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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 23.08.2007
Aktenzeichen: 14 K 5328/05 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 1
EStG § 32 Abs. 4 S. 1
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

14 K 5328/05 Kg

Tenor:

Unter Änderung des Bescheides vom 17.08.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.11.2005 wird der Beklagte verpflichtet, Kindergeld für das Kind B, geboren am 24.09.1984, für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.04.2005 festzusetzen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 75 % und der Beklagte zu 25 %.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin Kindergeld für ihr Kind B für den Zeitraum Januar 2004 bis April 2005 zu gewähren ist.

Die Klägerin erhielt im Jahre 2004 für ihren Sohn B, geboren am 24.09.1984, Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.848 EUR. Mit Bescheid vom 18.04.2005 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 01.01.2004 auf und verfügte die Rückzahlung des von der Klägerin im Jahre 2004 bezogenen Kindergeldes. Die laufende Zahlung sei ab dem 01.01.2005 eingestellt worden. Dies begründete der Beklagte damit, dass die Einkünfte des Sohnes den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) für das Jahr 2004 überschritten hätten. Bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Sohnes zog der Beklagte die von B gezahlten Sozialversicherungsbeiträge nicht von seinem Bruttoarbeitslohn ab. Die Klägerin legte keinen Einspruch gegen diesen Bescheid ein.

Mit Urteil vom 11.01.2005 (2BvR 167/02), das am 13.05.2005 veröffentlicht wurde, entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Arbeitnehmerbeiträge eines Kindes zur gesetzlichen Sozialversicherung abweichend von der bisher vorherrschenden Rechtsauffassung nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen seien.

Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellte die Klägerin mit Schreiben vom 01.06.2005, eingegangen beim Beklagten am 02.06.2005, einen Antrag auf Rückerstattung des bereits zurückgezahlten Kindergeldes. Werde der Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Sozialversicherung in Höhe von 2.130 EUR und die Werbungskosten in Höhe von 1.552,20 EUR von dem Bruttolohn (10.238 EUR) ihres Sohnes B abgezogen, sei der Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überschritten.

Mit Bescheid vom 17.08.2005 lehnte der Beklagte den Antrag teilweise ab. Für den Zeitraum vom 01.01.2004 bis 30.04.2005 könne dem Antrag aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht stattgegeben werden. Mit Bescheid vom 18.04.2005 sei die Festsetzung des Kindergeldes für die Zeit ab 01.01.2004 aufgehoben worden. Die Bestandskraft des Bescheides und damit die Bindungswirkung seien bis einschließlich des Monats seiner Bekanntgabe (April 2005) eingetreten. Einer erneuten Entscheidung stehe die Bestandskraft des Bescheides entgegen. Kindergeld könne erst ab dem 01.05.2005 festgesetzt werden.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 08.09.2005, eingegangen beim Beklagten am 12.09.2005, Einspruch ein.

Zur Begründung des Einspruchs verwies die Klägerin zunächst auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW (VwVfG NRW), § 130 Abs. 1 Abgabenordnung (AO), § 2 Abs. 3 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) und § 44 Sozialgesetzbuch X (SGB X). Aus diesen Vorschriften leitete die Klägerin einen Anspruch auf Änderung der Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum 01.01.2004 bis 30.04.2004 her. Hinsichtlich der ausführlichen Begründung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 08.09.2005 vollinhaltlich verwiesen. Nachdem die Klägerin vom Beklagten darauf hingewiesen worden war, dass diese Vorschriften bei Kindergeldfestsetzungen nicht anwendbar seien, berief sich die Klägerin auf die Korrekturvorschriften § 70 Abs. 4 und 2 EStG sowie § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Aus dem Wortlaut des § 70 Abs. 4 EStG folge zum Einen, dass auf die Aufhebung oder Änderung ein Rechtsanspruch bestehe, und zum Anderen, dass es lediglich auf das nachträgliche Bekanntwerden der Grenzbetragsüber- oder Unterschreitung ankomme. Die Bestimmung setze nicht etwa eine Veränderung der Einkünfte oder der Bezüge des Kindes in rein tatsächlicher Hinsicht voraus. Ausreichend sei somit, dass sich die Einkünfte-/Bezügesituation des Kindes nachträglich in rechtlicher Hinsicht verändere und sodann (nachträglich) bekannt werde, dass der Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschritten werde. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Begriffe "Einkünfte" und "Bezüge" in § 70 Abs. 4 EStG wegen ihres Zusammenhangs mit § 32 Abs. 4 EStG in der gleichen Weise auszulegen seien, wie es das Bundesverfassungsgericht für diese Begriffe im Rahmen von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG getan habe. Denn für die sich im Rahmen von § 70 Abs. 4 EStG stellende Frage, ob der maßgebliche Grenzbetrag über- oder unterschritten werde, komme es auf die "Einkünfte und Bezüge" an, die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gerade als berücksichtigungsrelevant bezeichnet seien. Die hiernach relevanten Einkünfte des Sohnes der Klägerin hätten sich nachträglich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2005 verändert. Denn nun handele es sich bei den "Einkünften und Bezügen" im Sinne von § 70 Abs. 4 EStG nicht (mehr) um das von dem Sohn der Klägerin bezogene Bruttoeinkommen, sondern um das - um die Sozialversicherungsbeiträge geminderte - Nettoeinkommen.

