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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 10.11.2006
Aktenzeichen: 1 K 101/06
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB


Vorschriften:

AO 1977 § 108 Abs. 2
AO 1977 § 122 Abs. 2
AO 1977 § 355 Abs. 1
BGB § 188
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

1 K 101/06

Tatbestand:

Unter den Beteiligten ist streitig, wie die Monatsfrist zur Einlegung eines Einspruchs gegen einen im kürzeren Monat Februar zugegangenen Bescheid zu berechnen ist.

Die Kläger legten mit Schreiben vom 27.03.2006 gegen die Einkommensteuerbescheide für 2003 und 2004 vom 21.02.2006, die auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhten, Einspruch ein. Sie machten jeweils Verluste bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend und kündigten die - am 03.04.2006 eingegangenen - Steuererklärungen in formellen Vordrucken an.

Mit Schreiben vom 12.04.2006 wies der Beklagte die Kläger darauf hin, dass Einsprüche gemäß § 355 Abs. 1 AO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe einzulegen seien. Die Bekanntgabe der durch einfachen Brief zugesandten Bescheide gelte gemäß § 122 Abs. 2 AO mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt. Mit Ablauf des Tages, an dem der Bescheid bekannt gegeben werde, beginne gemäß § 108 Abs. 2 AO die Rechtsbehelfsfrist. Da die Bekanntgabe demnach am 24.02.2006 als bewirkt gelte, habe die Einspruchsfrist am 24.03.2006 geendet. Das am 27.03.2006 eingegangene Einspruchsschreiben sei verspätet. Gründe für eine Wiedereinsetzung, die auch nicht beantragt sei, seien nicht vorgetragen und nicht ersichtlich. Der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Bescheid für 2003 könne geändert werden, eine solche Möglichkeit bestehe für den ohne Vorbehalt ergangenen Bescheid für 2004 nicht.

Die Kläger beriefen sich mit Schreiben vom 20.04.2006 darauf, dass eine Monatsfrist im deutschen Sprachraum 30 Tage betrage. Deshalb sei die am 24.02.2006 begonnene Einspruchsfrist am 26.03.2006 abgelaufen und habe sich bis zum Montag, den 27.03.2006 verlängert. Wegen der Differenz der Berechnung um nur einen Werktag sei ein Minimum an Toleranz angebracht. Mit dem Schreiben, auf dessen Inhalt im Einzelnen Bezug genommen wird, beantragten die Kläger keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Mit Einspruchsentscheidung vom 26.04.2006 verwarf der Beklagte den Einspruch gegen den ESt-Bescheid 2004 aus den bereits genannten Gründen als unzulässig. Eine Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht. Sie sei weder beantragt noch sei ein Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich Gründe für eine Wiedereinsetzung ergäben. Auch aus dem Akteninhalt seien derartige Gründe nicht erkennbar.

Mit ihrer dagegen am 03.05.2006 eingereichten Klage wiederholen die Kläger ihre Argumentation, nach der die Monatsfrist am Sonntag, den 26.03.2006 ende. Der jeweilige Kalendermonat bei Beginn der Frist sei im Gesetzestext nicht benannt und dieser spreche auch nicht von 4 Wochen. Deshalb nähmen sie einen abstrakten Durchschnittsmonat von 30 Tagen in Anspruch (Meistbegünstigung). Für die Verkürzung der gesetzlich festgelegten Monatsfrist auf 28 Tage bei Einsprüchen im März gebe es keine Begründung. Die Ablehnung einer Wiedereinsetzung werde ebenfalls angefochten. Das sei schon wegen der Härte, die sich aus der Differenz zwischen dem geschätzten Bescheid und der Steuererklärung ergebe, geboten. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werde vorbehalten.

Nach der Erwiderung des Beklagten vom 22.05.2006, dass bei der Fristberechnung kein Ermessensspielraum bestehe, rügten die Kläger mit Schreiben vom 08.06.2006 zusätzlich, dass der angefochtene Bescheid 2004 im Unterschied zu dem Bescheid 2003, der aufgrund der Steuererklärung geändert worden sei, ohne Vorankündigung vorbehaltlos ergangen sei. Eine Erklärung dafür sei nicht ersichtlich.

Einen bei dem Finanzgericht gestellten Antrag vom 30.05.2006 auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2004 (Az.: 1 V 118/06) nahmen sie auf richterliche Anregung und dem Hinweis auf die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 188 BGB zur Bestimmung des Endes von Fristen mit Schriftsatz vom 19.06.2006 zurück.

