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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 13.04.2004
Aktenzeichen: 11 V 632/04 A(U)
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 164 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

11 V 632/04 A(U)

Tenor:

Der Umsatzsteuerbescheid für 2000 vom 07.01.2004 wird bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung im Einspruchsverfahren in vollem Umfang von der Vollziehung ausgesetzt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Antragsteller zu 2/3 und der Antragsgegner zu 1/3.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob der Antragsgegner zu Recht wegen nicht ordnungsgemäßer Buchführung eine Hinzuschätzung vorgenommen hat.

Der Antragsteller hat im Streitjahr einen Einzelhandel betrieben, in dem er unter anderem Lotto- und Toto- Scheine annahm, Tabakwaren und Zeitschriften verkaufte und Reisen vermittelte.

Der Antragsteller reichte für das Jahr 2000 beim Antragsgegner im Juni 2001 eine Umsatzsteuererklärung ein, in der eine festzusetzende Umsatzsteuer in Höhe von 34.639,29 DM und ein Erstattungsanspruch in Höhe von 1.181,80 DM errechnet wurde. Am 18.07.2001 stimmte der Antragsgegner der Umsatzsteuererklärung zu.

Auf Grund einer Prüfungsanordnung vom 18.06.2003 führte der Antragsgegner beim Antragsteller für die Jahre 1999 bis 2001 eine Betriebsprüfung durch, die u. a. zu folgenden Feststellungen führte: Die Buchführung im Prüfungszeitraum sei nicht ordnungsgemäß. Eine Ziffernanalyse der erklärten Einnahmen (Chi-Quadrat-Test) habe ergeben, dass bestimmte Ziffern vermehrt aufträten. Da dies nicht mit betrieblichen Gegebenheiten (z. B. Preisgestaltung) zu erklären sei, sei zu vermuten, dass der Antragsteller nur die Scheine und nicht das Kleingeld gezählt habe. Auch wiesen durchgeführte Zeitreihenvergleiche jährlich stark schwankende Rohgewinnaufschlagsätze auf, die durch ein bestimmtes Einkaufsverhalten bzw. eine Preisgestaltung nicht zu begründen seien. Wegen der nach Ansicht der Betriebsprüfung nicht ordnungsgemäßen Buchführung wurden die Einnahmen durch die Betriebsprüfung neu ermittelt. Diese Einnahmenermittlung erfolgte im Rahmen eines Zeitreihenvergleichs. Die Kalkulation ergab für das Jahr 2000 einen Betrag von 22.191,70 DM, von dem ein pauschaler Abschlag in Höhe von 7.191,70 DM vorgenommen wurde. Die Betriebseinnahmen wurden von der Betriebsprüfung um 15.000 DM erhöht, darin waren 2.068,97 DM Umsatzsteuer enthalten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Betriebsprüfungsberichtes vom 28. November 2003 wird auf die Betriebsprüfungshandakte des Antragsgegners Bezug genommen.

Auf Grund der Feststellungen der Betriebsprüfung erlies der Antragsgegner am 07.01.2004 einen gemäß § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2000 in dem die Umsatzsteuer auf 35.311 DM (18.054,23 EUR) festgesetzt wurde und der zu einer Zahllast in Höhe von 343,49 EUR führte.

Gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid legte der Antragsteller fristgerecht Einspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde.

Den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid von 03.02.2004 ab.

Der Antragsteller beantragte daraufhin am 06.02.2004 Aussetzung der Vollziehung durch das Finanzgericht.