Wenngleich § 70 Abs. 4 EStG vor allem die Fallkonstellation geregelt wissen wolle, in der erst im Jahresrückblick gesichert entschieden werden könne, ob der Freibetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschritten werde, sei es vorliegend aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, die Vorschrift auch auf die hier in Rede stehende Fallkonstellation anzuwenden. Der Wortlaut des § 70 Abs. 4 EStG sei verfassungskonform auszulegen. Eine verfassungskonforme Auslegung sei geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich seien, von denen nicht alle, aber zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führe. Würde vorliegend die Anwendbarkeit und Einschlägigkeit von § 70 Abs. 4 EStG verneint, so verstieße dies gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Denn dann würden ohne sachlichen Grund gleiche Sachverhalte ungleich behandelt. Während Bedienstete, die für das Kalenderjahr 2004 kein Kindergeld beantragt und erhalten hätten, diese Leistungen nun noch erhalten könnten, werde die Leistung Bediensteten - wie der Klägerin - nicht gewährt, weil ihnen gegenüber entsprechende Festsetzungen bereits ergangen seien. Das der Rückforderungsbescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen worden sei, ändere an dieser Ungleichbehandlung nichts. Dies vor allem auch deshalb, weil die Bescheide im Hinblick auf das anhängige verfassungsgerichtliche Verfahren in rechtswidriger Weise nicht lediglich vorläufig im Sinne des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO ergangen seien.

Darüber hinaus erlaube auch § 70 Abs. 2 EStG die Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides. Denn anders als § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO spreche die Vorschrift nicht von "Tatsachen", sondern von "Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind". Erfasst würden hiervon mithin nicht nur Veränderungen der tatsächlichen sondern auch der rechtlichen Verhältnisse. Vorliegend hätten sich die kindergeldrechtlich erheblichen Verhältnisse insoweit verändert, als sich das zu berücksichtige Einkommen im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verringert habe. Da sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur auf die zukünftigen, sondern gerade auch auf die zurückliegenden Zeiträume beziehe, sei die Änderung der hier maßgeblichen Verhältnisse bereits für das Jahr 2004 zu berücksichtigen.

Schließlich bestehe ein Rechtsanspruch auf Aufhebung des Bescheides nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Unter einem Ereignis im Sinne der vorbezeichneten Vorschrift sei jeder rechtlich relevante Vorgang zu verstehen. Dem Ereignisbegriff unterfielen sachverhaltsändernde Geschehnisse. Vorliegend habe sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die am 13.05.2005, d.h. nach dem Bescheid vom 18.04.2005 ergangen sei, der entscheidungserhebliche Sachverhalt insoweit verändert, als sich das nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigende Einkommen verändert, nämlich verringert habe. Das Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO sei mithin nicht die gerichtliche Entscheidung, sondern das rechtlich relevante, sachverhaltsändernde Geschehnis der maßgeblichen Einkommensminderung. Der rückwirkende Charakter in Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO folge unmittelbar aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, weil sich diese gerade auf einen zurückliegenden Zeitraum beziehe und insbesondere das hier maßgebliche Jahr 2004 zum Gegenstand habe.

Mit Einspruchsentscheidung vom 28.11.2005 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies der Beklagte auf sein Schreiben vom 22.09.2005, in dem er ausgeführt hatte, dass die Änderung einer Rechtsauffassung, wie sie durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2005 eingetreten sei, keine Änderung im Sinne des § 70 Abs. 2 EStG darstelle. § 70 Abs. 2 EStG lasse Korrekturen nur für die Zukunft zu und sei daher für die Vergangenheit nicht anwendbar. Eine Korrektur nach § 70 Abs. 4 EStG sei ebenfalls nicht möglich, weil sich nicht die Einkünfte/Bezügesituation des Kindes sondern die Berechnungsform geändert habe. Auch § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO greife nicht ein, da eine Rechtsauffassungsänderung durch die Rechtsprechung weder eine neue Tatsache noch ein Beweismittel darstelle.

Die Klägerin hat am 23.12.2005 Klage erhoben.

