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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 10.06.2009
Aktenzeichen: 4 K 4884/07 Z
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2913/92


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2913/92
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin betrieb in A eine Spinnerei. Zur Herstellung von Garnen verwendete sie u.a. synthetische Spinnfasern aus Polyester mit Ursprung in der Gemeinschaft sowie mit Ursprung in Drittländern.

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 3. Februar 2003, ihr zu bewilligen, die Ursprungseigenschaft der verwendeten Spinnfasern buchmäßig nachzuweisen. Sie führte aus, die von ihr aus Asien bezogenen Fasern aus Polyester seien in ihrer technischen und materiellen Beschaffenheit identisch mit Fasern aus der Gemeinschaft.

Das beklagte Hauptzollamt bewilligte der Klägerin mit Verfügung vom 29. April 2003, die Ursprungseigenschaft der zur Herstellung von Garnen verwendeten synthetischen Spinnfasern durch buchmäßige Trennung zu bestimmen. Im einzelnen enthält die Bewilligung folgende Regelungen:

"1. Ich bewillige hiermit widerruflich, dass Sie den Ursprung der unter 2. bezeichneten Ware unter Verzicht auf die physische Trennung anhand Ihrer Buchführung bestimmen, soweit sie gleichartig und austauschbar sind, d.h. nach Beschaffenheit und Handelsqualität sowie ihren technischen und physischen Eigenschaften übereinstimmen.

2. Von dieser Bewilligung werden umfasst synthetische Spinnfasern der HS-Position 5503 zur Herstellung von Garnen aus synthetischen Spinnfasern der HS-Position 5509..."

Die Klägerin stellte aus den von ihr bezogenen Fasern Garne her, die sie in die Slowakische Republik und in die Tschechische Republik ausführte. Dabei bezeichnete sie die Garne in den von ihr ausgestellten Rechnungen als Waren mit Ursprung in der Gemeinschaft. Aus den Garnen stellten mit ihr verbundene und in der Slowakischen Republik sowie der Tschechischen Republik ansässige Unternehmen Gewebe her, die in die Bundesrepublik Deutschland ausgeführt wurden. Die Klägerin meldete die Gewebe in dem Zeitraum vom 8. bis zum 31. März 2004 beim Zollamt A zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Auf Grund der von ihr vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 sah das Zollamt A davon ab, Zoll zu erheben.

Im einzelnen verarbeitete die Klägerin in ihrer Spinnerei folgende Fasern:

 FaserartBezeichnungEigenschaftenUrsprung
105010 Polyester rohweiß glänzendGemeinschaft
105010 Polyester rohweiß glänzendDrittland
105010 Polyester rohweiß glänzendGemeinschaft
105010 Polyester rohweiß glänzendGemeinschaft
105010 Polyester rohweiß glänzendGemeinschaft
105020 Polyester rohweiß halbmattDrittland
105020 Polyester rohweiß halbmattGemeinschaft
105040 Polyester optisch aufgehellt glänzendGemeinschaft
105040 Polyester optisch aufgehellt glänzendGemeinschaft
105050 Polyester optisch aufgehellt halbmattDrittland
105050 Polyester optisch aufgehellt halbmattGemeinschaft
105050 Polyester optisch aufgehellt halbmattGemeinschaft
105070 Polyester schwer entflammbar rohweißGemeinschaft
105072 Polyester schwer entflammbar halbmattDrittland
105073 Polyester low meltDrittland

Die Faserarten und Fasertypen unterschieden sich auch untereinander hinsichtlich ihrer Festigkeit und ihrer Dehnungsfähigkeit.

Mit Verfügung vom 17. März 2004 widerrief das beklagte Hauptzollamt die Bewilligung vom 29. April 2003, weil die Klägerin auf eine physische Trennung der Fasern aus Gründen der Qualitätssicherung nicht verzichtet habe und deshalb ein Bedürfnis für die Bewilligung nicht mehr bestehe. Gegen diese Verfügung legte die Klägerin Einspruch ein. Ferner wandte sie sich mit Schreiben vom März 2004 an das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und machte geltend, die Vormaterialien in Anwendung der ISO Norm 9001 getrennt gelagert zu haben. Das BMF vertrat in einem Schreiben vom April 2004 die Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung der buchmäßigen Trennung nicht vorlägen, weil die Klägerin nach der ISO Norm 9001 verpflichtet gewesen sei, die Vormaterialien getrennt zu lagern. Die Klägerin nahm die nach Ergehen einer Einspruchsentscheidung gegen den Widerruf von ihr beim Finanzgericht Düsseldorf erhobene Klage - 4 K 3037/04 Z - zurück.

