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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 25.11.2003
Aktenzeichen: 6 K 3001/01 K
Rechtsgebiete: AO
Vorschriften:
AO § 163 |
Finanzgericht Düsseldorf
Tenor:
Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 19.04.2001 wird der Beklagte verpflichtet, den Körperschaftsteuerbescheid 1993 vom 27.08.1999 zu ändern und die Körperschaftsteuer 1993 um EUR 107.585,53 (DM 210.419) niedriger auf EUR 396.185,76 (DM 774.872) festzusetzen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Gründe:
Die Klägerin gehört zum "U-Konzern". Seit dem "Oktober 1992" ist sie 100%ige Tochter der "U-AG". Am "September 1993" schlossen die Klägerin und die "U-AG" einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag - EAV - mit Wirkung zum 01.10.1992. Die Gesellschafterversammlung der Klägerin stimmte diesem am "November 1993" und die Hauptversammlung der "U-AG" am "März 1994" zu. Der Beschluss der Gesellschafterversammlung der Klägerin wurde notariell beurkundet. Der EAV wurde sodann dem zuständigen Amtsgericht "H-Stadt" zur Eintragung in das Handelsregister vorgelegt. Dieses lehnte die Eintragung des Vertrages in das Handelsregister wegen einer angeblich nicht zulässigen Rückwirkung ab. Das dagegen von der Klägerin eingelegte Rechtsmittel blieb mit Beschluss des Oberlandesgerichts "G-Stadt" vom "Juni 1996" letztinstanzlich erfolglos. Nach der Entscheidung des OLG "G-Stadt" lagen zwar im Zeitpunkt der Anmeldung des EAV die Voraussetzungen zur Eintragung des Vertrages vor. Das AG "H-Stadt" habe die Wirkung des § 14 Nr. 4 Körperschaftsteuergesetz - KStG - verkannt. Die Eintragung habe aber, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung des OLG "G-Stadt" die Frist des § 14 Nr. 4 KStG verstrichen gewesen sei, nicht mehr vorgenommen werden können.
Die Klägerin und die "U-AG" schlossen, als sich abzeichnete, dass die Eintragung möglicherweise nicht erfolgen würde, mit Wirkung vom 01.10.1993 einen weiteren EAV ab, der ausweislich seiner Präambel an die Stelle des bisherigen Vertrages treten sollte. Dieser "Ersatz-Vertrag wurde am "September 1994" in das Handelsregister mit Wirkung ab dem Wirtschaftsjahr 1993/1994 eingetragen. Die Klägerin führte, von der Wirksamkeit des bereits für das Wirtschaftsjahr 1992/1993 geschlossenen Vertrages ausgehend, den Jahresüberschuss des Wirtschaftsjahres 1992/1993 in Höhe von 1.726.476 DM an die "U-AG" ab.
Im Rahmen einer für die Jahre 1993 bis 1995 durchgeführten Konzernbetriebsprüfung kamen die Prüfer zu dem Ergebnis, dass die körperschaftsteuerliche Organschaft zwischen der Klägerin und der "U-AG" für das Wirtschaftsjahr 1992/1993 nicht anerkannt werden könne, weil der EAV vom "September 1993" nicht in das Handelsregister eingetragen worden war. Der Beklagte folgte dieser Auffassung und setzte mit Bescheid vom 27.08.1999 die Körperschaftsteuer 1993 der Klägerin auf DM 984.614 fest.
Bereits am 16.08.1996 hatte die Klägerin beantragt, den EAV vom "September 1993" aus Billigkeitsgründen steuerlich anzuerkennen. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 23.03.1999 den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen ab. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Mit der dagegen gerichteten Klage macht die Klägerin geltend, sie habe alles Erforderliche getan, um die rechtzeitige Eintragung ins Handelsregister zu erreichen. Das Fehlverhalten des Amtsgerichts müsse sich die Finanzbehörde wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Ein Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung gegen das Amtsgericht "H-Stadt" bestehe nicht, da weder ein vorsätzliches noch ein grob fahrlässiges Fehlverhalten feststellbar sei. Die Steuer wäre bei Wirksamkeit des EAV um DM 210.419 niedriger festgesetzt worden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den zwischen der "U-AG" und der Klägerin mit Wirkung ab dem 01. Oktober 1992 geschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vom "September 1993" steuerlich für das Wirtschaftsjahr 1992/93 anzuerkennen und das Finanzamt unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2001 zu verpflichten, die mit Bescheid vom 27. August 1999 festgesetzte Körperschaftsteuer von DM 985.291 um DM 210.419 auf DM 774.872 niedriger festzusetzen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Er ist der Ansicht, die Klägerin habe zwar den Eintritt der steuerlichen Mehrbelastung nicht zu vertreten. Sie habe alles getan, um die Voraussetzungen für den gesetzlichen Tatbestand der körperschaftsteuerlichen Organschaft zu schaffen. Sie habe insbesondere den EAV rechtzeitig dem Amtsgericht "H-Stadt" zur Eintragung in das Handelsregister vorgelegt. Darüber hinaus habe sie zutreffend das erforderliche Rechtsmittel eingelegt. Weil der EAV tatsächlich aber nicht in das Handelsregister eingetragen worden sei, sei er steuerlich nicht anzuerkennen. Die Klägerin habe das Ergebnis des Wirtschaftsjahres 1992/1993 selbst zu versteuern. Diese Mehrbelastung sei durch einen Rechtsirrtum einer hessischen Justizbehörde ausgelöst worden. Dieses Fehlverhalten einer anderen Behörde sei der Finanzverwaltung nicht zuzurechnen. Billigkeitsmaßnahmen im Sinne der §§ 163, 227 Abgabenordnung - AO - beträfen jeweils Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Daher könne ein Fehlverhalten einer Behörde nur dann Grund für eine Billigkeitsmaßnahme sein, wenn es einer Behörde der Finanzverwaltung unterlaufen sei.
