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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 24.04.2008
Aktenzeichen: 12 K 4730/04 E
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8
AO § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AO § 170 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

12 K 4730/04 E

Tenor:

Das Finanzamt wird verpflichtet, über die Einkommensteuererklärungen der Klägerin für 1997 und 1998 sachlich zu entscheiden.

Das Finanzamt trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin für 1997 - 2000 zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. Die entsprechenden Einkommensteuererklärungen gingen jeweils am 12.12.2003 bei dem beklagten Finanzamt ein. Dieses lehnte die begehrten Einkommensteuerveranlagungen ab - die Klägerin habe die Abgabefrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) versäumt und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht gegeben. Die Klägerin hatte die von ihr begehrte Wiedereinsetzung damit begründet, "da bei zusätzlichen positiven Einkünften neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ein Pflichtveranlagung durchzuführen sei, sei sie generell von einer Festsetzungsfrist von vier Jahren nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) mit einer Anlaufhemmung von drei Jahren nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO ausgegangen.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Klägerin hätte - so die Ausführungen des beklagten Finanzamts in den Gründen der Einspruchsentscheidung - auch bei Unkenntnis der zweijährigen Frist für die Antragsveranlagung bekannt sein müssen, dass die reguläre Abgabefrist der Erklärung für jedes Kalenderjahr am 31.5. des Folgejahres ende. Diese Frist habe die Klägerin mehrfach versäumt.

Das beklagte Finanzamt behauptet, die Einspruchentscheidung sei der damaligen Vertreterin der Klägerin - der "A" GmbH, zu Händen Herrn "B", "C"-straße, in "D" - per Telefax am 7.4.2004 zugegangen. Ein auf den Namen "E" (FA-5...) lautender Vermerk enthält im Wesentlichen folgende Angaben:

Von: FAX-Connector

Gesendet: Mittwoch, 7.4.2004 14:06 "E" (FA-5...)

Betreff: FAXVERSAND: 5 Seiten an "Fax-Nr." ok

Status: erfolgreich beendet

Seiten/Dateien: 5

Versandbeginn: 7.4.2004 14:02 Uhr

Verbindungsdauer: 00:03:11

...

Gebühren: 6 Einheiten = 0,37 EUR

Betreff: "Steuernummer" RBST... EE lfd. Nr. ...

Einen weiteren Vermerk gibt es auf einer ersten Seite zur Einspruchsentscheidung:

An: "Fax-Nr." ID: +49 "Fax-Nr." 7.4.2004 14:02 (00:03:11) OK S. 001/005

Mit Schreiben vom 8.7.2004 erkundigte sich Herr "B" von der "A" GmbH bei dem beklagten Finanzamt nach dem Sachstand - am 16.8.2004 ist bei Gericht Klage eingegangen.

Die Klägerin wurde gemäß § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert,

das Posteingangs- und Fristenkontrollbuch der "A" GmbH für 2004 - jeweils im Original - vorzulegen;

soweit das Posteingangs- und Fristenkontrollbuch der "A" GmbH für 2004 elektronisch geführt worden sein sollten, mitzuteilen, ob und ggf. inwieweit dortige Einträge im nachhinein verändert werden können und - falls nicht - wie es sichergestellt ist, dass eine Veränderung im nachhinein nicht möglich ist - für letzteres ist das verwendete Programm zu benennen und eine zertifizierte Bescheinigung vorzulegen;

mitzuteilen, welches Fax-Gerät die "A" GmbH am 7.4.2004 für den Empfang bei ihr eingehender FAX'e verwendet hat und durch eine Bescheinigung des Herstellers nachzuweisen, dass durch die werkseitige Einstellung bei diesem Gerät ein FAX-Eingangsjournal und ein FAX-Ausgangsjournal nicht erstellt wurde.

Die Klägerin legte das Posteingangs- und das Fristenkontrollbuch der "A" GmbH für 2004 vor und erklärte hierzu:

Das Posteingangs- und das Fristenkontrollbuch sei mit dem von der Datev zur Verfügung gestellten Programm "Post, Fristen und Termine", das integrierter Bestandteil des Programm-Pakets "Eigenorganisation" sei, erstellt worden. Diese Programm-Komponente weise einen ausreichenden Radierschutz auf. Nachträgliche Änderungen würden durch das Programm gesondert markiert. Für den Zeitraum April 2004 bis August 2005 sei die Programm-Komponente von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft "F" AG überprüft worden. Diese sei zu dem Ergebnis gekommen, dass "die Programm-Komponente bei sachgerechter Anwendung die Voraussetzungen für eine den Ordnungsmäßigkeitskriterien entsprechende Anwendung erfülle".