Im Anschluss an eine Außenprüfung erhob das beklagte Hauptzollamt von der Klägerin hinsichtlich der von ihr in dem Zeitraum vom 8. bis zum 31. März 2004 zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldeten Gewebe mit Bescheid vom 5. März 2007 21.091,03 EUR Zoll nach. Dabei ging es davon aus, dass die Garne keine Waren mit Ursprung in der Gemeinschaft gewesen seien und die daraus hergestellten Gewebe deshalb nicht präferenzberechtigt gewesen seien, weil die zur Herstellung der Garne verwendeten Fasern nach Beschaffenheit und Handelsqualität nicht gleich und austauschbar gewesen seien.

Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch trug die Klägerin vor: Die Fasern mit unterschiedlichem Ursprung seien in ihrem Vorwerk vor der Weiterverarbeitung gleichmäßig gemischt worden, bevor sie in der Karderie der eigentlichen Produktion zugeführt worden seien. Ihr sei es technisch nicht möglich gewesen, die Vormaterialien durchgängig getrennt zu lagern. Die Zertifizierung nach der ISO Norm 9001 habe ihre Spinnerei nicht mit umfasst. Sie habe die ihr bewilligte buchmäßige Trennung der Vormaterialien einheitlich für alle verarbeiteten synthetischen Spinnfasern angewendet. Auf Grund der Bewilligung vom 29. April 2003 habe sie die buchmäßige Trennung umfassend für sämtliche verarbeiteten synthetische Spinnfasern der Pos. 5503 des Harmonisierten Systems (HS) anwenden dürfen. Bezüglich der hergestellten Garne der Pos. 5509 HS seien alle synthetischen Spinnfasern der Pos. 5503 HS gleichartig und austauschbar gewesen. Die Bewilligung habe jedenfalls alle synthetischen Spinnfasern der Unterpos. 5503 20 umfasst, weil sämtliche hierunter fallenden Spinnfasern als gleichartig und austauschbar angesehen werden müssten. Zumindest könne bei einer Unterscheidung nach normalen Polyesterfasern und schwer entflammbaren Fasern durch eine Abrechnung nachgewiesen werden, dass für die Garne, die als Waren mit Ursprung in der Gemeinschaft bezeichnet worden seien, genügend Vormaterialien vorhanden gewesen seien. Falls man entgegen ihrem Verständnis die Bewilligung vom 29. April 2003 dahingehend auslege, dass von ihr nur die einzelnen Vormaterialien zur Herstellung des einzelnen Garnes umfasst worden seien, sei die Bewilligung zwar tatsächlich fehlerhaft angewendet worden. Dann sei jedoch nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex - ZK -) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl EG Nr. L 302/1) von der Nacherhebung abzusehen. Das beklagte Hauptzollamt habe sich geirrt, weil es eine uneingeschränkte Bewilligung erteilt habe. Sie habe dem beklagten Hauptzollamt mit ihrem Antrag auf Erteilung der Bewilligung umfangreiche Muster von Fasern und Garnen übermittelt, anhand derer ersichtlich gewesen sei, dass mehrere Fasern zu verschiedenen Garnen hätten verarbeitet werden sollen. Den Irrtum des beklagten Hauptzollamts habe sie nicht erkennen können. Sie sei gutgläubig gewesen und habe keine unzutreffenden Angaben gemacht. In entsprechender Anwendung des Art. 217 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b ZK sei von der Nacherhebung abzusehen. Die ihr erteilte Bewilligung müsse als umfassende Pauschalierung der gleichartigen und austauschbaren Vormaterialien einer verbindlichen Auskunft gleichgestellt werden. Die Nacherhebung sei jedenfalls nach Treu und Glauben unzulässig. Das beklagte Hauptzollamt habe in der Bewilligung angegeben, dass von dieser sämtliche synthetische Spinnfasern der Pos. 5503 HS umfasst würden. Erst im nachhinein wolle es die erteilte Bewilligung einschränkend auslegen.

Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 30. November 2007 zurück und führt aus: Die von der Klägerin hergestellten Garne könnten nicht als Waren mit Ursprung in der Gemeinschaft angesehen werden, weil die zu ihrer Herstellung verwendeten Fasern nicht gleichartig und austauschbar gewesen seien. Die Klägerin sei auch nicht gutgläubig gewesen, weil sie im Verfahren auf Erteilung der Bewilligung unzutreffende Angaben gemacht habe.

Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Sie habe die Fasern unterschiedlichen Ursprungs in ihrem Vorwerk einer zulässigen Lagerbehandlung unterzogen. Dort seien die Faserballen geöffnet und die Faserklumpen gelöst worden. Die Vormaterialien seien in Bezug auf die hergestellten Garne gleichartig und austauschbar gewesen. Die ihr erteilte Bewilligung habe keine Einschränkung enthalten, sondern habe sich auf sämtliche Vormaterialien der Pos. 5503 HS für die Herstellung von Garnen der Pos. 5509 HS bezogen. Das beklagte Hauptzollamt sei bei der Erteilung der Bewilligung davon ausgegangen, dass sämtliche Vormaterialien der Pos. 5503 HS bezogen auf die herzustellenden Garne der Pos. 5509 HS gleichartig und austauschbar gewesen seien. Selbst wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der Bewilligung nicht vorgelegen hätten, habe die Bewilligung ihre Vorgehensweise erlaubt. Die ihr erteilte umfassende Bewilligung sei seinerzeit üblich gewesen und habe keine Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit aufkommen lassen müssen.

Die Klägerin beantragt,

1. den Bescheid vom 5. März 2007 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. November 2007 aufzuheben;

hilfsweise

2. die Revision zuzulassen.

Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt es vor: Die von der Klägerin verwendeten Fasern seien nicht gleich und untereinander austauschbar gewesen. Sie habe die Vormaterialien stets gezielt auswählen und in den Produktionsprozess einsteuern müssen, um hinsichtlich der Dehnbarkeit, der Reißbarkeit und der Feinheit der Garne einen Mindeststandard erreichen zu können. Die Klägerin habe die ihr erteilte Bewilligung auch nicht angewendet, weil sie die Vormaterialien vor ihrem gezielten Mischen getrennt gelagert habe. Da sie unzutreffende Angaben gemacht habe, könne sie sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 5. März 2007 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. November 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte Hauptzollamt hat den Zoll zu Recht von der Klägerin nacherhoben.

Rechtsgrundlage für die Nacherhebung des Zolls sind die Art. 220 Abs. 1 Satz 1, 221 Abs. 1 ZK. Die einer Zollschuld entsprechenden Abgabenbeträge waren nicht buchmäßig erfasst worden. Die Klägerin konnte für die von ihr aus der Slowakischen Republik und aus der Tschechischen Republik eingeführten Gewebe keine Zollpräferenz nach Art. 10 des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihre Mitgliedstaaten einerseits und der Slowakischen Republik andererseits (ABl EG vom 31. Dezember 1994 Nr. L 359/2) sowie nach Art. 10 des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihre Mitgliedstaaten einerseits und der Tschechischen Republik andererseits (ABl EG vom 31. Dezember 1994 Nr. L 360/2) in Anspruch nehmen. Sie hat für die Gewebe zwar Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 vorgelegt, wie dies Art. 16 Abs. 1 Buchst. a des Protokolls Nr. 4 (Protokoll Nr. 4) über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen in der Fassung des Beschlusses Nr. 1/2003 des Assoziationsrates EU-Slowakische Republik vom 6. Februar 2003 (ABl EU Nr. L 166/1, 3) sowie in der Fassung des Beschlusses Nr. 2/2001 des Assoziationsrates EU-Tschechische Republik vom 23. Januar 2001 (ABl. EG Nr. L 64/36) erforderte. An diese Warenverkehrsbescheinigungen war das beklagte Hauptzollamt jedoch nicht gebunden, weil sie inhaltlich unrichtig waren (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 7. November 2002 VII R 37/01, BFHE 200, 444, BStBl II 2003, 145). Die in der Slowakischen Republik und in der Tschechischen Republik hergestellten Gewebe können nicht gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls Nr. 4 als Ursprungserzeugnisse dieser Staaten angesehen werden. Nach dieser Bestimmung gelten als Ursprungserzeugnisse der Slowakischen Republik und der Tschechischen Republik Erzeugnisse, die dort unter Verwendung von Vormaterialien mit Ursprung u.a. in der Gemeinschaft nach den Bestimmungen des Protokolls Nr. 4 hergestellt worden sind, sofern die vorgenommene Be- oder Verarbeitung über die in Art. 7 des Protokolls Nr. 4 genannte Behandlung hinausgeht. Die Kumulierung nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls Nr. 4 ist nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Vormaterialien und Erzeugnisse die Ursprungseigenschaft auf Grund von Ursprungsregeln erworben haben, die mit den Regeln des Protokolls Nr. 4 übereinstimmen (Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 1 des Protokolls Nr. 4).

