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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 29.03.2007
Aktenzeichen: 1 K 258/06
Rechtsgebiete: EStG, FGO, AO


Vorschriften:

EStG § 72 Abs. 1 S. Nr. 1
EStG § 72 Abs. 1 S. 2
FGO § 40 Abs. 1
FGO § 41 Abs.1 Alt. 1
FGO § 47 Abs. 1
AO § 122 Abs. 1 S. 1
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1
AO § 124 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

1 K 258/06

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein die Festsetzung von Kindergeld aufhebender und das gezahlte Kindergeld zurückfordernder Bescheid wirksam bekanntgegeben wurde. Soweit dies der Fall ist, ist weiter streitig, ob der Klägerin (-Kl-) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren ist.

Die Kl ist als beamtete Lehrerin bei der F in Vollzeit beschäftigt. Die Beklagte (-Bekl-) ist die zuständige Familienkasse im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz Nr. 1, Satz 2 EStG.

Die Kl hat vier Kinder, für die zu ihren Gunsten als Berechtigte von der Bekl laufend Kindergeld festgesetzt wurde. Hinsichtlich der im Streitzeitraum volljährigen Kinder L (geb. ...1980) und J (geb. ...1984) forderte die Bekl die Kl mit Schreiben jeweils vom 23.04.2006 unter Beifügung entsprechender Vordrucke auf, die zur Überprüfung der Voraussetzungen zur Zahlung von Kindergeld und/oder kinderbezogenen Bezügebestandteile erforderlichen Angaben zu machen und durch Übersendung von Unterlagen, insbesondere über Fortdauer der Ausbildung und eigene Einkünfte und Bezüge der Kinder, zu belegen. Als seitens der Kl hierauf keine Rückmeldung erfolgte, erinnerte die Bekl an die Aufforderung durch Schreiben jeweils vom 26.06.2006 und setzte eine Frist von einem weiteren Monat. Zugleich wies sie darauf hin, bei Nichteingang der erforderlichen Unterlagen bis zu dem gesetzten Termin werde sie davon ausgehen, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen für eine Kindergeldgewährung nicht vorlägen und der Anspruch auf Kindergeld unter Umständen auch für vorangegangene Zeiträume entfallen könne und bereits ausgezahlte Leistungen entsprechend zurückzufordern seien.

Auch hierauf erfolgte keine Reaktion der Kl. Am 30.08.2006 verfügte die Bekl daher die vorläufige Zahlungseinstellung des Kindergeldes für die in Rede stehenden Kinder mit Ablauf des Monats September 2006.

Durch Bescheide vom 30.08.2006 und 31.08.2006 hob die Bekl die laufenden Kindergeldfestsetzungen für die Kinder L und J vom 09.07.2004 unter Hinweis auf die unbeantwortet gebliebenen Aufforderungsschreiben vom 23.04. und 26.06.2006 und fehlenden Nachweise rückwirkend ab dem 01.10.2004 auf. Bis jeweils 30.09.2004 lagen der Bekl Immatrikulationsbescheinigungen der betreffenden Kinder vor. Für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.09.2006 errechnete die Bekl Erstattungsbeträge von EUR 3.696,00 (L) und EUR 3.946,00 (J) und teilte der Kl deren sofortige Fälligkeit in voller Höhe gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (-AO-) mit. Die Kl wurde zudem darauf hingewiesen, dass die genannten Beträge unter Beachtung der Pfändungsfreigrenzen mit dem Anspruch der Kl auf Besoldung aufgerechnet werden. Die Bescheide enthielten ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrungen und wurden am 01.09.2006 zur Post gegeben.

Mit Schreiben jeweils vom 12.10.2006 wandte sich die Bekl mit Aufrechnungsersuchen an den zuständigen Geschäftsbereich Pfändungssachbearbeitung des Zentrums für Personaldienste der F und bat hinsichtlich der Kindergeldrückforderungsbeträge um Einbehaltung von den Bezügen der Kl im zulässigen Rahmen. Mit weiterem Schreiben vom 12.10.2006 teilte die Bekl der für die Kl zuständigen Personalabteilung der Behörde für Bildung und Sport mit, dass für die Kl kein Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum 01.10.2004 bis 30.09.2006 bestehe und damit die Voraussetzungen für kindergeldbezogene Bezügebestandteile nicht mehr vorlägen. Die Feststellung der Überzahlung und die Rückforderung seien in eigener Zuständigkeit zu prüfen und zu veranlassen.

Die zuständige Mitarbeiterin der Personalabteilung informierte die Kl am 01.11.2006 telefonisch über den Sachverhalt. Diese teilte mit, den Vorgang mit der Bekl klären zu wollen.

Am 02.11.2006 rief die Kl bei der zuständigen Mitarbeiterin der Bekl an und gab an, sie habe einen Anruf von der Personalabteilung erhalten, wonach der Familienzuschlag zurückgefordert werde. Ferner kündigte sie an, der Bekl Unterlagen per Eilboten zusenden zu wollen. Die Mitarbeiterin teilte der Kl daraufhin mit, dass Aufhebungsbescheide ergangen und bestandskräftig seien und von einer Rückforderung nicht mehr abgesehen werden könne. Die Kl berichtete der Mitarbeiterin sodann von ihrer aktuell schwierigen persönlichen und familiären Lage. Etwa eine halbe Stunde später meldete sich die Kl erneut telefonisch und erfragte, von wann die besagten Bescheide wären. Nach erteilter Auskunft erklärte die Kl der Mitarbeiterin, dass sie diese Bescheide nicht erhalten habe.

