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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.03.2009
Aktenzeichen: 3 K 1738/07 Kg
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 1408/71, EStG


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 1408/71
EStG § 62
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, ein polnischer Staatsbürger, beantragte im März 2005 bei der Beklagten, der Familienkasse, die Gewährung von Kindergeld für seinen Sohn (geboren im September 1995). Er erklärte, der Sohn lebe zusammen mit seiner Mutter, der Ehefrau des Klägers, am Familienwohnsitz in Polen. Die Ehefrau sei dort am Krankenhaus als Ärztin nichtselbständig beschäftigt. Der Kläger selbst ist -nach eigener Darstellung als Landwirt selbständig erwerbstätig (bzw. erwerbstätig gewesen). In Deutschland ist er nicht sozialversichert. Weiterhin legte er ein Formular E 411 vor, worin die zuständige polnische Behörde bestätigt, dass dort kein Anspruch auf Familienleistungen bestehe, weil der Lohn der Ehefrau zu hoch sei. Daraufhin gewährte die Familienkasse dem Kläger (ungekürztes) Kindergeld für ab Februar 2005.

Im Oktober 2006 bat die Familienkasse den Kläger um Auskunft, ob er in Deutschland sozialversicherungspflichtig sei. Nachdem die Anfrage unbeantwortet blieb, hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes -EStG- ab November 2006 auf, weil der Kläger weiterhin den polnischen Rechtsvorschriften unterliege (Bescheid vom 27. Oktober 2006).

Hiergegen erhob der Kläger Einspruch. Er trug vor, die Begründung für die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung sei nicht nachvollziehbar. Die Familienkasse wies den Einspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, die Konkurrenz zwischen den Kindergeldansprüchen verschiedener Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werde gelöst durch Art. 76 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (konsolidierte Fassung, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L 28 vom 30.01.1997, S. 1) -im Folgenden: VO Nr. 1408/71 und Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21.3.1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 (konsolidierte Fassung, ABlEG Nr. L 28 vom 30.01.1997, S. 1) -im Folgenden: DVO Nr. 574/72. Im Streitfall falle der Kläger nicht in den Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71, weil er in Deutschland nicht in einem gesonderten Alterssicherungssystem der Selbständigen oder in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sei. Da das Kind in Polen lebe, sei unter diesen Umständen der Kindergeldanspruch der Ehefrau im Wohnland vorrangig (Einspruchsentscheidung vom 10. April 2007).

Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger trägt vor, er sei als selbständiger Trockenbauer in Deutschland tätig und habe hier einen Wohnsitz. Er erziele gewerbliche Einkünfte (5.213 EUR in 2005 und 10.815 EUR in 2006) und sei in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Damit stehe ihm deutsches Kindergeld zu; dieser Anspruch werde durch Art. 10 Abs. 1 DVO Nr. 574/72 bestärkt. Auf die Anfrage der Familienkasse und des Gerichts, ob der Kläger weiterhin in Polen sozialversichert ist (bei der KRUS oder der ZUS), hat der Kläger geäußert, seine Tätigkeit als Landwirt habe er vor Beginn seiner Tätigkeit in Deutschland aufgegeben, so dass seine Versicherung in der KRUS geendet habe; auch in Deutschland sei er nicht sozialversichert. Das Gericht hat den Kläger schließlich gemäß § 79 b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO aufgefordert dazulegen und durch Belege nachzuweisen, in welchem Zeitraum er in der KRUS sozialversichert (gewesen) sei. Daraufhin hat der Kläger eine Bescheinigung vorgelegt, dass er seit dem 30.03.2005 keiner Versicherung bei der ZUS unterliege. Ergänzend trägt er vor, es komme nicht darauf an, ob er jemals in Polen als Landwirt selbständig tätig sei, noch ob er in der KRUS oder der ZUS sozialversichert sei. Er sei in Deutschland einkommensteuerpflichtig - damit stehe ihm deutsches Kindergeld zu.

