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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 16.01.2008
Aktenzeichen: 1 K 160/07
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 174 Abs. 4
AO § 174 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

1 K 160/07

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Kindergeldberechtigung der Klägerin ( -Kl- ) für ihre Kinder A und B (Töchter) für die Monate Februar und März 2006 und für ihre Kinder C und D (Söhne) für die Monate Februar bis September 2006. Streitig sind insoweit der konkrete Zeitpunkt, zu dem die Kl den Haushalt X-Straße in E verlassen hat und zu ihrem neuen Lebensgefährten gezogen ist und die Haushaltsaufnahme der Kinder durch die Kl und/oder den Beigeladenen.

Die Beklagte ( -Bekl- ) setzte mit Zustimmung des Beigeladenen zugunsten der Kl laufend Kindergeld für die vier Kinder fest. Nachfolgend trennten sich die Kl und der Beigeladene und die Kl zog aus dem gemeinsamen Haus aus. Die Bekl erhielt hiervon erst durch eine Vergleichsmitteilung der für den Beigeladenen zuständigen Familienkasse F Kenntnis, in der diese mitteilte, man beabsichtige wegen der Trennung seit dem 02. März 2006 zugunsten des Beigeladenen Kindergeld für die Töchter ab April 2006 zu zahlen, hinsichtlich der Söhne werde die Kindergeldberechtigung noch geprüft. Der Beigeladene hatte im November 2006 seinerseits einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld gestellt. Die Bekl hob die Kindergeldfestsetzung für die Töchter durch Bescheid vom 07. Dezember 2006 mit Wirkung ab April 2006 und für die Söhne durch Bescheid vom 11. Dezember 2006 mit Wirkung ab Januar 2007 auf. Hiergegen wandte sich die Kl mit Einspruch. Mit Bescheid vom 26. Januar 2007 zog die Bekl den Beigeladenen nach § 174 Abs. 4, 5 AO zum Verfahren hinzu. Nach Würdigung der sich zum Teil widersprechenden Angaben der Kl und des Beigeladenen zum Sachverhalt und Auswertung der eingereichten Unterlagen gelangte die Bekl zu der Einschätzung, dass die Kl überwiegend wahrscheinlich die vormals gemeinsame Wohnung zum 01. Februar 2006 verlassen und die Töchter Anfang März 2006 zu sich in ihren neuen Haushalt aufgenommen habe. Die Söhne seien bis zum Auszug aus der Wohnung am 24. September 2006 und Gründung eines eigenen Hausstandes in der Y-Straße dem Haushalt des Beigeladenen zugehörig gewesen. Der Beigeladene sei für die Töchter daher für die Monate Februar und März 2006 vorrangig berechtigt, für die Söhne für die Monate Februar bis September 2006. Durch Einspruchsentscheidung vom 29. August 2007 änderte die Bekl den Bescheid vom 07. Dezember 2006 dahin, dass die Kindergeldfestsetzung für die Töchter nicht für die Zeit ab 01. April 2006, sondern für die Monate Februar und März 2006 aufgehoben wird. Durch Einspruchsentscheidung vom 30. August 2007 änderte die Bekl den Bescheid vom 11. Dezember 2006 dahin, dass die Kindergeldfestsetzung für die Söhne nicht für die Zeit ab 01. Januar 2007, sondern für die Monate Februar bis September März 2006 aufgehoben wird. Der Beigeladene erhielt die Einspruchsentscheidungen zur Kenntnis. Die Familienkasse F erließ am 10. September 2007 Kindergeldbescheide betreffend zum einen die Töchter und zum anderen die Söhne und zahlte Kindergeld für die streitigen Zeiträume nach Verrechnung mit einer Überzahlung in Höhe von insgesamt 2.822 Euro an den Beigeladenen aus.

Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Kl ihr Begehren weiter.

Sie macht formelle Mängel der Bescheide geltend und trägt im Wesentlichen vor, die Töchter hätten zu keiner Zeit in dem Haushalt des Beigeladenen gelebt. Die Söhne hätten zwar bis zum Umzug in die Y-Straße weiterhin unter der Anschrift X-Straße gewohnt, dies allerdings ohne im Haushalt des Beigeladenen zu leben. Nach den zu würdigenden tatsächlichen Verhältnissen, wie insbesondere der alleinigen Erbringung sämtlicher Versorgungsleistungen für die Söhne durch sie, die Kl, stelle das Wohnen unter der Adresse des Beigeladenen noch keine Haushaltsaufnahme dar. Die Söhne hätten für den Übergangszeitraum ihre Zimmer im früheren Haushalt der Mutter unter der gleichen Anschrift beibehalten. Müsse hingegen von einer Aufnahme in beide Haushalte ausgegangen werden, sei die einvernehmliche Berechtigtenbestimmung maßgebend. Diese sei zu ihren Gunsten erfolgt und bis zum Antrag des Beigeladenen im November 2006 wirksam. Wäre der Beigeladene vorrangig berechtigt, könne die Kl die Zahlung des Kindergeldes nach § 74 EStG wegen mangelnden finanziellen und tatsächlichen Versorgungsleistungen an sich verlangen.

