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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 20.08.2007
Aktenzeichen: 1 K 118/07
Rechtsgebiete: ZPO, FGO, EStG


Vorschriften:

ZPO § 114
FGO § 142
EStG § 74 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

1 K 118/07

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I. Mit seiner - unter dem Vorbehalt der Gewährung von Prozesskostenhilfe - an-gekündigten Klage wendet sich der Antragsteller ( -Ast- ) gegen die Abzweigung des ihm gegenüber für seine Kinder A und B festgesetzten Kindergeldes an die Kindesmutter.

Zugunsten des Ast setzte die Antragsgegnerin (-Ag-) laufend Kindergeld ab Juni 2005 für dessen in Polen bei der Mutter lebende Kinder durch Bescheid vom 01.08.2005 fest. Mit Schreiben vom 21.08.2006 beantragte das Bundesverwaltungsamt aufgrund des UN-Übereinkommens über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.06.1956 (BGBl. 1959 II 149 ff; 1971 II 105) wegen der Verletzung der Unterhaltsverpflichtungen des Ast gegenüber seinen Kindern gemäß § 48 Abs. 1 SBG I Kindergeld in Höhe von monatlich EUR 308 abzuzweigen und auf das Konto der Mutter zu überweisen. Beigefügt war ein Urteil des Amtsgerichts Z, Polen, vom 13.02.2002, worin der Ast zu monatlichen Unterhaltszahlungen von 350 Zloty je Kind, also 700 Zloty pro Monat ab dem 10.12.2001, zahlbar an die Kindesmutter, verurteilt wurde. Diese Unterhaltspflicht, so der Antrag, habe der Ast in der Vergangenheit trotz Aufforderung in vollem Umfang nicht erfüllt.

Die Ag informierte den Ast mit Schreiben vom 18.10.2006 über den Antrag und gab ihm Gelegenheit mitzuteilen, ob und in gegebenenfalls welcher Höhe er an seine Kinder tatsächlich monatlich Unterhaltsleistungen erbringe. Der Ast erklärte schriftlich am 02.11.2006, er erbringe Sachleistungen in Höhe von EUR 50 monatlich. Durch handschriftliche Ergänzung des zuständigen Sachbearbeiters der Ag wurde die Erklärung unter dem 16.11.2006 - offenbar aufgrund eines persönlichen Gesprächs mit dem Ast - dahin vervollständigt, dass der Ast daneben regelmäßige Zahlungen in Höhe von EUR 308 leiste. Er habe keine Nachweise und versuche eine Bestätigung von der Kindesmutter zu erhalten.

Am 09.01.2007 legte der Ast bei einer persönlichen Vorsprache bei der Ag keine Nachweise vor. Mit Schreiben vom 23.01.2007 wies die Ag ihn darauf hin, dass er bislang keine Nachweise über geleistete Unterhaltszahlungen erbracht habe und aufgrund dieser Tatsache, die Zahlungen voraussichtlich an die Kindesmutter in Polen erfolgen würden. Eine Entscheidung werde erst nach dem Vorliegen einer Übersetzung verschiedener, in polnischer Sprache abgefasster Schriftstücke, die seitens der Kindesmutter und polnischer Behörden an die Ag gesandt wurden, ergehen. Eine umgehende Bearbeitung bei Eingang der vom Ast vorzulegenden Nachweise wurde zugesagt.

Gemäß der Übersetzung erklärte die Kindesmutter mit Schreiben vom 12.06.2006, der Ast zahle die gerichtlich zuerkannte Alimente für die Kinder in Höhe von 700 Zloty nicht und habe Unterhaltsschulden von 10.000 Zloty; mit weiterem Schreiben vom 24.11.2006 erklärte sie, der Ast zahle seit dem 15.10.2006 keinerlei Alimente mehr.