Der Kläger beantragt,

den Aufhebungsbescheid vom 27.10.2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.04.2007 mit der Maßgabe aufzuheben, ihm ab November 2006 weiterhin Kindergeld für seinen Sohn zu gewähren.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Kläger könne gemäß Art. 13 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 nur den Rechtsvorschriften eines Landes unterliegen, und zwar grundsätzlich des Landes, in dem er Sozialversicherungsbeiträge abführe. Da der Kläger in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig sei und auch keine Beiträge erbringe, sei davon auszugehen, dass er in Polen (Familienwohnsitz) weiterhin in die Sozialversicherung einbezogen sei. Damit sei nach DA 203.13 für den Kläger vorrangig polnisches Recht anwendbar und ein deutscher Kindergeldanspruch ausgeschlossen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vom Gericht beigezogene Kindergeldakte der Familienkasse Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Familienkasse hat einen Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seinen Sohn ab Oktober 2006 zu Recht versagt, weil die Anspruchsvoraussetzungen hierfür nicht erwiesen sind. Der gemäß §§ 62 ff. -EStG tatbestandsmäßig vorliegende Anspruch auf deutsches Kindergeld wird durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen, wenn der Kläger weiterhin in der polnischen Sozialversicherung für Landwirte KRUS sozialversichert ist. Da der Kläger trotz gerichtlicher Aufforderung seine Sozialversicherungszeiten in der KRUS nicht belegt hat, muss er die Folgen daraus tragen, dass ein deutscher Kindergeldanspruch nicht feststellbar ist.

1. Das deutsche Kindergeld fällt in den sachlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71; es ist eine Familienleistung i. S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung (Urteil des Bundesverfassungsgerichts BVerfG - vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung HFR 2004, 1139).

Wenn der Kläger weiterhin in der polnischen Sozialversicherung für Landwirte KRUS sozialversichert ist, unterliegt er auch dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung: zwar nicht im Hinblick auf seine in Deutschland selbständig ausgeübte Tätigkeit als Trockenbauer, weil er nicht in die deutsche Sozialversicherung eingegliedert ist. In Deutschland sind lediglich sozialversicherungspflichtige Selbständige vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 umfasst, und dies auch nur in engen Grenzen (vgl. Anhang I Teil I Abschnitt D der VO Nr. 1408/71; ausführlich Wüllenkemper Urteilsanmerkung in Entscheidungen der Finanzgerichte EFG 2008, 696); hierunter fällt der Kläger nicht. Jedoch unterfällt der Kläger mit einer selbständigen Tätigkeit als Nebenerwerbs-Landwirt in Polen dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71. Dabei kommt es nicht darauf an, in welchem Ausmaß der Kläger tatsächlich eine Landwirtschaft betreibt - weder die Größe des Hofes bzw. des ländlichen Anwesens noch der Umfang der landwirtschaftlichen Tätigkeit, die Menge der produzierten und ggf. verkauften landwirtschaftlichen Produkte sind von Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr einzig, dass eine Eingliederung als Selbständiger in die landwirtschaftliche Sozialversicherung besteht. Dieser Sichtweise entspricht Art. 1 Buchst. a) der VO Nr. 1408/71.

Im Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 ist die Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf Kindergeld zusteht, nach den Bestimmungen des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 zu entscheiden. Die anzuwendende VO Nr. 1408/71 geht in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 von dem Ausschließlichkeits-Grundsatz aus, nämlich dass alle Personen, die von der Verordnung erfasst werden, den Rechtsvorschriften ausschließlich eines Mitgliedsstaates unterliegen sollen (BVerfG-Beschluss vom 8. Juni 2004, a. a. O.; Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13. August 2002 VIII R 97/01, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 2002, 1588; des Europäischen Gerichtshofs -EuGH-Urteil vom 20. Mai 2008, Rechtssache Bosmann, C - 352/06, HFR 2008, 877, Randnrn. 17, 19). Wer zu einem bestimmten Zeitpunkt dem System der sozialen Sicherheit eines Landes unterliegt, soll auch nur nach diesem System Kindergeld erhalten. Diese Regelung dient der Gleichbehandlung aller in einem Mitgliedsstaat erwerbstätigen Arbeitnehmer und der Einfachheit der Rechtsanwendung, sie verhindert Anspruchskumulationen und Mitnahmeeffekte.

