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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 30.07.2008
Aktenzeichen: 4 K 361/08 Z
Rechtsgebiete: VO Nr. 2913/92 EWG, VO Nr. 398/2004


Vorschriften:

VO Nr. 2913/92 EWG Art. 24
VO Nr. 2913/92 EWG Art. 1 Abs. 1
VO Nr. 398/2004
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

4 K 361/08 Z

Tenor:

Die Verfahren 4 K 361/08 Z und 4 K 363/08 Z werden zu gemeinsamer Entscheidung unter dem Aktenzeichen 4 K 361/08 Z verbunden.

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird um eine Vorabentscheidung zu folgenden Fragen ersucht:

1. Ist Artikel 24 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl EG Nr. L 302/1) dahin auszulegen, dass das Separieren, Reinigen und Zerkleinern von Silicium-Metallblöcken sowie das anschließende Sieben, Sortieren und Verpacken der durch das Zerkleinern entstandenen Siliciumkörner eine ursprungsbegründende Be- oder Verarbeitung darstellt?

2. Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird: Ist die Verordnung (EG) Nr. 398/2004 des Rates vom 2. März 2004 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhr von Silicium mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl EU Nr. L 66/15) gültig?

Gründe:

I.

Die Klägerin meldete am 15. Juni und 12. August 2004 beim Hauptzollamt A aus Indien eingeführtes Silicium-Metall der Unterposition 2804 69 00 der Kombinierten Nomenklatur zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Das Silicium-Metall war ursprünglich in China hergestellt worden. Anschließend wurde es in etwa zwei mal drei Meter großen Blöcken an die in Indien ansässige Firma B geliefert. Dort wurden die Siliciumblöcke separiert, gereinigt und zerkleinert. Die nach der Zerkleinerung entstandenen Körner wurden gesiebt, nach ihrer Größe sortiert und schließlich verpackt. Die Reinigung des Siliciums geschah dergestalt, dass bei und nach der Zerkleinerung der Blöcke manuell sowie teilweise maschinell unerwünschte Schlackereste entfernt wurden. Danach wurde das Silicium mit einem Magneten behandelt, um freies Eisen zu entfernen. Der Reinheitsgrad des Siliciums, das zur Herstellung von Aluminiumlegierungen bestimmt war, betrug nach der Behandlung durch die Firma B mehr als 98,5 %. Dieser Reinheitsgrad war nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin für die spätere Verwendung des Siliciums zur Herstellung von Aluminiumlegierungen erforderlich.

Im Anschluss an Ermittlungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) gelangte das beklagte Hauptzollamt zu der Auffassung, dass das von der Klägerin angemeldete Silicium-Metall in Indien nicht einer ursprungsbegründenden Be- oder Verarbeitung unterzogen worden sei und daher seinen Ursprung in China gehabt habe. Es erhob deshalb von der Klägerin mit zwei Bescheiden vom 6. Juni 2007 insgesamt 99.974,74 EUR Antidumpingzoll nach. Dabei stützte es sich auf die Verordnung (EG) Nr. 398/2004 (VO Nr. 398/2004) des Rates vom 2. März 2004 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhr von Silicium mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl EU Nr. L 66/15).

Die Klägerin hat nach der erfolglosen Durchführung von außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren Klage erhoben, mit der sie vorträgt: Das Silicium-Metall sei in Indien einer ursprungsbegründenden Be- bzw. Verarbeitung unterzogen worden. Die Blöcke hätten durch die Zerkleinerung ihre ursprüngliche Form verloren. Die Ware habe auf eine konkret vorgegebene Körnung gebracht werden müssen. Ferner sei ein höherer Reinheitsgrad des Siliciums erzielt worden, indem die Schlacke mit einem erheblichen Arbeitsaufwand entfernt worden sei. Darüber hinaus sei die VO Nr. 398/2004 ungültig.

Das beklagte Hauptzollamt ist der Klage entgegengetreten und trägt vor: Bei den von der Firma B in Indien durchgeführten Arbeiten habe es sich um Minimalbehandlungen gehandelt. Diese seien nicht geeignet gewesen, einen Ursprung des Siliciums in Indien zu begründen. Die VO Nr. 398/2004 sei gültig.

II.

Der Senat setzt das bei ihm anhängige Klageverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 Unterabs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft die im Tenor formulierten Fragen zur Vorabentscheidung vor.

1. Die Entscheidung über die Klage hängt zunächst davon ab, ob Art. 24 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex - ZK -) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl EG Nr. L 302/1) dahin auszulegen ist, dass die durch die Firma B in Indien durchgeführte Behandlung des Silicium-Metalls als ursprungsbegründende Be- oder Verarbeitung anzusehen ist. Wäre dies der Fall, könnte schon deshalb auf die Einfuhr des Siliciums nach Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 398/2004 kein Antidumpingzoll erhoben werden, weil es sich dann nicht mehr um eine Ware mit Ursprung in der Volksrepublik China handeln würde.