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen.
Gemäß § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. § 163 AO bezweckt, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1994, 833, m.w.N.). Es handelt sich hierbei um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde, die durch das Gericht nur nach Maßgabe des § 102 Finanzgerichtsordnung - FGO - auf Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder Ermessensfehlgebrauch geprüft werden darf (Beschluß des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603).
Im Streitfall ist die Ablehnung des beantragten Erlasses ermessensfehlerhaft.
Im Streitfall scheiterte, worüber unter den Beteiligten zutreffend Einvernehmen besteht, die steuerliche Wirksamkeit des Organschaftsverhältnisses gemäß §§ 14 bis 17 KStG ausschließlich an der rechtswidrigen Weigerung des AG "H-Stadt", den zivilrechtlich wirksamen EAV zwischen der Organträgerin "U-AG" und der Klägerin als Organgesellschaft in das Handelsregister einzutragen. Der Beklagte hat, auf der Basis des Gesetzeswortlautes zutreffend, das Organschaftsverhältnis wegen der fehlenden Eintragung nicht anerkannt und das Jahresergebnis der Klägerin nicht dem Organträger zugerechnet, sondern die Klägerin auf der Grundlage ihres Jahresergebnisses besteuert. Die von der fristgemäßen Eintragung abhängige steuerliche Wirkung des EAV ist durch die fehlerhafte Nichteintragung letztlich vereitelt worden. Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht Einvernehmen darüber, dass die Klägerin alles getan hat, um die Voraussetzungen für die Eintragung zu erfüllen. Insbesondere hat sie einen zivilrechtlich wirksamen EAV abgeschlossen und diesen frühzeitig zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet. Gegen die - wie das OLG "G-Stadt" in seinem Beschluß vom "Juni 1996" dargelegt hat - auf der Verkennung der Wirkung des § 14 Nr. 4 KStG beruhende rechtswidrige Weigerung des AG "H-Stadt", die Eintragung vorzunehmen, hat die Klägerin Rechtsmittel ergriffen. Allein wegen des - von der Klägerin nicht zu vertretenden - Zeitablaufs konnte das OLG "G-Stadt" die Eintragung zum Zeitpunkt seines Beschlusses vom "Juni 1996" nicht mehr vornehmen. Die Klägerin hat den Vertrag auch, ausgehend von dessen Wirksamkeit, wirtschaftlich durchgeführt, indem sie ihr Jahresergebnis an die Organgesellschaft abgeführt hat.
Zwar ist auf der Grundlage dieses Sachverhaltes die beantragte Billigkeitsmaßnahme - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nicht aus in der Person der Klägerin liegenden Gründen geboten. Entgegen der Ansicht des Beklagten hat die Klägerin aber einen Anspruch auf abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen. Das Ermessen des Beklagten ist insoweit auf Null reduziert. Denn die Festsetzung der Mehrsteuer, die wegen der Nichtanerkennung des Ergebnisabführungsvertrages aufgrund der rechtswidrigen nicht von der Klägerin zu vertretenden Nichteintragung ins Handelsregister festgesetzt worden ist, ist nach Lage des Falles unbillig.
Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Falle derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Sachliche Gründe sind danach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (u.a. BFH-Urteile vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BStBl II 1973, 271;vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BStBl II 1973, 466, undvom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BStBl II 1993, 3; bestätigt durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BStBl II 1978, 441). Auch das Fehlverhalten von Behörden kann eine abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen erfordern (vgl. Kruse/Loose in: Tipke/Kruse AO/FGO § 227 AO RN 68).