Die Kl beantragt,

1. den Bescheid vom 11. Dezember 2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30. August 2007 aufzuheben und die Bekl zu verpflichten, der Kl Kindergeld für die Söhne C und D für den Zeitraum Februar bis September 2006 zu zahlen,

2. den Bescheid vom 07. Dezember 2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 29. August 2007 aufzuheben und die Bekl zu verpflichten, der Kl Kindergeld für die Töchter A und B für den Zeitraum Februar und März 2006 zu zahlen.

Die Bekl beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Darstellungen der Kl zu den seinerzeitigen Umständen ihres Auszugs seien widersprüchlich und widersprächen zum Teil den Darstellungen des Beigeladenen und den Feststellungen des Verfahrenspflegers G. Nach Aktenlage sei davon auszugehen, dass die Kl Anfang Februar 2006 zu Herrn H nach J gezogen sei. Im März seien auch die Töchter in diese Wohnung gezogen. Die Söhne blieben zunächst im Haus X- Straße und zogen im September 2006 in das Haus Y-Straße. Bis zur einer weitergehenden und gegebenenfalls abweichende Erkenntnisse hervorbringenden Klärung des Sachverhalts sei daher für die Streitzeiträume von einer vorrangigen Kindergeldberechtigung des Beigeladenen auszugehen.

Das Gericht hat die Kindergeldakte des Beigeladenen der Familienkasse F zur Kg.-Nr.: ... beigezogen.

Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2007 beantragte die Bekl die Beiladung des Kindesvaters.

II. Die Beiladung erfolgt nach § 174 Abs. 5 Satz 2 Abgabenordnung (-AO-). Der Beigeladene erhält die Stellung eines notwendig Beigeladenen (vgl. BFH-Beschluss vom 27. August 1998 - III B 041/98 - BFH/NV 1999, 156).

Die Bekl hat die Beiladung beantragt. Zwar hat sie den Antrag auf § 60 Abs. 1 FGO gestützt. Diese Vorschrift ist aber insoweit nicht einschlägig. Eine sog. einfache Beiladung nach § 60 Abs. 1 FGO scheidet aus, weil Zweck der Beiladung ersichtlich ist, eine widerstreitende Kindergeldfestsetzung zugunsten des Beigeladenen im Falle eines Erfolges der Klage zu vermeiden bzw. soweit eine solche bereits erfolgt ist, diese wieder zu ändern. Diese Änderungsmöglichkeit bietet § 60 Abs. 1 FGO indessen nicht (BFH-Beschlüsse vom 31. Januar 2006 - III B 18/05 - BFH/NV 2006, 1046 undvom 25. September 2001 - VI B 153/01 - BFH/NV 2002, 160). Eine Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Zu einem Klageverfahren dessen Gegenstand die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des gezahlten Kindergeldes ist, ist der andere Elternteil als weiterer möglicher Anspruchsberechtigter nicht notwendig beizuladen. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid gegenüber dem einen Berechtigten Mutter greift nicht unmittelbar gestaltend in die Rechtssphäre des anderen Berechtigten ein (BFH-Beschluss vom 15. November 2004 - VIII B 240/04 - BFHNV 2005, 494; BFH-Urteil vom 16. Dezember 2003 - VIII R 67/00 - BFH/NV 2004, 934).

Indessen kann in einem Klageverfahren, mit dem ein Anspruch auf Kindergeld geltend gemacht wird, ein Dritter, der ebenfalls das Kindergeld beansprucht, auf Antrag der beklagten Familienkasse zur Vermeidung einer widerstreitenden Kindergeldfestsetzung im Sinne von § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AO beigeladen werden (BFH-Beschluss vom 16. April 2002 - VIII B 171/01 - BStBl II 2002, 578, m.w.N.). Rechtsgrundlage der Beiladung ist dann § 174 Abs. 5 Satz 2 AO.