Die Klägerin hat die von ihr in die Slowakische Republik und in die Tschechische Republik ausgeführten Garne nicht nur aus Fasern hergestellt, die vollständig in der Gemeinschaft hergestellt worden waren (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a des Protokolls Nr. 4). Sie hat zur Herstellung der Garne vielmehr auch Fasern verwendet, die nicht vollständig in der Gemeinschaft hergestellt worden waren. Sie hat nicht nachgewiesen, dass diese aus Drittländern eingeführten Fasern i.S. des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 i.V.m. Anhang II zu Pos. 5508 bis 5511 HS des Protokolls Nr. 4 in ausreichendem Maß be- oder verarbeitet worden sind, so dass die daraus hergestellten Garne gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 4 als Ursprungserzeugnisse der Gemeinschaft hätten gelten können. Die Klägerin hat insbesondere nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzungen der Bemerkungen 5.1 und 5.2 zur Liste in Anhang II des Protokolls Nr. 4 für die Annahme einer ursprungsbegründenden Be- oder Verarbeitung der zur Herstellung der Garne verwendeten Fasern vorlagen. Aus dem Prüfungsbericht vom 10. Dezember 2004, der sich auf den Prüfungszeitraum bis zum 30. Juli 2003 bezieht, ergibt sich, dass die Klägerin zur Herstellung der von ihr ausgeführten Mischgarne weit mehr als nur 10 v.H. Polyesterfasern mit Ursprung in Drittländern verwendet hat (Seite 29 des Prüfungsberichts).

Da die Klägerin die Fasern mit Ursprungseigenschaft sowie die Fasern ohne Ursprungseigenschaft zum Herstellen der Garne unstreitig gemischt hat, hatten die Fasern insgesamt keinen Ursprung in der Gemeinschaft. Ein Ursprungsnachweis muss sich grundsätzlich auf die eingeführte Ware beziehen. Der Nachweis ist waren- und nicht mengenbezogen zu erbringen (Harings in Dorsch, Zollrecht, EWR-Ursprung Art. 20 Randnr. 2). Daher sind die verwendeten Vormaterialien grundsätzlich physisch zu trennen. Findet - wie im Streitfall - eine Vermischung von Vormaterialien statt, verliert die Gesamtmenge regelmäßig ihre Präferenzberechtigung (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - , Urteil vom 14. Mai 1996 Rs. C-153/94 und C-204/94, Slg. 1996, I-2465 Randnr. 57; Harings in Dorsch, Zollrecht, EWR-Ursprung Art. 20 Randnr. 2).

