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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 13.02.2009
Aktenzeichen: 4 V 3976/08 A(Z)
Rechtsgebiete: FGO, ZK, UStG
Vorschriften:
FGO § 69 Abs. 2 | |
FGO § 69 Abs. 3 | |
ZK Art. 244 Abs. 2 | |
ZK Art. 20 | |
ZK Art. 201 Abs. 1 Buchst. a | |
ZK Art. 201 Abs. 3 S. 1 | |
UStG § 12 Abs. 2 |
Tenor:
Die Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids des Antragsgegners vom 02.07.2008 wird ab Fälligkeit bis einen Monat nach Ergehen einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung, längstens bis zum Eintritt der Bestandskraft gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin ließ vom 11.07.2005 bis zum 10.10.2005 mit sieben Zollanmeldungen sog. Elektro-Scooter verschiedener, unten dargestellter Modelle aus Taiwan und China nach Anmeldung der Waren unter der Unterposition 8713 9000 der Kombinierten Nomenklatur (KN) in den zollrechtlich freien Verkehr überführen. Die Zollstelle fertigte die Waren antragsgemäß ohne Zollerhebung und unter Erhebung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes ab.
In den Handelsrechnungen wurden die Waren als Mobility Scooter bezeichnet. In den Zollanmeldungen beschrieb die Antragstellerin die Waren als "Rollstühle und andere Fahrzeuge für Behinderte, Elektromobile".
Bei den Elektro-Scootern der Modelle ........ handelte es sich um drei- oder vierrädrige Fahrzeuge zur Beförderung einer Person, die von einem batteriebetriebenen Elektromotor angetrieben werden. Sie erreichten Höchstgeschwindigkeiten zwischen 6 und 15 km/h und Reichweiten zwischen 12 und 65 km mit einer Batterieladung. Die Fahrzeuge waren zwischen 100,6 und 152 cm lang und zwischen 47 und 67 cm breit und hatten ein Leergewicht von 36 bis 76 kg. Sie hatten kleine Räder mit einem Durchmesser von 170 bis 320 mm und eine waagerechte Plattform, auf der die Füße des Fahrers abgestellt werden konnten. Die Lenksäule war mit Steuerelementen für das Fahren und Bremsen ausgestattet. An ihr befand sich ein Drahtkorb. Die Fahrzeuge waren für den Transport zerlegbar und verfügten an der Hinterachse über zwei weitere kleine Räder, die ein Umkippen verhindern sollten.
Die Modelle .... und ..... waren mit Elektromotoren betriebene Rollstühle, die eine in einer der Armlehnen montierte Steuerung hatten. Beide Rollstühle hatten individuell einstellbare Fußstützen und erreichten Höchstgeschwindigkeiten bis 6 km/h. Mit einer Batterieladung waren Reichweiten bis zu 20 oder 35 km zu erzielen.
Bei den Modellen ...., ..... und .... handelt es sich - nach Angaben aus dem Internet - ebenfalls um vierrädrige Elektro-Scooter, die trotz höheren Gewichts in Leistungen und Größen dem Modell ..... vergleichbar waren, aber nicht über einen Kippschutz verfügten.
Aufgrund einer bislang noch nicht abgeschlossenen Außenprüfung wurde dem Antragsgegner die Abwicklung der o.a. Einfuhren bekannt. Der Antragsgegner war der Auffassung, die Electro-Scooter mit Ausnahme der Modelle .... und ..... seien in die Position 8703 einzureihen und erhob mit Bescheid vom 02.07.2008 34.206,42 EUR Zoll und 36.014,20 EUR Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) nach.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin fristgerecht Einspruch ein und verwies zur Begründung auf Entscheidungen des Gerichtshofs Amsterdam , Aktenzeichen DK 06/77-79, die die Einreihung in ihren Zollanträgen bestätigten.
Die zugleich beantragte Aussetzung der Vollziehung gewährte der Antragsgegner mit Verfügung vom 11.07.2008 gegen Sicherheitsleistung. Dagegen legte die Antragstellerin Einspruch ein und führte aus, das Verlangen nach Sicherheitsleistung führe bei ihr zu ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher Art. Selbst wenn sie noch die Abgaben des Jahres 2005 durch Kredite begleichen könne, müsse sie wegen der Abgabenforderung der folgenden Jahre wohl Insolvenz anmelden.
Nach verwaltungsinterner Klärung der Einreihungsfrage widerrief der Antragsgegner mit Verfügung vom 02.10.2008 die Aussetzung der Vollziehung, da Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht bestünden. Zudem forderte er die Antragstellerin auf, wegen einer Stundung ihre Vermögens- und Liquiditätslage im Einzelnen unter Vorlage genau bezeichneter Unterlagen darzulegen.