Entgegen der Ansicht des Beklagten, wonach grundsätzlich nur das Fehlverhalten der Finanzbehörden eine Billigkeitsentscheidung im Sinne des § 163 AO rechtfertigen könne, kann auch das Fehlverhalten einer anderen Behörde eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen erfordern. Zwar kann und soll § 163 AO ein - nach wie vor - fehlendes Staatshaftungsrecht nicht ersetzen. Daher ist ein Fehlverhalten einer Behörde, welches außerhalb des Steuerschuldverhältnisses zu einem Vermögensnachteil eines Steuerpflichtigen führt, nicht unter Anwendung der Vorschriften der §§ 163 bzw. 227 AO zu kompensieren. Jedenfalls aber dort, wo die Finanzverwaltung steuerrechtliche Folgen an die Entscheidung anderer - zwar nicht steuerfestsetzender aber steuerrechtliche Normen anwendenden - Behörden knüpft, wäre es unbillig, wenn aufgrund falscher Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften durch andere Behörden die Finanzämter belastende steuerliche Folgen zögen, ohne den steuerrechtlichen Fehler durch eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen kompensieren zu können. Der Steuerstaat darf sich, wenn er die Entscheidung über die Besteuerung und deren Voraussetzungen auf mehrere Behörden aufteilt, nicht darauf zurückziehen, Billigkeitsentscheidungen kämen nur im unmittelbaren Steuerschuldverhältnis, also bei Fehlern der Finanzverwaltung in Frage.
Diese Auffassung ist auch der Finanzverwaltung nicht fremd. So können nach Auffassung der Finanzverwaltung verspätete Eintragungen im Handelsregister - also Handlungen anderer Behörden -, in Einzelfällen eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen rechtfertigen. Beispielsweise hat das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 17.11.2000 (BStBl I 2000, 1521) verfügt, dass aus Billigkeitsgründen in Fällen, in denen die (späte) Eintragung in das Handelsregister zur Anwendung der Neuregelung des UmwStG führen würde, auf Antrag das UmwStG a.F. anzuwenden ist. Der Zeitpunkt der Eintragung ist aber nicht vom Verhalten des Steuerpflichtigen, sondern von der Arbeitsbelastung und -Geschwindigkeit der Registergerichte abhängig. Die Finanzverwaltung sieht also- anders als der Beklagte - das Verhalten einer anderen Behörde als relevant für eine Billigkeitsentscheidung der Finanzverwaltung an.
Es wäre daher für das Rechtsgefühl aller billig und gerecht Denkenden unerträglich, wenn der Beklagte die fehlerhafte Nichtberücksichtigung des § 14 Nr. 4 KStG durch das AG "H-Stadt" bei seiner Beurteilung, ob die Steuerfestsetzung gegen die Klägerin unter Anwendung des § 14 KStG erfolgen kann, jedenfalls im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung unberücksichtigt lassen würde. Denn es wäre unbillig, wenn die Wirkung einer steuerrechtlichen Norm im Billigkeitswege nicht berücksichtigt würde, sofern der Eintritt der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm ausschließlich durch die rechtsfehlerhafte Anwendung gerade dieser Norm durch eine andere Behörde vereitelt worden ist.
Der Streitfall liegt anders als der vom Beklagten zitierte Fall, über den der BFH mit Urteil vom 07.05.1968 (II 151/64, BStBl II 1968, 663) entschieden hat. Dort war eine steuerrechtlich relevante Frist u.a. deshalb versäumt worden, weil der Fortschritt von Baumaßnahmen - auf die die Behörde keinen Einfluß hatte - verzögert worden war. Auch konnte im dort entschiedenen Fall - anders als im Streitfall - ein Fehlverhalten einer Behörde nicht festgestellt werden.
Entgegen der Ansicht des Beklagten steht einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen kein Schadenersatzanspruch der Klägerin entgegen. Zwar könnten sowohl die fehlerhafte Entscheidung des AG "H-Stadt" als auch die späte Entscheidung des OLG "G-Stadt" als schadensbegründende Ereignisse angesehen werden. Einem Ersatzanspruch steht aber § 839 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch entgegen. Eine andere Anspruchsnorm als § 839 BGB ist aber nicht ersichtlich.
Die Steuer ist im Streitfall daher aus Billigkeitsgründen so festzusetzen, wie sie festzusetzen gewesen wäre, wenn das AG "H-Stadt" die Wirkung des § 14 Nr. 4 KStG nicht verkannt und dementsprechend die Eintragung in das Handelsregister fristgemäß vorgenommen hätte.
Die Höhe der durch die Nichtanerkennung des Organschaftsverhältnisses verursachten Mehrsteuer hat die Klägerin unwidersprochen mit DM 210.419 beziffert.
Der Senat geht demgegenüber davon aus, dass die Körperschaftsteuer der Klägerin bei steuerlich anzuerkennendem Organschaftsverhältnis im Streitjahr 0 DM - bei höher anzusetzenden Körperschaftsteuer bei dem Organträger - betragen hätte, sieht sich aber an den Antrag der Klägerin - die offensichtlich die im Organschaftsverhältnis saldierte Mehrsteuer berechnet hat - gebunden.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist (§ 115 Abs. 2 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Ende der Entscheidung
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