Im April 2004 habe die "A" GmbH ein kombiniertes Fax- und Kopiergerät vom Typ "G" mit Faxmodul verwandt. Dazu teilte die "H" unter dem 28.11.2007 mit:

Das o.g. Kopiersystem wurde in Ihrem Unternehmen auch als Faxgerät genutzt. Die Grundeinstellung für das Sende- und Empfangsprotokoll beim Faxbetrieb ist werksseitig deaktiviert. Diese Einstellung dient der Einsparung von Papier.

Wenn diese Funktion aktiviert ist, kann es jedoch zu Systemabbrüchen durch z.B. korrupte Druckaufträge oder bei Papierstau und folgendem Aus- und Einschalten des Systems zu Datenverlust führen. Ein nachträgliches Drucken der Protokolle ist nicht möglich.

In der mündlichen Verhandlung haben sich die Beteiligten in tatsächlicher Hinsicht darauf verständigt, dass die Klagefrist eingehalten ist. Die Vertreterin des Finanzamts hat erklärt, sie hebe die Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Einkommensteuer für 1999 und 2000 auf und verpflichte sich, die entsprechenden Einkommensteuererklärungen durch das Finanzamt sachlich bescheiden zu lassen. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt,

dass das beklagte Finanzamt unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung vom 19.1.2004 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 7.4.2004 auch ihre Einkommensteuererklärungen für 1997 und 1998 sachlich bescheidet.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Es ist der Ansicht, für 1997 und 1998 könne eine sachliche Bescheidung der Anträge auf Veranlagung zur Einkommensteuer nicht mehr in Betracht kommen - hier sei Festsetzungsverjährung eingetreten.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist zulässig - insbesondere ist die gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einmonatige Klagefrist eingehalten. Hierauf haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf Anregung des erkennenden Senats verständigt. Die Klageschrift ist am 16.8.2004 bei Gericht eingegangen und es konnte zur Überzeugung des erkennenden Senats nicht festgestellt werden, dass die Einspruchsentscheidung der damaligen Vertreterin der Klägerin bereits am 7.4.2004 bekanntgegeben worden war.

Zwar billigt Gregor einem OK-Vermerk einen vergleichbaren Wert wie dem Zustellungsbeleg beim Einschrieben zu (Der OK-Vermerk des Telefaxsendeprotokolls als Zugangsnachweis, NJW 2005, 2885). Nach den Normen des Normierungssektors der Internationalen Fernmeldeunion ITU, des ITU-T - insbesondere den Empfehlungen ITU-T T.4 und T.30, müsse nämlich das Empfangsgerät dem Sendegerät eine Rückmeldung über den Übertragungserfolg jeder einzelnen Seite geben. Das Sendeprotokoll beruhe damit nicht nur auf einer Selbstprüfung des Sendegeräts über die korrekte Absendung, sondern auf der Rückmeldung der Gegenstelle über dem Empfangserfolg. Auch wenn die Protokollierung selbst nicht normiert sei, könne davon ausgegangen werden, dass das Sendegerät ein "OK" im Protokoll nur dann ausgebe, wenn es von der Gegenstelle eine positive Bestätigung über den Empfangserfolg erhalten habe. ... Notfalls müsse nach § 144 Abs. 1 ZPO Beweis erhoben werden, sofern wenigstens behauptet werde, dass das sendende Faxgerät den OK-Vermerk nur bei positiver Rückmeldung der Gegenstelle ausgebe. ... Das Zustandekommen des OK-Vermerks sei zunächst einmal keine Rechtsfrage. Die ITU-Standards seien schließlich keine Normen im Sinne von Art. 2 EGBGB und § 12 EGZPO. Es bleibe also die Aufgabe der beweisbelasteten Partei, den Zusammenhang zwischen OK-Vermerk und der positiven Rückmeldung des Empfangsgeräts nachzuweisen.