Am gleichen Tag trugen sie im vorliegenden Verfahren wie folgt vor: "Zurück genommen wird die Klage hinsichtlich der Einspruchsfrist. Aufrecht erhalten wird die Klage gegen den im Einspruchsbescheid dargelegten Ausschluss einer möglichen Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Das Finanzamt verkehrt hier seine Beratungspflicht gegenüber dem Steuerpflichtigen in das Gegenteil. Aufrecht erhalten werde der Klagegrund der Nachprüfungsverweigerung bei einem geschätzten Steuerbescheid.

Im übrigen führten sie aus: "Zur Abkürzung des Verfahrens wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor dem Finanzgericht beantragt. Die Begründung liegt in der durch Unfall und Krankenhausaufenthalt seit 10.März 2006 verhinderten Steuerpflichtigen ... (Frau M), die am Einspruchsverfahren nicht teilnehmen konnte. Zwei ärztliche Bescheidungen werden beigefügt."

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 26.04.2006 den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 21.02.2006 dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß der am 03.04.2006 eingereichten Steuererklärung festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Einspruchsfrist sei versäumt worden. Wiedereinsetzung sei erstmalig im jetzigen Verfahren vorgebracht worden. Es sei ausschließlich Sache der Kläger gewesen, rechtzeitig auf den Unfall hinzuweisen.

Auf den Vortrag der Kläger, dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung erst nach Wegfall des Hindernisses habe gestellt werden können, wurden ihm die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Hinweisschreiben der Vorsitzenden vom 25.07.2006, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, erläutert.

Mit Schreiben vom 29.07.2006 bzgl. "Erneuerung des Wiedereinsetzungsantrags vom 19.06.2006" wiederholten die Kläger "aus formalen Gründen den Wiedereinsetzungsantrag vom 19.06.2006".

Ergänzend wird auf den Inhalt der Schriftsätze und eingereichten Anlagen sowie der Einkommensteuer- und Rechtsbehelfsakte Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -).

I.

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist bestandskräftig und nicht mehr zu korrigieren.

1.

Zurecht ist der am 27.03.2006 eingelegte Einspruch mit der Einspruchsentscheidung vom 26.04.2006 als unzulässig verworfen worden. Die Kläger haben den Bescheid nicht innerhalb der Einspruchsfrist gemäß § 355 AO angefochten. Ein Einspruch ist nach dieser Vorschrift innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes einzulegen.

Unstreitig gehen die Beteiligten von einem Fristbeginn am 24.02.2006 aus. Ein durch die Post übermittelter Einkommensteuerbescheid gilt gemäß § 122 Abs. 2 AO drei Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben und die Postaufgabe erfolgte am 21.02.2006.

Die Einspruchsfrist endete, wie die Kläger inzwischen einräumen, entsprechend eindeutiger gesetzlicher Regelung mit Ablauf des 24.03.2006.

Das Ende der Monatsfrist ist gemäß §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - zu berechnen. Auf diese Vorschriften verweist ausdrücklich der auch vom Kläger zitierte § 108 AO. Gemäß § 188 Abs. 2 BGB gilt: Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum ... bestimmt ist, endigt im Fall des § 187 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. § 187 Abs. 1 BGB lautet: "Ist für den Anfang der Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf des Tages fallender Zeitpunkt maßgebend, so wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt." Gemäß § 188 Abs. 2 BGB endigt die genannte Frist im Falle des § 187 Abs. 2 BGB mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tag vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht. § 187 Abs. 2 BGB lautet: "Ist der Beginn eines Tages der für den Anfang der Frist maßgebende Zeitpunkt, so wird dieser Tage bei der Berechnung der Frist mitgerechnet."

§ 188 Abs. 3 BGB sieht vor: Fehlt bei einer nach Monaten berechneten Frist in dem letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endigt die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats.

Diese Bestimmungen, die eindeutig auf die zahlenmäßig benannten Kalendertage verweisen, lassen keine Ausweitung der Frist mit Rücksicht auf die kürzere Monatsdauer des Februar zu. Ausdrücklich kommt es nur auf die Monate als solche unabhängig von der jeweiligen Anzahl ihrer Tage an. Korrespondierend dazu trifft § 188 Abs. 3 BGB eine konkrete Bestimmung für die nach der Anzahl ihrer Tage variierenden Monate, indem bei einem im Vergleich zum Vormonat "zu kurzen" Monat schlicht der letzte Tag dieses Monats ausschlaggebend ist. Die genaue Dauer der Frist ist unerheblich.

