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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: 18 V 1645/07 A(AO)
Rechtsgebiete: FGO, AO


Vorschriften:

FGO § 69
FGO § 69 Abs. 3
FGO § 69 Abs. 2
AO § 218 Abs. 1
AO § 231
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Vollziehung des Abrechnungsbescheids vom 02.04.2007 wird bis einen Monat nach Ergehen einer Entscheidung über den hiergegen eingelegten Einspruch ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Steuerrückstände wegen Zahlungsverjährung erloschen sind.

Der Antragsteller betrieb unter der Adresse Am "B" in "C" ein Restaurant, welches er zum 13.06.1995 veräußerte. Da der Kläger seinen Wohnsitz nicht in "C" hatte, wurde er beim Antragsgegner, dem Finanzamt "C1", lediglich umsatzsteuerlich und zum Zwecke der gesonderten Feststellung des Gewinns geführt. In seiner Gewerbe-Abmeldung vom 13.06.1995, welcher dem Finanzamt im Juli 1995 zuging, gab der Antragsteller als Wohnsitzadresse die Anschrift "D"weg in "E" an.

Im Oktober 1995 bat das Finanzamt "C1" das Finanzamt "E1", das (bisherige) Wohnsitzfinanzamt des Antragstellers, unter der Anschrift "D"weg wegen Steuerrückständen (u.a. die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis April 1995 betreffend) gegen den Antragsteller zu vollstrecken. Der Vollziehungsbeamte des Finanzamts "E1" teilte dem Antragsgegner im Dezember 1995 nach Durchführung eines Vollstreckungsversuchs mit, dass der Antragsteller laut Auskunft seiner Mutter nach Italien verzogen und seit drei Monaten unter der Anschrift "D"weg in "E" abgemeldet sei. Auf eine Anfrage vom 13. Dezember 1995 teilte das Einwohnermeldeamt der Stadt "C" dem Finanzamt "C1" noch im Dezember 1995 mit, dass der Antragsteller weder im aktuellen Bestand noch im Altdatenbestand zu ermitteln sei. Im Januar 1996 traf der Vollziehungsbeamte des Finanzamts "C1" den Antragsteller unter der Anschrift Am "B" in "C" an. Die daraufhin unter dieser Anschrift im Februar 1996 erfolgte Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung konnte jedoch nicht mehr zugestellt werden. Eine erneute Anfrage an das Einwohnermeldeamt der Stadt "C" nach dem Wohnsitz des Antragstellers vom 13. März 1996 wurde noch im März 1996 negativ beantwortet. Eine im Juni 1996 gestellte Anfrage der Vollstreckungsstelle des Finanzamts "C1" an das Bundeszentralregister zwecks Aufenthaltsermittlung des Antragstellers verlief ergebnislos.

Mangels Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung nahm das Finanzamt "C1" für den Voranmeldungsmonat Mai 1995 im Februar 1996 eine Schätzung vor. Im Dezember 1996 erließ das Finanzamts "C1" im Rahmen einer Schätzung einen Feststellungsbescheid (gesonderte Feststellung des Gewinns). Als Anschrift erhielt der Schätzungsbescheid die Adresse "D"weg in "E". Die entsprechende EStG 4 C Mitteilung übersandte das Finanzamt "C1" an das Finanzamt "E1" Ein Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid wurde nicht eingelegt. Im Dezember 1996 teilte das Finanzamt "E1" dem Antragsgegner mit, dass die entsprechende Mitteilung zuständigkeitshalber an das Finanzamt "E2", Steuernummer , weitergeleitet worden sei.

Im September 1997 schätzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für die Jahre 1994 und 1995 und setzte zugleich Nachzahlungszinsen sowie Verspätungszuschläge fest. Die Bescheide waren adressiert an ""A", "D"weg, "E" als Empfangsbevollmächtigten für "A", Am "B" in "C"". Gegen diese Bescheide wurde ebenfalls kein Einspruch eingelegt.

Im Dezember 2006 erließ das Finanzamt "C" eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der "F" Bank als Drittschuldner, nachdem eine Suchanfrage im Intranet der Finanzverwaltung ergeben hatte, dass der Antragsteller unter seiner nunmehrigen Anschrift beim Finanzamt "E3" steuerlich geführt wird und als Bankverbindung ein Konto bei der "F" Bank angegeben hatte.

Daraufhin beantragte der Antragsteller den Erlass eines Abrechnungsbescheids, weil er der Auffassung war und ist, dass die entsprechenden Steuerrückstände wegen Zahlungsverjährung bereits erloschen seien.