Noch am Abend des 02.11.2006 legitimierte sich der Prozessbevollmächtigte der Kl gegenüber der Bekl mit per Telefax übermitteltem Schriftsatz und beantragte, der Kl Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO zu gewähren. Die Kl sei ohne Verschulden an der Einhaltung der Einspruchsfrist verhindert gewesen. Durch einen Anruf der Personalstelle am 01.11.2006 sei die Kl zu einer Kontaktaufnahme mit der Bekl wegen drohenden Ungemachs hinsichtlich des Kindergeldanspruchs aufgefordert worden. Im Rahmen des entsprechenden Telefonats am 02.11.2006 habe sie erfahren, dass Ende August ein Bescheid gefertigt und versendet worden sei, der die - möglicherweise auch nur teilweise - Aufhebung ihres Kindergeldanspruchs zur Folge habe. Hinsichtlich dieses Bescheides werde der Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Für den Fall, dass es sich um mehrere separate Bescheide gehandelt haben sollte, gelte das Wiedereinsetzungsgesuch für jeden der ergangenen Bescheide. Der Bescheid liege der Kl nicht vor. Der Bescheid werde vermutlich an die Anschrift M3 in H adressiert worden sein, wie jegliche Korrespondenz zwischen der F und der Kl. Sämtliche Post der Familie der Kl werde an die Anschrift M12, der unmittelbar gegenüberliegenden Rechtsanwaltskanzlei des Ehemannes der Kl, zugestellt, auch wenn die Post an die M3 adressiert sei. Das Objekt M3 sei aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre der Familie der Kl weder mit einem Namensschild noch einem Briefkasten ausgestattet. Diese Vorsichtsmaßnahme basiere auf der Stellung des Ehemanns der Kl als in H bekannter Rechtsanwalt. Dieses Vorgehen sei seit nunmehr 12 Jahren gängige Praxis der Briefzusteller. Innerhalb der Postbearbeitung der Rechtsanwaltskanzlei werde die Privatpost für die Kl und deren noch in ihrem Hause lebenden 3 Kinder in die dafür vorgehaltenen Posteingangsfächer verteilt. Insgesamt existierten 6 Posteingangsfächer, die nicht mit dem Kanzleibetrieb zusammenhingen. Neben den 4 Fächern für die Familie der Kl würden Fächer für zwei Firmen, u.a. für die B unterhalten. Der in Rede stehende Bescheid sei zu keinem Zeitpunkt in das Posteingangsfach der Kl gelangt. Dieses werde täglich durch sie geleert. Die fehlerhafte Postverteilung innerhalb der Rechtsanwaltskanzlei könne der Kl nicht zugerechnet werden. Auch sei kein Mitverschulden anzunehmen, da es in der Vergangenheit derartige Vorkommnisse nicht gegeben habe. Die Verteilung habe zuverlässig funktioniert. Der Umstand, dass die Kl den Bescheid nicht erhalten habe, liege in der beruflichen Sphäre ihres Ehemannes. Hier liege ein Büroversehen vor.

Ergänzend legte die Kl mit dem nämlichen Schriftsatz Einspruch ein und bat darum, ihrem Prozessbevollmächtigten den streitigen Bescheid unverzüglich zukommen zu lassen.

Noch am 02.11.2006 gingen bei der Bekl ein Antrag auf Kindergeld und ein kurzes handschriftliches Begleitschreiben - jeweils datiert auf den 30.10.2006 - sowie diverse Unterlagen hinsichtlich der Ausbildungen u.a. der hier in Rede stehenden Kinder ein.

Am 03.11.2006 übersandte die Bekl die streitgegenständlichen Bescheide dem Prozessbevollmächtigten der Kl ausdrücklich "in Kopie".

Mit Schriftsatz vom 03.11.2006 durch Telefax vom selben Tag begründete die Kl ihren Einspruch ergänzend. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Einspruchsentscheidung vom 07.11.2006 wurde am 08.11.2006 zur Post gegeben. Der Einspruch wurde wegen Überschreitung der Einspruchsfrist des § 355 AO als unzulässig verworfen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lehnte die Bekl ab. Die Kl müsse sich das Verschulden, d.h. die fehlerhafte Weiterleitung der Post durch die Rechtsanwaltskanzlei, zurechnen lassen. Ihre postalische Erreichbarkeit habe die Kl zu gewährleisten.

Mit der am 07.12.2006 erhobenen Klage verfolgt die Kl ihr Begehren unter Bezugnahme auf die im Verwaltungsverfahren vorgetragene Begründung weiter.

Die Kl beantragt sinngemäß,

- unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen überschrittener Einspruchsfrist - die Bescheide über die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld und die Erstattung rechtsgrundlos erhaltenen Kindergeldes vom 30.08.2006 und 31.08.2006 und die Einspruchsentscheidung vom 07.11.2006 aufzuheben.

Die Bekl beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Der Berichterstatter hat am 16.03.2007 mit den Beteiligten einen Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin durchgeführt. In diesem Rahmen wurden die Kl und als Zeugen die Bürovorsteherin V und der Geschäftsführer der B, N, insbesondere auch dazu befragt und vernommen, ob und ggf. wann und wie sie die streitgegenständlichen Bescheide wahrgenommen haben und ob die Bescheide der Kl und/oder der Rechtsanwaltskanzlei zugegangen sind. Die Bewertung der Zeugenaussagen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist nicht einhellig. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll des Termins vom 16.03.2007 verwiesen.

Die Bekl geht nach der Beweisaufnahme davon aus, dass die Kl die gesetzliche Fiktion gemäß § 122 Abs. 2 AO nicht erschüttert habe. Beide Beteiligten gingen übereinstimmend von einem Zugang der Bescheid in der Kanzlei aus. Sie, die Bekl, habe den ihr nach § 122 Abs. 2 AO obliegenden und auch ausreichenden Anscheinsbeweis durch Nachweis der Aufgabe zur Post geführt. Es sei der Kl nicht gelungen, diesen Anscheinsbeweis zu entkräften.