2.

Für eine vom Beklagten zu Recht abgelehnte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO ist kein Raum. Das gilt, soweit die Kläger auf den Unfall der Klägerin zu 2. verwiesen haben, ferner für die behauptete Berechnungsmethode.

Unabhängig davon, ob die vom Kläger erstmalig mit Schriftsatz vom 19.06.2006 vorgebrachten Argumente einer krankheitsbedingten Ursache für den verspäteten Einspruch zu der Annahme hätten führen können, dass eine unverschuldete Fristversäumnis vorgelegen habe, kommt eine Wiedereinsetzung bereits deshalb nicht in Betracht, weil sie auch bei wohlwollender Auslegung des gesamten Vorbringens nicht rechtzeitig beantragt worden ist (s. dazu 3.)

Auch eine Wiedereinsetzung von Amts wegen aufgrund einer unzutreffenden Fristberechnung durch die Kläger hätte nicht gewährt werden müssen. (s. dazu 4. - 8.).

3.

§ 110 Abs. 2 Satz 1AO lässt eine Wiedereinsetzung hinsichtlich der Einspruchsfrist zu, wenn der Wiedereinsetzungsantrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden ist. Gemäß § 110 Abs. 2 Satz 2 AO sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag geltend zu machen.

Ein "Wegfall des Hindernisses" im Sinne des § 110 AO, der den Fristablauf von einem Monat für einen Antrag auf Wiedereinsetzung auslöste, lag mit der Mitteilung des Finanzamtes vom 12.04.2006 über die Fristversäumung vor. Zu diesem Zeitpunkt war den Klägern, die in risikoreicher Weise eine der gesetzlichen Regelung widersprechende Fristberechnung vorgenommen hatten, bewusst, dass ihre Ansicht zumindest nicht akzeptiert wurde. Dennoch kam es auch nicht konkludent zu einem Wiedereinsetzungsantrag, weil die Kläger ihre Rechtsansicht, den Einspruch rechtzeitig eingelegt zu haben, weiterhin vertraten und ergänzend begründeten. Vielmehr wurde in der Klage noch ausdrücklich von einem solchen Antrag abgesehen und ein solcher nur vorbehalten.

Ein Wiedereinsetzungsantrag der Kläger ist ausdrücklich erstmalig mit Schriftsatz vom 19.06.2006 gestellt worden. Erstmalig mit Schriftsatz vom 19.06.2006 sind auch mit dem unfallbedingten Krankenhausaufenthalt zusammenhängende Umstände benannt worden, die zur möglichen Begründung einer unverschuldeten Fristversäumung hätten geprüft werden können. Jedoch auch ein Krankenhausaufenthalt der Klägerin hätte der Möglichkeit eines vorsorglich noch ohne Begründung einzulegenden Einspruchs durch die Kläger nicht entgegengestanden.

4.

Der Beklagte war auch nicht gemäß § 110 Abs. 2 Satz 4 AO verpflichtet, aufgrund des Vorbringens im Schreiben der Kläger vom 20.04.2006 von Amts wegen Wiedereinsetzung wegen fehlerhafter Berechnung der Einspruchsfrist zu gewähren.

§ 110 AO enthält in seinem Abs. 1 grundsätzlich die Regelung, dass eine Wiedereinsetzung auf Antrag zu gewähren ist. § 110 Abs. 2 Satz 4 AO sieht auch eine Wiedereinsetzung von Amts wegen vor.

Für einen Antrag auf Wiedereinsetzung bestimmen § 110 Abs. 2 Satz 1, 2 und 3 AO die Anforderungen, nämlich die maßgebliche Frist (innerhalb eines Monats) sowie den Beginn der Frist (Wegfall des Hindernisses), ferner den notwendigen Inhalt eines Wiedereinsetzungsantrages. Satz 3 lautet: "Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen." Satz 4 lautet: "Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden."

5.

Die Kläger haben innerhalb eines Monats nach Kenntnis davon, dass der Einspruch als unzulässig angesehen wurde, eine vom Gesetz abweichende Auslegung der im Steuerbescheid genannten Rechtsbehelfsfrist vorgetragen. Pauschal haben sie behauptet: "Eine Monatsfrist beträgt im deutschen Sprachraum 30 Tage".