Der Ast legte keine Nachweise über die von ihm behaupteten Unterhaltsleitungen an seine Kinder vor. Der Ag er ließ am 16.02.2007 gesonderte Bescheide an den Ast und an die Kindesmutter, wonach das Kindergeld ab November 2006 ausgezahlt werde. Das Kindergeld für die Monate November 2006 bis einschließlich Februar 2007 kehrte die Ag aufgrund eines geltend gemachten Erstattungsanspruchs an die für die Zahlung von Arbeitslosengeld II an den Ast zuständige Stelle aus. Ab März 2007 zweigte sie das Kindergeld mangels Leistungsfähigkeit des Ast in voller Höhe von EUR 308 an die Kindesmutter nach Polen ab.

Hiergegen wandte sich der Ast mit dem vom Ag als Einspruch gewerteten Schreiben vom 20.02.2007 und trug vor, seine beiden Schwestern zahlten monatlich insgesamt monatlich 1.200 bis 1.500 Zloty (ca. 295 bzw. 369 EUR). Er beantrage, die Abzweigung rückgängig zu machen und das Kindergeld wieder an ihn zu überweisen. Er finanziere sich über ALG II und habe nicht mehr genügende Mittel für seine Kinder. Mit Schreiben vom 05.03.2007 bestätigte die Kindesmutter der Ag den Erhalt des Bescheides vom 16.02.2007 und bekräftigte u.a. erneut, sie erhalte seit Jahren weder Unterhalt noch Kindergeld vom Ast Mit E-Mails vom 13.04.2007 und 20.04.2007 erbat die Kindesmutter Auskunft darüber, ob der Ast noch immer das Kindergeld erhalte und wies auf die Dringlichkeit der Sache hin.

Die Ag forderte den Ast mit Schreiben vom 09.05.2007 auf, Nachweise über den im Namen des Ast durch dessen Schwestern gezahlten Unterhalt an die Kinder ab März 2007 bis laufend auf und setzte hierfür eine Frist zum 29.05.2007. Eine Äußerung oder sonstige Reaktion des Ast erfolgte nicht.

Mit der am 15.06.2007 zur Post gegebenen Einspruchsentscheidung wies die Ag den Einspruch gegen die Abzweigung des Kindergeldes als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für eine Abzweigung lägen vor. Der Ast sei mangels eigener wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gegenüber den Kindern nicht unterhaltspflichtig. Er erbringe auch tatsächlich keine Unterhaltsleistungen. Nachweise über Unterhaltsleistungen, die in seinem Namen durch Dritte erfolgten, seien trotz Aufforderung und Terminsetzung nicht beigebracht worden. Das Ermessen sei bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen regelmäßig dahingehend auszuüben, dass eine Abzweigung zu erfolgen habe.

Der Ast hat den vorliegenden Antrag auf Prozesskostenhilfe am 16.07.2007 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts gestellt.

Dem Gericht hat die Kindergeldakte des Ast zur Kindergeldnummer . vorgelegen.

II. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die von dem Ast in der Hauptsache beabsichtigte Klage in der angekündigten Form keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO ist einem Antragsteller, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Hinreichende Erfolgsaussicht im vorgenannten Sinn besteht, wenn und soweit nach Aktenlage, also anhand präsenter Beweismittel, bei summarischer Prüfung nach Einschätzung des erkennenden Gerichts eine gewisse - nicht etwa eine überwiegende - Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache spricht, er also mit anderen Worten nicht nur eine geringe Aussicht hat, den Prozess zu gewinnen (vgl. Tipke/Kruse-Brandis, FGO, § 142 Rz.45 m.w.N. aus der Rechtsprechung).

An der vorstehend dargelegten Voraussetzung mangelt es im Streitfall.

Der Ast wendet sich gegen die Abzweigungsentscheidung der Ag gemäß § 74 Abs. 1 EStG zugunsten der Kindesmutter durch den Bescheid vom 16.02.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.06.2007. Die Entscheidung der Ag über die Abzweigung ist im Rahmen der dem Gericht gezogenen Grenzen einer Überprüfung nicht zu beanstanden.