Zur Begründung seines Antrags trägt der Antragsteller vor, dass die Behauptung des Antragsgegners, die Betriebseinnahmen seien nicht vollständig erklärt worden, abwegig sei und vom Antragsgegner nicht nachgewiesen werden könne. Für die angeblich nicht erklärten Betriebseinnahmen bestehe nach dem Betriebsprüfungsbericht des Antragsgegners auf Grund der Ergebnisse des Chi-Quadrat-Testes eine Vermutung. Vermutungen seien jedoch keine Tatsachen. Die Aufforderungen des Antragstellers, die Vermutung durch eine Zuschlagskalkulation oder eine andere sichere Verprobungsmethode zu belegen, habe der Antragsgegner als unnötig zurückgewiesen. An der Seriosität des durchgeführten Zeitreihenvergleichs bestünden Zweifel, da der Antragsgegner bei nicht unerheblicher Vorratshaltung den Wareneinkauf gleich dem Wareneinsatz angesetzt habe. Außerdem habe sich der Betriebsprüfer dahingehend geäußert, dass sich die festgestellten Aufschlagsätze im Rahmen der Richtwertsammlung bewegen würden.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Umsatzsteuerbescheid für 2000 vom 07.01.2004 in Höhe vom 1.057,85 EUR bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung im Einspruchsverfahren von der Vollziehung auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Diesen Antrag begründet er damit, dass der Chi-Quadrat-Test nach der Rechtsprechung des Finanzgerichts Münster ein gewichtiges Indiz für eine nicht ordnungsgemäße Kassenführung sei (Beschluss des FG Münster vom 14.08.2003 8 V 2561/03 E, U, EFG 2004, 9). Bei einem Chi-Wert von über 30 bestehe eine so ungleichmäßige Verteilung der Ziffern, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 100 % die Ziffern an der betreffenden Stelle nicht korrekt ermittelt worden seien. Bei einem Chi-Wert von 26 läge diese Wahrscheinlichkeit bereits bei 99,8 %. Im vorliegenden Fall lägen deutlich überhöhte Chi-Werte zwischen 93,77 und 440,87 bei der ersten Vor- und der ersten Nachkommastelle vor. Die durch die Preisstruktur nicht erklärte Häufung der Ziffer 9 im Rahmen des Chi-Quadrat-Testes bei der Vor- und der ersten Nachkommastelle sowie die Angaben des Antragstellers selbst zur Wechselgeldproblematik zeigten, dass die Wechselgeldeinnahmen nicht ordnungsgemäß erfasst worden seien und dass damit die Buchführung nicht ordnungsgemäß sei. Die Finanzverwaltung sei wegen der nicht ordnungsgemäßen Erfassung des Wechselgeldes berechtigt, die Buchführung zu verwerfen und die betreffenden Besteuerungsgrundlagen zu schätzen.

Als Nachweis für die Höhe der nicht erfassten Einnahmen genüge der Chi-Quadrat-Test allerdings nur in Verbindung mit einer Kalkulationsmethode wie der Vermögenszuwachsrechnung, der Geldverkehrsrechung, einer Aufschlagskalkulation oder einem Zeitreihenvergleich. Denn diese Methoden ermöglichten im Gegensatz zum Chi-Quadrat-Test auch Rückschlüsse auf die bisher unberücksichtigten Einnahmen. Die im Streitfall durchgeführte Auswertung des "10-Wochen-Wertes" im Rahmen des Zeitreihenvergleichs berücksichtige der Höhe nach angemessen, dass sich die Unregelmäßigkeiten auf das Wechselgeld bezögen und sich in deutlichem Maße nur auf der ersten Vor- und der ersten Nachkommastelle der Tageseinnahmen ausgewirkt hätten. Bei dem durchgeführten Zeitreihenvergleich sei von einem Aufschlagsatz ausgegangen worden, der sich nach dem Durchschnitt des Zeitreihenvergleichs zuzüglich eines angemessenen Sicherheitszuschlages bemesse. Innerhalb dieses Schätzungsrahmens sei jeweils ein tatsächlich innerhalb des betreffenden Jahres erzielter Aufschlagssatz als jeweils für das betreffende Jahr erzielter Aufschlagsatz geschätzt worden. Der Zeitreihenvergleich führe auch bei Umsatzschwankungen innerhalb des Jahres zu einem zutreffenden Ergebnis, da in Folge dann wachsender Bestände auch der Wareneinkauf entsprechend verringert werde. Das Finanzamt sei nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht verpflichtet, dass auf Grund einer zulässigen Kalkulationsmethode wie dem Zeitreihenvergleich gewonnene Ergebnis durch eine andere Kalkulationsmethode zu überprüfen. Zur Begründung dieser Rechtsansicht beruft sich der Antragsgegner auf das BFH-Urteil vom 03.09.1998 XI B 209/95, BFH/NV 1999, 290. Außerdem ergäbe eine Aufschlagskalkulation unter Umständen höhere Umsätze, da der Aufschlagsatz nach dem Ergebnis des Zeitreihenvergleichs bereits sehr moderat gewählt worden sei. Der Einwand, dass die verwendeten Aufschläge über den Höchstbeträgen laut Richtsatzsammlung lägen, sei im Prüfungszeitraum nur für den Bereich Tabak und Zeitschriften für das Jahr 1999 zutreffend. Maßgeblicher als der Vergleich mit den Richtsätzen seien die vom Antragsteller selbst erklärten Beträge, die ebenfalls bereits zwischen dem Mittelwert und der Obergrenze laut Richtsatzsammlung lägen. Zur Glaubhaftmachung seiner Behauptungen reichte der Antragsteller u. a. Aufstellungen zum Chi-Quadrat-Test und Aufstellungen zum Zeitreihenvergleich ein.

