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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.05.2006
Aktenzeichen: 4 K 4757/01 AO
Rechtsgebiete: AO, UStG


Vorschriften:

AO § 227
UStG § 2 Abs. 1
UStG § 14 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

4 K 4757/01 AO

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Umfang eines Erlasses von Nachzahlungszinsen.

Dem Streitfall liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin war zeitweise als Organträger an einer Organschaft beteiligt. Bis in das Jahr 2000 firmierte sie als A-AG und hatte ihren Sitz in M. Organgesellschaften waren die B-GmbH und die C-GmbH. Im Jahr 1998 übertrug die A-AG ihre Tochtergesellschaften B-GmbH und C-GmbH auf die D-GmbH (im Folgenden: D) als neuen Organträger. Der Sitz der A-AG wurde in der Folgezeit (wohl Anfang 2000) nach N verlegt. Ab dem 20. Juni 2000 firmierte die Klägerin als E-AG.

Die Organgesellschaften hatten in den Jahren 1994 bis 1996 unberechtigt Umsatzsteuerbeträge in Endrechnungen ausgewiesen.

Ab dem 19. Oktober 1998 fand eine Außenprüfung statt, die die fehlerhafte Behandlung der Umsatzsteuern in den Endrechnungen der (früheren) Organgesellschaften aufdeckte.

Schon vor Bekanntgabe des Prüfungsberichts vom 30. August 1999 erstattete das für den neuen Organträger zuständige Finanzamt O der D-GmbH am 21. Juni 1999 einen Guthabenbetrag von 3.457.919,57 DM.

Am 12. November 1999 erließ das Finanzamt M für Körperschaften an die A-AG für die Jahre 1994, 1995 und 1996 geänderte Umsatzsteuerbescheide, mit denen Unterschiedsbeträge zu Ungunsten der AG von 2.512.574,29 DM (1994), 1.428.347,84 DM (1995) und 1.377.267,63 DM (1996) und Zinsen nach § 233a AO in Höhe von 540.187 DM (1994), 221.386 DM (1995) und 130.834 DM (1996) festgesetzt wurden.

Der Gesamtbetrag der Umsatzsteuernachforderung für die Jahre 1994 bis 1996 betrug 5.318.191,81 DM mit Nachzahlungszinsen von insgesamt 892.407 DM. In den Erläuterungen der Bescheide ist angegeben:

Umsatzsteuer 1994:

Die nach § 14 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer wurde im Rahmen von Betriebsprüfungen folgender ehemaliger Organgesellschaften festgestellt:

B-GmbH ...

C-GmbH...

Die Gesellschaften sind mittlerweile aus dem umsatzsteuerlichen Organkreis ausgeschieden. Die Umsatzsteuer ist diesen Gesellschaften von den nunmehr zuständigen Finanzämtern erstattet worden.

Umsatzsteuer 1995 und 1996:

Die Erläuterungen beziehen sich insoweit nur auf die Organgesellschaft B-GmbH.

Am 08. Dezember 1999 wurde ein weiterer Guthabenbetrag von 1.860.272,17 DM gegenüber dem neuen Organträger D durch das Finanzamt O erstattet bzw. angerechnet, insgesamt wurden also 5.318.191,74 DM an D erstattet.

Am 17. Dezember 1999 berichtigte die Klägerin (noch als A-AG, M) gegenüber dem Finanzamt M für Körperschaften die Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 1999 in 5.318.191,81 DM (= Erstattungsanspruch des ehemaligen Organträgers):

"Diese Beträge wurden im Rahmen der Rechnungsberichtigung der ehemaligen Organgesellschaften im Januar 1999 dem Finanzamt gemeldet und werden nunmehr als Erstattungsanspruch des ehemaligen Organträgers in dieser berichtigten Voranmeldung geltend gemacht."

Am 20. Dezember 1999 leistete die Klägerin die Umsatzsteuernachzahlungen ihrer ehemaligen Organtöchter durch Verrechnung mit ihrem eigenen Körperschaftsteuerguthaben.

Unter dem 28. März 2000 stellte die Klägerin beim Finanzamt M für Körperschaften einen Antrag auf Erlass der Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer 1994 in Höhe von 540.187 DM, zur Umsatzsteuer 1995 in Höhe von 221.386 DM und zur Umsatzsteuer 1996 in Höhe von 130.834 DM, der in der Folgezeit auf die Mitteilung hin, dass wegen der Sitzverlegung die Akten an das zuständige Finanzamt in N abgegeben worden seien, um Stundungsanträge ergänzt wurde. Diesen wurde vom Finanzamt M entsprochen.

Am 29. August 2000 teilte das beklagte Finanzamt mit, dass der Erlass der Nachzahlungszinsen wie folgt beabsichtigt sei:

 für 1994477.375 DMRest: 62.812 DM
für 1995197.754 DMRest: 23.632 DM
für 1996130.834 DMRest: 0 DM

und erläuterte dies.

Daraufhin ließ die Klägerin am 19. September 2000 durch ihre Prozessvertreter mitteilen, der Guthabenbetrag sei nicht der Klägerin als berechtigtem Organträger erstattet worden, sondern fälschlicherweise an den neuen Organträger. Diese Erstattung sei mithin an einen Nichtberechtigten erfolgt. Die Klägerin verlange die Erstattung an sich.

Im Dezember 2000 gab der neue Organträger D eine berichtigte Umsatzsteuererklärung ab und zahlte den ihm zugeflossenen Betrag von 5.318.191,81 DM an das Finanzamt O zurück.

Mit Verfügung vom 17. Januar 2001 erließ das beklagte Finanzamt - wie angekündigt - Nachzahlungszinsen für 1994 in Höhe von 477.375 DM, für 1995 in Höhe von 197.754 DM und für 1996 in Höhe von 130.834 DM, so dass insgesamt noch 86.444 DM offen blieben, und führte aus:

Im Fall von geänderten Endrechnungen könnten die Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen gem. § 227 der Abgabenordnung - AO - dann erlassen werden, wenn den Nachzahlungszinsen für die Nachforderung keine Guthabenzinsen für den positiven Betrag gegenüberstünden, die entsprechend verrechenbar seien.