Die Kl hat nach der Beweisaufnahme einen Zugang der Aufhebungsbescheide 30.08.2006 und 31.08.2006 in der Anwaltskanzlei bestritten.

Die Beteiligten haben im Termin am 16.03.2007 vor dem Protokoll auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Kindergeldakten und die zwischen den Beteiligten im Verfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Dem Gericht haben die von der Bekl für die Kl zur Personalnummer ... geführten Kindergeldakten Band I und Band II vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 FGO ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

II.

Die Klage ist zulässig und begründet.

1. Das Begehren auf gerichtlichen Rechtsschutz in Form der von der Kl gewählten Anfechtungsklage ist zulässig.

Bei den streitgegenständlichen Bescheiden handelt es sich um Scheinverwaltungsakte (dazu nachfolgend insbes. unter 2.a.). Der Rechtsschein eines ordnungsgemäß bekanntgegebenen und damit wirksam gewordenen Verwaltungsaktes kann durch eine Feststellungsklage beseitigt werden. Sie richtet sich auf die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 41 Abs.1 Alt. 1 FGO. Stattdessen ist auch eine Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 FGO statthaft. Sie kann zwar - wenn die Bekanntgabe nicht ordnungsgemäß ist - mangels wirksamen Verwaltungsaktes an sich nicht zu dessen Aufhebung oder Änderung führen, sondern allenfalls zur Beseitigung eines Rechtsscheins (siehe aber nachfolgend unter 2.d. und BFH-Urteil vom 07.08.1985 - I R 309/82 - BStBl II 1986, 42). Es kann einem Kläger indes nicht zugemutet werden, die Klageart vom ungewissen Ausgang des Rechtsstreits abhängig zu machen. Beurteilt das angerufene Gericht den Verwaltungsakt als wirksam, so kann er ein über die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Bekanntgabe hinausgehendes Klageziel nur erreichen, wenn er Anfechtungsklage erhebt. Diese setzt allerdings, anders als die Feststellungsklage, gemäß § 47 Abs. 1 FGO eine vom Kläger einzuhaltenden Frist voraus. Die Anfechtungsklage ist deshalb wahlweise neben der Feststellungsklage gegeben (vgl. nur BFH-Beschluss vom 25.02.1999 - IV B 36/98 - BFH/NV 1999, 1117 und BFH-Urteil vom 17.09.1992 - V R 17/86 - BFH/NV 1993, 279 m.w.N. zur Rspr).

Auch im Streitfall hat sich die Statthaftigkeit (auch) einer Feststellungsklage erst im Verlauf des Klageverfahrens gezeigt. Aus Sicht der Kl kam im Zeitpunkt der Klageerhebung daher allein die Anfechtungsklage in Betracht (dazu nachfolgend unter 2.a.aa.(2)).

2. Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide über die Aufhebung der Festsetzungen und Erstattung des Kindergeldes für den Zeitraum 01.10.2004 bis 30.09.2006 vom 30.08.2006 betreffend das Kind L und vom 31.08.2006 betreffend das Kind J der Kl sind nicht wirksam geworden. Der gleichwohl von ihnen ausgehende Rechtsschein einer behördlichen Regelung durch Verwaltungsakte ist durch Urteil des angerufenen Gerichts zu beseitigen. Die Einspruchsentscheidung vom 07.11.2006 geht von der Wirksamkeit der Bescheide aus, bestätigt die darin vermeintlich getroffene Regelung vollen Umfangs und ist daher rechtswidrig und verletzt die Kl in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

a. Die angefochtenen Bescheide sind nicht wirksam geworden.

Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird, § 124 Abs. 1 Satz 1 AO. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, gilt demjenigen Beteiligten, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen, § 122 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 AO.

Die Finanzbehörde kann den Nachweis des Zugangs eines schriftlichen Verwaltungsaktes nach § 122 Abs. 2 AO nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises (prima-facie-Beweis) führen. Es gelten vielmehr die allgemeinen Beweisregeln, insbesondere die des Indizienbeweises. Nach § 122 Abs. 2 AO trägt ausdrücklich die den Verwaltungsakt absendende Behörde die Beweislast für den Zugang desselben, den sie im Zweifel zu beweisen hat. Dieser klaren Regelung des Gesetzes widerspricht es, wenn der Nachweis der Posteinlieferung auf erste Sicht als ausreichend angesehen wird und anschließend vom Adressaten als Empfänger des Verwaltungsakts verlangt wird, er solle "diesen Anschein" entkräften durch den in der Regel gar nicht zu führenden Beweis der negativen Möglichkeit, dass ihm die Sendung nicht zugegangen ist. Auf diese Weise würde das von der Behörde als Absender zu beweisende gesetzliche Erfordernis des Zugangs praktisch durch den bloßen Nachweis der Absendung ersetzt; denn der Empfänger kann in der Regel nicht substantiiert einen anderen, atypischen Geschehensablauf darlegen. Eine Lockerung der gesetzlichen Voraussetzungen ist zudem nicht geboten. Es stehen der Behörde ausreichende Mittel zur Verfügung, den ihr obliegenden Beweis über den Zugang von schriftlichen Verwaltungsakten sicherzustellen und damit einen möglichen Streit hierüber zu vermeiden. Sie kann den Verwaltungsakt förmlich zustellen oder in Form eines Einschreibens - mit oder ggf. auch ohne Rückschein - übersenden. Macht sie von diesen Mitteln - ob aus ökonomischen oder anderen Gründen - keinen Gebrauch, trägt sie die Gefahr dafür, dass der Verwaltungsakt nicht ankommt oder sie den Zugang nicht beweisen kann. Es wäre unbillig, und sei es auch nur zur Glaubhaftmachung eines atypischen Geschehensablaufs, von dem Empfänger zu verlangen, Nachforschungen über den Verbleib der nicht angekommenen Postsendung anzustellen; dies ist allein die Sache der Behörde (st. Rspr. seit BFH-Urteil vom 14. März 1989 - VII R 75/85 - BStBl II 1989, 534 - vgl. BFH-Urteil vom 12.03.2003 - X R 17/99 - BFH/NV 2003, 1031). Das erkennende Gericht schließt sich dieser Rechtsprechung an. Der Finanzbehörde obliegt mithin grundsätzlich der volle Beweis über den Zugang eines Bescheides, wenn dieser streitig ist.

