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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 17.05.2006
Aktenzeichen: 5 V 238/06 A(U)
Rechtsgebiete: FGO, UStG, UStDV


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 2
FGO § 69 Abs. 3
UStG § 3a Abs. 3
UStG § 3a Abs. 1
UStG § 3a Abs. 3
UStG § 3a Abs. 4
UStG § 3a Abs. 5
UStG § 13b Abs. 2
UStG § 14 Abs. 3
UStDV § 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 16.11.2005 wird ohne Sicherheitsleistung bis einen Monat nach Bekanntgabe einer das Klageverfahren 5 K 4568/05 U abschließenden Entscheidung von der Vollziehung ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe:

Strittig ist im Rahmen der beantragten Aussetzung der Vollziehung die umsatzsteuerliche Behandlung der Leistungsbeziehungen der Antragstellerin zu einer liechtensteinischen Fa. A einerseits und der inländischen Fa. B andererseits.

Gegenstand des mit Vertrag vom 23.10.2000 gegründeten Unternehmens der Antragstellerin ist der Betrieb von Printmedien sowie elektronischen und interaktiven Medien, insbesondere der Betrieb eines Verlages.

Nach dem mit der A abgeschlossenen Rahmenvertrag vom 02.07./05.07.2001 teilte die Antragstellerin der A für den Betrieb sogenannter Mehrwertdienste 44 Telefonnummern zu, die die Antragstellerin von der B als Verbindungsnetzbetreiberin (VNB) gegen Entgelt erhalten hatte. Der B waren diese Telefonnummern wiederum von der Deutschen Telekom AG (DTAG) als Betreiberin des Telekommunikationsnetzes (TNB) gegen Entgelt überlassen worden. Bei den Rufnummern handelt es sich ausschließlich um die Klassen, bei denen nach dem Online-Verfahren abgerechnet wird. Bei diesem Verfahren liegen Tarifhoheit, Fakturierung und Inkasso beim TNB (= DTAG).

Die von der Antragstellerin als "Ist-Zustand" bezeichneten Leistungsbeziehungen und Abrechnungen stellen sich wie folgt dar:

A bewirbt die ihr zur Nutzung überlassenen Rufnummern in Zeitschriften und der Tagespresse. Der inländische Privatkunde ruft die so beworbene gebührenpflichtige Rufnummer an. Der Ansagetext lautet: "Willkommen, dies ist ein Dienst der A in Liechtenstein und kostet 1,86 EUR/Minute." Auf Grund der Inanspruchnahme des Mehrwertdienstes erhält der Kunde eine Rechnung von der DTAG mit der Summe der Gebühren aus den Diensten (1,86 EUR/Minute incl. MWSt). Die DTAG rechnet mit dem Betreiter der Mehrwertdienstplattform, der B, die Minutenvolumen der Nummern ab und behält eine Inkassoprovision und die normale Telefongebühr von dem insgesamt zur Aufteilung zur Verfügung stehenden Betrag in Höhe von netto 1,6034 EUR/Minute ein. Der verbleibende Differenzbetrag wird in Form einer Gutschrift zuzüglich Mehrwertsteuer an B überwiesen. Nach Abzug ihrer Inkassoprovision und des Entgelts für die Zurverfügungstellung der Plattform nebst Nummern zahlt B an die Antragstellerin einen Differenzbetrag von 1,38049 EUR/Minute zuzüglich Mehrwertsteuer in Form einer Gutschrift. Die Antragstellerin ihrerseits erstellt ebenfalls nach Abzug ihrer Inkassoprovision und dem Entgelt für die Überlassung der Nummern an A eine Gutschrift von 1,2782 EUR/Minute zuzüglich Mehrwertsteuer.

In ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen I/02, 04-12/02 erklärte die Antragstellerin insgesamt unter anderem steuerpflichtige Umsätze (16 %) in Höhe von 3.295.080,00 EUR, die im wesentlichen aus den ihr von B gutgeschriebenen Entgelten resultierten. Daneben erklärte sie noch -unstreitige- steuerpflichtige Umsätze (7 %) in Höhe von 31.580,00 EUR.

Vorsteuern machte sie insgesamt in Höhe von 522.316,54 EUR geltend. Die Vorsteuern entfielen in Höhe von insgesamt 469.670,29 EUR auf die von der Antragstellerin der A gutgeschriebenen Beträge.

Hieraus ergab sich in der Summe ein Saldo zu Lasten der Antragstellerin in Höhe von 7.107,83 EUR.

Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat die Antragstellerin die Auffassung, dass entgegen der Abrechnungspraxis und den bisherigen Voranmeldungen sich der Leistungsaustausch zwischen B und Antragstellerin sowie zwischen Antragstellerin und A jeweils in der Bereitstellung der Rufnummern und der Durchführung des Inkassos erschöpft habe. Das auf die Mehrwertdienste der A gegenüber dem Kunden entfallende Entgelt sei lediglich für die A vereinnahmt und an diese weitergeleitet worden (durchlaufender Posten). Bei richtiger umsatzsteuerlicher Behandlung ergebe sich ein Anspruch der Antragstellerin auf Rückzahlung der bislang abgeführten Umsatzsteuer.

Der Prüfer kam demgegenüber zu dem Ergebnis, dass der vorliegende Fall durch den Erlass des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen (FM NRW) vom 06.09.2000 - S 7117f-20-V C 4 -, Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 2000, 443 geregelt werde.

Danach gelte "aus Vereinfachungsgründen", dass der Diensteanbieter an den Telekommunikationsdienstleistungsanbieter, und letzterer an den Kunden jeweils einheitliche Telekommunikationsdienstleistungen erbrächten. Im Verhältnis der Telekommunikationsdienstleistungsanbieter untereinander gälten die Grundsätze zur Umsatzbesteuerung im Interconnection-Verfahren (vgl. Erlasse vom 02.03.1998 und 19.07.1999 - S 7100-1800-V C 4). Sei der Diensteanbieter im Ausland ansässig, so habe der erste im Inland eingeschaltete Telekommunikationsdienstleistungsanbieter das Abzugsverfahren zu bedienen beziehungsweise mache von der sogenannten Nullregelung Gebrauch. Danach schulde die Antragstellerin als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer, die sie der A gutgebracht habe, § 13b Abs. 2 Umsatzsteuergesetz UStG (Umsatzsteuererhöhung insgesamt 469.670,29 EUR).

Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht vom 07.07.2003 verwiesen.

Der Antragsgegner erließ jeweils unter dem 22.09.2003 entsprechend geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide I/02, 04-12/02.

Während des dagegen gerichteten Einspruchsverfahrens sagte der Antragsgegner im Erörterungstermin vom 14.07.2004 im gerichtlichen Aussetzungsverfahren 5 V 888/04 A(U,H(U)) nach entsprechenden rechtlichen Hinweisen des Berichterstatters zu, die streitigen Vorauszahlungsbescheide von der Vollziehung auszusetzen. Mit Schreiben vom 14.07.2004 verfügte der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Mit Einspruchsentscheidung vom 04.10.2005 wies der Antragsgegner den Einspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, dass im Streitfall davon auszugehen sei, dass die liechtensteinische A lediglich zur formellen Verlagerung einer tatsächlich im Inland erbrachten Leistung ins Ausland zwischengeschaltet worden sei. Das heiße, die bislang von der Antragstellerin nach § 13b Abs. 2 UStG geschuldete Umsatzsteuer würde als Umsatzsteuer auf eigene Umsätze geschuldet.

Die Antragstellerin müsse sich im Übrigen an der von ihr selbst gewählten Abrechnungspraxis auf der Grundlage des Erlasses des FM NRW vom 06.09.2000 festhalten lassen.

Soweit diesen rechtlichen Beurteilungen nicht gefolgt werden könne, ergebe sich jedenfalls eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG der bisher nach § 13b Abs. 2 UStG geschuldeten Umsatzsteuer. Gegenüber der A habe sie über nicht von ihr ausgeführte Leistungen abgerechnet. Den von der B erteilten Gutschriften habe sie nicht widersprochen.

Über die gegen die Einspruchsentscheidung eingelegte Klage 5 K 4568/05 U hat der Senat noch nicht entschieden.

Unter dem 16.11.2005 erließ der Antragsgegner einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2002, mit dem die Umsatzsteuer auf 476.868,45 EUR abweichend von der am 23.03.2005 eingereichten Erklärung, die eine Umsatzsteuer in Höhe von ./. 45.258,33 EUR ausweist, festgesetzt wurde.

Den Antrag der Antragstellerin vom 06.12.2005 auf Aussetzung der Vollziehung des Jahresteuerbescheides lehnte der Antragsgegner mit Schreiben vom 08.12.2005 ab, den dagegen gerichteten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 02.01.2006 als unbegründet zurück.

