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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.03.2007
Aktenzeichen: 7 K 6977/04 E
Rechtsgebiete: StGB, AO


Vorschriften:

StGB § 16 Abs. 1 S. 1
AO § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 S. 2
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1
AO § 370 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

7 K 6977/04 E

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Die Kläger sind türkische Staatsangehörige und im Inland nichtselbständig tätig.

In den Streitjahren 1993 und 1995 erklärten sie Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von

 KlägerKlägerin
1.71.172 DM16.895 DM
2.74.210 DM5.502 DM.

Das Vorliegen von Einnahmen aus Kapitalvermögen von mehr als 6.100 DM (12.200 DM bei Zusammenveranlagung) wurde im Mantelbogen der Einkommensteuererklärungen verneint.

Die Einkommensteuererklärung 1993 ging am 20.4.1994, die Erklärung für 1995 am 27.12.1996 bei dem Beklagten ein. Die Veranlagungen wurden erklärungsgemäß durchgeführt.

Nachdem der Beklagte Kenntnis davon erlangt hatte, dass die Kläger Zinseinkünfte aus Geldanlagen bei der Türkischen Zentralbank bezogen hatten, änderte er die Einkommensteuerbescheide 1993 und 1995 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO am 1.12.2003 und berücksichtigte Einnahmen aus § 20 EStG in Höhe von

 KlägerKlägerin
1.19.530 DM12.264 DM
2.19.528 DM18.158 DM.

Gegen die Bescheide legten die Kläger Einspruch ein mit der Begründung, es sei Festsetzungsverjährung eingetreten.

Der Beklagte wies den Einspruch zurück mit der Begründung, die Festsetzungsfrist betrage zehn Jahre, da die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung vorlägen. Die Kläger hätten in den Steuererklärungen für die Streitjahre ausdrücklich das Vorliegen von Kapitaleinkünften verneint. Erläuterungen zur Versteuerung ausländischer Kapitalerträge seien den Anlagen KSO regelmäßig beigefügt. Die Kläger lebten seit 30 Jahren im Inland und müssten der deutschen Sprache mächtig sein.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage tragen die Kläger vor:

Die Kläger seien auf Grund der Werbung in den türkischen Medien auf die Anlage bei der Türkischen Zentralbank aufmerksam geworden. Die Türkische Zentralbank habe den im Ausland lebenden türkischen Gastarbeitern angeboten, ihre Ersparnisse bei ihr anzulegen. Sie habe eine groß angelegte Werbemaßnahme gestartet und durch Infoveranstaltungen in den Räumen von Moscheen und Kulturvereinen für die Anlagemöglichkeit geworben. Auf Hinweis des Repräsentantenbüros der Zentralbank in Frankfurt hätten die Kläger die A-Bank aufgesucht, um bei der Türkischen Zentralbank Geld anzulegen. In der Filiale der A-Bank in E-Stadt seien stapelweise vorhandene Überweisungsbelege vorhanden gewesen, mittels deren die Kläger Geld an die Zentralbank überwiesen hätten. Der Kläger könne sich nicht erinnern, dass die Bankmitarbeiter, die ihn betreut hätten, auf die steuerlichen Pflichten in Deutschland aufmerksam gemacht hätten. Auch von der Türkischen Zentralbank hätten die Kläger bezüglich der Steuerpflicht der Zinseinkünfte in Deutschland keine Hinweise erhalten. Die Zentralbank habe den Klägern Bankbescheinigungen übersandt, aus denen zu entnehmen gewesen sei, dass Steuern von 15 % einbehalten und an das türkische Finanzamt abgeführt worden seien. Ein Hinweis auf eine Zinsbesteuerung in Deutschland sei nicht erfolgt. Die Zentralbank habe zudem damit geworben, dass die Zinseinkünfte in den Wohnsitzländern steuerfrei seien. Die Kläger hätten daher die Steuerpflicht in Deutschland nicht gekannt.

Die Kläger, die nur Einkünfte aus ihrer nichtselbständigen Tätigkeit bezogen hätten, hätten keinen steuerlichen Berater. Nachdem die Kläger zunächst schriftsätzlich ausgeführt hatten, die Einkommensteuererklärungen seien von verschiedenen Mitarbeitern von Lohnsteuerhilfevereinen ausgefüllt worden, keiner dieser Mitarbeiter habe die Kläger nach Zinseinkünften gefragt, haben sie in der mündlichen Verhandlung dargelegt, die Erklärungsvordrucke hätten sie in einem türkischen Café ausfüllen lassen und nur noch unterschrieben, hierfür hätten sie jeweils 20 DM zahlen müssen.

Die Kläger beantragen,

die geänderten Einkommensteuerbescheide 1993 und 1995 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 24.11.2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt Klageabweisung.