Im finanzgerichtlichen Verfahren obliegt es gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO dem Finanzgericht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu ermitteln. Zu diesem Zweck sind der Vortrag der Beteiligten und der sonstige Akteninhalt zu verwerten sowie erforderlichenfalls nach § 81 FGO Beweis zu erheben. Das erkennende Gericht entscheidet sodann nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen tatrichterlichen Überzeugung, § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO.

aa. Ausgehend von diesen Grundsätzen stehen der Zugang und damit die Bekanntgabe der streitgegenständlichen Bescheide nicht zur Überzeugung des Senats fest. Aus der Kindergeldakte ist ersichtlich, dass beide Bescheide durch die zuständige Sachbearbeiterin der Bekl am 01.09.2006 zur Post gegeben wurden. Hierbei handelt es sich zunächst um einen amtsinternen Vermerk, der über Ob und Wann der tatsächlichen Übergabe der Schriftstücke an die Post noch keine zwingende Erkenntnis zulässt. Die Aufgabe zur Post im Sinne des § 122 Abs. 2 AO geschieht (erst) durch Einwerfen in einen Postbriefkasten oder Einlieferung bei der Post bzw. dem zur Beförderung vorgesehenen Unternehmen. Auf dem Weg vom Sachbearbeiter zur eigentlichen Postaufgabe kann ein Abhandenkommen der Schriftstücke grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Zur Sicherstellung, dass der Absendevermerk eines Sachbearbeiters mit einer nachfolgenden tatsächlichen Aufgabe zur Post gleichzusetzen ist, bedürfte es der lückenlosen Schilderung des weiteren organisatorischen Ablaufs, insbesondere der Vorkehrungen, die eine unbemerkte behördeninterne Abweichung von der verfügten Übergabe an die Post ausschließen. Dies kann für den Streitfall indes dahinstehen.

(1) Die Kl hat einen persönlichen Erhalt der Aufhebungsbescheide und Kenntnis von denselben von vorneherein und durchgängig bestritten. Bereits gegenüber der Sachbearbeiterin der Bekl im Rahmen des zweiten Telefonats am 02.11.2006 bekundete sie ausweislich deren Aktenvermerks mündlich, die Bescheide nicht erhalten zu haben. In gleicher Weise hat sie durch ihren Bevollmächtigten im schriftlichen Antrag auf Wiedereinsetzung vom 02.11.2006 und im Rahmen der Klagebegründung vom 07.12.2006 vortragen lassen. Hierbei hat sie der Bekl auch erstmals mitgeteilt, dass sie an ihrem Wohnhaus weder Namensschild noch Briefkasten unterhalte und die für sie und ihre Familie bestimmte Post ungeachtet der Adressierung unter der Privatanschrift nach langjähriger Übung und in Absprache mit der Post ausnahmslos über die unter abweichender Hausnummer in derselben Straße belegene Rechtsanwaltspraxis ihres Ehemanns zugestellt werde. Auf eindringliche Nachfrage des Berichterstatters im Erörterungstermin hat die Kl nochmals ausdrücklich bekräftigt, die streitigen Bescheide niemals im Original in Händen gehalten und diese erstmals in Gestalt der an ihren Bevollmächtigten auf Anforderung per Telefax am 03.11.2006 überlassenen Kopien zur Kenntnis bekommen zu haben.

Aus den übrigen, dem Gericht erkennbaren Umstanden und dem Inhalt der Akten sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die den Vortrag der Kl widerlegen. Der Vortrag zu dem mangelnden Namensschild und Briefkasten deckt sich mit der zwecks Vorlage bei Gericht abgegebenen Erklärung der zuständigen Postfiliale. Die Zustellpraxis wurde durch den Bevollmächtigten der Kl, der die Rechtsanwaltskanzlei des Ehemanns während dessen längerfristiger Auslandsabwesenheit als bestellter Kanzleivertreter betreut, und die Zeugenaussage der langjährigen Bürovorsteherin bestätigt. Die Kl hat zwar bereits in der dritten Septemberdekade 2006 eine geänderte Bezügemitteilung der Besoldungsstelle erhalten, aus der sich mit Wirkung ab Oktober der Wegfall des Kindergeldes und der kindbezogenen Bezügebestandteile ergab. Entsprechend wurde ihr Ende September bereits für den Monat Oktober weniger Geld auf das Konto überwiesen. Die Kl hat hierzu erklärt, sie unterziehe ihre Bezügemitteilungen in der Regel keiner inhaltlichen Kontrolle, sondern lege diese einfach ab; so auch seinerzeit. Auch der verminderte Betrag der Bezüge sei ihr nicht weiter aufgefallen. Angesichts der im damaligen Zeitraum schwierigen persönlichen und familiären Umstände, die sie der Bekl und dem Gericht im Einzelnen dargelegt hat, sei ihr Bestreben einzig darauf ausgerichtet gewesen, als allein Verantwortliche sicher zu stellen, dass sämtliche laufenden Posten, insbesondere für die Kinder, bis zum Monatsende irgendwie gezahlt wurden. Daneben habe sie alle Energie darauf verwandt, in ihrem beruflichen Tätigkeitsfeld trotz der widrigen Umstände möglichst allen Anforderungen gerecht zu werden. Der Senat hat keinen Anlass, an der Aussage der Kl zu zweifeln. Im Übrigen hätte selbst die Wahrnehmung des Inhalts der geänderten Bezügemitteilung und des abweichenden Überweisungsbetrages allenfalls Anlass zu einer Nachfrage der Kl gegeben. Einen Zugang der den Änderungen zugrundeliegenden Kindergeldaufhebungsbescheide ersetzt dies nicht. Die Bekl hat auf Nachfrage des Gerichts konkrete Umstände, die für einen Zugang bei der Kl persönlich sprechen, nicht vorgetragen.