Zur Begründung trägt die Klägerin ergänzend zu dem von ihr geltend gemachten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor:

Der Umstand, dass Bedienstete - etwa weil sie darauf angewiesen gewesen seien - die Gewährung von Kindergeld beantragt oder diese aus welchen Gründen auch immer - etwa aus Nachlässigkeit oder mangelndem akuten Bedarf - unterlassen hätten, sei rein zufällig und stelle keinen sachlichen Differenzierungsgrund im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG dar. Dies würde nämlich bedeuten, dass die Ungleichbehandlung an den Zeitpunkt des Kindergeldbegehrens anknüpfe. Eine solche Anknüpfung rechtfertige keine Ungleichbehandlung. Denn je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergäben sich unterschiedliche Grenzen der administrativen und gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reiche. Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern solle, unterliege die hoheitliche Gewalt in diesen Fällen regelmäßig einer strengen Bindung. Das gelte auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirke. Bei verhaltensbezogenen Unterscheidungen hänge das Maß der Bindung vor allem davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage seien, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Unterscheidungsmerkmale zu beeinflussen. Hinzukomme, dass der hoheitlichen Gewalt umso engere Grenzen gesetzt seien, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken könne. Bedienstete, die zum Leben und zur Versorgung ihrer Familie eine laufende monatliche Gewährung von Kindergeld beantragt hätten, seien auf das Kindergeld wirtschaftlich gerade angewiesen und hätten nicht die Möglichkeit, bis zum Abschluss des Jahres zu warten und erst dann für das abgelaufene Kalenderjahr einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld zu stellen. Das hier in Rede stehende Differenzierungsmerkmal betreffe daher die Person des Bediensteten selbst und nicht bloß dessen Verhalten. Es habe darüber hinaus auch maßgeblichen Einfluss auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten des Bediensteten und seiner auf ihn als Versorger angewiesenen Familie.

Ebenfalls kein rechtfertigender Grund sei freilich der Umstand, dass gegenüber den einen Bediensteten rechtsbehelfsfähige Bescheide ergangen seien und gegenüber dem anderen Bediensteten nicht. Denn der Erlass etwaiger Bescheide sei lediglich Folge der Beantragung von Kindergeld.

Die dargestellte Ungleichbehandlung führe außerdem auch zu einer Verletzung von Art. 33 Abs. 5 GG. Hiernach habe der Dienstherr die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu wahren und zu beachten. Diese hergebrachten Grundsätze würden insbesondere die Fürsorge und Schutzpflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Bediensteten beinhalten. Sie zwängen den Dienstherren, für das Wohl des Beamten und seiner Familie zu sorgen und darüber hinaus zu gesetzmäßigem Verhalten und zur Gleichbehandlung seiner Bediensteten. Die Fürsorge und Schutzpflicht beinhalte ferner, die Pflicht zur angemessenen Alimentation und die Gesetzesbindung von Besoldung und Versorgung sowie den Schutz der Familie des Bediensteten. Kindergeld und Familienzuschlag intendierten darüber hinaus gerade den Schutz und die Förderung von Ehe und Familie des Bediensteten. Denn Zielsetzung sei, die im Vergleich mit Kinderlosen verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit der Familie teilweise auszugleichen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass für die Würdigung der Kindergeldregelungen in ihrer sozialrechtlichen Funktion verfassungsrechtlich von Gewicht sei, dass der Gesetzgeber diese Regelungen in ein abgestimmtes System von Steuerentlastung und Sozialleistung eingefügt habe und dass es in jedem Fall, um die Erfüllung und Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages des Art. 6 Abs. 1 GG gehe.

Vor diesem Hintergrund widerspreche es dem beamtenrechtlichen Fürsorgeprinzip und damit Art. 33 Abs. 5 GG wenn der Beklagte eine vor dem Erlass seiner Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide ergangene bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung missachte und sich hiernach gegenüber seinen Bediensteten aus fiskalischen Gründen auf die eingetretene Bestandskraft der Bescheide berufe. Darüber hinaus ergebe sich aus dem dargestellten engen Zusammenhang zwischen Kindergeldgewährung und der hiermit bezweckten Sicherung der familiären Lebensgrundlage (Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG), dass an das oben genannte Differenzierungsmerkmal im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG ein enger Verhältnismäßigkeitsmaßstab anzulegen sei. Nach diesem Maßstab sei die geschilderte Ungleichbehandlung durch keinen rechtlichen Grund zu rechtfertigen.

Für den Fall, dass der Antrag der Klägerin vom 01.06.2005 positiv zu bescheiden sei und das Kindergeld mit Wirkung vom 01.01.2004 festzusetzen sei, entfiele der Rechtsgrund für die Rückforderung des von der Klägerin im Jahre 2004 bezogenen Kindergeldes. Die Klägerin habe dann eine öffentlich rechtlichen Erstattungsanspruch auf Zahlung von 1.848 EUR.