Die der Klägerin erteilte Bewilligung vom 29. April 2003 konnte hieran nichts ändern. Nach Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 können die Zollbehörden die Verwaltung der buchmäßigen Trennung der Lagerbestände nur für solche Vormaterialien mit Ursprungseigenschaft und Vormaterialien ohne Ursprungseigenschaft bewilligen, die gleich und untereinander austauschbar sind. Dies setzt voraus, dass die Vormaterialien hinsichtlich ihrer Handelsqualität und Art gleich sind und dieselben technischen sowie materiellen Eigenschaften aufweisen (Harings in Dorsch, Zollrecht, EWR-Ursprung Art. 20 Randnr. 4; Erläuterungen der Kommission zu den Ursprungsprotokollen Paneuropa-Mittelmeer, ABl EU vom 21. Januar 2006 Nr. C/2, zu Art. 21 Nr. 3; vgl. auch EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-2465 Randnr. 51 und 55). Auf die zolltarifliche Einreihung einer Ware kann in diesem Zusammenhang nicht abgestellt werden.

Anders als die Klägerin meint, ergibt sich aus der ihr erteilten Bewilligung vom 29. April 2003 nichts anderes. Unter Nr. 1 der Bewilligung wurde in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 geregelt, dass sie nur für solche Vormaterialien galt, die "gleichartig und austauschbar" waren, "d.h. nach Beschaffenheit und Handelsqualität sowie ihren technischen und physischen Eigenschaften" übereinstimmten. Damit war der Sache nach bestimmt, dass die Vormaterialien gleich und untereinander austauschbar sein mussten. Soweit unter Nr. 2 der Bewilligung ausgeführt wurde, dass von dieser synthetische Spinnfasern der Pos. 5503 HS zur Herstellung von Garnen aus synthetischen Spinnfasern der Pos. 5509 HS umfasst würden, stellt dies keine Einschränkung der Regelung unter Nr. 1 dar. Vielmehr wurde unter Nr. 2 der Bewilligung nur ihr allgemeiner Geltungsbereich umschrieben, ohne dass damit auf das aus Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 folgende Erfordernis der Gleichheit und Austauschbarkeit der Vormaterialien verzichtet wurde.

Die von der Klägerin zur Herstellung der Garne verwendeten Fasern waren hinsichtlich ihrer Handelsqualität und Art nicht gleich und untereinander austauschbar, sondern wiesen jeweils unterschiedliche technische und materielle Eigenschaften auf. Im Rahmen der durchgeführten Außenprüfung ist festgestellt worden, dass die Klägerin so unterschiedliche Polyesterfasern wie rohweiß glänzend, rohweiß halbmatt, optisch aufgehellt glänzend, optisch aufgehellt halbmatt, schwer entflammbar rohweiß, schwer entflammbar halbmatt und low melt verwendet hatte. Ferner wurde festgestellt, dass sich die Faserarten und Fasertypen auch untereinander hinsichtlich ihrer Festigkeit und ihrer Dehnungsfähigkeit unterschieden. Das beklagte Hauptzollamt hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin die verschiedenen Vormaterialien gezielt auswählen musste, um hinsichtlich der Dehnbarkeit, der Reißbarkeit und der Feinheit der Garne einen Mindeststandard erreichen zu können. Dies setzt voraus, dass die einzelnen Fasern nicht ohne weiteres gleich und untereinander austauschbar waren.

Entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung kann nicht darauf abgestellt werden, dass die Fasern und die daraus hergestellten Garne für sie und ihre Kunden - wie sie meint - gleichartig und austauschbar waren. Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 erfordert, dass die Vormaterialien mit Ursprungseigenschaft und Vormaterialien ohne Ursprungseigenschaft objektiv gleich und untereinander austauschbar sind. Auf die Vorstellungen des Bewilligungsinhabers kommt es insoweit nicht an.

Der Senat verkennt nicht, dass der enge Wortlaut des Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 dazu führen kann, dass Unternehmen wie die Klägerin, die verschiedene Vormaterialien mit Ursprungseigenschaft und ohne Ursprungseigenschaft lagern, im Regelfall keinen Gebrauch von einer buchmäßigen Trennung machen können. Gleichwohl gestattet der Wortlaut des Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 keine erweiternde Auslegung des Anwendungsbereichs der Bestimmung für Unternehmen bestimmter Branchen, welche die Voraussetzungen für die Bewilligung einer buchmäßigen Trennung nicht erfüllen können.