Er trägt vor:

Es sei nicht glaubhaft, dass die Kläger die Steuerpflicht der Zinserträge im Inland nicht gekannt hätten. Die Kläger hätten in den Vorjahren die Anlagen KSO unterschrieben, sie hätten Steuervergünstigungen in Anspruch genommen, die Steuerpflicht habe sich aus den Medien und den Hinweisen auf inländischen Bankauszügen ergeben. Die Anlageart durch Bareinzahlung im Inland über die A-Bank lasse auf ein geschäftsmäßiges Verhalten schließen, um die Einnahmen bewusst zu verschleiern.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).

Zu Recht hat der Beklagte in den geänderten Einkommensteuerbescheiden 1993 und 1995 Einnahmen aus Kapitalvermögen der Kläger auf Grund der Geldanlage bei der Türkischen Zentralbank berücksichtigt.

Die Änderung war nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zulässig. Dass die Kläger Geld verzinslich bei der Türkischen Zentralbank angelegt hatten, ist dem Beklagten erst nach Durchführung der Einkommensteuerfestsetzungen für 1993 und 1995 bekannt geworden. Dabei handelt es sich um eine Tatsache i.S. des § 173 AO.

Der Änderung steht nicht entgegen, dass die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO bei Erlass der Änderungsbescheide am 8.12.2003 abgelaufen war. Denn im Streitfall betrug die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, weil die Kläger den Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO verwirklicht haben. Die zehnjährige Festsetzungsfrist endete für 1993 am 31.12.2004 und für 1995 am 31.12.2006, so dass die Änderungsbescheide vom 8.12.2003 vor deren Ablauf erlassen wurden.

Die Kläger haben dadurch, dass sie die Zinserträge in den Einkommensteuererklärungen nicht angegeben haben, eine Steuerhinterziehung begangen. Sie haben dem Beklagten über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) und die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Der Bezug von Zinseinnahmen aus der Anlage bei der türkischen Zentralbank stellt eine steuerlich erhebliche Tatsache dar. Nach den Bankbescheinigungen der TCMB-Bank haben die Kläger in den Streitjahren jeweils erheblich über dem Betrag von 6.100 DM liegende Kapitalerträge erzielt. Diese türkischen Zinserträge sind nach Art. 11 und 23 DBA-Türkei in die Veranlagung im Inland (Wohnsitzstaat) einzubeziehen, wobei die türkische Quellensteuer anzurechnen sind (§ 34 c Abs. 1 und 6 EStG). Dadurch, dass die Kläger in den Mantelbögen der Einkommensteuererklärungen angekreuzt haben, die Einnahmen aus Kapitalvermögen lägen jeweils nicht höher als 6.100 DM, haben sie objektiv falsche Angaben über ihre tatsächlichen Kapitalerträge gemacht.

Dies haben sie auch zumindest bedingt vorsätzlich getan. Vorsätzlich handelt auch derjenige, der es für möglich hält, dass er den Straftatbestand verwirklicht und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BFH vom 19.3.1998 V R 54/97 BStBl II 1998, 466). Ein allgemeines Wissen oder Wissenkönnen, dass eine Verletzung des betreffenden Rechtsgutes verboten ist, reicht hierfür nicht aus. Es genügt aber, wenn der Täter zwar nicht in rechtstechnischer Beurteilung, aber doch in einer seiner Gedankenwelt entsprechenden allgemeinen Bewertung das Unrechtmäßige seiner Tat erkennen musste oder hätte erkennen können (vgl. BGH vom 6.12.1956 4 StR 234/56 BGHSt 10,35; BFH vom 18.12.1986 I B 49/86 BStBl II 1988, 213). Der Steuerpflichtige muss sich auf Grund einer sog. Parallelwertung in der Laiensphäre des sozialen Sinngehalts seines Verhaltens bewusst sein (vgl. FG E-Stadt vom 25.4.2005 16 K 1387/04 E EFG 2005,1660). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall zu bejahen.

Die Kläger leben seit über dreißig Jahren in Deutschland. Sie haben regelmäßig Einkommensteuererklärungen abgegeben. In den Vorjahren hatten sie die Anlage KSO unterzeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Kapitaleinnahmen erzielt hatten. In den Streitjahren haben sie im Mantelbogen angekreuzt, dass die Einnahmen unter 6.100 DM pro Person lagen. Das Ankreuzen setzte voraus, dass die Kläger sich über die Frage des Vorliegens von Kapitaleinnahmen und deren Höhe Gedanken machen mussten. Mit der Unterschrift auf den Steuererklärungen haben sie die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben versichert. Dies war den Klägern auf Grund ihres langen Aufenthalts in Deutschland und der regelmäßigen Erklärungsabgabe auch bekannt. Soweit die Kläger sich in der mündlichen Verhandlung dahingehend eingelassen haben, die Erklärungen hätten sie von jemandem in einem Café ausfüllen lassen und nur unterschrieben, vermag sie dies nicht zu entlasten. Denn die Erklärungspflicht trifft zum einen den Steuerpflichtigen persönlich. Zum anderen setzte das Ausfüllen des Vordrucks voraus, dass sie demjenigen, den sie hiermit beauftragt hatten, die entsprechenden Angaben gemacht haben. Denn es sind nicht etwa nur die Angaben aus den Lohnsteuerkarten in den Erklärungsvordruck "abgeschrieben" worden; dieser enthält vielmehr auch solche Angaben, die die Kläger persönlich machen mussten, wie Name und Ausbildung der Kinder und Unterstützungsaufwendungen an Angehörige in der Türkei. Daraus ergibt sich bereits, dass derjenige, der den Vordruck ausgefüllt hat, nicht etwa eigenmächtig ohne Mitwirkung der Kläger gehandelt haben kann, sondern dass die Kläger zu den einzelnen Fragen laut Vordruck befragt wurden. Dementsprechend ist auch im Mantelbogen nicht die Abgabe einer Anlage KSO angekreuzt, sondern ausdrücklich höhere Kapitaleinnahmen als 6.100 DM pro Kopf verneint worden.