Sollte das Gericht der Auffassung sein, ein Rechtsanspruch der Klägerin auf Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides und Neufestsetzung des Kindergeldes ab dem 01.01.2004 läge nicht vor, so besäße die Klägerin jedenfalls einen Anspruch auf Neubescheidung. Denn die Ablehnung des Antrags durch den Beklagten sei ermessensfehlerhaft, da der Beklagte die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte, die beamtenrechtliche Fürsorge- und Schutzpflicht nicht hinreichend in seine Erwägungen einbezogen und deren Bedeutung im hier in Rede stehenden Fall verkannt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 17.08.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.11.2005 zu verpflichten, das Kindergeld für das Kind B für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.04.2005 festzusetzen

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Zur Begründung verweist der Beklagte auf seine Ausführungen im Grundbescheid vom 17.08.2005 und in der Einspruchsentscheidung vom 28.11.2005. Eine Korrekturnorm zu Gunsten der Klägerin greife nicht ein. Aus diesem Grund habe die Klägerin auch keinen Erstattungsanspruch gegen die beklagte Familienkasse. Ebenso stehe ihr kein Anspruch auf Neubescheidung zu.

Mit Beschluss vom 03.04.2006 wurde das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Verfahren III R 13/06 ruhend gestellt. Der BFH hat in dem Verfahren III R 13/06 am 28.06.2006 eine abschließende Entscheidung getroffen. Für das vorliegende Klageverfahren war somit der Grund für das Ruhen des Verfahrens entfallen. Die Klägerin bat dem Verfahren Fortgang zu geben.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist teilweise begründet.

Die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 2005 bis April 2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO). Denn der Aufhebungsbescheid vom 18.04.2005 entfaltet keine Bindungswirkung für die Kindergeldfestsetzung für den genannten Zeitraum. Dagegen ist die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 2004 bis Dezember 2004 im Bescheid vom 17.08.2005 rechtmäßig, da die Bindungswirkung des vorausgegangenen Bescheides vom 18.04.2005 einer Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2004 entgegensteht und auch die in Betracht kommenden Korrektur- bzw. Änderungsnormen des EStG sowie der Abgabenordnung (AO) nicht einschlägig sind.

Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind im Sinne des § 32 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Ausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 7.680,00 EUR (maßgeblicher Grenzbetrag für 2004 und 2005) hat. Im Streitfall übersteigen die Einkünfte und Bezüge des in Ausbildung befindlichen Kindes den Grenzbetrag nach Abzug der gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in den Jahren 2004 und 2005 unstreitig nicht.

Die von der Klägerin begehrte rückwirkende Kindergeldfestsetzung setzt voraus, dass eine Kindergeldfestsetzung für den beantragten Zeitraum noch nicht bestandskräftig abgelehnt oder bestandskräftig aufgehoben worden ist. Im vorliegenden Fall ist die Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2004 bestandskräftig und bindend mit dem Bescheid vom 18.04.2005 aufgehoben worden. Dagegen entfaltet der Aufhebungsbescheid keine Bindungswirkung für die Monate Januar bis April 2005.

Der Umfang der Bindungswirkung des Bescheides ergibt sich aus seinem Regelungsgehalt. Nach dem Entscheidungssatz (Tenor) des Bescheides hat der Beklagte die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 01.01.2004 gem. § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben. Angaben zu einem konkreten Zeitraum der Kindergeldaufhebung enthält der Bescheid nicht. Aus dem Wortlaut des Tenors lässt sich nur entnehmen, dass die Aufbebung der Kindergeldfestsetzung auch in die Zukunft reicht. Die Dauer der Bindungswirkung ist deshalb ungewiss und durch Auslegung des Bescheides zu ermitteln.

Für die Auslegung eines Bescheides ist neben dem Tenor auf den materiellen Regelungsgehalt einschließlich der Begründung des Bescheides abzustellen (vgl. BFHUrteil vom 11.07.2006 VIII R 10/05, BStBl II 2007, 96; BFHBeschluss vom 09.03.1995 X B 242/94, BFH/NV 1995, 858; Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, § 118 Rdnr. 50 f., § 119 Rdnr. 5; Beermann/Gosch, AO/FGO und Nebengesetze, Kommentar, § 119 Rdnr. 5). Dabei kommt es gemäß den auch für öffentlichrechtliche Willensbekundungen geltenden Auslegungsregeln der §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht darauf an, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat, sondern darauf, wie die Klägerin nach den ihr bekannten Umständen nach ihrem objektiven Verständnishorizont den materiellen Gehalt der Erklärungen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Im Zweifel ist das die Klägerin weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da sie als Empfängerin einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden darf (vgl. BFHUrteil vom 11.07.2006 VIII R 10/05, BStBl II 2007, 96; BFHUrteile vom 27. November 1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791 undBeschluss vom 25.08.1981 VII B 3/81, BStBl II 1982, 34). Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin als Bescheidadressatin ihre Entscheidung, ob sie mit einem Rechtsbehelf gegen den Bescheid vorgehen will, anhand der von ihr verstandenen Regelung einschätzt.

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ausschließlich damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag im Kalenderjahr 2004 übersteigen. Unter Berücksichtigung dieser Begründung konnte die Klägerin den Bescheid dahin gehend verstehen, dass der Beklagte die Kindergeldfestsetzung ausschließlich für das Jahr 2004 geprüft hat und ausschließlich bindend für das Jahr 2004 aufheben wollte. Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte in dem Bescheid mitgeteilt hat, dass er die Kindergeldzahlung ab dem 01.01.2005 eingestellt habe. Insoweit handelt es sich nur um einen tatsächlichen Hinweis, der nicht an der Bindungswirkung des Bescheides teil hat.