Ein weitergehender Erlass könne nicht in Betracht kommen, da die unbillige Härte, die die Voraussetzung für einen Erlass darstelle, ab dem Zeitpunkt nicht mehr vorliege, wo der Guthabenbetrag erstattet worden sei. Dies sei bereits zum 21. Juni 1999 bzw. 08. Dezember 1999 der Fall gewesen. Da ab diesen Daten der Liquiditätsvorteil auf Seiten der Steuerpflichtigen eindeutig bestanden habe, würde ein Vollerlass ausschließlich zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Es könne daher nicht unbillig sein, ab dem Zeitpunkt der Erstattungen die Zahlung der Zinsen zu verlangen.

Ebenfalls am 17. Januar 2001 übersandten die Prozessvertreter der Klägerin dem beklagten Finanzamt den folgenden Vergleich zwischen der E-AG, der D-GmbH und der B-GmbH, dessen Abschlussdatum aus den Akten nicht hervorgeht und auch in der mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt werden konnte:

"...

§1 Umsatzsteuernachforderungen B-GmbH

D machte aus berichtigten Rechnungsstellungen Umsatzsteuererstattungsansprüche beim Finanzamt O geltend und erhielt einen Betrag von DM 5.318.191,81. E, D und B streiten über die Fragen, welcher Partei letztendlich die Umsatzsteuererstattungen zustehen.

1. D verpflichtet sich, gegenüber dem zuständigen Finanzamt spätestens bis zum 15.01.2001 eine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 1999 einzureichen, in der die Erstattungsansprüche von insgesamt DM 5.318.191,81 nicht mehr ausgewiesen sind, und diese Erstattungsansprüche auch nicht anderweitig steuerlich geltend zu machen.

2. D verpflichtet sich, den Betrag von DM 5.318.191,81 unverzüglich nach Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 1999, spätestens aber bis zum 15.01.2001 an das zuständige Finanzamt zurückzuzahlen.

3. D verpflichtet sich, nach Treu und Glauben in zumutbarer Weise dabei mitzuwirken, dass das zuständige Finanzamt den Erstattungsbetrag von DM 5.318.191,81 an die E auszahlt.

..."

Der Betrag von 5.318.181,81 DM wurde der Klägerin vom Finanzamt am 14. Februar 2001 erstattet.

Mit Schreiben vom 26. Februar 2001 baten die Prozessvertreter der Klägerin um Überprüfung der Sach- und Rechtslage. Da die Erstattung der Guthabenbeträge zum 21. Juni und zum 08. Dezember 1999 durch das zuständige FA an einen Nichtberechtigten und die Erstattung an die Berechtigte erst im Januar 2001 erfolgt sei, seien die Nachzahlungszinsen zu erlassen.

Daraufhin lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 09. März 2001 einen vollständigen Erlass der Nachzahlungszinsen ab und führte aus:

Es stehe fest, dass auf Seiten der D-GmbH durch die Erstattung eindeutig ein Zinsvorteil bestanden habe. Dieser Zinsvorteil könne nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, indem ein vollständiger Zinserlass gewährt werde.

Die Zinsen für die E-AG und der Zinsvorteil auf Seiten der D-GmbH hätten in den zwischen ihnen bezüglich der gesamten Vorgänge geschlossenen Vergleich einbezogen werden müssen.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit einer Sprungklage, die mangels Zustimmung des Beklagten als Einspruch zu behandeln war.

Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2001 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Einwendungen zu der Steuerfestsetzung und den Prüfungsfeststellungen richteten sich im Ergebnis gegen die Richtigkeit der bereits rechts- oder bestandskräftigen Bescheide. Da objektive Unbilligkeiten i. S. dieses Billigkeitsverfahrens in der Regel durch eine interessengemäße Abwägung im Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelverfahren gegen die Abgabenfestsetzung oder maßgebende Prüfungsfeststellungen überprüft und ggf. auch behoben werden könnten, sei es grundsätzlich nicht Aufgabe des Verfahrens nach § 227 AO, diese Festsetzung neu aufzurollen und sachliche Einwendungen, die sich gegen die Berechtigung (Festsetzung) der Abgabe richteten, nunmehr im Erlass- bzw. Erstattungsverfahren zu überprüfen (Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - und des Bundesverfassungsgerichts). Es könne somit dahinstehen, dass die vorgebrachten Gründe einer fehlerhaften Festsetzung und der damit verbundenen Erstattung der Umsatzsteuer zum 27. Juni und 08. Dezember 1999 an die D-GmbH ggf. auch durch eine Hinterziehungshandlung ein Absehen von der Festsetzung der vorbezeichneten Abgaben in der Hauptsache gerechtfertigt hätten. Denn über die nunmehr hier erhobenen Einwendungen sei allenfalls in einem derartigen Verfahren zu befinden.

Führe die Festsetzung der Umsatzsteuer zu einer Steuerfestsetzung oder -erstattung, sei dies nach Maßgabe der Absätze 2 - 7 zu verzinsen (§ 233a Abs. 1 Satz 1 AO). Während der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis für alle Steuerpflichtigen kraft Gesetzes zu demselben Zeitpunkt entstehe, trete die Fälligkeit, da sie eine Konkretisierung des Anspruches durch Steuerfestsetzung voraussetze, bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein. Derjenige, dessen Steuer später festgesetzt werde, habe gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt werde, einen Zeitvorteil, der die Gleichmäßigkeit der Besteuerung in Frage stelle. Hier schaffe die Vollverzinsung einen Ausgleich. Dabei sei es unerheblich, ob die Überlassung des Kapitals mit oder gegen den Willen des Schuldners geschehe, denn die Verzinsung nach § 233a AO solle auch die Liquiditätsvorteile abschöpfen, zu denen es ohne Verschulden des Steuerpflichtigen gekommen sei (Tipke-Kruse, Abgabenordnung, § 233a AO Tz. 3; BFH, Urteile vom 08. September 1993 I R 30/93, Bundessteuerblatt - BStBl. - II 1994, 81 undvom 19. März 1997 I R 7/96, BStBl. II 1997, 446).

