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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 22.10.2007
Aktenzeichen: 3 V 1703/07 A(L)
Rechtsgebiete: LStDV, EStG


Vorschriften:

LStDV § 2
EStG § 18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

3 V 1703/07 A(L)

Tenor:

Die Vollziehung des Nachforderungsbescheids vom 22.03.2007 wird bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den dagegen eingelegten Einspruch ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Einnahmen des Antragstellers aus dem ihm eingeräumten Liquidationsrecht für wahlärztliche Leistungen Arbeitslohn (§ 2 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung -LStDV-) oder Einnahmen aus selbständiger Arbeit (§ 18 Einkommensteuergesetz -EStG-) sind.

Der Antragsteller ist im Anstellungsverhältnis Chefarzt einer Klinik, die zur N GmbH (Klinikum) gehört. Nach dem mit dem Klinikum am 05.11.1987 abgeschlossenen Anstellungsvertrag "obliegt" dem Antragsteller "die stationäre Behandlung aller Kranken seiner Abteilung" und "die Untersuchung und Mitbehandlung der Kranken ... in anderen Abteilungen" (§ 3 Nr. 1 a und b). "Wahlärztliche Leistungen ... erbringt der Chefarzt persönlich oder ein von ihm beauftragter nachgeordneter Arzt" (§ 3 Nr. 8). Nach § 5 Nr. 1 erhält der Antragsteller eine Vergütung nach dem Bundesangestelltentarifvertrag. Gemäß § 5 Nr. 2 steht ihm "das Liquidationsrecht für die rein ärztlichen Leistungen zu ... bei der stationären Behandlung von Patienten ..., die eine persönliche Behandlung durch den Chefarzt ausdrücklich wünschen", was "bei der Aufnahme mit der Krankenhausverwaltung schriftlich zu vereinbaren" ist (§ 5 Nr. 2 a). Der Antragsteller hat 20 v. H. "seiner Bruttoeinnahmen aus dem stationären Bereich" auf Grund einer Abrechnung an das Klinikum "abzuführen" (§ 6 Nrn. 1 und 4). Gemäß § 7 ist der Antragsteller berechtigt, im Krankenhaus Selbstzahlerpatienten ambulant zu behandeln und für diese Tätigkeit unmittelbar mit den Patienten abzurechnen, wobei er 20 v. H. seiner Bruttoeinnahmen an das Klinikum zu erstatten hat. Der Antragsteller ist verpflichtet, die Mitarbeiter an seinen Liquidationserlösen angemessen zu beteiligen, wobei die Verteilung "über den Chefarzt erfolgt" (§ 8).

Wegen der weiteren Regelungen wird auf den vom Antragsteller vorgelegten Anstellungsvertrag Bezug genommen.

Bei der Aufnahme in die Klinik schließen die Patienten, die eine Behandlung durch den Antragsteller wünschen, mit dem Klinikum einen "Wahlleistungsvertrag" über "Zusätzliche Krankenhausleistungen" und "Zusätzliche wahlärztliche Leistungen" (Vertrag 1) und mit dem Antragsteller einen "Vertrag über die Inanspruchnahme wahlärztlicher Leistungen" (Vertrag 2) ab, wobei der Vertrag 1 auf das "Liquidationsrecht des Wahlarztes" verweist und im Vertrag 2 darauf hingewiesen wird, dass das Honorar an den Antragsteller persönlich zu zahlen ist.

Das Klinikum teilte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 28.02.2007 mit, dass es für den Antragsteller für den Monat Januar 2007 keine Lohnsteuer für die Liquidationseinnahmen des Antragstellers aus dessen wahlärztlichen Leistungen im stationären Bereich einbehalten hat und dass es von der Berechtigung zur nachträglichen Einbehaltung von Lohnsteuer gemäß § 41 c Abs. 4 EStG keinen Gebrauch machen wird.