Eine Ausdehnung der Bindungswirkung des Bescheides bis zum Ende des Monats, in dem der Bescheid bekannt gegeben wurde, würde eine Auslegung zu Lasten der Klägerin darstellen. Aus diesem Grund ist die Rechtsprechung des BFH, wonach die in einem Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid getroffene Regelung grundsätzlich Bindungswirkung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe hat (vgl. BFH-Urteil vom 28.01.2004 VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786; BFH-Urteile vom 25.07.2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88 und VI R 164/98 BFHE 196, 257[BFH 25.07.2001 - VI R 164/98] , BStBl II 2002, 8 [BFH 05.09.2001 - X R 40/98] ), nach der Auffassung des Senates auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Dementsprechend ist der Klägerin Kindergeld für die Monate Januar bis April 2005 zu gewähren.

Der Kindergeldfestsetzung für das Kalenderjahr 2004 steht dagegen die Bindungswirkung des Aufhebungsbescheides vom 18.04.2005 entgegen. Zwar ist der Aufhebungsbescheid vom 18.04.2005 im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rechtswidrig, dies führt aber nicht zu einem Entfallen der Bindungswirkung, da der Aufhebungsbescheid nicht gemäß § 125 AO nichtig ist (§ 124 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO).

Der Aufhebungsbescheid ist materiellrechtlich rechtswidrig, da der für das Jahr 2004 maßgebliche Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nach Abzug der gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht überschritten wird. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist nach dem Beschluss des BVerfG vom 11.01.2005 2 BvR 167/02 (BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) verfassungskonform so auszulegen, dass nicht nur Bezüge, sondern auch Einkünfte des Kindes nur dann in den Jahresgrenzbetrag der Vorschrift einfließen, wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind. Die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge sind nicht zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt, da sie von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken.

Der Bescheid stand indes zum Zeitpunkt seines Ergehens im Einklang mit der Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch den BFH, wonach der Arbeitslohn nicht um die gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu kürzen war (vgl. BFH-Urteil vom 04.11.2003 VIII R 59/03, BStBl II 2004, 584 m. w. N.). Ein Bescheid, dessen Rechtswidrigkeit allein auf der unterschiedlichen Auslegung einer Rechtsnorm beruht, ist nicht nichtig (BFH-Urteil vom 21.03.1996 XI R 36/95, BStBl II 1996, 399). Dies gilt auch, wenn der Bescheid auf Grund einer verfassungskonformen Auslegung einer Rechtsnorm rechtswidrig geworden ist.

Diese Grundsätze finden nicht nur Anwendung in Fällen, in denen die Entscheidung erst ergeht, nachdem der Bescheid bestandskräftig geworden ist, sondern auch dann, wenn wie im Streitfall - die Entscheidung des BVerfG erst nach der Bestandskraft des Bescheides bekannt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 30.10.2006 III B 54/06, BFH/NV 2007, 236). Der auf den 11.01.2005 datierende Beschluss des BVerfG (2 BvR 167/02, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) konnte der Familienkasse bei Erlass des Bescheides vom 18.04.2005 nicht bekannt gewesen sein. Denn nach § 30 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BverfGG) entscheidet das BVerfG in geheimer Beratung. Anschließend wird die Entscheidung schriftlich abgefasst, begründet und von den Richtern, die an ihr mitgewirkt haben, unterzeichnet. Hat - wie in dem vorgenannten Verfahren des BVerfG - keine mündliche Verhandlung stattgefunden, wird die Entscheidung den Beteiligten bekannt gegeben (§ 30 Abs. 3 BVerfGG). Bei öffentlichem Interesse an der Entscheidung ergehen Pressverlautbarungen, die vom Vorsitzenden und Berichterstatter gebilligt werden müssen und erst veröffentlicht werden dürfen, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung den Beteiligten zugegangen ist (§ 32 der Geschäftsordnung des BVerfG). In der Regel gibt die zuständige Geschäftsstelle die Pressemitteilung einen Tag nach Veranlassung der Bekanntgabe heraus. Da die Pressemitteilung auf den 13.05.2005 datiert, konnte auch die Familienkasse erst im Mai 2005 von der Entscheidung des BVerfG Kenntnis erlangen (vgl. BFH, BFH/NV 2007, 236).

Der Beschluss des BVerfG vom 11.01.2005 2 BvR 167/02 lässt die Bestandskraft des Bescheides vom 18.04.2005 analog § 79 BVerfGG unberührt. Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BverfGG bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vorschrift gilt analog, wenn das BVerfG - wie im Streitfall - lediglich die Auslegung einer Norm für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat (vgl. Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 1 BvR 1905/02, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2006, 108).