Mit ihrem am 16.10.2008 beim Finanzgericht eingegangenen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter und trägt ergänzend vor, die eingeführten Elektro-Scooter erfüllten die Voraussetzungen der Position 8713, denn das Modell "....." zeige exemplarisch, dass zu ihrem Zubehör Fußstützen und Gehhilfenhalter gehörten. Zudem sei dieses Modell einhändig bedienbar, verfüge über einen Kippschutz und einen drehbaren Sitz und trage eine Hilfsmittelnummer der Krankenkasse.
Dass sie keine Sicherheit leisten könne, sondern im Fall einer Vollziehung Insolvenz anmelden müsse, ergebe sich aus ihren Geschäftsunterlagen.
Dazu legte die Antragstellerin eine BWA für den Zeitraum von Januar bis August 2008 sowie ihre Bilanz und ihre Gewinn- und Verlustrechnung zum 31.12.2007 vor. Danach hatte sie zum 31.12.2007 bei Umsatzerlösen von 1.429.496,29 EUR einen Jahresfehlbetrag von 14.384,11 EUR erzielt.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids des Antragsgegners vom 02.07.2009 ab Fälligkeit ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen,
da die eingeführten Elektro-Scooter der Unterposition 8703 9000 KN zuzuweisen seien, wie es sich aus den diesbezüglichen Avisen zum Harmonisierten System ergebe. Daher seien - auch nach Absprache mit der EU-Kommission die Entscheidungen des Gerichtshofs Amsterdam hier nicht maßgebend.
Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin ein unersetzbarer Schaden drohe, seien nicht zu erkennen.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Gerichtshof Amsterdam mitgeteilt, dass die Rechtsmittel gegen seine o.a. Urteile, die die Klägerin zu den Akten gereicht hatte, zwischenzeitlich zurückgenommen worden sind.
II.
Der Antrag hat nur zum Teil Erfolg.
Der Entscheidungsmaßstab für eine vom Finanzgericht nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung FGO zu gewährende Aussetzung der Vollziehung richtet sich nach Art. 244 Absatz 2 VO (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ZK . Danach kann das Finanzgericht die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn u.a. begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Begründete Zweifel sind anzunehmen, wenn bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken.
Bei diesem Prüfungsmaßstab bestehen an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einfuhrabgabenbescheids begründete Zweifel.
Für die von der Antragstellerin in den zollrechtlich freien Verkehr überführten Fahrzeuge ist die Zollschuld nach Art. 201 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 S. 1 ZK entstanden. Der dabei anzuwendende Abgabensatz ergibt sich nach Art. 20 Abs. 1 ZK aus dem Zolltarif, im Streitfall aus der KN, Art. 20 Abs. 3 Buchst. a ZK. Diese ist für Einfuhren des Jahres 2005 in der Fassung der VO (EG) Nr. VO 1810/2004 v. 07.09.2004 (ABl. EG Nr. L 327/1) anzuwenden.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Zollsatz für die streitbefangenen Waren, die Elektro-Scooter der Modelle .............. sowie der Modelle der Position 8703 als "Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge, ihrer Beschaffenheit hauptsächlich für die Personenbeförderung bestimmt", oder der Position 8713 als "andere Fahrzeuge für Behinderte, auch mit Motor" zu entnehmen ist.
Von dieser Einreihung in die KN hängt auch der Umsatzsteuersatz ab, denn nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes UStG in Verbindung mit der laufenden Nummer 51 der Anlage 2 zum UStG unterliegen Rollstühle und andere Fahrzeuge für Behinderte, auch mit Motor dem ermäßigten Steuersatz.
Für die von der Antragstellerin vertretene Rechtsauffassung sprechen insbesondere die zu den Akten gereichten Entscheidungen des Gerichtshofs Amsterdam, in denen es zwar nicht um baugleiche, aber mit den eingeführten Fahrzeugen vergleichbare Modelle ging. Hierzu hat der Gerichtshof Amsterdam zwar nicht festgestellt, welche besondere Gestaltung der Fahrzeuge auf ihre Zweckbestimmung für Behinderte schließen lässt, sondern sich nur mit der Schlussfolgerung begnügt, derartige Fahrzeuge würden allgemein nur von Personen mit Mobilitätsproblemen genutzt und derartige Personen würden im allgemeinen Sprachgebrauch als Behinderte bezeichnet.