Der Antragsgegner erließ daraufhin am 22.03.2007 für Januar 2007 einen Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag von insgesamt 29.771,91 Euro. Über den Einspruch gegen diesen Bescheid hat der Antragsgegner noch nicht entschieden. Nachdem der Antragsgegner einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, hat der Antragsteller bei Gericht mit im Wesentlichen folgender Begründung Aussetzung der Vollziehung des Nachforderungsbescheids vom 22.03.2007 beantragt:

Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, da die streitigen Honorareinnahmen Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit seien. Das Urteil des Bundesfinanzhofsvom 05.10.2005 VI R 152/01, Bundessteuerblatt II 2006, 94, auf das sich der Antragsgegner berufe, betreffe einen anderen Sachverhalt. Während es im Urteilsfall des Bundesfinanzhofs um einen "Totalen Krankenhausaufnahmevertrag ohne Arztzusatzvertrag" bzw. einen "Einheitlichen Wahlbehandlungsvertrag ohne Arztzusatzvertrag" gehe, bei dem die Klinik den Chefarzt in der Weise beteilige, dass sie die maßgebenden Behandlungsverträge abschließe, die Privatliquidation durchführe, die Rechnungen für die Chefarztbehandlung ausstelle und vereinnahme sowie dem Chefarzt den Honorarbetrag nach Abzug von Abgaben und Kosten auszahle, handele es sich im Streitfall um einen "Totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag" bzw. einen "Einheitlichen Wahlbehandlungsvertrag mit Arztzusatzvertrag", bei dem der Vertrag 1 mit dem Klinikum nur aus pflegesatzrechtlichen Gründen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) abgeschlossen werden müsse; der Antragsteller und das Klinikum seien durch den Abschluss beider Verträge gemeinschaftlich Schuldner der wahlärztlichen Leistungen, wobei der Antragsteller - anders als im Urteilsfall des Bundesfinanzhofs - den Patienten gegenüber direkt verpflichtet sei, also nicht lediglich Erfüllungsgehilfe des Klinikums sei. Folgende Merkmale sprächen für eine selbständige Tätigkeit des Antragstellers: Durch Abschluss des Vertrags 2 bestünden direkte Vertragsbeziehungen zwischen dem Antragsteller und den Patienten; Gläubiger des Honorars sei allein der Antragsteller. Nur bei Abschluss beider Verträge komme es zur wahlärztlichen Behandlung, bei deren Durchführung der Antragsteller selbständig und nicht weisungsgebunden sei. Anders als im Urteilsfall des Bundesfinanzhofs rechne der Antragsteller selbst bzw. durch eine von ihm beauftragte Abrechnungsstelle seine wahlärztlichen Leistungen ab und trage deshalb ein wirtschaftliches Risiko hinsichtlich des Ausfalls von Honorarforderungen; der Einwand des Antragsgegners, die Patienten seien krankenversichert, seien kein relevantes Argument gegen das Unternehmerrisiko des Antragstellers, da dies dann auch für niedergelassene Ärzte gelten müsse. Der Antragsteller, nicht das Klinikum, regele die finanzielle Beteiligung der Mitarbeiter. Aus der Möglichkeit des Antragstellers, auf eigene Liquidation zu verzichten (§ 6 Abs. 2 Anstellungsvertrag) lasse sich herleiten, dass es dem Antragsteller freistehe, eine wahlärztliche Behandlung abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung des Nachforderungsbescheids vom 22.03.2007 auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Ernstliche Zweifel an dem angefochtenen Lohnsteuernachforderungsbescheid bestünden nicht. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs VI 152/01 ergebe sich, dass folgende Merkmale für ein Vorliegen von Arbeitslohn sprächen: Die Erbringung der wahlärztlichen Leistungen gehöre zu den vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben des Arztes. Die Verträge über die wahlärztlichen Leistungen würden unmittelbar zwischen dem Patienten und dem Krankenhaus geschlossen. Der Arzt unterliege - mit Ausnahme seiner rein ärztlichen Tätigkeit - den Weisungen des leitenden Arztes des Krankenhauses. Der Arzt erbringe die wahlärztlichen Leistungen mit den Einrichtungen und Geräten des Krankenhauses. Der Dienstvertrag sehe ausdrücklich vor, dass die wahlärztlichen Leistungen im Verhinderungsfall vom Stellvertreter übernommen würden. Der Arzt habe nur begrenzte Möglichkeit den Umfang der wahlärztlichen Leistungen zu bestimmen. Vereinbarte wahlärztliche Leistungen bezögen sich nicht speziell auf die Leistungen des liquidationsberechtigten Arztes, sondern auf die Leistungen aller an der Behandlung beteiligten liquidationsberechtigten Ärzte des Krankenhauses. Der Arzt könne es nicht ablehnen, die mit dem Krankenhaus vereinbarten wahlärztlichen Leistungen zu erbringen. Das Risiko eines Forderungsausfalls sei zu vernachlässigen, weil die Patienten regelmäßig krankenversichert seien. Das Krankenhaus rechne über die wahlärztlichen Leistungen direkt mit dem Patienten ab und vereinnahme die geschuldeten Beträge. Dienstvertragliche Regelungen über die Abführung eines Nutzungsentgeltes an das Krankenhaus sowie die Beteiligung des nachgeordneten Arztes an den Honorareinnahmen bedeuteten lediglich eine Einschränkung des Liquidationsrechtes. Der Arzt trage kein Verlustrisiko, denn die Einbehalte seien nur aus den tatsächlich realisierten Honorareinnahmen aufzubringen.