(2) Entgegen der Auffassung der Bekl steht auch der Zugang der streitigen Bescheide in der Kanzlei des Ehemanns der Kl, respektive ihres jetzigen Bevollmächtigten, nicht fest.

Zwar hat der Bevollmächtigte zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags zunächst die - mit Blick auf die Adressierung an die Privatanschrift der Kl - atypische Postzustellung über die Anwaltskanzlei ausführlich, im Detail und unter Beweisantritt dargestellt. Er hat sodann insbesondere Wert auf die Feststellung gelegt, der in Rede stehende Bescheid sei "zu keinem Zeitpunkt in das Posteingangsfach der Kl" gelangt. Schließlich hat er die Auffassung vertreten, die "fehlerhafte Postverteilung innerhalb der Kanzlei" könne der Kl nicht zugerechnet werden; sie treffe kein Mitverschulden, da die Verteilung "in der Vergangenheit" zuverlässig funktioniert habe. Dem Nichterhalt des Bescheides liege ein "Büroversehen" zugrunde. Im Klageverfahren trug er ergänzend vor, zwischenzeitlich sei bekannt geworden, dass die in Rede stehenden "Bescheide in das Fach der B eingelegt" worden seien. Deren Geschäftsführer habe "die Bescheide aus dem Fach genommen und zur Seite gelegt". Der weitere Verbleib sei ungeklärt.

Diesen Vortrag hat die Bekl angesichts seines insoweit keine andere Auslegung zulassenden Erklärungsgehaltes richtigerweise dahingehend verstanden, dass die Kl den Zugang der streitbefangenen Bescheide in der Kanzlei des Ehemanns der Kl über den Weg der abweichenden postalischen Zustellpraxis nicht in Abrede stellt, sondern als gegeben ansieht. Andernfalls macht die ausführliche Stellungnahme und rechtliche Auseinandersetzung des Klägerbevollmächtigten mit der mangelnden Zurechenbarkeit des Büroversehens zulasten der Kl keinen Sinn.

Die vom Gericht durchgeführte Beweisaufnahme, in deren Verlauf der Geschäftsführer der B und die Vorsteherin der Rechtsanwaltskanzlei des Ehemanns der Kl als Zeugen vernommen wurden, haben den Vortrag der Kl zu den generellen organisatorischen Aspekten der Postzustellung in und über die Rechtsanwaltskanzlei bestätigt. Die Zeugen haben übereinstimmend ausgesagt, dass für die nicht an die Kanzlei adressierte Post gesonderte Postfächer in der Kanzlei unterhalten werden und diese Post nach Sichtung durch die Kanzleivorsteherin - ungeöffnet - in die Fächer eingelegt wird. Die Einlieferung der für die Familie der Kl bestimmten Briefe durch die Post und in der Regel auch andere Zustelldienste in die Rechtsanwaltskanzlei und dortige interne Verteilung werde aufgrund bestehender Vereinbarungen seit mehr als 10 Jahren so gehandhabt. Die Umsetzung sei in der Vergangenheit grundsätzlich fehlerfrei erfolgt.

Zu den konkreten Bescheiden befragt, erwies sich die Aussage des Zeugen N indes als unergiebig. Zwar erinnert er sich daran, an einem Tag mit umfangreicherem Posteingang im September 2006 ein an die Kl adressiertes Schreiben in dem Postfach der B vorgefunden und zunächst an die Seite gelegt zu haben. Schon, ob er dieses Schreiben nachfolgend der Kanzleivorsteherin zur korrekten Weiterleitung gegeben hat, erinnert der Zeuge nicht. Insbesondere aber konnte er auf gerichtliche Nachfrage keine Angabe dazu machen, ob es sich bei dem besagten Brief um ein behördliches Schreiben, zumal eines der Bekl gehandelt habe. Andererseits hat er ausgesagt, dass es durchaus keinen Einzelfall darstelle, wenn ein Brief fälschlich in seinem Posteingang liege, wenngleich dies selten vorkomme.

