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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.12.2005
Aktenzeichen: 4 K 6714/02 AO
Rechtsgebiete: ErbStG, AO


Vorschriften:

AO § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AO § 170
AO § 227
ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Der Kläger ist der Enkelsohn der im April 1995 verstorbenen Erblasserin, die er ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts A vom Mai 1995 allein beerbt hat. Der von der Erblasserin ernannte Testamentsvollstrecker gab am 4. Dezember 1995 eine Erbschaftsteuererklärung ab, in der er als Nachlassgegenstände unter anderem Kapitalforderungen gegenüber Kreditinstituten von 47.679 DM und Bargeld von 1.628.477 DM angab. Das beklagte Finanzamt setzte erstmals mit Bescheid vom 12. Dezember 1995 gegen den Kläger unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Erbschaftsteuer fest. Mit Bescheid vom 1. Oktober 1999 änderte es letztmalig die Festsetzung der Erbschaftsteuer und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

Im April 2000 begann das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung B mit Ermittlungen, weil der Verdacht bestand, dass die Erblasserin Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht erklärt hatte. Auf Grund eines Berichts des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung B vom 8. Mai 2001 ergingen Bescheide des beklagten Finanzamts vom 31. August 2001, mit denen für die Jahre 1989 bis 1995 in der Person der Erblasserin entstandene Einkommensteuer, Kirchensteuer, Solidaritätszuschläge und Zinsen zur Einkommensteuer nachgefordert wurden. Der Kläger beantragte am 10. Oktober 2001, den Erbschaftsteuerbescheid vom 1. Oktober 1999 dahin zu ändern, dass Steuerschulden von insgesamt 453.058,13 DM erwerbsmindernd berücksichtigt werden. Dies lehnte das beklagte Finanzamt mit Bescheid vom 8. November 2001 unter Hinweis auf die zwischenzeitlich abgelaufene Festsetzungsfrist ab. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen diese Entscheidung erhobene Klage 4 K 4159/02 Erb hat der Kläger zurückgenommen.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2002 beantragte der Kläger, die Erbschaftsteuer zu erlassen, soweit sie auf bislang nicht berücksichtigte Steuerschulden der Erblasserin von 453.058,13 DM entfällt. Er machte geltend, die Höhe der Steuerschulden sei keinem der Beteiligten vor Ablauf der Festsetzungsfrist bekannt gewesen. Andererseits sei das Kapitalvermögen, das zu den Steuerschulden geführt habe, der Erbschaftsteuer unterworfen worden. Eine Nichtberücksichtigung der Steuerschulden würde gegen das die Erbschaftsteuer tragende Bereicherungsprinzip verstoßen.

Das beklagte Finanzamt lehnte einen Erlass mit Bescheid vom 4. Juli 2002 ab und führte aus, das Billigkeitsverfahren könne keinen Ersatz für ein erfolgloses, gegen die Festsetzung der Erbschaftsteuer gerichtetes Rechtsbehelfsverfahren sein.

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch wies das beklagte Finanzamt mit Entscheidung vom 13. November 2002 zurück und führte aus: Eine bestandskräftige Steuerfestsetzung könne nur ausnahmsweise in einem Billigkeitsverfahren überprüft werden, wenn die Festsetzung der Steuer offensichtlich und eindeutig fehlerhaft sei und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sei, sich gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren. Dies sei hier nicht der Fall. Der Kläger habe gegen den eine Änderung der Steuerfestsetzung ablehnenden Bescheid nach erfolglosem Einspruchsverfahren keine Klage erhoben.

Der Kläger hat am 6. Dezember 2002 Klage erhoben, mit der er vorträgt: Im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Erbschaftsteuerbescheids vom 1. Oktober 1999 seien weder ihm noch dem Testamentsvollstrecker die nicht erklärten Kapitalerträge der Erblasserin bekannt gewesen. Im Streitfall bestehe zudem die Besonderheit, dass die Steuerschulden nicht auf Grund von Versäumnissen des Steuerpflichtigen unberücksichtigt geblieben seien.

Der Kläger beantragt,

1. das beklagte Finanzamt unter Aufhebung seines ablehnenden Bescheids vom 4. Juli 2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2002 zu verpflichten, die gegen ihn festgesetzte Erbschaftsteuer zu erstatten, soweit sie darauf entfällt, dass Einkommensteuerschulden von 453.058,13 DM nicht berücksichtigt worden sind;

2. hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

1. die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise die Revision zuzulassen.

Zur Begründung trägt es vor: Die Steuerschulden könnten nur im Festsetzungsverfahren berücksichtigt werden. Der Ablauf der Festsetzungsfrist könne nicht im Erhebungsverfahren zu einem Erlass oder einer Erstattung von Steuern führen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 4. Juli 2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte Finanzamt hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die festgesetzte Erbschaftsteuer zu erstatten, soweit sie darauf entfällt, dass Einkommensteuerschulden von 453.058,13 DM nicht berücksichtigt worden sind.