Folgende Kriterien sprächen demgegenüber für eine selbständige Tätigkeit: Die Erbringung der wahlärztlichen Leistungen werde nicht gegenüber dem Krankenhaus geschuldet. Der Arzt vereinbare die zu erbringende wahlärztliche Leistung direkt mit dem Patienten und werde hierdurch unmittelbar verpflichtet. Nur der liquidationsberechtigte Arzt hafte für die von ihm vorgenommenen wahlärztlichen Behandlungen. Der liquidationsberechtigte Arzt rechne direkt mit dem Patienten ab und vereinnahme auch die geschuldeten Beträge.

Im Streitfall sei von einer lohnsteuerabzugspflichtigen Tätigkeit des Antragstellers auszugehen. Entscheidend sei dabei, ob die wahlärztliche Behandlung im Rahmen eines Dienstvertrags vorgenommen werde, was bei dem Antragsteller zu bejahen sei. Denn nach dem Anstellungsvertrag gehöre zu seinen Dienstaufgaben die Behandlung aller Patienten des Krankenhauses. Mit dem Abschluss des Vertrags 1 erwerbe der Patient einen Anspruch auf wahlärztliche Behandlung gegenüber dem Krankenhaus, den der Antragsteller auf Grund seines Anstellungsvertrags zu erfüllen habe. Dass dem Antragsteller für diese Leistungen Honorareinnahmen zustünden, stehe der Annahme von Arbeitslohn nicht entgegen; denn das Liquidationsrecht sei nicht ausschlaggebend für die Einordnung der Honorareinnahmen, da es nur eine Folge der hier entscheidenden Verpflichtung zur Behandlung von Privatpatienten ist. Dass der Patient mit Abschluss des Vertrags 2 zusätzlich auch gegenüber dem Chefarzt einen Anspruch auf wahlärztliche Leistungen erwerbe, vermöge an der rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern; anders zu entscheiden wäre nur, wenn der Vertrag mit dem Krankenhaus ausschließlich nichtärztliche Wahlleistungen beträfe. Bei der Erbringung seiner wahlärztlichen Leistungen sei der Antragsteller wegen der Benutzung von Geräten und Einrichtungen des Krankenhauses in den geschäftlichen Organismus des Krankenhauses eingebunden. Entgegen der Ansicht des Antragstellers habe dieser keine Entscheidungsfreiheit, die Behandlung eines Privatpatienten abzulehnen, da er im Regelfall auf Grund seiner dienstvertraglichen Verpflichtung Privatpatienten zu behandeln habe; dem Antragsteller fehle deshalb jegliche unternehmerische Entscheidungsfreiheit zum Vertragsabschluss. Dass der Antragsteller direkt mit den Patienten abrechne und selbst die Honorare vereinnahme könne angesichts des Umstandes, dass alle übrigen Kennzeichen für eine nichtselbständige Tätigkeit erfüllt seien, vernachlässigt werden. Die Einnahmen des Antragstellers aus wahlärztlichen Leistungen stellten daher Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit dar und unterlägen dem Lohnsteuerabzug.