Daraufhin hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag an das Gericht gestellt, mit dem sie im wesentlichen vorträgt:

Die von der A gegenüber dem inländischen Anrufer (Kunden) erbrachten Mehrwertdienstleistungen seien nach ganz herrschender Auffassung gesonderte sonstige Leistungen, die nicht der Regelung des § 3a Abs. 3, Abs. 4 Nr. 12 bzw. Abs. 5 UStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStDV (Telekommunikationsleistungen) unterfielen. Nach der somit einschlägigen Grundregel des § 3a Abs. 1 UStG würden diese Leistungen am Sitz des leistenden Unternehmens, d.h. in Liechtenstein erbracht, seien folglich im Inland nicht steuerbar.

Daraus folge die Notwendigkeit der umsatzsteuerlichen Korrektur des sogenannten "Ist-Zustandes" in der Weise, dass beim jeweils Leistenden nur die diesem zustehende und einbehaltene Marge versteuert und der weitergeleitete Restbetrag als durchlaufender Posten behandelt werde.

Der vom Antragsgegner zu Grunde gelegte Erlass des FM NRW vom 06.09.2000 stelle nur bei ausschließlich inländischen Leistungsbeziehungen eine wünschenswerte Vereinfachungsregelung dar. Im hier gegebenen Fall eines im Drittland ansässigen Mehrwertdiensteanbieters verstoße er offensichtlich gegen umsatzsteuerliche Vorschriften. Eben deswegen hätten sowohl A gegenüber der Antragstellerin als auch die Antragstellerin gegenüber B den Gutschriften widersprochen und letzteres auch durch eine Eidesstattliche Versicherung des ehemaligen Gesellschafter-Geschäftsführers bereits im Verfahren 5 V 888/04 A(U,H(U)) glaubhaft gemacht.

Soweit sich der Antragsgegner in der Einspruchsentscheidung vom 04.10.2005 zur Begründung eines Steueranspruchs auf ein Organschaftsverhältnis und auf Scheingeschäfte stütze, sei dies nicht haltbar. Für eine Organschaft fehle es an sämtlichen Tatbestandsmerkmalen, abgesehen davon, dass eine grenzüberschreitende Organschaft gesetzlich nicht vorgesehen sei. Für die Annahme bloßer Scheingeschäfte gebe es keinerlei Beweisanzeichen. Im Gegenteil habe die Antragstellerin ebenfalls bereits im Verfahren 5 V 888/04 A(U,H(U)) eine Stellungnahme des Bundesamtes für Finanzen, wonach die A keine sogenannte Domizilgesellschaft sei, und Steuerbescheide der Liechtensteiner Finanzbehörden vorgelegt, dass die A in Liechtenstein ihren Sitz habe und nicht durch sogenannte Repräsentanten vertreten werde.

§ 14 Abs. 3 UStG komme nach den Umsatzsteuerrichtlinien (UStR) 2002 Abschnitt 190 Abs. 2 Satz 2 nicht zur Anwendung. Die Ausführungen des Antragsgegners gingen an der Tatsache vorbei, dass die Finanzbehörde selbst - zumindest im Wege der Selbstbindung der Verwaltung - Gutschriften nicht die Qualität von Rechnungen beimesse mit der Folge der Nichtanwendbarkeit des § 14 Abs. 2 und 3 UStG.

Zur Leistung einer Sicherheit sei die Antragstellerin trotz zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage, da sie außer werthaltigen immateriellen Wirtschaftsgütern (Namens- und Verlagsrechte) kein Vermögen besitze. Im Übrigen sei eine Sicherheitsleistung unzumutbar, wenn - wie hier - die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts so bedeutsam seien, dass mit großer Wahrscheinlichkeit seine Aufhebung zu erwarten sei.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 2002 vom 16.11.2005 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen,

hilfsweise,

die Beschwerde zuzulassen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen,

hilfsweise,

die Aussetzung der Vollziehung unter der aufschiebenden Bedingung einer Sicherheitsleistung zu gewähren.

Er trägt vor:

Auf der Grundlage des Erlasses des FM NRW vom 06.09.2000 gehe er weiter davon aus, dass von A an die Antragstellerin und von der Antragstellerin an die B Leistungen erbracht worden seien, die entsprechend der Abrechnung zu umsatzsteuerpflichtigen Entgelten geführt hätten, und eben nicht als durchlaufende Posten zu behandeln seien. Dementsprechend sei der Prüfer verfahren. Er habe lediglich nach § 13b Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 UStG Umsatzsteuer auf den "Umsatz" der A an die Antragstellerin über die bisher erfassten und vorangemeldeten Beträge hinaus nacherhoben.