Die Bürovorsteherin hat generell bekundet, sie arbeite sehr ordentlich und penibel und könne sich eigentlich nicht vorstellen, dass sie Post für die internen Postfächer falsch einsortiere; jedenfalls habe es in der Vergangenheit keine entsprechenden Beschwerden gegeben. Die private Post werde von ihr ungeöffnet in die dafür für die einzelnen Adressaten vorgehaltenen Postfächer eingelegt. Entsprechend wisse sie in der Regel nicht, wer Absender der Schreiben sei. Die Post werde von den einzelnen Familienmitgliedern der Kl, in der Regel täglich, gesondert abgeholt, jeder entnehme also jeweils nur seine eigenen Briefe aus dem Postfach. Auf die gerichtliche Nachfrage, ob und ggf. wie die streitgegenständlichen Bescheide in das Postfach der B geraten seien, könne sie keine Angaben machen. Angesichts der Fülle an täglicher Kanzleipost habe sie schon generell keine Erinnerung an konkrete an die Kl adressierte Bescheide der Bekl, zumal sie - wie ausgeführt - die Absender in der Regel gar nicht kenne. Da sie gar nicht wisse, ob die Bescheide überhaupt in der Kanzlei eingegangen seien, könne sie erst recht keine Angaben dazu machen, ob solche von ihr möglicherweise fehlerhaft einsortiert worden seien bzw. wie es dazu kommen konnte. Nach ihrer Kenntnis seien die Bescheide nicht, auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt, in der Kanzlei aufgetaucht.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts nicht fest, dass die streitbefangenen Kindergeldaufhebungsbescheide der Bekl in der Kanzlei des Ehemanns der Kl eingegangen und erst danach durch fehlerhaftes Verhalten oder organisatorische Unzulänglichkeiten nicht an die Kl gelangten. Zwar hat der Bevollmächtigte der Kl eben dies zunächst mit seiner gesamten Antrags- und Klagebegründung mittelbar zum Sachverhalt vorgetragen. Nach Durchführung der Zeugenbefragung hat er seinen Vortrag insoweit korrigiert und nunmehr den Zugang der Bescheide in seiner Kanzlei, respektive der des Ehemanns der Kl, ausdrücklich bestritten. Dieser Wechsel im Vortrag zum Tatsächlichen gibt aus Sicht des Gerichts nach den konkreten Umständen des Streitfalls keinen Anlass an der Glaubhaftigkeit des klägerseitigen Vorbringens und dem nunmehrigen Bestreiten des Zugangs zu zweifeln. Er beruht auf den (besseren) Erkenntnissen aus der durchgeführten Beweisaufnahme.

Es ist zu berücksichtigen, dass der Klägerbevollmächtigte von der Kl erst im Verlaufe des 02.11.2006 von den von der Bekl versandten Aufhebungsbescheiden und, dass diese die Kl nicht erreicht haben, erfahren hat. Nach der langjährigen Postzustellungspraxis war klar, dass die Bescheide bei regelmäßigem Ablauf über die Kanzlei zugestellt worden sein müssten. Anstatt - ohne substantielle und umfassende Recherche - den Zugang in der Kanzlei zunächst - ggfs entgegen den tatsächlichen Umständen - schlicht zu bestreiten, ist der Bevollmächtigte von dem üblichen Ablauf ausgegangen und hat die Zustellung über die Kanzlei zunächst unterstellt. Konsequenter- und richtigerweise hat er sodann im Namen der Kl den - noch am selben Tag formulierten - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Damit und mit den zu dessen Begründung vorgetragenen Argumenten hat er gegenüber der Bekl den Eindruck vermittelt, als stehe der Zugang in der Kanzlei fest. Dass der Sachverhalt in diesem Stadium klägerseits noch gar nicht abschließend geprüft war, ergibt sich indes schon daraus, dass konkrete Bescheide den Kanzleimitarbeitern offenbar nicht gegenwärtig waren, wie sich aus dem Wortlaut der Antragsschrift ergibt. So wurde der Antrag "hinsichtlich dieses Bescheides ... für den Fall, dass es sich um mehrere separate Bescheide gehandelt haben sollte, ... für jeden der ergangenen Bescheide" gestellt. Weiter wird ausdrücklich nur gemutmaßt, der Bescheid werde an die Privatanschrift der Kl adressiert worden sein, wie jede Korrespondenz zwischen der F und der Kl. Derartigen Formulierungen hätte es - wahrheitsgemäßen Klägervortrag unterstellt - nicht bedurft, wenn der Bescheideingang in der Kanzlei und die Adressierung wegen positiver Kenntnis auf Seiten der Kl keinem Zweifel unterlagen.

Hätte der Bevollmächtigte demgegenüber in dieser Phase - ungeprüft - die Behauptung aufgestellt, der Bescheid habe die Kanzlei nicht erreicht und hätte sich dieser Vortrag nach weiterer Recherche später als unzutreffend erwiesen, wäre dies u.U. in mehrfacher Hinsicht im Hinblick auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand problematisch gewesen. Zunächst hätte die Kl ihrer Wahrheitspflicht nicht genügt. Weiter hätte bis zur Klärung des wahren Sachverhalts die Antragsfrist des § 110 Abs. 2 AO überschritten sein können. Schließlich hätte die Gefahr bestanden, durch gerade insoweit widersprüchliches Vorbringen die Darstellung der Kl zu schwächen, die atypische Zustellungspraxis über die Kanzlei und innerhalb der Kanzlei funktioniere in der Regel völlig problemfrei und sei damit gerade nicht Auslöser des Bekanntgabemangels.