Der Antrag ist begründet, da bei der im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nach dem gegenwärtigen Sachstand ernstlich zweifelhaft ist, ob die Honorareinnahmen des Antragstellers für die wahlärztlichen Leistungen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) und damit lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn (§ 2 LStDV) sind, und deshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids vom 22.03.2007 bestehen (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satze 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn eine überschlägige Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluss des Bundesfinanzhofsvom 14.09.1994 IX B 142/93, Bundessteuerblatt II 1995, 778). Dabei brauchen die Tat- und Rechtsfragen nicht abschließend geprüft zu werden (Urteil des Bundesfinanzhofsvom 04.05.1977 I R 172-173/76, Bundessteuerblatt II 1977, 765), denn das summarische Verfahren ist abgekürzt und vereinfacht. Wegen der Eilbedürftigkeit des Aussetzungsverfahrens findet eine Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere auf die Akten der Finanzbehörde und auf präsente Beweismittel statt; weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht geboten (Beschluss des Bundesfinanzhofsvom 21.07.1994 IV B 78/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 1995, 116).

Behält ein Arbeitgeber bisher nicht erhobene Lohnsteuer nicht ein und teilt dies dem Betriebsstättenfinanzamt mit (§ 41 c Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG), dann kann das Finanzamt die nicht erhobene Lohnsteuer nachfordern (§ 41 c Abs. 4 Satz 2 EStG). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es sich um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Arbeitslohn) handelt (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EStG), was im Streitfall hinsichtlich der Honorareinnahmen des Antragstellers für die wahlärztlichen Leistungen aus folgenden Gründen ernstlich zweifelhaft ist:

Ob ein Chefarzt einer Klinik wahlärztliche Leistungen selbständig oder unselbständig erbringt, beurteilt sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23.07.1964 V 8/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung HFR 1965, 347; Urteil des Bundesfinanzhofs VI R 152/01), wobei die für und gegen eine selbständige bzw. nichtselbständige Tätigkeit sprechenden Merkmale gegeneinander abzuwägen sind. Die maßgebenden Verhältnisse werden durch die Vertragsverhältnisse zwischen dem Krankenhaus, dem Chefarzt und dem Patienten und deren tatsächliche Durchführung bestimmt.

Das Verhältnis des Antragstellers zum Klinikum wird durch den Anstellungsvertrag vom 05.11.1987 geregelt, das Verhältnis des Patienten zum Klinikum und zum Antragsteller als behandelndem Chefarzt durch die Aufnahmeverträge. Bei den Krankenhausaufnahmeverträgen haben sich in der Praxis drei typische Gestaltungsformen herausgebildet, und zwar erstens der totale Krankenhausaufnahmevertrag ohne Arztzusatzvertrag, bei dem der Patient nur mit dem Krankenhaus einen Aufnahmevertrag über alle für die stationäre Behandlung erforderlichen Leistungen einschließlich der wahlärztlichen Leistungen abschließt, zweitens der totale Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag, bei dem der Patient neben dem Aufnahmevertrag mit dem Krankenhaus über alle Leistungen für die stationäre Behandlung einschließlich der wahlärztlichen Leistungen einen weiteren Vertrag mit dem Arzt über die wahlärztlichen Leistungen abschließt, und drittens der gespaltene Krankenhausaufnahmevertrag, bei dem mit dem Krankenhaus ein Vertrag allein über die nichtärztlichen Leistungen und mit dem Arzt ein Vertrag über die ärztlichen Leistungen abgeschlossen wird (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.02.1998 III ZR 169/97, Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 1998, 1778; Genzel in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage, § 93 Randnummern 2 - 8). Wie sich aus den vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen ergibt, werden in der Klinik des Antragstellers totale Krankenhausaufnahmeverträge mit Arztzusatzvertrag abgeschlossen, während nach der Sachverhaltsschilderung im Urteil des Bundesfinanzhofs VI R 152/01 offensichtlich ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag ohne Arztzusatzvertrag abgeschlossen worden ist.