Bei der Entscheidung über die Abzweigung des Kindergeldes an eine andere Person oder Stelle als den Kindergeldberechtigten nach § 74 Abs. 1 EStG handelt es sich um eine Ermessensentscheidung auf der Rechtsfolgenebene (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 17.03.2006 - III B 135/05 - BFH/NV 2006, 1285).

Soweit die Familienkasse ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, prüft das Gericht nach § 102 Satz 1 FGO nur, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Hierbei darf bzw. muss es auch die Tatsachenfeststellung und die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde überprüfen. Das Gericht prüft die Ermessensentscheidung der Familienkasse, so wie sie in der letzten Verwaltungsinstanz, in der Regel also mit Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens, getroffen wurde. Folglich muss das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abstellen (st. Rspr. vgl. BFH-Urteile vom 10.05.1972 - II 57/64 - BStBl II 1972, 649;vom 27.09.2001 - X R 134/98 - BStBl II 2000, 176). Das gilt auch, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht vollzogen ist (BFH-Urteil vom 26.03.1991 - VII R 66/90 - BB 1991, 1253). Maßgebend für den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ist das Datum der Bekanntgabe.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Abzweigung von Kindergeld aus dem Anspruch des Ast waren nach der für die Ag im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, dem Erlass der zurückweisenden Einspruchsentscheidung vom 15.06.2007, ersichtlichen und damit ermessensgerecht verwertbaren Sach- und Rechtslage gegeben. Nach den Angaben im Antrag des Bundesverwaltungsamtes und den vorgelegten Unterlagen ist der Ast rechtskräftig zur Unterhaltsleistung für seine Kinder durch das Urteil des polnischen Amtsgerichts verurteilt worden. Das Bundesverwaltungsamt hat der Ag mitgeteilt, der Ast komme seiner Unterhaltspflicht nicht nach. Die Kindesmutter hat während des Verwaltungsverfahrens wiederholt eine gleichlautende Aussage gemacht. Jedenfalls hinsichtlich des hier relevanten Zeitraums ab März 2007, ab dem das Kindergeld an die Mutter abgezweigt wird, hat sie noch am 05.03.2007 ausdrücklich der Ag gegenüber erklärt, sie erhalte schon seit Jahren weder Unterhalt noch Kindergeld vom Ast. Die polnischen Behörden haben die Angaben der Kindesmutter in ihre Schreiben an die Ag übernommen und sich damit als zutreffend zueigen gemacht. Zwar hat der Ast im Verlauf des Verwaltungsverfahrens vorgetragen, er leiste Unterhalt an seine Kinder. Sein Vortrag ist indes wechselnd und teilweise unschlüssig. So hat er auf Anfrage zunächst erklärt, er erbringe Sachleistungen in Höhe von 50 EUR monatlich. Dies hat er ergänzt um die Aussage, er leiste regelmäßige Zahlungen von 308 EUR monatlich. Nachfolgend hat er vorgetragen, seine beiden Schwestern zahlten in seinem Namen monatlich insgesamt monatlich 1.200 bis 1.500 Zloty (ca. 295 bzw. 369 EUR).

Andererseits erklärte er, nicht über ausreichende finanzielle Möglichkeiten zur Unterhaltsleistung zu verfügen, da er ALG II beziehe. Für die Unterstützung der Kinder bedürfe er dringend finanzielle Mittel. Aus den vom Ast vorgelegten Unterlagen, insbesondere den Leistungsbescheiden nach dem SGB II gehen nur Regelleistungen für den Ast, nicht auch für dessen Kinder, hervor.