Im Übrigen hätten die nach wie vor unbeantworteten Fragen des Antragsgegners im Schreiben vom 24.03.2004 darauf abgezielt zu überprüfen, ob der Antragstellerin der Vorsteuerabzug aus den Gutschriften an die A überhaupt zugestanden habe. Wegen der beharrlichen Nichtbeantwortung dieser Fragen seien die grundsätzlichen Bedenken des Antragsgegners hinsichtlich der Existenz der A und dem Vorliegen einer Organschaft nicht ausgeräumt. Diese Sachverhaltsunsicherheiten dürften nicht zum Nachteil des Fiskus gereichen.

Die angeblichen Widersprüche von A und Antragstellerin gegen die Gutschriften habe die Antragstellerin bisher lediglich behauptet und nicht durch präsente Beweismittel wie Vorlage der entsprechenden Schreiben oder schriftliche Bestätigung seitens der B glaubhaft gemacht.

Gehe man mit der Antragstellerin davon aus, dass in der gesamten Kette die Umsätze falsch abgerechnet worden seien, entfiele zwar die Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 2 UStG und der in gleicher Höhe gewährte Vorsteuerabzug. Auch die insoweit gegenüber B abgerechneten Umsätze wären nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Da B aus diesen Gutschriften jedoch Vorsteuer gezogen habe, insoweit das Umsatzsteueraufkommen geschädigt oder zumindest gefährdet sei, schulde die Antragstellerin wegen der von ihr zu verantwortenden Abrechnung die Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG.

Die von der Antragstellerin vorgenommene formale Betrachtung, wonach § 14 Abs. 3 UStG nicht für Gutschriften gelte, verbiete sich; vielmehr sei eine am Sinn und Zweck des § 14 Abs. 3 UStG orientierte Beurteilung geboten. Unter den gegebenen Umständen sei eine Haftung gemäß § 14 Abs. 3 UStG dringend geboten, da sich die Antragstellerin einerseits an dem von vornherein verabredeten Abrechnungsverfahren beteiligt und damit B den Vorsteuerabzug verschafft habe, andererseits sich nunmehr auf die Nichtsteuerbarkeit berufe.

Für den Fall der Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung sei jedenfalls eine Sicherheitsleistung zu fordern. Ausweislich der Bilanz der Antragstellerin zum 31.12.2003 und ihres Schreibens vom 16.02.2006 müsse von einer Überschuldung und Vermögenslosigkeit ausgegangen werden, die die Begleichung der Steuerschuld fraglich bzw. die Vollstreckung gefährdet erscheinen lasse.

Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit obsiegen werde.

Der Antrag ist begründet.

Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides auf Antrag ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen. Die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides ist ernstlich zweifelhaft, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage auf Grund der präsenten Beweismittel, der gerichtsbekannten Tatsachen und des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Sachverhaltsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Bescheid als rechtswidrig erweisen könnte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs BFH vom 17.05.1978 I R 50/77, Bundessteuerblatt BStBl II 1978, 579).

Im Streitfall hat der Senat derartige ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides 2002 vom 16.11.2005.

Die vom Antragsgegner diesem Steuerbescheid zugrunde gelegte Besteuerung der auf die Mehrwertdienste entfallenden Umsätze zwischen A und Antragstellerin einerseits und zwischen Antragsteller und B andererseits dürfte rechtswidrig sein.

Insoweit sind keine Leistungen erbracht worden. Allein die von den Vertragsbeteiligten gewählte Abrechnungspraxis, mit der eine nicht existente Leistungskette "aus Vereinfachungsgründen" fingiert worden ist, ist nicht geeignet, umsatzsteuerliche Leistungsbeziehungen zu begründen. Grundlage der Umsatzbesteuerung kann nur der tatsächliche Leistungsaustausch sein, wie er sich regelmäßig aus den zugrunde liegenden zivilrechtlichen Vereinbarungen ergibt. Danach stellen sich die umsatzsteuerlichen Leistungsbeziehungen wie folgt dar:

Auf der Grundlage des Vertrages zwischen Antragstellerin und A und des beim Anruf eines Kunden ablaufenden Ansagetextes sowie der in Zeitschriften veröffentlichten Werbeanzeigen dürfte hinsichtlich der Mehrwertdienstleistung ausschließlich eine Leistung von der A an den jeweiligen Anrufer erbracht werden. Diese Mehrwertdienstleistungen (Inhaltsleistungen) sind von den reinen Telekommunikationsleistungen zu unterscheiden. Dabei handelt es sich - soweit ersichtlich - nach allen einschlägigen Kommentaren zum UStG (vgl. beispielsweise Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, § 3a Anm. 285, 286; Martin in Sölch/Ringleb, § 3a, RdNr. 204 ff) und auch nach den UStR 2002 (vgl. Abschnitt 39a Abs. 3 bis 10) um gesonderte sonstige Leistungen, die nicht der Regelung für Telekommunikationsleistungen des § 3a, Abs. 3, Abs. 4 Nr. 12 UStG bzw. Abs. 5 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStDV unterfallen. D.h., insoweit findet die Grundregel des § 3a Abs. 1 UStG Anwendung, wonach der Leistungsort am Sitz des leistenden Unternehmers liegt. D.h., die von A an die jeweiligen Kunden erbrachten Dienste sind im Inland nicht steuerbar. Umgekehrt erbringen die B an die Antragstellerin sowie die Antragstellerin an A jeweils unmittelbar Leistungen, die sich in der Bereitstellung der Rufnummern und der Durchführung des Inkassos erschöpfen. D.h., B erbringt an die Antragstellerin, diese wiederum an die A Telekommunikationsdienstleistungen. Da der Leistungsort der Telekommunikationsdienstleistung sich nach § 3a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 12 UStG danach bestimmt, wo der Empfänger der Leistung sein Unternehmen betreibt, ist die Leistung von B an die Antragstellerin im Inland umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig. Die Leistung der Antragstellerin an die A ist demgegenüber in Liechtenstein steuerbar.

Danach hätte die Antragstellerin gegenüber B keine Umsätze und gegenüber A im Inland nur nichtsteuerbare Umsätze erbracht. Der bisherige Vorsteuerabzug aus den A gutgeschriebenen Beträgen und die entsprechende Umsatzsteuerschuld nach § 13b Abs. 2 UStG in Höhe von 469.670,24 EUR, die sich ohnehin saldiert haben, entfallen ebenfalls mangels Leistung der A an die Antragstellerin.

Soweit der Antragsgegner über die Annahme einer Domizilgesellschaft und einer Organschaft bloße Scheingeschäfte darzustellen versucht mit dem Ziel, dass nicht die liechtensteinische A sondern die inländische Antragstellerin die Mehrwertdienstleistungen erbracht und demzufolge diese als eigene Umsätze zu versteuern habe, erweist sich dies jedenfalls nach den bisher bekannten Umständen als nicht haltbar. Bereits die vorgeschilderte Vertragslage und der tatsächliche Ablauf des Leistungsaustauschs, wie er sich nach außen dokumentiert, sprechen dagegen. Darüber hinaus haben die bisherigen Ermittlungen des Antragsgegners beziehungsweise die von der Antragstellerin vorgelegten Beweismittel ergeben, dass es sich bei der A um eine real existierende Gesellschaft und auch nicht um eine bloße Domizilgesellschaft handelt. Für eine Organschaft fehlt es an sämtlichen Tatbestandsmerkmalen der finanziellen, organisatorischen und wirtschaftlichen Eingliederung. Abgesehen davon ist eine grenzüberschreitende Organschaft gesetzlich nicht vorgesehen.

Soweit - wie der Antragsgegner vorträgt - seine Bedenken und die dazu in seinem Schreiben vom 24.03.2004 gestellten Fragen darauf abzielen, die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs (Unternehmereigenschaft der A) aus den der A erteilten Gutschriften zu überprüfen, ist dies ohnehin im Ergebnis unerheblich. Entweder hätten sich Vorsteuerabzug und Umsatzsteuerschuld nach § 13b Abs. 2 UStG ohnehin saldiert oder beides entfällt - wie dargestellt - mit dem gleichen Ergebnis aus anderen Rechtsgründen.

Das vorstehende, aus Subsumtion unter die gesetzlichen Vorschriften gewonnene Ergebnis kann nicht durch eine Vereinfachungsregel - contra legem - umgangen werden; jedenfalls nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen, auch wenn dies aus Praktikabilitätsgründen möglicherweise wünschenswert wäre. Zur näheren Begründung wird auch auf die nach Auffassung des Senats zutreffenden Ausführungen im Aufsatz von Hoffmann, Der Betrieb -DB- 1998, 848 verwiesen. Davon zu unterscheiden ist die weitergehende Überprüfung, ob sich allein aus den von den Vertragsbeteiligten erteilten unzutreffenden Gutschriften über nicht ausgeführte Leistungen eine Umsatzsteuerschuld der Antragstellerin nach § 14 Abs. 3 UStG a.F. ergibt.