Diese allgemeine Aussage ist als solche im Kern unzutreffend. In der geäußerten Allgemeinheit ohne näher bezeichnete Anhaltspunkte für diese Behauptung stimmt sie mit dem Sprachgebrauch nicht überein. Dieser kennt keinen generell anwendbaren Einheitsmonat losgelöst von jedwedem Anwendungsbereich. Er verwendet Fristen in unterschiedlichen Zusammenhängen und mit unterschiedlicher Regelungsabsicht, ferner mit unterschiedlicher Verbindlichkeit und differierenden Folgen bei Nichtbeachtung. Es gibt Monate mit 28, 29, 30 und 31 Tagen. Der allgemeine Sprachgebrauch unterscheidet danach, ob durch eine Fristbezeichnung maßgeblich ein Zeitraum oder ein konkreter Termin als zweifelsfrei erkennbarer Endpunkt bestimmt werden soll. Er kennt grundsätzlich die Maßgeblichkeit von Fristenregelungen im Rechtsverkehr.

Ohne Bezug auf den Zusammenhang, in dem das undifferenziert behauptete Fristverständnis hätte gelten sollen, ergab die Äußerung der Kläger im Schreiben vom 20.04.2006, die innerhalb der Monatsfrist nach Wegfall des Hindernisses erfolgte, keinen Anlass zu einer antragslosen Wiedereinsetzung oder Erforschung der pauschalen Fehleinschätzung. Eine Erläuterung für ihre generelle Behauptung, die der Realität variierender Monatsdauer und der eindeutigen gesetzlichen Regelung für Rechtsbehelfsfristen in § 108 AO i.V.m. § 188 BGB widerspricht, fehlte. Es war nicht erkennbar, dass die Kläger, wie später im gerichtlichen Verfahren vorgetragen, eine in einem speziellen Bereich der Bankenwirtschaft geltende Durchschnittsfrist anwenden wollten. Ein Zeitraum von 30 Tagen wird dort für Zinsberechnungen, die zur Vereinfachung auf einen Monat bezogen sind, zugrunde gelegt. Dieses Fristverständnis gilt jedoch auch in dem von den Klägern nachträglich bezeichneten Anwendungsbereich bereits nicht uneingeschränkt. Auch in der Finanz- und Bankenwelt richten sich etwa nach Monaten bestimmte Endpunkte von Fristen nach den Normen des Bürgerlichen Rechts. Die von den Klägern behauptete Sprachregelung findet ausweislich der gesetzlichen Regelung für die Bemessung von Rechtsbehelfsfristen keine Anwendung.

6.

Selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 110 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO war der Beklagte nicht aufgrund des § 110 Abs. 2 Satz 4 AO zu einer Wiedereinsetzung von Amts wegen verpflichtet.

Es muss nicht entschieden werden, ob im Fall einer ausdrücklich verteidigten Rechtsansicht trotz erkennbar abweichender Beurteilung durch die Verwaltung, deren Klärung der Steuerpflichtige erstrebt, Raum für eine Wiedereinsetzung vom Amts wegen ist (vgl. dazu Söhn in HHSp § 110 AO, 123 m.w.N.).

Die Regelungen des § 110 AO ermöglichen die Lösung des Konfliktes zwischen dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch Fristvorschriften einerseits und dem der individuellen Einzelfallgerechtigkeit, räumen letzterer jedoch nicht generell den Vorrang ein, sondern nur im Fall unverschuldeter Fristversäumnis unter besonders geregelten Voraussetzungen. Dem steht der verfassungsrechtliche Justizgewährungsanspruch des Art 19 Abs. 4 GG nicht entgegen. Eine Überprüfung von Verwaltungsakten erfolgt grundsätzlich innerhalb der gesetzlichen Rechtsbehelfsfristen.

Es bedarf keiner Entscheidung, in welchem Umfang sich die abweisende Einspruchsentscheidung mit Wiedereinsetzungsgründen hätte befassen und diese auch ausdrücklich auf die fehlerhafte Auslegung des Monatsfrist hätte beziehen müssen.