Die Zinsen sollten lediglich den Zinsvorteil des Schuldners bzw. den Zinsnachteil des Gläubigers ausgleichen. Die Zinsen gem. § 233 a AO behielten auch in den Fällen ihre Bedeutung, in denen ohne Hinzutun des Steuerpflichtigen eine angemessene Dauer des Steuerfestsetzungsverfahrens überschritten werde, und zwar auch für die Zeitspanne zwischen der zeitlich angemessenen und der tatsächlich späteren Festsetzung. Auf ein Verschulden irgendeines Verfahrensbeteiligten komme es nicht an, die Verzinsung solle auf keinen Fall eine Sanktion für irgendein eventuelles Fehlverhalten sein.

Da sich der Gesetzgeber bei der Verzinsung von Steuernachzahlungen nach § 233a AO zwar bewusst für das Sollprinzip entschieden habe, könne die Erhebung von Nachzahlungszinsen in besonderen Fällen sachlich unbillig sein, weil die Steuernachforderung lediglich darauf beruhe, dass die Steuer nicht rückwirkend in dem Besteuerungszeitraum der ursprünglichen Rechnungserteilung berichtigt werden könne. Umgekehrt gelte dasselbe, wenn das Finanzamt den Steuerbescheid, der eine Steuererstattung zur Folge habe, nicht selber fertige, sondern einer entsprechenden Umsatzsteuererklärung nach § 168 Abs. 2 AO zustimme.

Hier sei der sachlichen Unbilligkeit Rechnung getragen worden, indem die Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer 1994 -1996 in Höhe von 805.963 DM zum Teil erlassen worden seien und nur für den Zeitraum des tatsächlichen Zinsvorteils Nachzahlungszinsen in Höhe von 86.444 DM festgesetzt worden seien. Auch wenn Steuergläubiger [gemeint: Steuererstattungsgläubiger] und Steuerschuldner nicht identisch seien, könne der entstandene Zinsvorteil nicht auf Kosten der Allgemeinheit abgewälzt werden. Die Besonderheit des Umsatzsteuerrechtes lasse diese Fallgestaltung zu.

Im Hinblick auf den der D-GmbH zugute gekommenen Zinsvorteil könne die Klägerin den entstandenen finanziellen Schaden allenfalls auf der Ebene des Zivilrechts gegenüber diesem Dritten ersetzt verlangen. Ein zivilrechtlich erwachsener Nachteil könne nicht durch den Erlass einer Forderung aus dem Steuerschuldverhältnis ausgeglichen werden, weil grundsätzlich auf den öffentlich-rechtlichen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nicht zum Ausgleich zivilrechtlicher Nachteile verzichtet werden könne (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1968 III 100/64, BStBl. II 1969, 353). ...

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend:

Sie habe einen Anspruch auf den Erlass der Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer 1994 bis 1996.

Nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF-Schreiben - vom 01. April 1996 IV A 4/S0460a-20/96 (BStBl. I 1996, 370) sei die Erhebung von Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO sachlich unbillig, wenn ein Unternehmer aufgrund einer fehlerhaft erteilten Endrechnung die in dieser Rechnung ausgewiesene Steuer gem. § 14 UStG schulde, während einer späteren Rechnungsberichtigung keine Rückwirkung zukomme. Die Klägerin habe die Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 1999 berichtigt. Ihr stehe mithin ein Erstattungsanspruch gem. §§ 14 Abs. 2 Satz 2, 17 Abs. 1 UStG für das Kalenderjahr 1999 (Kalenderjahr der Berichtigung), nicht jedoch für die Streitjahre 1994 bis 1996 zu.

Nach Aufdecken des Fehlers im Rahmen der Betriebsprüfung durch das FA M im November 1999 sei zugleich eine Berichtigung durch die Klägerin erfolgt. Gemäß dem BMF-Erlass seien in derartigen Fällen die Nachzahlungszinsen zu erlassen, wobei ein Ermessensspielraum der Verwaltung nicht bestehe, sondern das Ermessen auf "0" reduziert sei, so dass der ablehnende Bescheid des beklagten Finanzamts als ermessensfehlerhaft anzusehen sei.

Der BMF-Erlass sei für den Beklagten bindend.

Daher habe der Beklagte die an eine Dritte, die D, erfolgte Zahlung in Höhe von 5,318 Mio. DM im Rahmen ihres Ermessens nicht berücksichtigen dürfen. Diese Zahlung habe nämlich nicht dazu geführt, dass der Beklagte bei Ausübung seines Ermessens nicht mehr an das BMF-Schreiben vom 01. April 1996 gebunden gewesen sei.

Entscheidend für die Ermessensausübung sei hier allein das Verhältnis Klägerin-Beklagter gewesen. Die Beziehungen des Beklagten (bzw. des FA O) und der D und die Beziehungen der zwischen der Klägerin und der D seien irrelevant gewesen.

Es sollten keine Zinsvorteile abgeschöpft werden, die beim Steuerpflichtigen gar nicht entstanden seien. Wenn zweifelsfrei feststehe, dass ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil erlangt habe, sei für einen Ausgleich in Form einer Verzinsung der Steuernachforderung kein Raum (BFH, Urteil vom 12. April 2000 XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178).

Zwar sei es durch die Zahlung von 5,318 Mio. DM zu Liquidität gekommen, aber nicht bei der Steuerpflichtigen (Klägerin), sondern bei einem Dritten (D).

Es liege keinerlei Liquiditätsvorteil der Klägerin vor. Einem Liquiditätsnachteil des Staates stehe unstreitig ein entsprechender Liquiditätsvorteil der D in einem anderen Steuerschuldverhältnis gegenüber; dass dann noch ein Dritter in ähnlicher Weise einen Vorteil gehabt haben könne, sei damit nicht zu vereinbaren.

Dass ein Liquiditätsvorteil bei der Klägerin nicht vorgelegen habe, räume nunmehr auch der Beklagte ein.