Mit Abrechnungsbescheid vom 2.4.2007 stellte das Finanzamt "C1" fest, dass ein Gesamtrückstand in Höhe von 5.551,55 EUR bestehe. Dieser resultiere aus Steuerrückständen der Umsatzsteuer 1994 und 1995 sowie des Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraums Mai 1995 nebst Nebenleistungen hierzu (Verspätungszuschläge, Nachzahlungszinsen sowie Säumniszuschläge). Des Weiteren seien noch Säumniszuschläge offen, die die Umsatzsteuer-Voranmeldungszeiträume Januar bis April 1995 beträfen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Abrechnungsbescheid beigefügten Kontoauszüge verwiesen.

Hiergegen legte der Antragsteller Einspruch ein, über den das Finanzamt "C1" bisher noch nicht entschieden hat. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wies es zurück und führte zur Begründung aus: Die Ansprüche seien Ende 2006 noch nicht erloschen. Die Zahlungsverjährung sei im Jahre 2001 unterbrochen worden. Denn das Finanzamt habe - wie der Vollstreckungsakte zu entnehmen sei - das Einwohnermeldeamt der Stadt "E" mit Schreiben vom 9.11.2001 um Mitteilung des Wohnsitzes des Antragstellers gebeten. Für diese Anfrage habe auch ein konkreter Anlass bestanden, weil der Antragsteller auf Anschreiben nicht reagiert habe und Mahnungen unbeantwortet geblieben sei.

Mit seinem bei Gericht gestellten Antrag begehrt der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung des Abrechnungsbescheids und führt seine bisherige Begründung ergänzend und vertiefend aus: Es sei bislang nicht nachgewiesen worden, dass die Anfrage seinerzeit überhaupt durchgeführt worden sei. Es sei offensichtlich, dass das Finanzamt "C1" lediglich durch - angebliche - Absendung einer Meldeanfrage die Verjährungsunterbrechung habe herbeiführen wollen, ohne dass konkrete Vollstreckungsmaßnahmen beabsichtigt gewesen seien.

Der Antragsteller beantragt,

den Abrechnungsbescheid vom 02.04.2007 von der Vollziehung

auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Bei dem Schreiben an das Einwohnermeldeamt der Stadt "E" vom 9.11.2001 habe es sich nicht um eine schematische Anfrage gehandelt. Denn es sei in der Vergangenheit mehrfach versucht worden, die Adresse des Antragstellers ausfindig zu machen. So sei das Einwohnermeldeamt der Stadt "E" bereits am 26.1.1999 angeschrieben und um Auskunft zu dem Wohnsitz des Antragstellers gebeten worden. Jedoch blieb bei dieser Anfrage wie auch bei der im Jahre 2001 erneut gestellten Anfrage eine Antwort der Stadt "E" aus. Dies stehe einer Zahlungsverjährung jedoch nicht entgegen, weil bereits die Anfrage verjährungsunterbrechende Wirkung habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Steuerakten und die Schriftsätze der Beteiligten im Antragsverfahren Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung -FGO- ist statthaft, weil auch der Abrechnungsbescheid einen im Sinne des § 69 FGO vollziehbaren Regelungsgehalt besitzt. Zwar kommt nach Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs (Beschluss des BFH vom 19. Januar 2006 VII B 301/05, BFH/NV 2006, 916-917 sowie vom 8. November 2004 VII B 137/04, BFH/NV 2005, 492; andere Ansicht Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 4. Mai 2005 6 V 3793/03, EFG 2004, 1276 mit zustimmender Anmerkung Wüllenkemper; Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss vom 3. November 1999 18 V 1776/99 A (AO), EFG 2000, 51) eine Aussetzung der Vollziehung von Abrechnungsbescheiden nicht in Betracht, soweit dieser lediglich feststellt, dass ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nicht erloschen ist. Begründet wird dieser Standpunkt in Anlehnung an die Entscheidung des Großen Senats zur Frage des vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen negativen Gewinnfeststellungsbescheid (vgl. Beschluss vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl. II 1987, 637) damit, dass vollziehbar nur solche Verwaltungsakte sind, deren Wirkung sich nicht auf eine Negation beschränkt, sondern die entweder selbst eine positive Regelung enthalten oder die eine in einem Bescheid enthaltene positive Regelung aufheben. Soweit ein Abrechnungsbescheid lediglich feststelle, dass ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis weder durch Zahlung noch aus sonstige Weise, insbesondere nicht durch Verjährung erloschen sei, erschöpfe sich seine Wirkung jedoch in dieser bloßen Negation, so dass der Abrechnungsbescheid in diesem Umfang nicht vollziehbar sei. Grundlage für die Verwirklichung der Ansprüche bleibe im Sinne des § 218 Abs. 1 AO die Steuerfestsetzung. Die Aussetzung der Vollziehung eines Abrechnungsbescheids komme daher nur ausnahmsweise in Betracht, so unter anderem dann, wenn mit ihm erstmals die Feststellung getroffen wird, dass Säumniszuschläge verwirkt sind (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 8. November 2004 VII B 137/04, BFH/NV 2005, 492 unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12.8.1999 VII R 92/98, BFHE 189, 331, BStBl II 1999, 751).