Der Beklagten ist es auch nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Bestandskraft des Bescheides vom 18.04.2005 zu berufen. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu dem auch die Kindergeldfestsetzung als vom Gesetzgeber ausgestaltete Steuervergütung zählt (§ 31 Satz 3 EStG), können nach Treu und Glauben verwirkt werden. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses den Steuergläubiger wie den Steuerpflichtigen gleichermaßen, dass jeder auf die Belange des anderen Teils Rücksicht nimmt und sich insbesondere nicht mit seinem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch setzt (vgl. BFH-Urteil vom 09.08.1989 I R 181/85, BStBl II 1989, 990). Nach den (nicht generell und nicht abstrakt festgelegten) Rechtsfolgen, die aus einem treuwidrigen Verhalten erwachsen können, kann es den Verfahrensbeteiligten z.B. verwehrt sein, verfahrensrechtliche Befugnisse geltend zu machen (vgl. BFH-Beschluss vom 05.05.2003 II B 1/03, BFH/NV 2003, 1142). Voraussetzung ist u.a. ein Vertrauenstatbestand, also ein Verhalten, das geeignet ist, ein Vertrauen dahingehend zu wecken, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt wird (vgl. BFH, BFH/NV 2003, 1142).

Ein solcher Vertrauenstatbestand ergibt sich nicht aus der Tatsache, dass der Beklagte trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens zur Frage der Berücksichtigung der Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Grenzbetragsberechnung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG den ablehnenden Bescheid vom 18.04.2005 nicht mit einem Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO versehen hat. Voraussetzung wäre eine entsprechende Handlungspflicht des Beklagten, für die es jedoch an einer Grundlage fehlt. Im Streitfall könnte eine solche Handlungspflicht auf der Seite des Beklagten nur dann angenommen werden, wenn der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, den Kläger auf die verfassungsrechtlichen Bedenken und die spätestens ab Februar 2002 anhängige Verfassungsbeschwerde hinzuweisen. Nach § 89 AO trifft die Behörde die Verpflichtung, die Beteiligten bei der Abgabe von Erklärungen und Erstellung von Anträgen zu beraten, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder nicht abgegeben worden sind, und den Beteiligten - soweit erforderlich - über ihre Rechte und Pflichten Auskunft zu geben. Die Auskunfts- und Betreuungspflichten sind jedoch auf die formellen Rechte und Pflichten der Beteiligten beschränkt (vgl. Klein/Brockmeyer, AO, 8. Aufl., § 89 Rn. 4; Korella in Pump/Leitner, AO, § 89 Rn. 9; a.A. Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 89 Rz. 37). Eine Verpflichtung, den Bürger unaufgefordert auf die materielle Rechtslage hinzuweisen, kann aus § 89 AO nicht abgeleitet werden (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 02.10.2003 III ZR 420/02, Die öffentliche Verwaltung 2004, 217).

Bei einem Vorläufigkeitsvermerk handelt es sich um eine Nebenbestimmung i. S. des § 120 Abs. 1 AO. Erfolgt eine Steuerfestsetzung - bzw. wie im Streitfall eine Kindergeldfestsetzung - hinsichtlich einer bestimmten Festsetzungsgrundlage ohne Vorläufigkeitsvermerk, so muss der Kindergeldberechtigte dagegen Einspruch einlegen, den er auf die Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks beschränken kann. Eines vorherigen gesonderten Ablehnungsbescheides der Behörde bedarf es nicht. Der Kindergeldberechtigte kann sich vielmehr darauf beschränken, sein Begehren auf Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens zu machen (vgl. Brockmeyer DStR 1992, 1222, 1229). Die Klägerin hätte somit gegen den Bescheid vom 18.04.2005 Einspruch mit dem Antrag auf Anbringung eines Vorläufigkeitsvermerks stellen müssen.

Der Beklagte kann sich auch unter Berücksichtigung des Art. 3 Abs. 1 GG und des Art. 33 Abs. 5 GG auf die Bestandskraft des Bescheides vom 18.04.2005 berufen. Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt der bestandskräftige Bescheid einen rechtfertigenden Grund für die gerügte, unterschiedliche Behandlung dar. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH verstößt es nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, dass Kindergeldanträge für die Vergangenheit unterschiedlich beschieden werden, weil in dem einen Fall die Festsetzung von Kindergeld zuvor bereits bestandskräftig abgelehnt worden ist, und in einem anderen Fall nicht. Aus Gründen der Rechtssicherheit, die ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit ist, bindet die in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt getroffene Entscheidung die Beteiligten endgültig und unabhängig davon, ob sie richtig ist (BFH-Beschluss vom 09.07.2003 VIII B 40/03, BFH/NV 2003, 1422; BVerfG-Beschluss vom 20.04.1982 2 BvL 26/81, BVerfG 60, 253). Der Grundsatz der Rechtssicherheit gilt auch im Rahmen des Beamtenverhältnisses. Das Beamtenverhältnis ist nämlich kein einseitiges Fürsorgeverhältnis, sondern ein wechselseitig bindendes Verhältnis, das durch die verfassungsrechtlichen und allgemeinen Verwaltungsgrundsätze sowie das besondere Verwaltungsrecht geprägt wird.