In diesem Zusammenhang verkennt der Senat nicht, dass die Antragstellerin selbst von der Vereinfachungsregelung Gebrauch gemacht und entsprechend abgerechnet hat, und damit erst und insbesondere den - nach den vorstehenden Ausführungen unberechtigten - Vorsteuerabzug bei der B ermöglicht hat. Andererseits hat die Antragstellerin vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherung ihres ehemaligen Gesellschafter-Geschäftsführers auch glaubhaft gemacht, den ihr von B erteilten Gutschriften bereits vor dem Streitjahr widersprochen zu haben. Ob dies zur Glaubhaftmachung eines wirksamen Widerspruchs ausreicht, oder ob von der Antragstellerin - wie der Antragsgegner meint - "objektivere" Mittel der Glaubhaftmachung hätten beigebracht werden müssen, kann der Senat letztlich dahin stehen lassen.

Denn auch angesichts der grundsätzlich zutreffenden Ausführungen des Antragsgegners zur Anwendung des § 14 Abs. 3 UStG a.F. als Gefährdungstatbestand und der im Streitfall geschaffenen Gefährdungslage, verkennt der Antragsgegner, dass § 14 Abs. 3 UStG a.F. auf Gutschriften nach der BFH-Rechtsprechung und herrschender Literaturauffassung (vgl. Wagner in Sölch-Ringleb, Komm. zum UStG, § 14c, RdNr. 155 m.w.N. und Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Komm. zum UStG, § 14 RdNr. 454 dort Fußnote 1) nicht anwendbar ist. § 14 Abs. 3 UStG a.F. erfasst Gutschriften weder als Rechnungen noch als "andere Urkunden", da sie keine Abrechnung des (tatsächlichen oder angeblichen) Leistenden enthalten. Abgesehen davon, dass es sich insoweit um die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Kommentar-Literatur handelt, kommt im Streitfall hinzu, dass die Verwaltung selbst in den UStR 2002 Abschnitt 190 Abs. 2 Satz 2 eine Anwendung des § 14 Abs. 3 UStG a.F. ausschließt. Selbst wenn also die herrschende und die Verwaltungsauffassung unzutreffend sein sollten, hätte die Antragstellerin nach den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung einen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner den UStR 2002 entsprechend verfährt.

Da sich nach den vorstehenden Ausführungen jedenfalls keine positive Umsatzsteuerschuld der Antragstellerin ergeben dürfte, war der Umsatzsteuerbescheid wie beantragt von der Vollziehung auszusetzen.

Entgegen dem Antrag des Antragsgegners sieht der Senat auch von der Anordnung einer Sicherheitsleistung ab. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO kann auch die finanzgerichtliche Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Durch die Anordnung zur Stellung von Sicherheiten sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. In der Regel kann Sicherheit verlangt werden, wenn die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen die Realisierung der Steuerforderung bei Rechtskraft gefährdet erscheinen lässt. Andererseits ist es ermessensfehlerhaft, eine Sicherheitsleistung zu fordern, wenn ohnehin in absehbarer Zeit eine Realisierung der Steuerforderung ausgeschlossen erscheint oder der Steuerpflichtige trotz zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit zu leisten. Es ist nicht Sinn des § 69 FGO, dem Steuerpflichtigen, dessen wirtschaftliche Verhältnisse eine Sicherheitsleistung nicht zulassen, den Rechtsvorteil der Aussetzung der Vollziehung trotz ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids prinzipiell zu versagen. Das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen entfällt, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (vgl. BFH, Beschluss vom 31.01.1997 X S 11/96, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs BFH/NV 1997, 512; Seer in Tipke/Kruse, Komm. zur FGO, § 69, RdNr. 108 ff).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe hält der Senat im Streitfall eine Sicherheitsleistung nicht für geboten.

Nach den sich aus den Akten ergebenden Vermögensverhältnissen der Antragstellerin, die vom Antragsgegner selbst als vermögenslos und überschuldet bezeichnet wird, dürfte die Antragstellerin zum einen nicht in der Lage sein, Sicherheit zu leisten. Zum anderen geht der Senat von einem mit großer Wahrscheinlichkeit günstigen Prozessausgang für die Antragstellerin, gerade auch vor dem Hintergrund der eigenen Verwaltungsrichtlinien des Antragsgegners, aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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