Soweit der Beklagte sich auf das BFH-Urteil vom 24. Februar 2005 V R 62/03 berufe, habe dieses für den vorliegenden Rechtsstreit keinerlei Aussagekraft, weil es sich um "mögliche Zinsvorteile" handeln müsse. Eine - hier vorliegende - Erstattung an einen x-beliebigen Dritten begründe keinen derartigen Zinsvorteil.

Die Zahlung an D habe auf einem Fehler des Beklagten beruht, der durch eine objektiv vorliegende Hinterziehungshandlung der D, nämlich durch Annahme des nichtberechtigten Steuervorteils, veranlasst worden sei.

Im vorliegenden Fall seien Steuerschuldner und Steuererstattungsgläubiger - entgegen der Auffassung des Beklagten - gerade identisch gewesen: Die Klägerin habe [als Steuerschuldnerin] gem. § 14 Abs. 2 UStG Umsatzsteuer aufgrund fehlerhafter Rechnungen zu leisten gehabt; nach erfolgter Rechnungsberichtigung habe sie [als Steuererstattungsgläubigerin] Anspruch auf Erstattung der entsprechend geschuldeten Umsatzsteuer gem. § 37 Abs. 2 AO gehabt. Damit habe bei ihr genau der Fall vorgelegen, für den in dem BMF-Schreiben vom 01. April 1996 der Erlass von Nachzahlungszinsen verbindlich vorgegeben worden sei.

Dass die Zahlungsempfängerin D einstige Vertragspartnerin der Klägerin gewesen sei, rechtfertige nicht die Zurechnung von an D geflossenen Zahlungen auf die Klägerin. Diese zivilrechtlichen Beziehungen zwischen zwei unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Steuersubjekten hätten für den Staat keinerlei Bedeutung; für ihn seien einzig und allein die öffentlich-rechtlichen Vorschriften relevant. Danach habe lediglich die Klägerin als damalige Organträgerin der rechnungsausstellenden und rechnungsberichtigenden Unternehmen B-GmbH, C-GmbH und C-GmbH einen Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer, nicht dagegen D. Deshalb habe auch der Beklagte den Betrag von 5,318 Mio. DM an die Klägerin erstattet.

Dass die Klägerin und D einen Vergleich geschlossen hätten, der u. a. den vom Finanzamt O an die D-GmbH gezahlten Betrag von 5,318 Mio. DM zum Gegenstand gehabt habe, sei für das beklagte Finanzamt aufgrund der Bindung an die öffentlich-rechtlichen Vorschriften ohne Bedeutung gewesen. Aus diesem Grund sei es für den Beklagten auch irrelevant gewesen, ob in jenem Vergleich eine Regelung zu den Nachzahlungszinsen getroffen worden sei.

Nach dem Vergleich seien keinerlei Zahlungen zum Ausgleich von Zinsvorteilen von D an die Klägerin vorgesehen gewesen und seien auch nicht geflossen. Insofern sei der Zinsvorteil bei D geblieben und sei nicht auf die Klägerin verlagert worden.

Dass der Gesetzgeber bewusst auf eine Regelung verzichtet habe, die es dem Staat ermöglicht hätte, die bei dem Zahlungsempfänger (hier D) aufgelaufenen Liquiditätsvorteile von diesem zurückzufordern, könne nicht zur Folge haben, dass der Staat sich über einen Umweg die Zinsen von einem Dritten (hier die Klägerin) hole, wodurch entsprechende Zahlungen - entgegen der Absicht des Gesetzgebers - doch verzinslich wären.

Auch nach Abschluss des Vergleiches zwischen der Klägerin und der D sei der Betrag von 5,318 Mio. DM nicht an die Klägerin, sondern an das Finanzamt O geflossen. Soweit der Beklagte diesbezüglich davon spreche, der Klägerin sei "anfänglich" der unmittelbare Zugriff auf das Geld verwehrt gewesen, sei dies unverständlich. Dies sei auch später der Fall gewesen, und zwar nicht nur der unmittelbare Zugriff, sondern auch der mittelbare.

Der Vergleich habe geholfen, den Fehler des Finanzamts zu korrigieren. Eigentlich sei es Sache des Finanzamt O gewesen, den Betrag zurückzufordern, ggf. sogar einzuklagen. Daher könne der Beklagte der Klägerin nicht vorwerfen, dass sie nicht sogleich dafür gesorgt habe, dass D auch die Zinsvorteile an das Finanzamt ausgekehrt habe.

Der Vergleich habe irgendwelche zivilrechtlichen Ansprüche zwischen der Klägerin und D - jedenfalls zu dem hier interessierenden Sachverhalt - nicht zum Gegenstand gehabt.

Von einer zeitlichen Begrenzung des Erlasses von Zinsen sei - entgegen der Auffassung des Beklagten - in dem BMF-Schreiben von 01. April 1996 nicht die Rede.

Das hierzu vom Beklagten zitierte BFH-Urteil vom 02. Juli 1997 betreffe nicht die Verzinsung einer Umsatzsteuernachforderung aufgrund einer fehlerhaften Endrechnung, sondern die Verzinsung einer Körperschaftsteuernachforderung aufgrund einer rückwirkenden Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung.

Es gehe hier jedoch nicht um die Auslegung des § 223a AO, sondern um die Frage der konkreten Ermessensausübung im Rahmen des § 227 AO.

Dem BMF-Schreiben vom 1. April 1996 sei nicht zu entnehmen, welche der dort aufgestellten Voraussetzungen im Rahmen des Erlassverfahrens noch eigenständig überprüft werden müssten und welche nicht.

Die berichtigte Endrechnung durch den Unternehmer sei im Rahmen der Rechnungsberichtigung bei der Umsatzsteuerfestsetzung zu prüfen. Wenn bestandskräftig die Umsatzsteuerberichtigung bei den Voranmeldungen und der Jahressteuerfestsetzung berücksichtigt worden sei, sei im anschließenden Erlassverfahren hierauf aufzubauen. Zwar werde das Erfordernis für den Erlass verlangt, aber es sei bei bestandskräftiger Entscheidung im Festsetzungsverfahren keine erneute Prüfung [im Erlassverfahren] von Amts wegen vorzunehmen.