Für den Kläger gelten nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1408/71 im Streitzeitraum ausschließlich die polnischen (Kindergeld-) Vorschriften, die die Anwendung deutschen Rechts verdrängen. Denn der Kläger ist als sozialversicherter Landwirt in Polen Selbständiger i. S. der VO Nr. 1408/71, während er mit der selbständigen Tätigkeit in Deutschland als Trockenbauer nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Diese Anwendung des polnischen Rechts auf Familienleistungen ist auch interessengerecht: der Kläger hat in Polen seinen Familienwohnsitz, er ist dort in die polnische landwirtschaftliche Sozialversicherung eingegliedert (hat Beiträge entrichtet und Leistungen zu erwarten) und sein Sohn lebt in Polen - dagegen entrichtet der Kläger keine Beiträge in die deutsche Sozialversicherung. Anderes gilt im Bereich der Besteuerung: hier hat der Kläger, der in Deutschland einen Wohnsitz hat und Einkünfte erzielt, Anspruch auf Berücksichtigung eines Kinderfreibetrags zur steuerlichen Berücksichtigung der kindbedingten Aufwendungen.

2. Die nichtselbständige Beschäftigung der Ehefrau des Klägers in Polen führt zu keinem anderen Ergebnis. Da für den Kläger polnisches Recht vorrangig und ausschließlich anwendbar ist und für die Ehefrau nur polnisches Recht gilt, ergibt sich hieraus keine Kollision mit deutschem Kindergeldrecht.

3. Aus der Entscheidung des EuGH (EuGH-Urteil vom 20. Mai 2008, Rechtssache C - 352/06, HFR 2008, 877) ergibt sich nichts anderes. Der EuGH hat ausgeführt, dem Wohnsitzmitgliedstaat könne nicht die Befugnis abgesprochen werden, den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienbeihilfen zu gewähren, selbst wenn eine Person nach Art. 13 der VO Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften eines anderen Staates unterfalle. Hierum geht es jedoch im Streitfall nicht. Die Familienkassen in der Bundesrepublik Deutschland gewähren Kindergeld weisungsgemäß nur im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben, wenden also neben den Regelungen der §§ 31 f., 62 ff. EStG auch die der VO Nr. 1408/71, unter anderem Art. 13 ff. als unmittelbar geltendes Recht an. Die Familienkasse will nicht über die Regelungen des Art. 13 ff. VO Nr. 1408/71 hinaus Kindergeld gewähren, sondern verweigert vielmehr unter Bezugnahme auf diese Regelungen die Kindergeldgewährung - wie auch im Streitfall. Diese Befugnis hat ihr der EuGH nicht abgesprochen.

4. Dass im Streitfall nicht feststellbar ist, ob der Kläger im Zeitraum, für den er deutsches Kindergeld beansprucht, in der KRUS weiterhin sozialversichert (gewesen) ist, geht zu seinen Lasten. Es handelt sich hierbei um eine anspruchsbegründende Tatsache (nicht mehr bestehende polnische Sozialversicherung), für die der Kläger die Feststellungslast trägt. Zudem oblag es dem Kläger, da es sich um einen Auslandssachverhalt i. S. d. § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung -AO handelt, alle für ihn bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zur Aufklärung auszunutzen ( § 90 Abs. 2 Satz 2 AO). Da er bereits als Landwirt sozialversichert war, war es ihm möglich und zumutbar, von der KRUS eine Bescheinigung über seine Versicherungszeiten zu beschaffen; er hat ja sogar eine Negativ-Bescheinigung der ZUS vorgelegt, die nicht verlangt war.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO-.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Ende der Entscheidung

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