Der Senat folgt im Anschluss an das Hessische Finanzgericht (Beschluss vom 4. Mai 2005 6 V 3793/03, EFG 2004, 1276) und an seiner früheren Entscheidung (Beschluss vom 3. November 1999 18 V 1776/99 A (AO), EFG 2000, 51) dieser Ansicht nicht. Die Feststellung, dass ein Steueranspruch (z.B. mangels Zahlungsverjährung) nicht erloschen ist, stellt einen vollziehbaren Verwaltungsakt dar.

Besteht Streit über die Erfüllung einer Steuerschuld, so ist im Rahmen eines Abrechnungsbescheids die Feststellung zu treffen, ob und inwieweit der festgesetzte Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bereits verwirklicht oder noch zu verwirklichen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. April 2006 VII R 77/04, BFHE 212, 29, BStBl. II 2006, 578). Diese Feststellung bindet neben anderen Behörden und Gerichten auch die Vollstreckungsbehörde. Trifft der Abrechnungsbescheid daher die Feststellung, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (noch) nicht oder nicht vollständig erloschen sind, so ist die Vollstreckungsbehörde daran gehindert, die Vollstreckung nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung -AO- einzustellen oder zu beschränken, auch wenn sie abweichend von der im Abrechnungsbescheid getroffenen Feststellung der Ansicht ist, der betreffende Anspruch auf die Leistung sei bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Abrechnungsbescheids erloschen. Dies folgt aus der Tatbestandswirkung des Abrechnungsbescheids, der als feststellender Verwaltungsakt andere Gerichte und Behörde in den Grenzen der Bestandskraft bindet. Daher sind Verwaltungsakte, auch wenn sie fehlerhaft sind, grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind (vgl. zur Bindungswirkung des Abrechnungsbescheids auch Bundesfinanzhof, Urteil vom 27. April 1995 VII R 88/93, BFH/NV 1995, 859; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.09.2006 IX ZR 89/05, ZIP 2006, 2234). Diese Wirkung entspricht jedoch der eines negativen Gewinnfeststellungsbescheids, für den eine Aussetzung der Vollziehung anerkannt ist (vgl. Beschluss des Großen Senats vom 14.4.1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl. II 1987, 637 unter C. II 2. der Entscheidungsgründe; siehe auch Steinhauff in jurisPR-SteuerR 20/2006 Anm.4). Insoweit ist es folgerichtig, die Vorschriften über die Aussetzung der Vollziehung auch gegen Abrechnungsbescheide anzuwenden.

Der Vollziehbarkeit des Abrechnungsbescheid steht dabei ebenso wenig wie der Vollziehbarkeit eines negativen Gewinnfeststellungsbescheids entgegen, dass der Abrechnungsbescheid grundsätzlich keine Leistungspflicht begründet, sondern vielmehr die jeweilige Steuerfestsetzung Grundlage der Vollstreckung ist. Denn die Begründung einer Leistungspflicht ist nicht maßgebliches Kriterium für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsakt vollziehbar ist. Entscheidendes Merkmal ist vielmehr die Möglichkeit, von seiner Regelung Gebrauch zu machen, mithin die getroffene Entscheidung zu verwirklichen. Dies trifft jedoch auch für die in einem Abrechnungsbescheid getroffene Feststellung, dass eine Steuerschuld nicht erloschen ist, zu. Insoweit ist die (wirksame) Steuerfestsetzung als Grundlage für die Verwirklichung von Steueransprüchen zwar notwendige Voraussetzung, jedoch nicht hinreichende Bedingung für die Durchsetzung, wenn über das Erlöschen der Steueransprüche Streit besteht und hierüber bindend im Rahmen eines Abrechnungsbescheids zu entscheiden ist. Im übrigen begründet auch ein Abrechnungsbescheid eine Leistungspflicht und hat konstitutive Wirkung, wenn er die materielle Rechtslage unzutreffend wiedergibt, weil er zum Beispiel das Erlöschen eines zahlungsverjährten Steueranspruchs verneint.

2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.