Eine letzte wesentliche Be- oder Verarbeitung einer Ware i.S. von Art. 24 ZK ist anzunehmen, wenn das daraus hervorgegangene Erzeugnis besondere Eigenschaften besitzt und von einer spezifischen Beschaffenheit ist, die es vor der Be- oder Verarbeitung nicht hatte (EuGH-Urteile vom 26. Januar 1977 Rs. 49/76, Slg. 1977, 41 Randnr. 6 sowie vom 23. Februar 1984 Rs. 93/83, Slg. 1984, 1095 Randnr. 13). Die Be- oder Verarbeitung muss zu einer erheblichen qualitativen Änderung der Eigenschaften der Ausgangsware geführt haben, was eine erhebliche Änderung des Erzeugnisses voraussetzt (EuGH-Urteil in Slg. 1984, 1095 Randnr. 13 sowie EuGH-Urteil vom 15. Mai 2003 Rs. C-282/00, Slg. 2003, I-4741 Randnr. 33). Daher liegt eine wesentliche Be- oder Verarbeitung insbesondere dann vor, wenn ein neues, originäres Erzeugnis hergestellt worden ist (EuGH-Urteile vom 31. Januar 1979 Rs. 114/78, Slg. 1979, 151 Randnr. 11 sowie vom 17. Oktober 2000 Rs. C-114/99, Slg. 2000, I-8823 Randnr. 21). Maßgebend sind insoweit in erster Linie technische Kriterien, nur hilfsweise kann auf das Kriterium der Wertschöpfung abgestellt werden (EuGH-Urteile vom 13. Dezember 1989 Rs. C-26/88, Slg. 1989, 4253 Randnr. 19 f. sowie vom 8. März 2007 Rs. C-447, 448/05, Slg. 2007, I-2049 Randnr. 26 f.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat Zweifel, ob die von der Firma B in Indien durchgeführten Arbeiten zu einer erheblichen qualitativen Änderung der Eigenschaften der Ausgangsware geführt haben, wie dies das Amtsgericht Haarlem in seinem noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 10. Juni 2008 - AWB 07/852, 07/853, 07/854, 07/855 und 07/856 - angenommen hat. Das Beseitigen der Schlacke hatte zwar nach den unwidersprochenen Angaben der Klägerin zur Folge, dass der Reinheitsgrad des Siliciums nach der Behandlung durch die Firma B mehr als 98,5 % betrug. Es ist jedoch nicht bekannt, welchen Reinheitsgrad das Silicium vor seiner Ausfuhr aus China hatte. Fest steht nur, dass das Silicium sowohl vor als auch nach der Behandlung durch die Firma B in Indien einen Reinheitsgrad von weit weniger als 99,99 % hatte. Das Silicium-Metall war zudem bereits vor seiner Bearbeitung durch die Firma B zur Herstellung von Aluminiumlegierungen bestimmt, wenn es hierzu auch noch nicht unmittelbar geeignet war. Die Verunreinigungen des Metalls mit Eisen, Kalzium und Aluminium wurden in Indien auch nicht vollständig beseitigt. Es fragt sich daher, ob das Silicium nach seiner Bearbeitung durch die Firma B objektiv wesentlich andere Eigenschaften als zuvor aufwies. Es dürfte auch zweifelhaft sein, von einer bedeutenden Herstellungsstufe zu sprechen, wie dies der EuGH in seinem Urteil in Slg. 2003, I-4741 unter Randnr. 34 für das Raffinieren von Rohzucker aus Zuckerrüben zu dem Zweck, Weißzucker herzustellen, angenommen hat.

Im Streitfall kommt es - anders als in der beim EuGH anhängigen Rechtssache C-260/08 - nicht darauf an, welche Bedeutung den im Internet in englischer Sprache veröffentlichten sog. Listenregeln der Kommission für die Beantwortung der Frage zukommen kann, ob die Be- oder Verarbeitung einer Ware ursprungsbegründend ist. Denn nach diesen Listenregeln dürfte hier keine ursprungsbegründe Be- oder Verarbeitung des Siliciums durch die Firma B anzunehmen sein. Die Listenregeln der Kommission sehen in Kapitel 28 für Waren der Unterposition 2804 69 des Harmonisierten Systems in Verbindung mit Nr. 3 Buchstabe a der Anmerkungen zu Kapitel 28 vor, dass die Reinigung einer Ware nur dann ursprungsbegründend ist, wenn mindestens 80 % des Gehalts an vorhandenen Verunreinigungen beseitigt werden. Im Streitfall kann dies nicht festgestellt werden. Überdies ist unstreitig, dass das Silicium in Indien nicht nochmals eingeschmolzen worden ist, so dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass durch das bloße manuelle und maschinelle Beseitigen der Schlacke tatsächlich 80 % der vorhandenen Verunreinigungen beseitigt worden sind. Die Klägerin dürfte sich auch nicht auf Nr. 4 der Anmerkungen zu Kapitel 28 der Listenregeln der Kommission berufen können. Das bloße Zerkleinern einer Ware wird hiernach nicht als ausreichend angesehen ("other than by merely crushing").