Demgegenüber orientiert sich die vom Antragsgegner vertretene Rechtsauffassung, die nach den vorgelegten Verwaltungsakten auch von der EU-Kommission geteilt wird, auf die Erläuterungen zum Harmonisierten System. Im Einreihungsavis zum Harmonisierten System (s. Erl KN (HS) Pos. 8703 Avise zu Unterposition 8703 10 Rz. 01.0 ff.) wird ein mit den von der Antragstellerin eingeführten Fahrzeugen vergleichbares Fahrzeug beschrieben und der Position 8703 zugewiesen. Zudem wird in den Erl KN (HS) zu Pos. 8713 unter Rz. 01.1 für die Einreihung in die Position 8713 verlangt, dass die Fahrzeuge ihrer Beschaffenheit nach speziell für das Befördern von Behinderten bestimmt sind. Diese Auslegung legt das Vorhandensein einer besonderen, für Behinderte bestimmten Einrichtung nahe, die den eingeführten Fahrzeugen nach ihrer derzeitigen Darstellung im Verfahren fehlen dürfte. Zudem dürfte, wenn besondere Einrichtungen gegeben sein müssen, der von Position 8713 vorausgesetzte Begriff der Behinderten eine über Mobilitätsprobleme hinausgehende Behinderung voraussetzen.
Gleichwohl muss die dargestellte zolltarifliche Frage hier nicht entschieden werden. Eine abschließende Entscheidung dieser zolltariflichen Frage, die nicht in dem hier anhängigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern in einem Verfahren der Hauptsache zu treffen wäre, wäre dem Senat nach der derzeitigen Sachlage nur möglich, wenn er zuvor eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nach Art. 234 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) zur Auslegung der genannten Positionen der KN eingeholt hätte. Aufgrund der zwischenzeitlich rechtskräftig gewordenen Entscheidungen des Gerichtshofs Amsterdam und des Umstands, dass die von der Antragstellerin eingeführten Waren eindeutig beschrieben werden können, dürfte der Senat ein Verfahren der Hauptsache aussetzen und hinsichtlich der streitigen Auslegung der KN, sekundären Gemeinschaftsrechts, eine Vorabentscheidung des EuGH einholen. Wenn auch die Vorlagebefugnis für ein Finanzgericht nach Art. 234 Abs. 2 EG in seinem Ermessen steht, sind derzeit keine Gründe erkennbar, von dieser Befugnis keinen Gebrauch zu machen, zumal damit Unsicherheiten bei der Auslegung der KN durch die Abweichung des Gerichtshofs Amsterdam von den Erl KN (HS) in den Position 8703 und 8713 so schnell wie möglich durch eine Entscheidung des EuGH vermieden werden können.
Der Umstand, dass im Hauptsacheverfahren die Aussetzung des Verfahrens zur Vorabentscheidung durch den EuGH nach Art. 234 Abs. 1 EG derzeit geboten erscheint, rechtfertigt für sich allein schon die Annahme begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, da der Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens nicht vorhersehbar ist. Insoweit ist von einer Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage auszugehen (s. BFH Beschluss v. 25.09.2008, XI S 4/08, BFH/NV 2009, 232-234)
Im Hinblick auf die sich schon wegen begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids ergebend Notwendigkeit, die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts auszusetzen, kommt es nicht darauf an, ob der Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung auch deshalb zu gewähren wäre, weil ihr durch die Vollziehung ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte.
Von der Anforderung einer Sicherheitsleistung kann im Streitfall nicht abgesehen werden. Nach Art. 244 Absatz 3 Satz 2 ZK braucht eine Sicherheitsleistung nur dann nicht gefordert zu werden, wenn diese Forderung aufgrund der Lage der Antragstellerin zu ernstlichen Schwierigkeiten wirtschaftlicher Art führen könnte.
Eine derartige Lage hat die Antragstellerin hinsichtlich der hier streitigen Sicherheitsleistung, die sich auch nur auf den Bescheid vom 02.07.2008 bezieht, nicht vorgetragen. Vielmehr hat sie im Einspruchsverfahren gegen die Festsetzung der Sicherheit sinngemäß vorgetragen, sie könne die mit dem angefochtenen Bescheid angeforderten Abgaben wohl noch bezahlen, gerate aber wegen der mit anderen Bescheiden wegen vergleichbarer Einfuhren erfolgten Nacherhebungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Diese anderen Abgabenfestsetzungen sind aber im Streitfall unerheblich, in dem es nur um die Sicherheitsleistung für die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 02.07.2008 geht.
Zudem ist aus den von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen nicht erkennbar, warum sie bei einem Jahresumsatz von ca. 1,4 Mio. EUR in 2007 Sicherheit für die festgesetzten Einfuhrabgaben nicht erbringen kann, zumal sie als in vollem Umfang vorsteuerabzugsberechtigtes Unternehmen bei Zahlung der EUSt ohne weiteres deren umgehende Berücksichtigung beim Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG erreichen könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Wegen der bestehen gebliebenen Sicherheitsleistung ist die Antragstellerin nicht unterlegen (s. BFH Beschluss v. 22.07.1980, VII B 43/79, BStBl. II 1980, 658).
Ende der Entscheidung
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