Eine Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs.3 i.V.m. Abs.2 FGO unter anderem erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind gegeben, wenn eine überschlägige Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 28. November 1974 V B 52/73, BFHE 114, 169, BStBl. II 1975, 239). Dabei brauchen die Tat- und Rechtsfragen nicht abschließend geprüft zu werden (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 4. Mai 1977 I R 162-163/76, BFHE 123, 3-6, BStBl II 1977, 765). Denn das summarische Verfahren ist abgekürzt und vereinfacht. Dementsprechend hat ein Antragsteller die Tatsachen aus dem Bereich seiner Mitwirkungspflicht glaubhaft zu machen. Wegen der Eilbedürftigkeit des Aussetzungsverfahrens findet eine Beschränkung der Sachverhaltsprüfung auf den Akteninhalt der Finanzbehörde und auf präsente Beweismittel statt; weiter gehende Sachverhaltsermittlungen des Gerichts sind nicht geboten (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 21. Juli 1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116). Ferner gelten die Regeln über die Feststellungslast auch im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 17. März 1994 XI B 81/93, BFH/NV 1995, 171 und vom 04. Juni 1996 VIII B 64/95, BFH/NV 1996, 895).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe bestehen bei summarischer Überprüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheids.

a. Im Hinblick auf die im September 1997 vorgenommenen Schätzungen (Umsatzsteuerschulden 1994 und 1995, Festsetzung von Verspätungszuschlägen sowie Festsetzung von Nachzahlungszinsen) bestehen bereits ernstliche Zweifel an einer wirksamen Bekanntgabe der entsprechenden Festsetzungen und mithin an einer wirksamen Begründung der Zahlungsverpflichtungen. Die Schätzungsbescheide für die Jahre 1994 und 1995 aus September 1997 hatte das Finanzamt "C1" an die Adresse "D"weg in "E" übersandt. Insoweit kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller unter dieser Adresse im Zeitpunkt der Übersendung überhaupt wohnhaft war.

Denn die Mutter des Antragstellers hatte dem Finanzamt "E1" als ersuchte Vollsteckungsbehörde bereits im Dezember 1995 mitgeteilt, dass der Antragsteller sich seit drei Monaten nicht mehr in der Wohnung "D"weg in "E" aufhalte. Des Weiteren hatte das Finanzamt "E1" dem Antragsgegner im Dezember 1996 anlässlich der Schätzung der Gewinnfeststellung für das Jahr 1995 mitgeteilt, dass der Antragsteller nicht mehr beim Finanzamt "E1" , sondern beim Finanzamt "E2" geführt werde. Auch dieser Umstand spricht gegen eine Beibehaltung des bisherigen Wohnsitzes unter der Anschrift "D"weg in "E" . Im übrigen erfolgte auch keine Reaktion seitens des Antragstellers auf die an die Anschrift "D"weg übersandten Schätzungsbescheide, die auf einen entsprechende Kenntnis des Klägers von den Bescheiden hindeuten könnte. Letztlich ergibt sich auch aus der in der Vollstreckungsakte des Finanzamts "C1" enthaltenen und im Jahre 2007 durchgeführten Intranetauskunft ,dass der Antragsteller bereits zum 14.9.1995 aus der Wohnung "D"weg in "E" ausgezogen ist.

Der Einwand der unwirksamen Steuerfestsetzung ist im Streitfall auch beachtlich. Denn zum Regelungsgegenstand von Abrechnungsbescheid gehört auch die Frage, ob überhaupt und welche Zahlungsverpflichtungen (wirksam) begründet worden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 21. November 2006 VII R 68/05, BFH/NV 2007, 300).

b. Gleiches gilt für die Schätzung des Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraums Mai 1995 sowie der Festsetzung eines entsprechenden Verspätungszuschlags. Zwar wurden die betreffenden Bescheide bereits im Februar 1996 erlassen. Da jedoch nach summarischen Prüfung davon auszugehen ist, dass der Antragsteller bereits seit Oktober 1995 nicht mehr unter der Adresse "D"weg in "E" wohnhaft und dem Finanzamt "E1" seitdem die Anschrift des Klägers nicht mehr bekannt gewesen ist, bestehen ungeachtet der Frage, an welche Adresse der entsprechende Bescheid adressiert war, ernstliche Zweifel auch an der wirksamen Begründung dieser Zahlungsverpflichtungen.

c. Infolgedessen bestehen auch ernstliche Zweifel hinsichtlich der rückständigen Säumniszuschläge zu den Umsatzsteuerschulden 1994 und 1995 sowie zum Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraum Mai 1995. Denn aufgrund der ernstlichen Zweifel an einer wirksamen Festsetzung der Steueransprüche kann auch nicht von einer Entstehung von Säumniszuschlägen ausgegangen werden.