Die Kläger können sich nicht auf einen vorsatzausschließenden Irrtum nach § 16 Abs. 1 StGB berufen.

Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB liegt (nur) dann vor, wenn der Steuerpflichtige aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erkennt, dass seine Angaben unrichtig oder unvollständig sind bzw. dass ein Verkürzungserfolg eintreten kann (Hübschmann-Hepp-Spittaler-Hellmann, § 370 AO Rz. 249). Die Annahme einer Steuerhinterziehung setzt aber insbesondere nicht die Feststellung voraus, dass sich der Steuerpflichtige konkrete Vorstellungen über die korrekte steuerrechtliche Einordnung des von ihm nicht oder unrichtig erklärten Sachverhaltes gemacht hat. Entscheidend ist allein, ob er als steuerpflichtig erkannte Einnahmen bewusst verschwiegen hat. Dabei genügt eine seiner Gedankenwelt entsprechende allgemeine Bewertung (BFH Urteil vom 21.2.1992, VI R 141/88, BStBl II 1992, 565, m. w. N.; FG Rheinland-Pfalz vom 8.6.2004 2 K 1000/03 DStRE 2004, 1444; FG E-Stadt vom 25.4.2005 aaO.).

Soweit die Kläger vorgetragen haben, sie hätten die Steuerpflicht der Zinseinnahmen in Deutschland nicht gekannt, stellt dies nach Auffassung des Senats eine bloße Schutzbehauptung dar. Auf die Angaben in dem Werbevideo der Türkischen Zentralbank konnten sie schon deshalb nicht vertrauen, weil dort die Steuerfreiheit der Kapitalanlagen behauptet wurde, obwohl tatsächlich in der Türkei eine 15%ige Quellensteuer abgeführt wurde. Letzteres war den Klägern auch aus den Bankbescheinigungen, die sie von der Zentralbank erhielten, bekannt. Insofern bestand auch kein begründeter Anlass für die Kläger, von einer Steuerfreiheit in Deutschland auszugehen. Vielmehr hätte es sich gerade wegen dieses Widerspruchs zwischen Werbebotschaft und tatsächlicher Handhabung aufgedrängt, die Kapitalerträge in Deutschland anzugeben und damit dem Finanzamt die Möglichkeit zu geben, die Frage der Steuerpflicht zu prüfen. Dies haben die Kläger aber gerade nicht getan und damit billigend in Kauf genommen, dass die Zinsen nicht der Besteuerung unterworfen würden.

Auch aus anderen Umständen ist auf einen mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich der Steuerhinterziehung zu schließen. Die Höhe der unstreitigen Geldanlagen in der Türkei sowie die konkrete Abwicklung der Anlagegeschäfte lassen darauf schließen, dass die Kläger insoweit planmäßig vorgingen. Die Einzahlungen über die A-Bank erfolgte in bar, so dass der Geldfluss nicht über bekannte Bankverbindungen der Kläger nachvollzogen werden konnte. Dieses Verhalten spricht dafür, dass eine Verschleierung des Sachverhaltes von vornherein geplant war. Vor diesem Hintergrund ist es auch unwahrscheinlich, dass die fehlende Geltendmachung der einbehaltenen Quellensteuer bei der deutschen Veranlagung auf Unkenntnis bzw. Ungewandtheit in steuerlichen Dingen und nicht vielmehr auf die Absicht der kontinuierlichen Verschleierung der Anlagen bei der türkischen Bank zurückzuführen ist.

Ein weiteres Indiz dafür, dass die Kläger mit Einzelfragen der Einkommensbesteuerung vertraut waren und sie sich mit den in den Vordrucken zur Einkommensteuererklärung gestellten Fragen inhaltlich befasst haben, ist der Umstand, dass sie in der Lage waren, steuerlich für sie günstige Tatsachen in den Steuererklärungen geltend zu machen, insbesondere nämlich Unterhaltszahlungen an in der Türkei lebende Familienangehörige.

Gegen die Höhe der vom Beklagten angesetzten Kapitaleinkünfte haben die Kläger keine Einwendungen erhoben; diese ist auch nach Aktenlage nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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