Der Nacherhebung des Zolls durch das beklagte Hauptzollamt stand Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK nicht entgegen. Hiernach ist von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung des gesetzlich geschuldeten Abgabenbetrags abzusehen, wenn dieser auf Grund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern der Irrtum vernünftigerweise von dem Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat. Von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK werden jedwede Irrtümer tatsächlicher oder rechtlicher Art erfasst, die eine von der Zollbehörde getroffene Entscheidung fehlerhaft machen (EuGH-Urteil vom 27. Juni 1991 Rs. C-348/89, Slg. 1991, I-3277 Randnr. 20). Zwischen dem Irrtum der Zollbehörde und der unterbliebenen buchmäßigen Erfassung des Abgabenbetrags muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (EuGH-Urteil vom 9. Dezember 1999 Rs. C-299/98, Slg. 1999, I-8683 Randnr. 22 und 32; BFH-Urteil vom 30. November 1999 VII R 44/98, BFH/NV 2000, 615).

Im Streitfall beruhte das Unterbleiben der Erhebung der gesetzlich geschuldeten Abgabenbeträge nicht auf der Bewilligung vom 29. April 2003, sondern auf dem Umstand, dass die Klägerin mit ihren Zollanmeldungen inhaltlich unrichtige Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 vorlegt hatte. Diese waren auf Grund der unzutreffenden Angaben der Klägerin zum Ursprung der von ihr hergestellten Garne ausgestellt worden. Die Bewilligung vom 29. April 2003 ist demgegenüber in Übereinstimmung mit Art. 20a Abs. 1 des Protokolls und nicht "uneingeschränkt" erteilt worden, weil sie nur für solche Vormaterialien galt, die gleich und untereinander austauschbar waren. Es kommt daher nicht darauf an, ob - wie die Klägerin behauptet - das beklagte Hauptzollamt anhand der mit ihrem Antrag auf Erteilung der Bewilligung übersandten Muster von Fasern und Garnen hätte erkennen können, dass mehrere Fasern zu verschiedenen Garnen hätten verarbeitet werden sollen. Die Verarbeitung unterschiedlicher Fasern war von der Bewilligung nicht gedeckt.

Von der Nacherhebung der gesetzlich geschuldeten Abgabenbeträge war auch nicht nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 2 ZK abzusehen, weil die inhaltlich unrichtigen Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 auf unrichtigen tatsächlichen Darstellungen der Ausführer beruhten (Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 3 ZK). Es ist weder ersichtlich noch von der Klägerin dargelegt worden, dass die Behörden in der Slowakischen Republik und der Tschechischen Republik wussten oder hätten wissen müssen, dass die Gewebe nicht die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung erfüllten. Die Klägerin hatte die zur Herstellung der Gewebe verwendeten Garne vielmehr als Waren mit Ursprung in der Gemeinschaft bezeichnet, ohne dass die Unrichtigkeit dieser Erklärungen offensichtlich war.

Die Nacherhebung der gesetzlich geschuldeten Abgabenbeträge durch das beklagte Hauptzollamt war auch nicht nach Art. 220 Abs. 2 i.V.m. Art. 217 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b ZK unzulässig. Dabei kann dahinstehen, ob die der Klägerin erteilte Bewilligung mit einer verbindlichen Auskunft verglichen werden kann. Jedenfalls sind die von der Klägerin gesetzlich geschuldeten Abgabenbeträge nicht höher als die Beträge, die auf Grund der Bewilligung vom 29. April 2003 zu erheben gewesen wären. Die Bewilligung galt in Übereinstimmung mit Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 nur für Vormaterialien, die gleich und untereinander austauschbar waren. Hiervon ist die Klägerin abgewichen, was zur Folge hatte, dass die von ihr hergestellten Garne und damit auch die mit diesen Garnen hergestellten Gewebe nicht die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung erfüllten.

Die Klägerin kann sich schließlich nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen. Art. 220 Abs. 2 ZK regelt abschließend die Tatbestände, die ein Absehen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes gebieten (BFH-Urteil vom 12. Oktober 1999 VII R 6/99, BFHE 190, 507).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Ende der Entscheidung

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