2. Wenn die von der Firma B in Indien durchgeführte Bearbeitung des Siliciums nicht gemäß Art. 24 ZK als ursprungsbegründend anzusehen wäre, käme es darauf an, ob die VO Nr. 398/2004 gültig ist.

Der Senat hat unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichts erster Instanz (EuG) vom 14. März 2007 Rs. T-107/04 (ABl EU Nr. C 95/37) Zweifel an der Gültigkeit der VO Nr. 398/2004. Das EuG hat in dem vorgenannten Urteil die Verordnung (EG) Nr. 2229/2003 (VO Nr. 2229/2003) des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf Einfuhren von Silicium mit Ursprung in Russland (ABl EU Nr. L 339/3) für nichtig erklärt, soweit sie die Klägerin des dortigen Verfahrens betraf. Die VO Nr. 398/2004 und die VO Nr. 2229/2003 beziehen sich auf denselben Untersuchungszeitraum und denselben Bezugszeitraum (2. Erwägungsgrund zur VO Nr. 2229/2003 und 8. Erwägungsgrund zur VO Nr. 398/2004). Das EuG ist in seinem Urteil in der Rechtssache T-107/04 unter Randnr. 66 davon ausgegangen, dass die VO Nr. 2229/2003 allein deshalb für nichtig zu erklären sei, weil der Rat bei der Feststellung des Vorliegens einer Schädigung des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen sei, indem er fälschlicherweise im 46. Erwägungsgrund zur VO Nr. 2229/2003 angenommen habe, dass der Marktanteil des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft erheblich zurückgegangen sei. Nach dem 71. Erwägungsgrund zur VO Nr. 398/2004 ist der Rat bei dem Erlass dieser Verordnung davon ausgegangen, dass der Wirtschaftszweig der Gemeinschaft zwischen 1998 und 2000 zwar einen erheblichen Anstieg seiner Verkaufsmengen und seines Marktanteils habe verzeichnen können. Danach sollen jedoch die Verkaufsmengen und der Marktanteil stagniert haben. Dies widerspricht allerdings den Angaben in Tabelle 6 (50. Erwägungsgrund zur VO Nr. 398/2004) und in Tabelle 8 (53. Erwägungsgrund zur VO Nr. 398/2004). Danach sind die Verkaufsmengen des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft im Untersuchungszeitraum um 6 % gestiegen. Ferner konnte der Wirtschaftszweig der Gemeinschaft eine Ausweitung seines Marktanteils von 34,3 % in den Jahren 2000 und 2001 auf 36,7 % im Untersuchungszeitraum verzeichnen. Das EuG hat in seinem Urteil in der Rechtssache T-107/04 unter Randnr. 65 ausgeführt, dass die Entwicklung des Marktanteils bei der Feststellung einer Schädigung des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft von erheblicher Bedeutung sei.

Der Senat hat ferner Zweifel an der Gültigkeit der VO Nr. 398/2004, weil damit der Zollsatz von 49 % nach Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2496/97 (VO Nr. 2496/97) des Rates vom 11. Dezember 1997 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Silicium-Metall mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl EG Nr. L 345/1) aufrechterhalten worden ist. Die Dumpingspanne hatte sich jedoch von 68,1 % (24. Erwägungsgrund zur VO Nr. 2496/97) auf 12,5 % (27. Erwägungsgrund zur VO Nr. 398/2004) verringert. Die Aufrechterhaltung des Zollsatzes von 49 % durch Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 398/2004 könnte gegen Art. 9 Abs. 4 Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates vom 22. Dezember 1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl EG 1996 Nr. L 56/1), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1972/2002 des Rates vom 5. November 2002 (ABl EG Nr. L 305/1), verstoßen. Gemäß Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 384/96 bleibt eine Antidumpingmaßnahme nur in dem Umfang in Kraft, wie dies notwendig ist, um das schädigende Dumping unwirksam zu machen. Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, nach Art. 11 Abs. 8 VO Nr. 384/96 eine Erstattung des Antidumpingzolls zu beantragen. Denn diese Bestimmung setzt eine Veränderung der einer Einführung von Antidumpingzöllen zugrunde liegenden Werte nach deren Inkrafttreten voraus (EuG-Urteil vom 27. September 2005 Rs. T-134/03 und T-135/03, Slg. 2005, II-3923 Randnr. 145). Die Gültigkeit einer Verordnung zur Einführung eines Antidumpingzolls kann mit einem auf Art. 11 Abs. 8 VO Nr. 384/96 gestützten Erstattungsantrag nicht in Frage gestellt werden (EuGH-Urteil vom 24. Februar 1987 Rs. 312/84, Slg. 1987, 841 Randnr. 12).



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