Es kann dahinstehen, ob der Ast im Zeitpunkt der Entscheidung der Ag nach Aktenlage seinen Unterhaltspflichten trotz Möglichkeit tatsächlich nicht nachkam oder mangels Leistungsfähigkeit nicht oder nicht in voller Kindergeldhöhe unterhaltspflichtig war. Der Tatbestand des § 74 Abs. 1 EStG war entweder nach Satz 1 oder Satz 3 der Vorschrift erfüllt und damit das Rechtsfolgeermessen eröffnet. Da seitens des Bundesverwaltungsamtes, der Kindesmutter als Begünstigter des Abzweigungsantrags und der polnischen Behörden gleichlautend vorgetragen wurde, der Ast habe zumindest in der jüngeren Vergangenheit keinerlei Unterhalt geleistet, und der Ast trotz wiederholter Ankündigung und mehrfacher Aufforderung durch die Ag keine Nachweise über jegliche Form tatsächlich an seine Kinder erbrachten Unterhalt vorlegte, ist eine Ermessensentscheidung dahingehend, das volle Kindergeld an die Kindesmutter abzuzweigen, nicht fehlerhaft. Dies würde selbst dann gelten, wenn die Ag aufgrund des ihr bekannten und ermittelbaren Sachverhalts, also keinerlei Unterhaltsleistungen des Ast an seine Kinder, von einer entsprechenden Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen wäre. Eine derartige Ermessensreduzierung auf die volle Abzweigung kommt zwar dann nicht in Betracht, wenn der Kindergeldberechtigte auch nur geringfügige Unterhaltsleistungen erbringt. Trotz wiederholter Aufforderung hat der Ast aber auch für geringfügige Leistungen keinerlei Nachweis erbracht. Die substantielle Darlegung und Dokumentation der eine - gegebenenfalls teilweise - Abzweigung ausschließenden Tatsachen war nach Lage der Dinge allein dem Ast möglich, da die vorgetragenen Leistungen in seiner Sphäre stattfanden und sich zu seinen Gunsten auswirken würden. Angesichts der anzunehmenden Dringlichkeit wegen fortgesetzter Unterhaltsverpflichtung des Ast hatte die Ag eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Zu deren Vorbereitung hat sie dem Ast mehrfach und zeitlich ausreichend Gelegenheit zum Nachweis oder jedenfalls substantiellerem Vortrag gegeben. Der Ast hat hiervon nicht in dem gebotenen Maße Gebrauch gemacht. Eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Ag wegen Ermessensfehler im Sinne des § 102 Satz 1 FGO im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung durch das Gericht kommt daher nicht in Betracht.

Zu entscheiden, ob und inwieweit die vom Ast nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens, nämlich erstmals im gerichtlichen Verfahren, vorgelegten Unterlagen eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten oder künftig würden, steht dem erkennenden Gericht nicht zu. Die Vorlage einer ergänzenden Übersetzung musste daher für die vorliegende Entscheidung nicht abgewartet werden.

Gleichwohl weist das Gericht auf Folgendes hin. Der Abzweigungsbescheid ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Die für die Entscheidung über eine Abzweigung maßgebenden tatsächlichen Umstände können sich ändern. Eine erneute Antragstellung auf Prüfung der Abzweigung - mit Wirkung jedenfalls für die Zeit ab einem erbrachten Nachweis von Unterhaltsleistungen - dürfte daher möglich sein. Die vorgelegten Unterlagen lassen es denkbar erscheinen, dass der Ast entgegen der Angabe der Kindesmutter möglicherweise über seine Schwestern, wenngleich nicht durchgängig und in der vom polnischen Amtsgericht festgelegten Höhe von 700 Zloty monatlich, Zahlungen an die Kindesmutter geleistet hat. Indes liegen mangelt es an Nachweisen für die Zeit nach dem 16.10.2006 bis zum 17.05.2007. Hierzu steht der Vortrag der Kindesmutter, der Ast zahle ab Mitte Oktober 2006 keinerlei Alimente mehr nicht im Widerspruch. Belege für Zahlungen an die Kindesmutter - nach der letzten Nachweisaufforderung der Ag durch Schreiben vom 09.05.2007 - über eine Zahlung von 100 Zloty im Mai 2007 und eine Zahlung im Juni 2007 von 700 Zloty wurden vorgelegt.

Die Prüfung, ob und inwieweit es sich hierbei um die eine weitere Abzweigung des Kindergeldes an die Kindesmutter ausschließende Unterhaltsleistungen des Ast für seine Kinder handelt, obliegt zunächst der Ag im Verwaltungsverfahren.

Dieser Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei.

Ende der Entscheidung

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