d. Hinsichtlich der im Abrechnungsbescheid aufgeführten rückständigen Säumniszuschläge zu den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Januar bis April 1994, deren Berechnung bis längstens März 1997 erfolgte, folgen die Zweifel an der Rechtmäßigkeit zwar nicht aus den Zweifeln an einer wirksamen Begründung der betreffenden Umsatzsteuer-Zahlungsverpflichtungen. Denn die entsprechenden Zahlungsverpflichtungen resultieren - soweit ersichtlich - aus Steueranmeldungen, welche nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung gleichstehen. Indes bestehen bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel daran, dass die betreffenden Säumniszuschläge mangels Zahlungsverjährung noch nicht erloschen sind. Im Streitfall kann nicht von einer Unterbrechung der Zahlungsverjährung im Jahre 2001 ausgegangen werden, mit der Folge, dass mit Ablauf des 31.12.2001 eine neue fünfjährige Verjährungsfrist begonnen (vgl. §§ 231 Abs. 3, 228 Satz 2 AO) und die Pfändung im Jahre 2006 zu einer weiteren Zahlungsverjährung geführt hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Ansprüche im Jahre 2006 bereits erloschen waren. Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, die Zahlungsverjährung sei durch eine Anfrage an das Einwohnermeldeamt der Stadt "E" am 9.11.2001 im Sinne des § 231 Abs. 1 Satz 1 AO unterbrochen worden, kann dem nicht gefolgt werden. Es bestehen bereits begründete Zweifel dahingehend, dass diese Anfrage überhaupt abgesendet worden ist. Denn die entsprechende Verfügung enthält ebenso wie die in den Akten zuvor enthaltene Anfrage vom 26.1.1999 keinen Postaufgabevermerk. Das Fehlen einer Antwort im Gegensatz zu den Anfragen, welche an das Einwohnermeldeamt der Stadt "C" gerichtet waren und kurzfristig beantwortet wurden, spricht ebenfalls gegen eine Absendung der Anfrage im Jahre 2001. Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel daran, ob eine Anfrage vom 9.11.2001 - eine Absendung unterstellt - überhaupt dazu geeignet war, die Zahlungsverjährung zu unterbrechen. Denn eine Verjährungsunterbrechung tritt nur dann ein, wenn durch die nach § 231 Abs. 1 Satz 1 AO genannten Maßnahmen zum Ausdruck kommt, dass die Finanzbehörde einen bestimmten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn nicht sofort, so doch später realisieren will. Danach reichen schematische Anfragen an das Einwohnermeldeamt, die nach den Umständen des Falls nicht erforderlich sind, nicht aus, um als "Ermittlungen" im Sinne des § 231 AO angesehen werden zu können. Sie können die Verjährung nicht unterbrechen. Erforderlich sind vielmehr ernsthafte Ermittlungen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. November 1992 VII R 63/92, BFHE 169, 493, BStBl. II 1993, 220). Im Streitfall ist die (unterstellte) Anfrage vom 9.11.2001 zwar anlässlich der Steuerrückstände und vor dem Hintergrund der fehlenden Kenntnis vom Wohnsitz des Antragstellers seitens der Vollstreckungsstelle erfolgt, was zunächst für die Ernsthaftigkeit der Ermittlung spricht. Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Ermittlungsmaßnahme bestehen jedoch, weil die Vollstreckungsstelle in Kenntnis der seit 2 Jahren unbeantworteten Anfrage eine erneute Anfrage an das Einwohnermeldeamt der Stadt "E" gestellt hat, ohne eine Postaufgabe zu vermerken bzw. eine Wiedervorlage einzutragen. Hinzu kommt, dass auch das im Jahre 1996 an das Bundeszentralregister erfolgte Auskunftsbegehren, welches ebenfalls unbeantwortet blieb, seitens des Finanzamts "C1" nicht weiter verfolgt wurde. Eine Rückfrage beim Bundeszentralregister blieb auch hier aus. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und dem Gebot des Rechtsfriedens ist fraglich, ob diese Vorgehensweise ausreichend ist, um noch von ernsthaften Ermittlungsbemühungen auszugehen, zumal erst fünf Jahre nach der im November 2001 (unterstellten) Wohnsitzanfrage weiter Vollstreckungsmaßnahmen erfolgten.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde war wegen der Abweichung vom Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 19. Januar 2006 VII B 301/05, BFH/NV 2006, 916, gemäß §§ 128 Abs. 3 Satz 2, 115 Abs. 2 Nr.2 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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