Nach dem gegenwärtigen Sachstand überwiegen bei Gewichtung und Abwägung aller Umstände des Sachverhalts die Merkmale, die für eine selbständige Tätigkeit des Antragstellers bei der Erbringung wahlärztlicher Leistungen sprechen. Der Abschluss des Vertrags mit dem Antragsteller führt - neben dem Behandlungsanspruch gegen das Krankenhaus auf Grund des Vertrags mit dem Krankenhaus - auch zu einem unmittelbaren Anspruch des Patienten gegen den Antragsteller auf Erbringung der vereinbarten wahlärztlichen Leistungen, den der Antragsteller nach dem Vertrag "persönlich" zu erfüllen hat; nur bei "unvorhersehbarer Verhinderung" des Antragstellers sieht der Vertrag mit dem Antragsteller "bei nicht verschiebbarer Behandlung" eine Behandlung durch Stellvertreter des Antragstellers vor. Wie sich weiter aus dem Vertrag mit dem Antragsteller ergibt, ist das vom Antragsteller berechnete Honorar an diesen persönlich zu zahlen, d. h. der Antragsteller erwirbt unmittelbar einen Honoraranspruch gegen den Patienten, dessen Höhe er - wenn auch unter Berücksichtigung der Interessen des Patienten und des Krankenhauses, § 5 Nr. 3 Anstellungsvertrag - selbst festsetzen kann. Für eine selbständige Tätigkeit spricht auch, dass der Antragsteller die Honorare selbst einzieht bzw. durch eine Abrechnungsstelle einziehen lässt und damit ein gewisses Ausfallrisiko trägt; diese Einschätzung wird durch die mit Schriftsatz des Antragstellers vom 16.10.2007 vorgelegten Unterlagen bestätigt; dass die Patienten in der Regel krankenversichert sind, schwächt diese Indizwirkung nicht ab, da die Patienten eines niedergelassenen Arztes, der unstreitig Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt, ebenfalls krankenversichert sind. Die Regelung in § 5 Nr. 2 Anstellungsvertrag, wonach dem Antragsteller ein Liquidationsrecht für wahlärztliche Leistungen zusteht und der daraus folgende Abschluss des Arztzusatzvertrags weisen darauf hin, dass das Liquidationsrecht des Antragstellers nicht abgeleitet, sondern originär ist (Richardi in Münchener Handbuch des Arbeitsrechts - MünchArbR -, 2. Auflage, Band 2, § 204 Randziffer 47), was ebenso ein weiteres Anzeichen für eine selbständige Tätigkeit des Antragstellers ist wie der Umstand, dass der Antragsteller mit Abschluss des Arztzusatzvertrags - neben dem Krankenhaus - dem Patienten gegenüber vertraglich haftet (Genzel und Laufs in Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., § 93 Randnummer 7 und § 98 Randnummer 18). Das Gleiche gilt für die Regelung in § 8 Anstellungsvertrag, wonach der Antragsteller selbst die Verteilung eines Teils seiner Liquidationserlöse an nachgeordnete Mitarbeiter vorzunehmen hat. Wegen der großen Krankenhausdichte im näheren Umkreis steht der Antragsteller durchaus in einem Konkurrenzverhältnis zu Chefärzten anderer Kliniken und entfaltet mit seinen ärztlichen Leistungen deshalb eine nicht unerhebliche Unternehmerinitiative; das Finanzgericht München hat in seinem Urteil vom 27.04.2001 8 K 3699/98, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2002, 623, das der Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI R 152/01 zu Grunde liegt, eine Unternehmerinitiative des dortigen Chefarztes mit der Begründung verneint, im Einzugsbereich des Kreiskrankenhauses habe der Chefarzt keine Konkurrenten gehabt.

Der Antragsgegner verkennt nach Ansicht des Gerichts die dargestellten Auswirkungen der Arztzusatzverträge des Antragstellers mit den Patienten für die Gewichtung und die Abwägung der Merkmale für oder gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit, indem er zu sehr auf das Urteil des Bundesfinanzhofs VI R 152/01 abstellt, dem jedoch - wie dargestellt - ein anders gelagerter Sachverhalt zu Grunde liegt.