Der Bescheid vom 18.04.2005 ist auch nicht aufzuheben oder zu ändern, da keine der in Betracht kommenden Korrekturvorschriften erfüllt ist. Nach den Grundsätzen der bereits zitierten BFH-Urteile vom 28.07.2006 III R 13/06 undvom 28.11.2006 III R 6/06 gilt: Die Korrekturvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG kommen im Streitfall nicht zur Anwendung, weil sie nicht für Bescheide gelten, mit denen - wie im Streitfall - eine Kindergeldfestsetzung abgelehnt oder aufgehoben wird (BFH-Urteil vom 21.01.2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910, unter 6. a, m. w. N.). Doch selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausginge, dass § 70 Abs. 2 und 3 EStG im Streitfall grundsätzlich anwendbar wären, wäre der Bescheid vom 18.04.2005 nicht nach diesen Vorschriften zu ändern.

Nach § 70 Abs. 2 EStG ist die Festsetzung des Kindergeldes aufzuheben oder zu ändern, soweit sich die für den Anspruch auf Kindergeld erheblichen Verhältnisse ändern. Die Aufhebung oder Änderung erfolgt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse. Eine Änderung der Verhältnisse i.S. des § 70 Abs. 2 EStG ist die Änderung der tatsächlichen oder auch rechtlichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes (vgl. BFH-Urteil vom 25.07.2001 VI R 18/99, BStBl II 2002, 81). § 70 Abs. 2 EStG ist daher nicht anwendbar, wenn die Familienkasse das Recht von Anfang an fehlerhaft angewandt hat (vgl. Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 70 EStG Anm. 13; Felix in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 70 Rdnr. C 7). Letzteres trifft im Streitfall zu. Der Beschluss des BVerfG in BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 hat nicht die rechtlichen Verhältnisse der Klägerin oder ihres Sohnes geändert, sondern nur die zum Zeitpunkt der Ablehnung der Kindergeldfestsetzung bereits bestehende Rechtslage festgestellt (so auch Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 70 EStG Rz. 12).

Nach § 70 Abs. 3 EStG käme im Streitfall eine rückwirkende Änderung wegen materieller Fehler des Bescheids schon deshalb nicht in Betracht, weil nach § 70 Abs. 3 Satz 2 EStG mit Wirkung ab dem auf die Bekanntgabe der Neufestsetzung oder der Aufhebung der Festsetzung folgenden Monat neu festgesetzt oder aufgehoben wird. Nach § 70 Abs. 3 EStG kann eine Festsetzung infolgedessen nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben bzw. geändert werden.

Der bestandskräftige Bescheid vom 18.04.2005 kann nach den Urteilen des BFH vom 28.07.2006 III R 13/06 undvom 28.11.2006 III R 6/06 auch nicht nach § 70 Abs. 4 EStG geändert werden. Nach dieser Vorschrift ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG über- oder unterschreiten. Nach seinem Wortlaut betrifft § 70 Abs. 4 EStG die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung. Unter Kindergeldfestsetzung ist nicht nur ein Bescheid zu verstehen, mit dem Kindergeld festgesetzt wird, sondern auch ein Bescheid, mit dem ein Antrag auf Kindergeld abgelehnt oder aufgehoben wird. Denn § 70 Abs. 4 EStG ordnet die Aufhebung oder Änderung der "Kindergeldfestsetzung" auch für den Fall an, dass das Unterschreiten bzw. das Nichtüberschreiten des Grenzbetrages nachträglich bekannt wird. Diese Tatbestandsalternative würde leer laufen, würde man für die Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG eine positive Kindergeldfestsetzung fordern.

Die Vorschrift rechtfertigt eine Aufhebung oder Änderung des Kindergeldbescheides aber nur, wenn nachträglich bekannt wird, dass sich die Einkünfte und Bezüge in der Prognose im laufenden Kalenderjahr erhöht oder vermindert haben, nicht aber, wenn sich ein von der Prognose abweichender Betrag ergibt, weil sich nach Erlass des Kindergeldesbescheides - wie hier aufgrund einer Entscheidung des BVerfG - die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geändert hat.

Diese Auslegung folgt aus dem Zweck des § 70 EStG sowie der Gesetzessystematik. Mit der Einführung des § 70 Abs. 4 EStG durch Artikel 1 Nr. 21 i.V.m. Artikel 8 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16.08.2001 (BStBl I 2001, 533) sollte sicher gestellt werden, dass die Festsetzung von Kindergeld für ein volljähriges Kind nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag "entgegen einer früheren Prognoseentscheidung der Familienkasse" überschreiten oder nicht überschreiten (BTDrucks 14/6160, S. 14). Eine Prognose (auch Vorhersage) wird hinsichtlich der im Laufe des Kalenderjahres zufließenden Einnahmen und der voraussichtlich anfallenden Ausgaben (Werbungskosten) getroffen. Das nachträgliche Bekanntwerden vom Überschreiten oder Nichtüberschreiten des Jahresgrenzbetrages bezieht sich somit auf von der Prognose abweichende tatsächliche Änderungen hinsichtlich des Betrages der Einkünfte und Bezüge, nicht aber auf Änderungen, die auf nachträglich ergangene Rechtsprechung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beruhen.