Der Kl kann unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen nicht zum Nachteil gereichen, dass sie den aus ihrer Sicht wahrscheinlicheren Geschehensablauf für ihr weiteres Verfahrenshandeln als Prämisse gesetzt hat, mag dies auch das Verfahren komplexer gemacht haben. Ein schlichtes Bestreiten des Zugangs hätte nach der gefestigten Rechtsprechung ausgereicht, um Zweifel im Sinne des § 122 Abs. 2 AO auszulösen und eine erneute Bekanntgabe durch die Bekl notwendig gemacht. Es wäre aber - wie ausgeführt - zu diesem Zeitpunkt unlauter gewesen. Nachdem die gerichtliche Beweisaufnahme ergeben hat, dass der Zugang der Bescheide in der Kanzlei nicht positiv feststellbar ist, weil sich keiner der von der Kl - wohl gemerkt zur Substantiierung des verfahrensmäßig deutlich schwächeren Mittels des Wiedereinsetzungsantrags - benannten Zeugen an Bescheide der Bekl, zumal der streitgegenständlichen, erinnern konnte, lagen Zweifel im Sinne des § 122 Abs. 2 AO konkret vor. Nach der insoweit klaren gesetzlichen Beweislastverteilung durfte sich die Kl hierauf in Abänderung ihrer bisherigen Argumentation berufen. Im Übrigen hätte es dessen im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens ohnehin nicht bedurft, da sich das erkennende Gericht eine eigene Überzeugung über den der rechtlichen Klärung zuzuführenden Sachverhalt verschafft ( § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) und es mithin auf die Zweifel des Gerichts am Zugang der Bescheide ankommt.

Nach dem Vorstehenden konnte von der Kl auch nicht - wie von der Bekl gefordert - primär der Zugang der Bescheide bestritten und lediglich vorsorglich und hilfsweise Wiedereinsetzung begehrt werden. Entgegen der Erwägung der Bekl ist der Bevollmächtigte der Kl eben gerade nicht von vorneherein ernsthaft von dem fehlenden Zugang der Bescheide ausgegangen.

Die Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme durch die Bekl ist für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar. Entgegen der Darstellung der Bekl geht die Klägerseite keineswegs weiterhin davon aus, dass der Postzusteller die - hier allein relevanten - streitgegenständlichen Aufhebungsbescheide bei der Kanzlei abgegeben hat. Dass konkret diese Bescheide von der Bürovorsteherin fälschlich in das Fach der B einsortiert wurden, ist ebenfalls nicht Konsens zwischen Beteiligten. Die Bürovorsteherin konnte dies für die in Rede stehenden Bescheide nicht bestätigen und hat es generell als unwahrscheinlich erachtet. Der Zeuge N hatte an die konkreten Bescheide keinerlei Erinnerung. In Konsequenz dessen geht die Kl mit ihrem nunmehrigen Bestreiten ausdrücklich gerade nicht mehr vom Eintritt der gesetzlichen Zugangsfiktion aus. Die Bekl hat auf gezielte Nachfrage des Gerichts, anhand welcher konkreten Sachverhaltsumstände nach der Beweisvernehmung die hieraus resultierenden Zweifel am Zugang aus Sicht der Bekl als widerlegt anzusehen seien, keinen Umstand benannt.

(bb) Die von der Kl unter Einbeziehung der Post praktizierte Zustellpraxis an eine andere, als die als Empfängeradresse genannte Anschrift, gibt nach den Umständen des konkreten Falls für den erkennenden Senat keinen Anlass, von der in § 122 Abs. 2 AO gesetzlich vorgesehenen Beweislastverteilung zum Nachteil der Kl abzuweichen; insbesondere kommt eine Beweislastumkehr nicht in Betracht.

Es kann nach den gewonnenen Erkenntnissen zunächst ausgeschlossen werden, dass die Kl mit der mangelnden Vorhaltung eines Briefkastens treuwidrig den Zugang von Schriftverkehr verhindern wollte. Es erscheint nachvollziehbar, wenn sie vorträgt, das Nichtvorhandensein des Namensschildes und Briefkastens diene dem Schutz der Privatsphäre ihrer Familie und beruhe auf dem Umstand, dass der Ehemann als örtlich bekannter Rechtsanwalt und Strafverteidiger unmittelbar gegenüber auf der anderen Straßenseite seine Kanzlei unterhalte. Im Übrigen hat sie durch die Vereinbarung mit der Post unter den gegebenen Bedingungen den Zugang gerade sicherstellen wollen.

Zur Überzeugung des Senats liegen im Streitfall keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, der ernsthaft mögliche Nichtzugang der streitgegenständlichen Bescheide beruhe auf der von der Kl praktizierten Postabwicklung und diese sei damit dafür kausal. Die Kl, deren Bevollmächtigter und die langjährige Bürovorsteherin haben übereinstimmend ausgesagt, dass die Zustellung der Privatpost der Familie der Kl seit über 10 Jahren problemlos durch die örtliche Postdienststelle und in der Regel auch weitere Beförderungsunternehmen an die gegenüberliegende Kanzlei erfolge. Die zuständige Niederlassung der Deutsche Post AG hat eine entsprechende Vereinbarung und langjährige Praxis im Bewusstsein der nachfolgenden Vorlage bei Gericht schriftlich bestätigt. Aus den Akten der Bekl ist Entgegenstehendes nicht zu entnehmen. Vielmehr adressierte die Bekl die an die Kl gerichteten Schriftstücke bislang sämtlich an deren Privatanschrift und versandte diese mit der Post. Im gesamten Kindergeldvorgang ist nicht ein Schreiben ersichtlich, welches als unzustellbar von der Post zurückgereicht wurde. Andernfalls wäre der Umstand der abweichenden Zustellung der Bekl auch bekannt und wohl geklärt gewesen. Entgegen der Auffassung der Bekl spricht auch die zweifach als unzustellbar an das Gericht zurückgesandte, an die Privatanschrift adressierte Ladung der Kl zum Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin nicht gegen das Funktionieren der praktizierten Zustellpraxis. Das Gericht hat das persönliche Erscheinen der Kl angeordnet und die Ladung daher förmlich mit Postzustellungsurkunde zustellen lassen. Hierzu hat sie sich nicht der Deutsche Post AG bedient, sondern des Zustelldienstes Jurex. Die Bekl hat die streitgegenständlichen Bescheide an die Kl indes mit einfacher Post und somit über die Deutsche Post AG, mit der die seitens der Kl getroffene Zustellvereinbarung gilt, versandt. Zudem ist die erneute förmliche Terminsladung der Kl über die Kanzleianschrift erfolgreich zugestellt worden. Hätte die Bekl von einer der ihr offen stehenden Möglichkeiten der dokumentierten Zustellung - Postzustellungsurkunde oder Einschreiben - Gebrauch gemacht, wäre der Zugang oder aber auch der Nichtzugang der Bescheide offenkundig dokumentiert gewesen. Im letzteren Fall hätte sie durch Nachfrage bei der Kl die Sachlage klären und den Zugang sicherstellen können.