Dies erscheint dem erkennenden Senat nicht durchgängig konsequent. Bleibt es Aufgabe der beweisbelasteten Partei, den Zusammenhang zwischen OK-Vermerk und der positiven Rückmeldung des Empfangsgeräts nachzuweisen, dürfte man einem OK-Vermerk nicht ohne Weiteres einen vergleichbaren Wert wie dem Zustellungsbeleg beim Einschreiben zubilligen können. Aber selbst wenn man in diesem Sinne unterstellte, dass das vom Finanzamt verwendete - sendende - Faxgerät den OK-Vermerk nur bei positiver Rückmeldung der Gegenstelle ausgibt und auch davon ausgeht, dass tatsächlich die vordere - beschriftete - Fläche der einzelnen Seiten der Einspruchsentscheidung (siehe BFH-Urteil vom 8.7.1998 I R 17/96, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1999,48) versendet wurden, ist es nicht auszuschließen, dass - wie von der Klägerin behauptet - "die Faxübermittlung des Finanzamts durch einen Neustart des Geräts nicht ausgedruckt wurde, obwohl faxseits der ordnungsgemäße Empfang signalisiert worden sei; denn bei dem damals verwendeten Gerät sei es durch die hohe Beanspruchung im Netzwerk regelmäßig zu Systemabstürzen gekommen, die ein Reset des Betriebssystems des Druckers notwendig machten und in einem solchen Fall seien die anstehenden Faxe, Ausdrucke und Kopien nicht mehr produziert wurden". Dann hätte die damalige Vertreterin der Klägerin den Inhalt der Einspruchsentscheidung nicht wahrnehmen können. Für die Wahrnehmbarkeit trägt indessen das Finanzamt die Feststellungslast. Denn die Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung muss gemäß §§ 366 Satz 2, 122 Abs. 1 AO schriftlich erfolgen - die Speicherung der übertragenen Daten bei dem empfangenden Faxgerät reicht nicht, die durch Fax übermittelte Einspruchsentscheidung muss vielmehr vom empfangenden Telefaxgerät auch noch ausgedruckt worden sein. Erst mit dem Ausdruck kann sie zugegangen sein (so BFH-Urteil vom 8.7.1998 I R 17/96, a.a.O.). Also müsste das Finanzamt beweisen, dass der Ausdruck tatsächlich erfolgt ist. Daran fehlt es hier.

An der Feststellungslast des Finanzamts für die Wahrnehmbarkeit der Einspruchsentscheidung ändert sich nichts dadurch, dass die damalige Vertreterin der Klägerin mit der Angabe einer Telefaxnummer auf ihren Briefbögen grundsätzlich die Bereitschaft gezeigt hat, Bekanntgaben ihr gegenüber könnten eben auch per Telefax erfolgen. Dies bedeutet indessen nicht, dass sie damit für den Ausdruck der bei ihrem empfangenden Faxgerät eingegangenen Daten einstehen wollte, weil sie dazu - etwa bei Systemabbrüchen - nicht durchgängig in der Lage sein konnte. Auch aus dem Gesichtspunkt der Risikosphäre kann keine Umkehr der Feststellungslast begründet werden. Belässt man die Feststellungslast dafür, dass das empfangende Faxgerät die übermittelten Daten tatsächlich ausdruckt, dem Absender - also hier dem Finanzamt - ergibt sich nichts anderes, als wenn man eine Bekanntgabe per Telefax wie eine solche mit einfachem Brief behandelte. Dem Absender bliebe damit - insbesondere bei dem von der Finanzverwaltung zu erledigenden Massengeschäft - immer noch ein ganz erheblicher Vorteil, nämlich die mit einer Bekanntgabe per Telefax grundsätzlich verbundene Kostenersparnis: Die Übersendung von 5 Seiten per Telefax machte hier 0,37 EUR aus, mit Übersendung per einfachem Brief durch die Deutsche Post wären 0,90 EUR angefallen - und bei beidem besteht gleichermaßen nicht die Gewähr, dass die Bekanntgabe tatsächlich gelingt. Wenn aber gerade und auch nur für den Absender an einer Bekanntgabe per Telefax wegen der damit verbundenen Kostenersparnis ein erhebliches Interesse besteht - ist es am Absender, die damit verbundenen Risiken zu tragen.

II.

Eine Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 74 FGO angesichts der beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Verfahren 2 BvL 55/06 und 2 BvL 56/06 kam nicht in Betracht.

Im Verfahren 2 BvL 55/06 ist allein Verfahrensgegenstand, ob § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1998 maßgeblichen Fassung vom 16.4.1997 (BGBl I 1997, 821) und im Verfahren 2 BvL 56/06 ist allein Verfahrensgegenstand, ob § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1996 maßgeblichen Fassung vom 25.2.1992 (BGBl I 1992, 297) mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar ist, als der Antrag auf Veranlagung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs zu stellen ist.