Nach § 227 der Abgabenordnung (AO) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Die Einziehung der streitigen Erbschaftsteuer war nicht unbillig. Sachliche Billigkeitsgründe, die hier allein in Betracht kommen, sind nicht gegeben.

Steuern, die - wie hier die Erbschaftsteuer - bestandskräftig festgesetzt worden sind, können nur dann im Billigkeitsverfahren sachlich überprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (Bundesfinanzhof (BFH), Urteile vom 4. Mai 1995 V R 83/93, BFH/NV 1996, 190; vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BStBl II 2005, 460). Das beklagte Finanzamt ist in seiner Einspruchsentscheidung zwar zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger gegen den eine Änderung der Steuerfestsetzung ablehnenden Bescheid vom 8. November 2001 keine Klage erhoben habe. Unbeschadet dessen, dass dies unzutreffend ist, kommt es darauf an, ob der Kläger sich gegen die ursprüngliche Steuerfestsetzung hätte wenden können. Dies ist jedoch nicht der Fall. Wie das beklagte Finanzamt nicht in Abrede stellt, war sowohl dem Kläger als auch dem Testamentsvollstrecker das Bestehen der Steuerschulden der Erblasserin bis zur Einleitung der Ermittlungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung B im April 2000 unbekannt. Zu diesem Zeitpunkt war die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO), die sowohl gemäß § 170 Abs. 1 AO als auch gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31. Dezember 1995 zu laufen begann, verstrichen. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu Recht geltend gemacht hat, hätte er daher auch nicht noch innerhalb der Festsetzungsfrist darauf hinwirken können, dass die letztmalig mit dem Bescheid vom 1. Oktober 1999 festgesetzte Erbschaftsteuer hinsichtlich der erst später bekannt gewordenen Steuerschulden der Erblasserin für vorläufig erklärt wird (§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO).

Gleichwohl fehlt es im Streitfall an der zweiten Voraussetzung für eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig war. Zwar sind Steuerschulden des Erblassers auch dann nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkung-steuergesetzes (ErbStG) abzugsfähig, wenn sie vom Steuerpflichtigen zunächst nicht konkret vorausgesehen worden sind (BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 II R 35/03, BFH/NV 2005, 1093). Die Fehlerhaftigkeit der Festsetzung der Erbschaftsteuer war indessen nicht offensichtlich, weil auch dem beklagten Finanzamt das Bestehen der Steuerschulden zum Zeitpunkt des Ergehens des Bescheids vom 1. Oktober 1999 nicht bekannt war. Es ist geklärt, dass für die Frage, ob eine Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist, auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Festsetzung der Steuer abzustellen ist (BFH-Urteil in BStBl II 2005, 460). Nach Auffassung des Senats hat Entsprechendes für die Tatsachen zu gelten, die der Finanzbehörde im Zeitpunkt der Festsetzung der Steuer bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Denn letztlich handelt es sich bei einer Billigkeitsmaßnahme in bezug auf bestandskräftig festgesetzte Steuern um eine nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gebotene Entscheidung (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 227 Rdnr. 274). Es muss daher ein wenn auch nicht schuldhaftes, so doch gravierendes Fehlverhalten der Finanzbehörde in Gestalt einer offensichtlich und eindeutig fehlerhaften Steuerfestsetzung vorliegen. Hiervon kann indessen nicht gesprochen werden, wenn nicht nur dem Steuerpflichtigen, sondern auch dem Finanzamt die am Bewertungsstichtag (§ 11 ErbStG) zwar entstandenen (§ 38 AO), aber noch nicht festgesetzten Steuerschulden des Erblassers weder bekannt waren noch hätten bekannt sein müssen. So liegt der Streitfall, weil dem beklagten Finanzamt am 1. Oktober 1999 die in Rede stehenden Steuerschulden der Erblasserin nicht bekannt waren und auch ersichtlich ist, warum sie ihm hätten bekannt sein müssen.

Der Kläger kann sein Begehren auch nicht auf den Erlass des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 14. November 2002 - S 3810 - 13 - V A 2 - (Betriebs-Berater 2003, 36) stützen. Dieser Erlass verhält sich nicht dazu, ob nach Ablauf der für die Erbschaftsteuer geltenden Festsetzungsfrist bekannt gewordene Steuerschulden eines Erblassers im Billigkeitswege nach § 227 AO erwerbsmindernd berücksichtigt werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil die klärungsbedürftige Frage, ob das Bekanntwerden von Steuerschulden eines Erblassers erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eine Billigkeitsmaßnahme gebietet, wenn - wie im Streitfall - weder der Steuerpflichtige noch das für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt von dem Bestehen der Steuerschulden zuvor Kenntnis hatten, auch nach Ergehen des BFH-Urteils in BFH/NV 2005, 1093 offen geblieben ist.

Ende der Entscheidung

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