall ist. Eine entsprechende Prognose für eine kulturelle oder sportliche Veranstaltung ist auf Grundlage der zu erwartenden Besucherzahlen und dem damit korrespondierenden verstärkten privaten Konsum sowie der durch die Veranstaltung ausgelösten privaten Investitionen zu machen. Außerdem muss es sich um eine Veranstaltung handeln, deren wirtschaftliche Auswirkung nicht lediglich lokal begrenzt ist (vgl. Balzerkiewicz/Voigt, BB 2005, 302).
Anhaltspunkte dafür, dass der Auftritt des Tanzensembles derartige volkswirtschaftliche Auswirkungen hatte bzw. haben konnte, wurden von den Beteiligten nicht vorgetragen und sind für den Senat nicht ersichtlich.
Zwar haben die obersten Finanzbehörden der Länder und der Bundesminister der Finanzen von der Möglichkeit des Erlasses im Sinne des § 50 Abs. 7 EStG für Auftritte ausländischer Kulturvereinigungen Gebrauch gemacht. Im BMF-Schreiben vom 20. Juli 1983 IV B 4 - S 2303 - 34/83, BStBl I 1983, 382 vertreten sie die Auffassung, dass ausländische Kulturvereinigungen, soweit eine Freistellung im Inland nicht schon nach den Vorschriften des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu erfolgen habe, von der inländischen Einkommensteuer gemäß § 50 Abs. 7 EStG freizustellen seien.
Die Regelung des BMF-Schreibens vom 20. Juli 1983 ist jedoch nicht vom Zweck des § 50 Abs. 7 EStG gedeckt. Es ist zum einen nicht erkennbar, ob das BMF-Schreiben am Tatbestandsmerkmal "aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig" oder am Tatbestandmerkmal "gesonderte Berechnung der Einkünfte besonders schwierig" anknüpft. Weiterhin ist nicht erkennbar, um welche volkswirtschaftlichen Gründe es sich handelt und warum diese Gründe bei Solisten und solistisch besetzten Ensemble sowie bei nicht öffentlich geförderten Kulturvereinigungen nicht vorliegen. Wie oben bereits dargelegt, haben die Beteiligten nicht zur Überzeugung des Senats darlegen können, dass der Auftritt des Tanzensembles überhaupt volkswirtschaftliche Auswirkungen hatte. Es ist auch nicht erkennbar, dass im Streitfall die Berechnung der Einkünfte besonders schwierig ist. Besonders schwierig muss die Berechnung der auf das Inland entfallenden Einkünfte, d. h. die Aufteilung zwischen In- und Ausland und die Zuordnung der den inländischen Einnahmeteilen zuzuordnenden Abzugsbeträge sein (Herkenroth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 50 EStG Rz. 486). Im Streitfall sind die einzelnen Ensemblemitglieder mit ihrem Anteil an den Einnahmen bereits im Steuerbescheid anzugeben (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juli 1995 I B 200/94, BFH/NV 1996, 311).
Der Senat kann daher offen lassen, ob die Kläger Mitglieder einer Kulturvereinigung i. S. d. BMF-Schreibens waren und ob der Ausschluss von Solisten und solistisch besetzten Ensemblen mit dem aus Artikel 3 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Gebot folgerichtiger Ausgestaltung steuerlicher Be- und Entlastungsgrundentscheidungen zu vereinbaren ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. März 2002 II BvL 17/99, BStBl II 2002, 618; vom 30. September 1998 II BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88).
Da schon die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50 Abs. 7 EStG für einen Erlass der Einkommensteuer der Kläger im Streitfall nicht gegeben sind, hat der Beklagte den Erlassantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Ende der Entscheidung
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