Selbst wenn von einem Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 110 Abs. 2 Satz 4 AO ausgegangen werden sollte, wäre die den Einspruch verwerfende Einspruchsentscheidung nicht aufzuheben. § 127 AO steht dem für den Fall entgegen, dass auch unter Beachtung der Verfahrensvorschriften keine andere Entscheidung hätte getroffen werden können.

7.

Das ist der Fall. Die Kläger waren nicht i.S.d § 110 Abs. 1 AO ohne Verschulden daran gehindert, die Einspruchsfrist einzuhalten.

Jedes Verschulden, auch eine einfache Fahrlässigkeit schließt die Wiedereinsetzung aus (ständige und anerkannte Rechtsprechung, s. z.B. BFH 21.08.2002, X B 25/02, m.w.N. aus der Rspr.). Der Verschuldensmaßstab richtet sich bei unvertretenen Rechtsmittelführern nach ihren subjektiven Fähigkeiten als nicht fachkundiger Steuerpflichtiger in der konkreten Sachverhaltsgestaltung und ist an den Anforderungen angesichts der Gesamtumstände des Einzelfalls zu messen. Die Anforderungen sind nicht zu überspannen.

Ein Verschulden liegt jedoch dann vor, wenn die den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt außer Acht gelassen wurde (s. BFH a.a.O.). Eine solche Sorgfalt haben die Kläger im Streitfall nicht walten lassen, indem sie sich auf die von ihnen konstruierte Fristberechnung verlassen haben, statt sich darüber zu vergewissern, wann die gesetzliche Frist tatsächlich ablief. Dazu hätten sie unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigten Anlass gehabt. Bei einer nicht übertriebenen Anforderung an eine verständige Lesart der Rechtsbehelfsbelehrung hätte den Klägern Zweifel kommen müssen, ob der für eine Zinsberechnung im Bankverkehr maßgebliche Zeitraum ohne ein individuell bestimmtes Fristende auch maßgeblich für die Berechnung eines Fristablaufs herangezogen werden durfte. Wer sich keine Gewissheit darüber verschafft, in welcher Weise er seine Rechtsmittelfrist wahren kann und muss, handelt schuldhaft (BFH a.a.O. m.w.N.). Er darf bei der Auslegung von Rechtsmittelfristen nicht den für sich günstigsten Fall annehmen. Er lässt vielmehr die gebotene Sorgfalt außer Acht, wenn er bei berechtigtem Anlass zu Zweifeln sich keine Gewissheit verschafft und ohne mögliche Erkundigung den für sich günstigsten Fall annimmt (z.B. BFH 17.11.1970, II R 121/70). Dabei kommt es nicht auf die Länge der Fristüberschreitung an (BFH a.a.O). Ebenso ist nicht von Bedeutung, welche Gründe der Anfechtung zugrunde liegen.

8.

Nach der Rechtsbehelfsbelehrung im angefochtenen Steuerbescheid galt "Die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs beträgt einen Monat." Dieser Monatsbegriff, nicht der Fristbeginn, ist unter den Beteiligten streitig.

Nach wörtlicher Auslegung und üblichem Sprachverständnis definiert sich der Begriff Monat durch seine Bezeichnung unabhängig von der jeweiligen Länge. Das gilt bei lebensnaher Anschauung auch für den Begriff des Monats im Zusammenhang mit Fristberechnungen, wenn über den Endpunkt der so bezeichneten Frist entschieden werden muss. Allgemein ist davon auszugehen, dass entsprechend der gesetzlichen Regelung eine Monatsfrist ausgehend z.B. vom 15. eines Monats als am 15. des Folgemonats beendet angesehen wird. Dieses einfache und nicht mit Berechnungen belastete Verständnis wird vom Durchschnittsbürger unabhängig davon ausgelegt, wie viele Tage die jeweiligen Monate haben. Eine an einem bestimmten Tag im Februar beginnende Frist von einem Monat endet bei lebensnaher und sich aufdrängender Anschauung am selben Tag des Folgemonats. Das Tagesdatum des Fristendes muss dann nicht abhängig von der Länge des Vormonates vorverlegt oder weiter hinausgeschoben werden.

Es wäre nach der Auffassung eines verständigen Durchschnittsbürgers eine ungewöhnliche Lösung, ohne Not statt dieses einfachen Verständnisses, das sich zwanglos aus dem Wortbegriff ergibt, eine komplizierte Tagesberechnung aufgrund eines Durchschnittszeitraumes zu konstruieren und dadurch auf voneinander abweichende Tagesdaten der hier in Beziehung gesetzten Monate bei Fristanfang und Fristende zu kommen. Das steht zudem im Widerspruch zu der eindeutigen gesetzlichen Regelung.