Die Beschaffung der berichtigten Rechnungen sei aufgrund des Zeitablaufs erheblich erschwert, zumal der Beklagte seinerzeit, als ihm unproblematisch die berichtigten Rechnungen vorgelegen hätten oder für ihn unproblematisch beschaffbar gewesen seien, sich geweigert habe, der Klägerin Kopien zur Verfügung zu stellen.

Das Erfordernis "sogleich nach Aufdeckung des Fehlers" mache keinen rechten Sinn. ... Evtl. sei hier lediglich eine Fehleraufdeckung in Form eines Änderungsbescheides mit Zinsfestsetzung gemeint.

Das vom Beklagen zitierte Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 28. September 2000, 3 K 14/98, EFG 2001, 197 besage schon deshalb für den Rechtsstreit gar nichts, da es sich gerade nicht auf den Bereich der berichtigten Endrechnungen beziehe. Lediglich auf diese beziehe sich [aber] das BMF-Schreiben, so dass das Finanzamt sich wie auch bei dem ausgesprochenen überwiegenden Erlass [der Nachzahlungszinsen] schon bei der Ausübung seines Ermessens an dem BMF-Schreiben orientieren müsse.

Die Klägerin beantragt,

das beklagte Finanzamt unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 09. März 2001 und der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2001 zu verpflichten, auch die bislang nicht erlassenen Nachzahlungszinsen in Höhe von 86.444 DM zu erlassen;

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und bringt vor:

Dem Grundsatz, dass dann, wenn zweifelsfrei feststehe, dass ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil erlangt habe, für einen Ausgleich in Form einer Verzinsung der Steuerforderung nach § 233a AO kein Raum sei (BFH-Urteil vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BStBl. II 1997, 259), festgesetzte Nachzahlungszinsen insoweit also zu erstatten seien (BFH-Urteil vom 12. April 2000 XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178), sei der Beklagte entsprechend dem BMF-Schreiben vom 01. April 1996 durch Teilerlass der von der Klägerin insgesamt geforderten Nachzahlungszinsen von 892.407 DM mit einem Betrag von 805.963 DM am 17. Januar 2001 nachgekommen, weil die in der Anweisung genannten Voraussetzungen für einen Erlass der Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen bis zu den jeweiligen Erstattungszeitpunkten der Umsatzsteuer-Guthaben vorgelegen hätten.

Nach der BMF-Anweisung werde ein Erlass von Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen nur bis zum Zeitpunkt der Erstellung der berichtigten Endrechnung und der daraus folgenden geänderten Umsatzsteuerfestsetzung als geboten angesehen (Hinweis auf BFH, Urteil vom 02. Juli 1997 I R 25/96, 1997, 714).

Die im BFH-Urteil vom 02. Juli 1997 aufgestellten allgemeinen Grundsätze seien auch auf andere Fälle anzuwenden, soweit es hierbei um den Umfang einer Billigkeitsmaßnahme gehe.

Dem auf Erlass der restlichen Nachzahlungszinsen gerichteten Antrag könne jedoch nicht entsprochen werden, da die Klägerin durch die nach diesen o. g. Erstattungszeitpunkten erfolgte Rückforderung einen Liquiditätsvorteil erlangt gehabt habe. Der Liquiditätsvorteil der Klägerin liege darin, dass sie zu Unrecht in den Rechnungen ihrer Organgesellschaften ausgewiesene Umsatzsteuer, die nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG im Monat der Rechnungsausstellung, also in den Jahren 1994 bis 1996 entstanden sei, erst zum 15. Dezember 1999 habe zahlen müssen.

Zwar seien bis zu diesem Tag Nachzahlungszinsen i. S. des § 233a AO festgesetzt worden, die nach dem BMF-Schreiben vom 1. April 1996 insoweit zu erlassen seien, als der Nachzahlung die Umsatzsteuerminderung aufgrund der Berichtigung der Rechnung gegenüberstehe. Grund für diesen Erlass sei jedoch, dass dem Liquiditätsvorteil, der durch die späte Festsetzung entstanden sei und der durch die Festsetzung von Nachzahlungszinsen wieder ausgeglichen werde, eine Erstattung in gleicher Höhe gegenüberstehe, die - grundsätzlich - nicht verzinst werde. Mit dieser Nichtverzinsung werde der Nachteilsausgleich jedoch überkompensiert.

Eine Überkompensierung in diesem Sinne liege jedoch nicht vor, wenn die Umsatzsteuer-Erstattung - aufgrund der Berichtigung der Rechnungen - erfolge, bevor die Nachzahlung - aufgrund der Rechnung mit unzutreffend hohem Steuerausweis - fällig sei. In diesem Fall liege offenkundig für den Zwischenzeitraum ein tatsächlicher Liquiditätsvorteil vor.

Um seinen solchen Fall handele es sich auch vorliegend:

Die Erstattungen aufgrund der Berichtigung der Rechnungen seien nämlich bereits vor der Fälligkeit der Nachzahlungen erfolgt. Die Erstattung in Höhe von 3.457.919,57 DM sei nämlich am 21. Juni 1999 und in Höhe vom 1.860.272,17 DM am 2. [gemeint: 8.] Dezember 1999 erfolgt, während die Nachzahlung erst am 15. Dezember 1999 fällig gewesen sei.

Zwar habe die Umsatzsteuer-Erstattung mit der Auszahlung nicht unmittelbar die Liquidität der Klägerin erhöht, sondern sei dieser erst nach dem Vergleich mit dem Empfänger der Erstattung im Jahr 2001 ausgezahlt worden.

Im vorliegenden Fall sei aber für den Fiskus als Verwalter der Umsatzsteuer insoweit ein Zinsnachteil entstanden, als die Erstattung der Umsatzsteuer zeitlich vor der Zahlung der Umsatzsteuer erfolgt sei. Ein Erlass von Nachzahlungszinsen, die auf diesen Zwischenzeitraum entfielen, ginge somit zu Lasten der Allgemeinheit. Es sei somit nicht unbillig, diese Nachzahlungszinsen nicht zu erlassen.