Denkbar wäre zwar, dass sich das BVerfG im Verfahren 2 BvL 56/06 näher mit der hier strittigen Frage der Festsetzungsverjährung auseinandersetzte.

Kulosa (in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 26. Auflage 2007, § 46 Rz 36) meint, diese Vorlage dürfte mangels Entscheidungserheblichkeit unzulässig sein, weil die Steuererklärung erst 6 Jahre nach Ablauf des Veranlagungszeitraums und damit nach Eintritt der allgemeinen Festsetzungsverjährung abgegeben worden sei - Gründe für eine Anlaufhemmung seien nach dem vom Finanzgericht festgestellten Sachverhalt nicht ersichtlich. Selbst wenn das BVerfG - so wie von Kulosa prognostiziert - entschiede, dürfte sich hieraus für den erkennenden Senat keine Bindungswirkung ergeben. Die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) erstreckt sich nicht auf die zu Inzidentfragen entwickelten Rechtsansichten, die das BVerfG zur Abweisung eines Antrags aus prozessualen Gründen bestimmt haben (Beschluss des BVerfG's vom 15.6.1988 1 BvR 1301/86, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerfG's (BVerfGE) 78, 320, 328).

Im Übrigen bedarf die Frage, wie sich die Festsetzungsverjährung bei einem Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer errechnet, nicht zwingend einer Entscheidung des BVerfG's - sie kann unter verfassungskonformer Auslegung auch allein anhand einfachgesetzlicher Normen beantwortet werden.

III.

Die Klage ist begründet.

Das beklagte Finanzamt hat die Einkommensteuererklärungen der Klägerin für 1997 und 1998 sachlich zu bescheiden.

Dem steht nicht § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG entgegen. Denn in dieser Norm wird in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes vom 20.12.2007 (BGBl. I S. 3150) allein noch darauf abgestellt, dass der Antrag auf Veranlagung - insbesondere zur Anrechnung von Lohnsteuer auf die Einkommensteuer - durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen ist, während es zuvor erforderlich war, dass der Antrag auch bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen war. § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes vom 20.12.2007 (BGBl. I S. 3150) ist gemäß § 52 Abs. 55 j Satz 2 EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und in Fällen, in denen am 28.12.2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Letzteres ist hinsichtlich der Einkommensteuererklärungen der Klägerin für 1997 und 1998 der Fall - hierüber ist noch nicht bestandskräftig entschieden.

Es ist auch keine Festsetzungsverjährung eingetreten - jedenfalls ist die Klägerin so zu behandeln. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre für Steuern ... , die keine Steuern oder Steuervergütungen im Sinne der Nummer 1 oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben im Sinne des Artikels 4 Nr. 10 und 11 des Zollkodexes sind - gilt also für die Einkommensteuer. Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung ... einzureichen ... ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung ... eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Jahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Diese Norm ist auch für die Einkommensteuerveranlagungen der Klägerin für 1997 und 1998 einschlägig. Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG hat der Steuerpflichtige für den abgelaufenen Veranlagungszeitraum eine Einkommensteuererklärung abzugeben. Danach begann die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuerveranlagungen der Klägerin für 1997 nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Jahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist - also mit Ablauf des Jahres 2000, weil die Klägerin bis dahin die entsprechende Einkommensteuererklärung noch nicht abgegeben hatte; die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuerveranlagungen der Klägerin für 1998 begann aus den gleichen Erwägungen mit Ablauf des Jahres 2001. Rechnet man die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO von vier Jahren hinzu, wäre Festsetzungsverjährung frühestens mit Ablauf des Jahres 2003 eingetreten - die Einkommensteuererklärungen der Klägerin für 1997 und 1998 sind davor beim beklagten Finanzamt eingegangen - nämlich am 12.12.2003.