Dass der Antragsteller bei der Erfüllung seiner wahlärztlichen Leistungen durch die Benutzung von Geräten und Einrichtungen des Krankenhauses in die betriebliche Organisation des Krankenhauses eingebunden ist, spricht zwar für die Stellung eines Arbeitnehmers, erscheint dem Gericht angesichts des Umstandes, dass dies für die nicht stationäre ambulante ärztliche Tätigkeit des Antragstellers (§ 7 Anstellungsvertrag), die eine selbständige Tätigkeit ist, ebenso gilt, aber als nicht entscheidend; das gleiche gilt für die Kostenerstattung von jeweils 20 v. H. an das Krankenhaus für die Benutzung von Einrichtung und Geräten, die sowohl für den stationären Bereich als auch für die ambulante Tätigkeit des Antragstellers gleich hoch ist (§ 6 Nr. 1, § 7 Nr. 4 Anstellungsvertrag). Vergleichsweise neutral ist die Regelung in § 2 Nr. 1 des Anstellungsvertrags, wonach der Antragsteller an die "Weisungen des ärztlichen Direktors gebunden ist", da dem Ärztlichen Direktor vorwiegend organisatorische Führungs- und Leitungsfunktionen obliegen (Genzel in Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., § 89 Randnummer 21), während der Antragsteller bei seiner gesamten eigentlichen ärztlichen Tätigkeit "unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen ist" (§ 2 Nr. 2 Anstellungsvertrag).

Der Bundesfinanzhof stellt in seinem Urteil VI R 152/01 bei der Abwägung der Merkmale zu Recht maßgeblich darauf ab, ob die Erbringung der wahlärztlichen Leistungen zu den dem Krankenhaus vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben des Chefarztes gehört. Der Antragsteller leitet u. a. aus der Regelung des § 6 Nr. 2 Anstellungsvertrag, der von der Möglichkeit des Verzichts des Antragstellers auf sein Liquidationsrecht ausgeht, her, dass dem Antragsteller die Ablehnung einer wahlärztlichen Behandlung freistehe. Ob dieser Ansicht zu folgen ist, braucht abschließend für das vorliegende Aussetzungsverfahren nicht entschieden zu werden, weil für das Gericht selbst dann, wenn davon auszugehen ist, dass die Regelung der allgemeinen Dienstpflicht des Antragstellers in § 3 Nr. 1 Anstellungsvertrag auch die Erbringung der wahlärztlichen Leistungen mitumfasst, bei Abwägung aller konkreten Umstände des Streitfalls aus den genannten Gründen ernstlich zweifelhaft bleibt, ob die Honorareinnahmen des Antragstellers aus seinen wahlärztlichen Leistungen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit darstellen; allerdings sprechen die generelle, nicht in allgemeinärztliche und wahlärztliche Leistungen unterscheidende Formulierung "stationäre Behandlung aller Kranken" in § 3 Nr. 1 Anstellungsvertrag sowie die Regelung des Liquidationsrechts des Antragstellers in § 5 Anstellungsvertrag mit der Überschrift "Vergütung für Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich" eher dafür, dass die wahlärztlichen Leistungen in die allgemeinen Dienstaufgaben des Antragstellers eingeordnet sein sollten. Käme es für die Frage, ob selbständig oder unselbständig erbrachte Leistungen vorliegen, allein und ausschließlich darauf an, ob die wahlärztlichen Leistungen zu den vertraglichen Dienstaufgaben des Chefarztes gehören oder nicht, wäre die Abwägung der Umstände des Einzelfalls mit der Feststellung, wahlärztliche Leistungen gehörten zu den vertraglichen Dienstpflichten, beendet. Das hat aber auch der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung VI R 152/01, die - wie ausgeführt - einen anders gelagerten Sachverhalt mit überwiegenden Merkmalen für eine nichtselbständige Tätigkeit betraf, zu Recht nicht getan; das Gericht versteht den Bundesfinanzhof dahin, dass in jedem Fall, d. h. auch wenn die Erbringung der wahlärztlichen Leistungen zu den vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben gehört, eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist.

Dem Aussetzungsantrag war deshalb mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO stattzugeben.

Gemäß § 128 Abs. 3 FGO i. V. m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO war die Beschwerde zuzulassen, da die im Streitfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob die Honorareinnahmen eines angestellten Chefarztes eines Krankenhauses auf Grund eines ihm in seinem Anstellungsvertrag für stationäre wahlärztliche Leistungen eingeräumten Liquidationsrechts stets Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sind, wenn die Erbringung dieser wahlärztlichen Leistungen zu den dem Krankenhaus vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben gehört, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Ende der Entscheidung

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