Ein Antrag auf eine Beiladung des Kindesvaters zu dem Klageverfahren liegt vor. Unschädlich ist, dass die Bekl insoweit eine nicht einschlägige Beiladungsvorschrift benannt hat. Der Antrag ist nach Sinn und Zweck weit auszulegen. Selbst wenn der Antrag in Ansehung der konkreten, genannten Rechtsgrundlage als unbegründet abzulehnen wäre, verbleibt die grundsätzliche Beiladungsanregung an das Gericht. Für die Beiladung eines Dritten nach § 174 Abs. 5 AO zum Klageverfahren über die Festsetzung von Kindergeld ist erforderlich aber auch bereits ausreichend, dass die Familienkasse die Beiladung veranlasst hat. Nach dem Gesamtzusammenhang der in § 174 Abs. 4 und 5 AO getroffenen Regelung liegt die Entscheidung, den Dritten zu dem Verfahren hinzuzuziehen oder beizuladen, allein im Ermessen der Familienkasse. Nur diese hat zu prüfen und zu entscheiden, ob wegen eines möglichen Verfahrenserfolges des Kindergeldberechtigten rechtliche Folgen gegenüber einem Dritten möglich sind, dessen Beiladung deshalb veranlasst oder beantragt werden müsste (vgl. BFH-Beschluss vom 25. September 2001 - VI B 153/01- BFH/NV 2002, 160). Entscheidet sich die Familienkasse dafür und tut dies gegenüber dem Gericht kund, kommt es auf die konkrete Form der Anregung nicht an. Die Prüfung, nach welcher Vorschrift eine Beiladung erfolgen kann und ob gegebenenfalls deren tatbestandliche Voraussetzungen vorliegen, liegt dann allein in der Kompetenz des beschließenden Gerichts (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Januar 1982 - VII B 141/81 - BStBl II 1982, 239).

Da die Familienkasse im Fall einer Ablehnung der Beiladung wegen Bezugnahme auf eine unzutreffende Rechtsgrundlage nicht gehindert wäre, nachfolgend einen nunmehr auch formal korrekten Antrag zu stellen, entspricht es auch der Prozessökonomie, den Antrag von vorneherein auf seinen wesentlichen Gehalt, nämlich die Beiladung als solche, reduziert zu verstehen.

Es kommt hinzu, dass die Bekl in dem Schriftsatz, mit dem sie die Beiladung beantragt hat, zur Begründung das Gericht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Beigeladene wegen seines eigenen Antrags auf Kindergeld an die Familienkasse F bereits im Einspruchsverfahren der Kl von der Bekl nach § 174 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AO hinzugezogen wurde. Hiermit hat die Bekl deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die durch die Hinzuziehung bislang auf das Verwaltungsverfahren beschränkte Bindung des Beigeladenen an darin getroffene Feststellungen und die daraus möglichen Ablehnungs- oder Änderungsrechte der Bekl bzw. der Familienkasse des Beigeladenen in Ansehung seines eigenen Kindergeldantrages auch auf das Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens erstrecken will. Dies ist - wie ausgeführt - indes nur nach § 174 Abs. 5 AO möglich. Es käme daher auch eine, entgegen dem Wortlaut, am erkennbaren Willen der Bekl ausgerichtete dahingehende Auslegung des Antrags in Betracht.

Die Voraussetzungen einer Beiladung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO im Übrigen liegen im Streitfall vor. Die von der Kl angefochtenen Aufhebungen der Kindergeldfestsetzungen beruhen auf der Annahme, die Kinder der Kl seien bis März (Töchter) bzw. bis September (Söhne) 2006 in den Haushalt des Beigeladenen aufgenommen gewesen. Bei einem Erfolg der Klage, mit der die Kl geltend macht, die Kinder seien in ihren Haushalt aufgenommen gewesen (Töchter) bzw. hätten einen eigenen Haushalt in ihrem, der Kl, ehemaligen Haushalt geführt, und Aufhebung der angefochtenen Bescheide, wäre die Familienkasse F zur Vermeidung einer widerstreitenden Kindergeldfestsetzung grundsätzlich gehalten, die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Beigeladenen aufzuheben (§ 174 Abs. 4 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG und § 155 Abs. 4 AO 1977).

Das Finanzgericht hat einem Antrag bzw. einer Anregung der Familienkasse auf Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO regelmäßig zu entsprechen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 04.07.2001 - VI B 301/98 - BStBl. II 2001, 729;vom 19. Mai 1981 - VIII B 90/79 - BStBl II 1981, 633;vom 24. April 1989 - IV B 40/89 - BFH/NV 1990, 140; BFH-Urteil vom 13. März 1997 - III R 300/94 - BFH/NV 1997, 659; v. Wedelstädt in Beermann FGO § 174 AO Rz. 131).

Die Beiladung durch das erkennende Gericht war daher, wie vorliegend geschehen, zu beschließen.

Ende der Entscheidung

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