Dass die Klägerin für diese Veranlagungszeiträume nicht nach § 56 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV) zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen verpflichtet war - insbesondere die Voraussetzungen von Satz 1 Nr. 2 dieser Norm nicht erfüllt sind - ist unerheblich. § 56 EStDV muss grundsätzlich nichts an der sich aus § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG ergebenden allgemeinen Steuererklärungspflicht ändern - was etwaige Konsequenzen mit Blick auf § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO angeht. Es ist schon zweifelhaft, ob die gesetzliche Verordnungsermächtigung für § 56 EStDV so weitreichende - § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO betreffende - Wirkungen haben sollte. Die gesetzliche Verordnungsermächtigung in § 51 Abs. 1 Nr. 1 a) EStG wurde durch das Steuerbereinigungsgesetz 1985 vom 14.12.1984 (BGBl. I 1984, 1493) dahin erweitert, dass durch RechtsVO auch Vorschriften erlassen werden können "über die Beschränkung der Steuererklärungspflicht auf die Fälle, in denen eine Veranlagung in Betracht kommt". Etwaige Konsequenzen mit Blick auf § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO brauchten seinerzeit vom Gesetzgeber - was eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG betrifft - nicht näher erwogen werden, weil sie ganz offensichtlich nicht auftreten konnten; denn seinerzeit galt nach Satz 2 dieser Norm, dass der Antrag auf Veranlagung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs zu stellen war - Festsetzungsverjährung konnte innerhalb dieser Zeit allein schon wegen der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer von vier Jahren von vorneherein nicht eintreten.

Außerdem bliebe § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG als latente gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Aufforderung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung auch und gerade in den Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 56 EStDV nicht gegeben sind. § 149 Abs. 1 Satz 2 AO reichte allein nicht aus. Die Norm gibt der Finanzbehörde nämlich kein Steuererklärungs-Erfindungsrecht (vgl. BFH-Urteile vom 11.10.1989 I R 101/87, BStBl. II 1990, 280 und vom 28.11.1990 I R 71/89, BStBl. II 1991, 440). Erforderlich ist vielmehr in aller Regel, dass Steuererklärungen in dem betreffenden Einzelsteuergesetz grundsätzlich vorgesehen sind (BFH-Urteil vom 11.10.1989 I R 101/87, a.a.O.). Wenn also § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG über den Anwendungsbereich des § 56 EStDV i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 a) EStG hinaus für ein Vorgehen nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO Bedeutung hat, kann dies auch für § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO angenommen werden.

Unabhängig davon wäre die Klägerin hier so zu behandeln, als wenn keine Festsetzungsverjährung eingetreten wäre - nämlich unter dem Gesichtspunkt des sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Rechtsstaatsprinzips. Danach müssen Normen inhaltlich hinreichend klar gefasst sein, um dem Bürger zu gestatten, sich ein eigenes Bild von der Rechtslage zu machen (beispielsweise Entscheidung des BVerfG's vom 5.8.1966 1 BvF 1/61, BVerfGE 20, 150 ff. (158)). Denn Verlässlichkeit des Rechts ist nur gegeben, wenn der Adressat auch den Inhalt der ihn betreffenden rechtlichen Regelungen mit hinreichender Sicherheit feststellen kann (beispielsweise Entscheidung des BVerfG's vom 30.5.1956 1 BvF 3/53, BVerfGE 5, 25 ff. (31 f.)). Gesetze müssen daher inhaltlich hinreichend klar und verständlich sein, damit rechtliche Entscheidungen für den Bürger vorhersehbar sind (Grzeszick in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Art. 20, November 2006, RdNr. 53). Stellte man allein auf § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG und § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO ab, hätte die Klägerin ihre Einkommensteuererklärungen für 1997 und 1998 am 12.12.2003 noch innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist abgegeben. Die genannten Normen sind für sich gesehen hinreichend klar und verständlich. Unsicherheiten in der rechtlichen Bewertung ergeben sich allein aus den Einschränkungen des § 56 EStDV - eben dahingehend, ob sich diese Norm auch auf den Beginn der Festsetzungsverjährungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO auswirkt oder ob demgegenüber dann nicht doch § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG mit Blick auf die rechtlichen Anforderungen an ein Vorgehen nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO weiterhin maßgebend ist. Es widerspräche indessen dem Gebot der Normenklarheit und -verständlichkeit, hier das Risiko dieser Unsicherheiten auf den Steuerpflichtigen zu verlagern.

Es kommt hinzu, dass diese Unsicherheiten ursprünglich gar nicht auftreten konnten - der Gesetzgeber sie also selbst nicht in seine Erwägungen einbeziehen musste. Sie sind eben erst nachträglich dadurch entstanden, dass ein Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer heute - und auch rückwirkend - nicht mehr innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren zu erfolgen hat. Entstehen nachträglich Unsicherheiten, die sich auf einen abgeschlossenen Geschehensablauf auswirken können, ist nach Ansicht des erkennenden Senats nach einer Art Meistbegünstigungsprinzip vorzugehen - aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit sind die Normen anzuwenden, die verfahrensrechtlich den weitestgehenden Spielraum eröffnen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.



Ende der Entscheidung

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