Die Kläger hätten demzufolge ihre konstruierte Fristberechnung zum Anlass nehmen müssen, sich darüber Gewissheit zu verschaffen, ob ihre jedenfalls nicht ausschließlich in Betracht kommende Definition für die Fristberechnung des Einspruchs zutreffend war. Denn es lag auf der Hand, dass die sich dadurch ergebende Ausweitung des Zeitraums zur Einlegung des Rechtsbehelfs Risiken einer Fristversäumung in sich barg. Das gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen oder mit welchen Motiven eventuelle Auslegungsversuche erfolgt waren. Die im Geschäftsverkehr nicht unerfahrenen Kläger, die aufgrund der ihnen vorliegenden gesetzlichen Regelung des § 108 AO auch die Verschiebung des Fristendes berechnet hatten, konnten bei gehöriger Sorgfalt schon aufgrund der Verweisung auf die in § 108 Abs. 1 AO genannten Normen des BGB nicht bedenkenlos von der Richtigkeit der eigenen Konstruktion ausgehen. Sie hätten nicht auf die für sich günstigste Auslegungsmöglichkeit vertrauen dürfen, sondern den für sie ungünstigsten Fall annehmen müssen. Für die Annahme einer Meistbegünstigung im Rahmen der Fristberechnung gab es keine Anhaltspunkte.

Es mag ein Irrtum der Kläger über die Bemessung der im Februar begonnenen Einspruchsfrist vorgelegen haben. Ein solcher Rechtsirrtum über die nach § 108 AO ausdrücklich anwendbaren fristbestimmenden Normen des BGB wäre jedoch bei angemessener und zumutbarer Sorgfalt vermeidbar gewesen. Eine Fristversäumnis ist nur dann als entschuldigt anzusehen, wenn die Fristversäumnis durch äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können (z.B. BFH 20.02.2001, IX R 48/98, BFH/NV 2001, 1010 m.w.N.).

Die Kläger hätten durch fachlichen Rat, ggf. durch Information seitens des Beklagten in einfacher Form das Ende der Frist ermitteln können. Sie handelten fahrlässig , wenn sie ohne weiteres eine abweichende Übung aus einem nicht vergleichbaren Zusammenhang für die Ermittlung eines entscheidenden Stichtages übernahmen. Die Bedeutung von Fristen und das Risiko ihrer Versäumung sind allgemein bekannt. Das hätte für sie Anlass sein müssen, sich kundig zu machen. Sie hätten nicht ohne weiteres von der Richtigkeit Ihrer Ansicht ausgehen dürfen. Eine Wiedereinsetzung kommt nur dann in Betracht, wenn die Fristversäumnis durch äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können (z.B. BFH 20.02.2001, IX R 48/98 BFH/NV 2001, 1010 m.w.N., z.B. auch BFH 23.07.1992, VIII R 73/91, BFH/NV 1993, 40 m.w.N.).

Der Streitfall unterscheidet sich von den höchstrichterlich mehrfach entschiedenen Fällen, in denen die fehlerhafte Fristberechnung des Zugangs der zur Post aufgegebenen Verwaltungsakte gemäß § 122 Abs, 2 AO als nicht vermeidbarer Rechtsirrtum betrachtet und in weitem Umfang Wiedereinsetzung gewährt wurde. Dem lag eine nach dem Wortlaut überraschende Judikatur zugrunde, deren Kenntnis von einem nicht fachkundigen Steuerpflichtigen nicht erwartet werden konnte und bei verständiger Würdigung auch nicht erkannt werden konnte.

9.

Angesichts der Bestandskraft des streitigen Einkommensteuerbescheides ist dessen Rechtmäßigkeit nicht mehr zu prüfen. Insoweit muss dahinstehen, ob die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die im Rahmen der geschätzten Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt worden sind, zutreffend sind.

Ebenso ist nicht zu prüfen, ob der Bescheid auf der Basis geschätzter Grundlagen in rechtmäßiger Weise vorbehaltlos ergangen ist. Es ist nur darauf hinzuweisen, dass durch rechtzeitige Einspruchseinlegung eine vollständige Prüfung der Steuerfestsetzung hätte erfolgen können.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.



Ende der Entscheidung

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