Die Systematik der Änderungsvorschriften des § 70 EStG bestätigt dieses Auslegungsergebnis. Nach § 70 Abs. 2 EStG sind Änderungen der für den Anspruch auf Kindergeld erheblichen Verhältnisse auch rückwirkend zu berücksichtigen. Hingegen sind nach § 70 Abs. 3 Satz 2 EStG materielle Fehler eines Kindergeldbescheides, d.h. Rechtsanwendungsfehler nur mit Wirkung ab dem auf die Bekanntgabe der Neufestsetzung oder Aufhebung folgenden Monat - mit Wirkung für die Zukunft - korrigierbar. Anders als in § 70 Abs. 3 EStG ist in § 70 Abs. 4 EStG auch keine entsprechende Anwendung des § 176 AO angeordnet, der das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Bestandskraft von Steuerbescheiden, soweit sie auf einer ihm günstigen Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Verwaltungsvorschrift beruhen, schützt. Hätte der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 70 Abs. 4 EStG auch Korrekturen von bestandskräftigen Kindergeldbescheiden bei Änderung der Auslegung einer Norm durch die Rechtsprechung ermöglichen wollen, hätte er in § 70 Abs. 4 EStG ebenfalls auf § 176 AO verwiesen (BFH, BFH/NV 2007, 338).

Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG im Streitfall nicht gegeben. Ein Unterschreiten des Grenzbetrages für das Jahr 2004 käme lediglich im Falle eines Abzugs von Sozialversicherungsbeiträgen nach der Entscheidung des BVerfG und somit aufgrund einer geänderten rechtlichen Beurteilung in Betracht.

Auch die Voraussetzungen einer der Änderungsvorschriften der AO sind nicht erfüllt. Die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften der §§ 172 ff. AO sind auf die Festsetzung einer Steuervergütung, wie dem monatlich gezahlten Kindergeld, sinngemäß anzuwenden (§ 155 Abs. 4 AO, § 31 Satz 3 EStG; vgl. BFH-Urteil vom 23.11.2001 VI R 125/00, BStBl II 2002, 296) und stehen zu § 70 Abs. 2 bis 4 EStG nicht im Verhältnis der Spezialität oder Subsidiarität (vgl. BFH-Urteil, BStBl II 2002, 81; sowie Greite in Korn, § 70 EStG Rz. 13).

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern, soweit nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Tatsache i.S. des § 173 AO ist, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen sind dagegen rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen oder eine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, d.h. eine andere rechtliche Wertung bereits bekannter Tatsachen (vgl. BFH-Urteil vom 20.12.1988 VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585, m. w. N.). Der Beschluss des BVerfG in BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 ist danach keine neue Tatsache, da er lediglich zu einer von der bisherigen Rechtsprechung des BFH abweichenden rechtlichen Beurteilung der bereits bekannten Tatsache der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Sohn des Klägers im Zusammenhang mit der Erzielung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit führt (BFH, BFH/NV 2006, 2204).

Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegt vor, wenn sich nach Ergehen eines Steuerbescheids der rechtserhebliche Sachverhalt in der Weise ändert, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (BFH-Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897). Eine andere rechtliche Beurteilung des unverändert bleibenden Sachverhalts genügt insoweit nicht (BFH-Urteil vom 19.08.1999 IV R 73/98, BStBl II 2000, 18 m. w. N.). Eine Gerichtsentscheidung ist daher nur dann ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn sie den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, rückwirkend verändert (BFH-Urteil vom 02.08.1994 VIII R 65/93, BStBl II 1995, 264, unter 2. a bb, m. w. N.). Hingegen ist die Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes durch das BVerfG kein Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Tipke/Kruse, AO/FGO, 16. Aufl., § 175 AO Tz 43). Der Beschluss des BVerfG in BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 führt im Streitfall nur zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des unverändert bleibenden Sachverhalts der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass sich die Entscheidung des BVerfG auf einen zurückliegenden Zeitraum bezieht. Die Rückbeziehung ist in dem vom BVerfG entschiedenen Fall möglich, da die Verwaltungsentscheidung durch Verfassungsbeschwerde angefochten wurde und somit nicht bestandskräftig geworden ist. Eine Korrekturvorschrift zur Durchbrechung der Bestandskraft war somit nicht erforderlich, so dass Rückschlüsse aus der Entscheidung des BVerfG auf den rückwirkenden Charakter im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht gezogen werden können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Ende der Entscheidung

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