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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: 14 K 360/06 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 2
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 2
EStG § 70 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

14 K 360/06 Kg

Tenor:

Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 25.10.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.10.2006 verpflichtet, Kindergeld für den Sohn Klaus-Dieter für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 festzusetzen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist das Bestehen eines Kindergeldanspruches für das Jahr 2001. Der Kläger ist der Vater des Sohnes Klaus-Dieter (geboren am 17.02.1980), der im Streitzeitraum eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolvierte.

Mit Schreiben vom 17.11.2001 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass der Jahresverdienst seines Sohnes Klaus-Dieter auf Grund einer Lohnerhöhung in 2000 etwas über dem Bemessungssatz liege. Gleiches gelte auch für 2001.

Im Bescheid vom 04.02.2002 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für Klaus-Dieter ab dem 01.01.2000 gemäß § 70 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf. Zur Begründung stellte der Beklagte darauf ab, dass die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien, weil der Sohn Einkünfte und Bezüge von mehr als 13.500,00 DM im Kalenderjahr 2000 habe. Der Grenzbetrag der Einkünfte und Bezüge liege im Fall des Klägers bei 13.500,00 DM. Die Einkünfte und Bezüge des Sohnes betrügen 14.393,20 DM.

Mit Schreiben vom 15.10.2005 beantragte der Kläger unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.01.2005 die Gewährung von Kindergeld für die Jahre 2000 und 2001. Aus den beigefügten Verdienstbescheinigungen ergebe sich, dass die maßgeblichen Grenzbeträge nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge nicht überschritten würden.

Im Bescheid vom 25.10.2005 lehnte der Beklagte eine Kindergeldfestsetzung ab. Zur Begründung der Ablehnung verwies er auf die Bestandskraft des Bescheides vom 04.02.2002, dessen Bindungswirkung bis einschließlich des Monats seiner Bekanntgabe reiche. Die Festsetzung könne für den Zeitraum vom 01.01.2000 bis 28.02.2002 weder nach den Bestimmungen der Abgabenordnung (AO) noch des EStG aufgehoben oder korrigiert werden.

In der nach fristgerechter Einspruchseinlegung ergangenen Einspruchsentscheidung vom 10.01.2006 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit seiner am 26.01.2006 erhobenen Klage beantragt der Kläger sinngemäß,

den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 25.10.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.01.2006 zu verpflichten, für das Kind Klaus-Dieter Kindergeld für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Er bezieht sich auf die Gründe der ablehnenden Verwaltungsentscheidungen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.20001 ein Kindergeldanspruch für den Sohn Klaus-Dieter zu.

Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch sind erfüllt. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein in Ausbildung befindliches und über 18 Jahre altes Kind nur dann, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Ausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 14.040 DM im Kalenderjahr 2001 hat. Der genannte Grenzbetrag wird - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nach Abzug der gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht überschritten. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist nach dem Beschluss des BVerfG vom 11.01.2005 2 BvR 167/02 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2005, Beilage 3, 260) fassungskonform so auszulegen, dass nicht nur Bezüge, sondern auch Einkünfte des Kindes nur dann in den Jahresgrenzbetrag der Vorschrift einfließen, wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind. Die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge sind nicht zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt, da sie von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken.

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Anspruch auf Festsetzung des Kindergeldes nicht die Bestandskraft des Bescheides vom 04.02.2002 entgegen. Der Regelungsgehalt des Bescheides beschränkt sich auf die Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2000. Dem Bescheid ist keine Bindungswirkung für das Jahr 2001 beizumessen.

Der Umfang der Bindungswirkung eines Bescheides ergibt sich aus seinem Regelungsgehalt. Nach dem Entscheidungssatz (Tenor) des Bescheides vom 04.02.2002 hat der Beklagte die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 01.01.2000 gemäß § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben. Angaben zu einem konkreten Zeitraum der Kindergeldaufhebung enthält der Bescheid nicht. Aus dem Wortlaut des Tenors lässt sich nur entnehmen, dass die Aufbebung der Kindergeldfestsetzung auch in die Zukunft reicht. Die Dauer der Bindungswirkung ist deshalb ungewiss und durch Auslegung des Bescheides zu ermitteln.

Für die Auslegung eines Bescheides ist neben dem Tenor auf den materiellen Regelungsgehalt einschließlich der Begründung des Bescheides abzustellen (vgl. BFH-Beschluss vom 09.03.1995 X B 242/94, BFH/NV 1995, 858; BFH-Urteil vom 11.07.2006 VIII R 10/05, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2007, 96; Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, § 118 AO Tz 50 f., § 119 AO Tz 5; Beermann/Gosch, AO/FGO und Nebengesetze, Kommentar, § 119 Rdnr. 5). Dabei kommt es gemäß den auch für öffentlich-rechtliche Willensbekundungen geltenden Auslegungsregeln der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht darauf an, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat, sondern darauf, wie der Kläger nach den ihm bekannten Umständen - nach seinem objektiven Verständnishorizont - den materiellen Gehalt der Erklärungen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Im Zweifel ist das den Kläger weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden darf (vgl. BFH-Beschluss vom 25.08.1981 VII B 3/81, BStBl II 1982, 34; BFH-Urteile vom 27.11.1996 X R 20/95, BStBl II 1997, 791 undvom 11.07.2006 VIII R 10/05, BStBl II 2007, 96). Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Bescheidadressat seine Entscheidung, ob er mit einem Rechtsbehelf gegen den Bescheid vorgehen will, an Hand der von ihm verstandenen Regelung einschätzt.

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ausschließlich damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag im Kalenderjahr 2000 übersteigen. Unter Berücksichtigung dieser Begründung konnte der Kläger den Bescheid dahin gehend verstehen, dass der Beklagte die Kindergeldfestsetzung ausschließlich für das Jahr 2000 geprüft hat und ausschließlich bindend für das Jahr 2000 das Kindergeld aufheben wollte.

Eine Ausdehnung der Bindungswirkung des Bescheides bis zum Ende des Monats, in dem der Bescheid bekannt gegeben wurde, vorliegend also bis Ende Februar 2002, würde eine Auslegung zu Lasten des Klägers darstellen. Aus diesem Grund ist die Rechtsprechung des BFH, wonach die im in einem Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid getroffene Regelung grundsätzlich Bindungswirkung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe hat (vgl. BFH-Urteil vom 28.01.2004 VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786 m.w.N.), nach der Auffassung des Senates auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar (vgl. ebenso Senatsurteil vom 23.08.2007 14 K 5328/05 Kg, n.v.; Revisionsverfahren III R 85/07).

Dementsprechend ist dem Kläger Kindergeld für das Jahr 2001 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.



Ende der Entscheidung

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