Die Rechtsprechung sehe die tatsächlich gezogenen Zinsvorteile für einen Erlass von Nachforderungszinsen als grundsätzlich unbeachtlich an (BFH, Urteil vom 24. Februar 2005 V R 62/03, HFR 2005, 627).

Durch fehlerhafte Erstattung der Guthabenbeträge sei ihr der unmittelbare Zugriff hierauf zwar anfänglich verwehrt gewesen; da die Klägerin jedoch die Tatsachen und Folgewirkungen der betreffenden USt-Nachforderungen und späteren Erstattung bzw. Rückforderung gekannt habe und davon habe ausgehen müssen, dass Nachzahlungszinsen für den Restbetrag festgesetzt würden, hätten auch diese Zinsen zum Gegenstand des Vergleichsverfahrens mit der D-GmbH werden müssen.

Der Gesetzgeber habe selbst dann nicht den Ersatz derartiger durch ungerechtfertigte Zinsvorteile Dritter entstandene Schäden dem Steuergläubiger und damit der Allgemeinheit zumuten wollen, wenn der auf dem Zivilrechtsweg möglicherweise zu erlangende Schadensersatzanspruch nicht realisierbar sein sollte. Erst recht erscheine es daher im vorliegenden Fall nicht unbillig, die restlichen Zinsen weiterhin zu erheben, da auf die Durchsetzung dieses o. g. Schadensersatzanspruchs, wie aus dem abgeschlossenen Vergleich hervorgehe, von vornherein verzichtet worden sei.

Nach Auffassung des Finanzgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 28. September 2000, EFG 2001, 197) sehe der BMF in seinem Erlass vom 1. April 1996 die sachliche Unbilligkeit in dem von ihm geregelten Fall darin, dass die zu verzinsende Steuernachforderung lediglich darauf beruhe, dass die Steuer nicht rückwirkend in dem Besteuerungszeitraum der ursprünglichen Rechnungserteilung berichtigt werden könne. Dies stelle [aber], für sich gesehen, keinen sachlichen Billigkeitsgrund dar. Nur wenn infolge der nicht möglichen rückwirkenden Steuerberichtigung der Zweck der Erhebung von Nachzahlungszinsen, nämlich die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen, verfehlt werde, käme ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen in Betracht. Nach Auffassung des Baden-Württembergischen FG ordne der BMF den Erlass [der Nachzahlungszinsen] nur in den Fällen fehlerhafter Endrechnung an.

Der Beklagte sehe sich daher durch das BMF-Schreiben bei der Ausübung seines Ermessens nicht festgelegt.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der Prozessvertreter der Klägerin einen für die ehemalige B-GmbH ergangenen Prüfungsbericht bezüglich einer Textziffer zur Einsichtnahme vor, in der der Prüfer formuliert hatte:

"Nach Angaben der Berichtsfirma sind berichtigte Endrechnungen im Januar 1999 erteilt worden."

In den beigezogenen Vorgängen der Finanzverwaltung (Bl. 19, 21) befindet sich u. a. auch ein Bericht vom 23. Juni 2000 über die Umsatzsteuer-Prüfung des Finanzamts M für Körperschaften für Januar 1999 bei der A-AG, nunmehr N, in dem ausgeführt wurde:

"Die A-AG machte in der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Januar 1999 die Berichtigung von unberechtigt ausgewiesener Umsatzsteuer gem. § 14 Abs. 2 UStG geltend. Dabei handelt es sich um Steuerbeträge, die durch die ehemaligen Organgesellschaften der A-AG unberechtigt ausgewiesen wurden.

Eine Berichtigung durch den ehemaligen Organträger ist nicht möglich.

Die Berichtigung gem. § 14 Abs. 2 S. 2 UStG muss gegenüber dem Rechnungsempfänger schriftlich erklärt werden (s. hierzu Abschn. 189 Abs. 5 UStR). Diese Erklärungen sind aber nur durch den ehemaligen Rechnungsaussteller möglich. Eine Berichtigung der unberechtigt ausgewiesenen Steuerbeträge ist deshalb nur durch die Rechnungsaussteller zulässig."

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber nicht begründet.

Die Ablehnung eines vollständigen Erlasses der festgesetzten Nachzahlungszinsen über den bereits erlassenen Betrag hinaus ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§§ 101 und 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den Vollerlass der Nachzahlungszinsen.

Bei einem Erlass von Abgaben (§ 227 AO) handelt es um eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung, die regelmäßig von den Gerichten nur auf Ermessensfehler hin überprüft werden darf (vgl. § 102 FGO). Der Steuerpflichtige hat insoweit regelmäßig nur einen Rechtsanspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Erlassantrag. Ausnahmsweise kann auch ein Rechtsanspruch auf die Gewährung des begehrten Erlasses bestehen, wenn das Ermessen in einer Weise reduziert ist, dass nur die Entscheidung richtig ist, den Erlass zu gewähren (Ermessensreduzierung auf Null, vgl. z. B. BFH, Urteil vom 24. September 1991 VII R 34/90, BStBl. II 1992, 57 m. w. N.).

Ein derartiger Anspruch kann zwar aufgrund des BMF-Schreibens vom 01. April 1996 IV A 4/S0460a-20/96 (BStBl. I 1996, 370) entstehen und bestehen, wenn und soweit die darin geregelten Voraussetzungen erfüllt sind.

Bei dem Schreiben handelt es sich seinem Rechtscharakter nach um eine Verwaltungsanweisung des BMF. Es richtet sich an die dem BMF nachgeordneten Finanzbehörden (nach "Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder") und behandelt die Frage eines Erlasses von erhobenen Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) in Fällen, in denen die nach fehlerhaft erteilten Endrechnungen zu verzinsende Steuernachforderung lediglich darauf beruht, dass die Steuer nicht rückwirkend in dem Besteuerungszeitraum der ursprünglichen Rechnungserteilung berichtigt werden kann. In diesem Schreiben wird die Ausübung des der Verwaltung zustehenden Ermessens bei der Frage des Erlasses (§ 227 AO) in einer Weise geregelt, dass die Finanzbehörden bei Vorliegen der angeführten Voraussetzungen die Nachzahlungszinsen zu erlassen haben (sog. Selbstbindung der Verwaltung, vgl. z. B. Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 4 Rdnr. 93; BFH, Urteile vom 26. April 1995 XI R 81/93, BStBl. II 1995, 754 undvom 21. Oktober 1999 I R 1/98, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2000, 691 m. w. N.; ständige Rechtsprechung).