Das Verfahren bezüglich Umsatzsteuer 1999 und 2001 wurde durch Beschluss vom 13.04.2004 abgetrennt und wird unter dem Az. 11 V 2116/04 A(U) fortgeführt.

II.

Der Antrag ist teilweise begründet.

Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel bestehen, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen. Der Erfolg braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als der Misserfolg. Es brauchen insbesondere nicht erhebliche Zweifel in dem Sinne zu bestehen, dass eine Aufhebung des Verwaltungsaktes mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs im summarischen Verfahren ebensowenig auszuschließen ist, wie sein Misserfolg (vgl. Tipke-Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Tz. 89 mit Nachweisen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs).

Bei der gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechmäßigkeit der Umsatzsteuererhöhung in Höhe von 2.068,97 DM wegen nicht vollständig erklärter Betriebseinnahmen. Eine Aussetzung der Vollziehung ist jedoch nur in Höhe der Zahllast des Umsatzsteuerbescheides vom 07.01.2004 (343,49 EUR) möglich.

Auf Grund des Vortrages des Antragsgegners ist für den Senat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erkennbar, dass der Antragsgegner auf Grund des Chi-Quadrat-Testes und des Zeitreihenvergleichs zu einer Hinzuschätzung berechtigt war. Es ist insbesondere nicht erkennbar, ob der Chi-Quadrat-Test mit der notwendigen Anzahl von Werten durchgeführt worden ist. Wie das Finanzgericht Münster in seinen Beschluss vom 14. August 2003 8 V 2651/03 E, U, EFG 2004, 9 zutreffend ausgeführt hat, ist der Chi-Quadrat-Test keine von der Rechtsprechung anerkannte Methode, eine Einnahmenmanipulation sicher zu belegen. Der Chi-Quadrat-Test ist daher bei summarischer Prüfung auch nicht geeignet, die Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung zu verwerfen. Bezüglich des Zeitreihenvergleichs hat der Antragsgegner lediglich pauschal dargelegt, dass der Zeitreihenvergleich für einen "10-Wochenzeitraum" durchgeführt worden sei und dieses Verfahren seiner Ansicht nach grundsätzlich geeignet sei, Hinzuschätzungen zu rechtfertigen. Diese Darlegungen genügen jedoch nicht, um eine Überprüfung des Zeitreihenvergleichs durch das Gericht vorzunehmen. So wurde z.B. nicht dargelegt, warum der ausgewählte Zeitraum repräsentativ sein soll (vgl. FG Münster, Beschluss vom 11.2.2000 9 V 5542/99 K,U,F, DStRE 2000,549 ). Wie bereits in den Beschlüssen vom 05.03.2004 zu den Az. 11 V 610/04 A (E) und 11 V 612/04 A (E) dargelegt, ist es im summarischen Verfahren nicht Aufgabe des Gerichts, Feststellungen aus umfangreichen Akten zu treffen, ohne dass diese zuvor von den Beteiligten hinreichend aufbereitet wurden.

Eine Aussetzung der Vollziehung ist im Streitfall nur in Höhe der sich aus dem Leistungsgebot ergebenden Zahllast (343,49 EUR) möglich. Denn nur insoweit wird der Umsatzsteuerbescheid vom 07.01.2004 vollzogen ( vgl. BFH-Urteil vom 27.01.1977 IV B 72/74 ,BStBl II 1977,367; AEAO zu § 361 Tz. 4.5).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 FGO.



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