Verwaltungsvorschriften vermögen über die ihnen zunächst innewohnende interne Bindung der durch sie angewiesenen nachgeordneten Behörden hinaus im Wege dieser Selbstbindung auch eine anspruchsbegründende Außenwirkung im Verhältnis der Verwaltung zum Bürger zu begründen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. Dezember 1969 VIII C 104.69, Neue Juristische Wochenschrift 1970, 675). Aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und unter dem Gesichtspunkt der nach außen hin publizierten Selbstbindung der Verwaltung hat ein Steuerpflichtiger grundsätzlich einen Rechtsanspruch darauf, nach Maßgabe allgemeiner Verwaltungsanweisungen behandelt zu werden (BFH, Urteil vom 21. Oktober 1999 I R 68/98, BFH/NV 2000, 891). Für die mit dem BMF-Schreiben vom 1. April 1996 getroffene Regelung/Anweisung bedeutet dies, dass danach bei Vorliegen der angeführten Voraussetzungen zwingend von einer sachlichen Unbilligkeit der Erhebung von Nachzahlungszinsen auszugehen ist und diese zu erlassen sind, der Steuerpflichtige dann also einen Rechtsanspruch auf Erlass hat.

Im vorliegenden Fall steht indessen nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass sämtliche in dem BMF-Schreiben angeführten Voraussetzungen für den Erlass vorliegen.

Zwar liegt die Grundkonstellation, die der Erlassregelung in dem BMF-Schreiben zu Grunde liegt, hier offenbar vor: In dem von der Klägerin geführten Organkreis sind in den Jahren 1994 bis 1996 Endrechnungen erteilt worden, in denen unberechtigt zu hohe Umsatzsteuerbeträge ausgewiesen wurden (§ 14 Abs. 2 UStG). Da dieser Fehler erst durch die ab 1998 durchgeführten Außenprüfungen aufgedeckt wurde, war eine periodengerechte Berichtigung (Berichtigung im und für das Jahr der fehlerhaften Rechnungserteilung) nicht mehr möglich mit der Folge, dass die Steuernachforderung zu Nachzahlungszinsen nach § 233a AO führte.

Der Erlass der Nachzahlungszinsen ist nach dem BMF-Schreiben aber nur dann auszusprechen, wenn sogleich nach Aufdeckung des Fehlers durch den Unternehmer berichtigte Endrechnungen erteilt wurden.

Das Vorliegen dieser Voraussetzung konnte durch den Senat nicht festgestellt werden.

Zweifelhaft kann in diesem Zusammenhang sein, wer in dem umsatzsteuerlichen Organkreis als Unternehmer i. S. des UStG anzusehen ist.

Schon nach älterer BFH-Rechtsprechung war darauf abzustellen, welche von mehreren in Betracht kommenden Personen nach außen als Unternehmer aufgetreten ist (vgl. etwa für das Erbringen von Beförderungsleistungen BFH, Urteil vom 5. Dezember 1973 III 265/65, BFHE 111, 184 m. w. N.: "Bei sinnvoller Auslegung des Beförderungsteuergesetzes ist vielmehr auch im Fall der Organschaft für die Bestimmung des Standortes eines Kfz. als Unternehmer die einzelne zum Organkreis gehörende Gesellschaft zu betrachten, die ungeachtet der organschaftlichen Verbundenheit als selbständiger Unternehmer auftritt."). Bei dieser Sichtweise dürften im vorliegenden Fall die Organgesellschaften B-GmbH und C-GmbH als Unternehmer i. S. des UStG anzusehen sein, denn sie sind offenbar als solche aufgetreten und haben unter ihren Firmen Leistungen erbracht und Rechnungen erteilt.

Dies dürfte auch für die Geltung des Umsatzsteuergesetzes 1980 weiter zutreffen. Die beiden Organgesellschaften erfüllen die in § 2 Abs. 1 UStG 1980 definierten Kriterien des umsatzsteuerlichen Unternehmerbegriffs, denn sie haben selbständig und nachhaltig gewerbliche Tätigkeiten mit dem Ziel ausgeübt, Einnahmen zu erzielen. Zwar liegt nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG 1980 eine selbständige Tätigkeit dann nicht vor, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Wenn auch dem Gericht die diesbezüglichen gesellschaftsrechtlichen Verträge nicht vorliegen, kann im vorliegenden Fall von einer derartigen finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der Organgesellschaften B-GmbH und C-GmbH ausgegangen werden, weil die Beteiligten übereinstimmend hiervon ausgehen und offenbar auch die durchgeführten Betriebsprüfungen dies ergeben haben. Die demnach vorliegende umsatzsteuerliche Organschaft hat aber keine Auswirkungen auf das Verhältnis der Organgesellschaften zu Dritten (Kunden, Leistungsempfänger), denn nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG 1980 sind die Wirkungen der Organschaft auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt.

Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass die beiden Organgesellschaften Unternehmer i. S. des UStG wie auch des hier anzuwendenden BMF-Schreibens vom 1. April 1996 sind, so steht doch nicht fest, dass diese beiden Organgesellschaften (sogleich nach Aufdeckung des Fehlers) gegenüber ihren betroffenen Kunden (Leistungsempfängern) berichtigte Rechnungen erteilt haben. Dies wird zwar von der Klägerseite behauptet und mit Wahrscheinlichkeitsüberlegungen untermauert (Die berichtigte Endrechnung durch den Unternehmer sei im Rahmen der Rechnungsberichtigung bei der Umsatzsteuerfestsetzung zu prüfen. Es sei davon auszugehen, dass vor Erstattung der nachgeforderten Umsatzsteuern die Berichtigung der Endrechnungen auch geprüft worden sei). Dass derartige Prüfungen und Feststellungen hinsichtlich der Berichtigung der fehlerhaften Endrechnungen durch die Finanzverwaltung tatsächlich erfolgt sind (und nicht lediglich die berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 1999 umgesetzt wurde), steht aber keineswegs fest. Nicht einmal der Betriebsprüfer hat derartige Feststellungen getroffen, wie sich eindeutig aus dem im Rahmen der mündlichen Verhandlung zur Einsicht vorgelegten Prüfungsbericht für die Fa. B-GmbH ergibt, in dem sich der Prüfer zu diesem Punkt ausdrücklich nur auf "Angaben der Berichtsfirma" und nicht auf eigene Feststellungen beruft. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergeben sich hierzu keine weiteren Hinweise, die es ermöglichten, hierzu eigene Feststellungen zu treffen. Auf die Notwendigkeit derartiger Feststellungen sind die Beteiligten - und insoweit insbesondere die Klägerseite - vom Gericht rechtzeitig (Gerichtsschreiben vom 18. Februar 2005 und vom 2. August 2005) hingewiesen worden. Der Umstand, dass möglicherweise das Heraussuchenlassen der Kopien der berichtigten Rechnungen mit erheblichem Aufwand verbunden ist, macht deren Vorlage nicht entbehrlich, zumal andere verlässliche Erkenntnismittel hierzu nicht vorliegen oder erkennbar sind, wenn schon Prüferfeststellungen hierzu fehlen. Für die ehemalige Organgesellschaft C-GmbH wären für das Jahr 1994 ebenfalls berichtigte Rechnungen zu erteilen gewesen. Hierzu fehlen aber jegliche Anhaltspunkte oder Hinweise, die Feststellungen ermöglicht hätten.

Der Bericht der USt-Sonderprüfung vom 23. Juni 2000 deutet vielmehr darauf hin, dass eine Berichtigung durch die Organgesellschaften gerade nicht erfolgt ist (Bl. 19, 21 der Steuerakten). Es ist zudem gerichtsbekannt, dass vielfach zwar geänderte Steueranmeldungen abgegeben werden, aber die Korrektur der Endrechnungen gegenüber den Abnehmern/Kunden unterbleibt. Umso mehr bestand Anlass, die betreffenden Kopien der berichtigten Rechnungen zu beschaffen und vorzulegen.

Der Senat teilt daher insbesondere wegen der aufgezeigten Zweifel hinsichtlich diesbezüglich überhaupt getroffener Feststellungen nicht die Auffassung der Klägerseite, die Erteilung von berichtigen Rechnungen gegenüber den Leistungsempfängern sei ausschließlich im Verfahren über die Änderung der Festsetzung der Umsatzsteuer, aber nicht mehr im nachfolgenden Verfahren um den Erlass von Nachzahlungszinsen zu prüfen und festzustellen, sondern bei bestandskräftiger Änderung der Steuerfestsetzung als gegeben anzunehmen.

Wenn danach zumindest Zweifel bestehen, ob die Voraussetzungen für einen Erlass der Nachzahlungszinsen (und damit auch hinsichtlich des bereits erlassenen Teiles) überhaupt erfüllt waren, kommt mangels feststehender Rechnungsberichtigungen der Erlass des Restbetrages schon aus diesem Grunde nicht in Betracht, ohne dass es auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage ankommt, ob von einem (Teil-) Erlass ein Liquiditätsvorteil, der auf der Klägerseite bestanden haben müsste, auszunehmen wäre. Wenn auch der Beklagte bei seiner hierauf bezogenen Argumentation während des gesamten Verwaltungsverfahrens von einem falschen Ansatzpunkt ausgegangen ist, indem er auf einen Liquiditätsvorteil bei der D infolge der zunächst fehlerhaft an sie erfolgten Erstattungen abgestellt hat, so wirkt sich dieser Fehler aus den dargelegten Gründen hier nicht aus, weil es um einen Rechtsanspruch der Klägerin und nicht mehr nur um eine reine Ermessensentscheidung ging. Abzustellen war vielmehr - wie der Beklagte nunmehr im Verlauf des Klageverfahrens erkannt hat - auf einen derartigen Vorteil bei der Klägerin.

Dieser hat vorgelegen und darin bestanden, dass die Klägerin als Organträger die aufgrund der von ihren Organgesellschaften fehlerhaft erteilten Endrechnungen nach § 14 Abs. 2 UStG 1980 bereits in den Jahren 1994 bis 1996 geschuldeten Umsatzsteuern erst nach Aufdeckung des Fehlers gezahlt hat (am 20. Dezember 1999 durch Verrechnung mit ihrem eigenen Körperschaftsteuerguthaben). Wenn es darauf ankäme, wäre dieser Liquiditätsvorteil von einem Erlass der Nachzahlungszinsen (bei Vorliegen aller hierfür erforderlichen Voraussetzungen) auszunehmen gewesen, wie dies durch den Beklagten geschehen ist.

Die Revision war nicht zuzulassen.

Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung hierzu vorgebracht hat, der Sache komme grundsätzliche Bedeutung zu, weil noch nicht höchstrichterlich geklärt sei, ob im Rahmen der Erlassregelung aufgrund des BMF-Schreibens vom 1. April 1996 die Erteilung von berichtigten Endrechnungen durch den Unternehmer überhaupt noch zu prüfen und festzustellen sei, ergibt dieses Vorbringen nicht einen zulässigen Revisionsgrund. Wie oben ausgeführt wurde, handelt es sich bei dem BMF-Schreiben um eine Verwaltungsanweisung. Verwaltungsanweisungen sind von den Gerichten nicht wie Gesetze auszulegen (vgl. BFH, Urteil vom 21. Oktober 1999 I R 68/98, a. a. O.). Dies hat zur Folge, dass die von der Klägerseite aufgeworfene Frage nicht revisibel ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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