Beruht die Nichtfeststellbarkeit des Zugangs der Aufhebungsbescheide nicht auf der abweichenden Postzustellungspraxis, stellt sich die Lage aus Sicht des Empfängers ebenso dar, wie bei Zustellung unter seiner originären Anschrift. Ohne die Regelung in § 122 Abs. 2 AO, müsste er eine negative Tatsache beweisen oder zumindest die Fiktion des Zugangs ernsthaft erschüttern, ohne zu der hieraus regelmäßig resultierenden Beweisnot Anlass gegeben zu haben. Weder das eine, noch das andere lassen sich mit der gesetzgeberischen Beweislastentscheidung in § 122 Abs. 2 AO in Einklang bringen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die aufgrund der geänderten Zustellweise zur primären Entgegennahme der Post berufenen Personen - wie im Streitfall die Bürovorsteherin - als Dritte bei ernsthafter Nachforschung glaubwürdig keine eindeutig positive oder negative Angabe über einen Eingang der konkreten Bescheide machen kann. Letztlich verkörpert sich auch hierin das Risiko der Behörde, ein gegebenenfalls wahrheitswidriges Leugnen des Zugangs nicht widerlegen zu können. Anders als der Empfänger ist indes allein sie in der Lage, das Risiko der Unaufklärbarkeit durch entsprechende vorbereitende Maßnahmen auszuschließen.

b. Die Aufhebungsbescheide vom 30.08.2006 und 31.08.08.2006 sind der Kl nicht durch die Übersendung der Bescheidkopien durch das Telefax der Bekl vom 03.11.2006 an den Bevollmächtigten der Kl bekannt gegeben und damit wirksam worden. Die Bekl hatte hierbei keinen Bekanntgabewillen.

Ein ohne Bekanntgabewillen zur Kenntnis gebrachter Verwaltungsakt erlangt keine Wirksamkeit. Der Bekanntgabewille fehlt, wenn die Übersendung eines Schriftstücks nicht zu dem Zweck erfolgt, die an eine Bekanntgabe geknüpften Rechtsfolgen herbeizuführen, sondern nur der Information des Empfängers über den Inhalt eines bei den Akten befindlichen Schriftstücks dienen soll (BFH-Urteil vom 04.10.1989 - V R 39/84 - BFH/NV 1990, 409). Ob die nochmalige Bekanntgabe einer behördlichen Verfügung als anfechtbarer Verwaltungsakt nach § 118 Satz 1 AO oder nur als Übersendung einer Zweitschrift ohne selbständig anfechtbare Regelung zu beurteilen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BFH-Beschluss vom 24.11.1999 - V B 137/99 - BFH/NV 2000, 550).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze handelt es sich bei den übersandten Bescheidkopien nicht um gesondert anfechtbare Verwaltungsakte. Die Bekl hat dies schon äußerlich dadurch dokumentiert, dass sie die Ablichtungen dem Bevollmächtigten mit dem Begleitschreiben ausdrücklich "in Kopie" übersandte. Sie hat das Datum der Bescheide nicht auf den Tag der nochmaligen Versendung geändert. Insbesondere hat sie die in der Akte befindlichen Bescheiddoppel vor der Versendung mit dem unübersehbaren, den vollen oberen Bereich sämtlicher Seiten überspannenden Zusatz "Kopie" versehen. Inhaltlich hat die Bekl durch ihr weiteres Vorgehen im Verwaltungsverfahren unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Übersendung nicht zur Auslösung der an eine Bekanntgabe geknüpften Rechtsfolgen diente. Insbesondere wollte sie keine neue Rechtsbehelfsfrist in Gang setzen, wie sich aus der nachfolgenden Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der originär zur Post gegebenen Bescheide ergibt. Wären die am 03.11.2006 übersandten Bescheidkopien mit Bekanntgabewillen erfolgt, wäre der - antizipierte - Einspruch der Kl vom 02.11.2006, jedenfalls aber das danach eingegangene Einspruchsbegründungsschreiben vom 03.11.2006 fristgerecht eingegangen und der ablehnenden Bescheidung des damit obsoleten Wiedereinsetzungsantrages durch die Einspruchsentscheidung vom 07.11.2006 hätte es nicht bedurft.

c. Die Bekanntgabemängel sind durch die Einspruchsentscheidung der Bekl vom 07.11.2006 nicht geheilt. Zwar ist dies grundsätzlich möglich, da Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf erhalten hat (vgl. § 44 Abs. 2 FGO - vgl. u.a. BFH-Urteil vom 01.12.2004 - II R 17/04 - BStBl II 2005, 855 m.w.N.). Die Einspruchsentscheidung ist der Kl ordnungsgemäß bekanntgegeben worden. Jedenfalls aber hat die Bekl den Einspruch wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen und sich daher nicht mit dem Inhalt der Aufhebungsbescheide befasst. Eine Heilung des Bekanntgabemangels ist auf diese Weise nicht möglich (vgl. Tipke/Kruse-Tipke AO § 122 Rd. 13 m.w.N.).

d. Bei den angefochtenen Kindergeldaufhebungsbescheiden handelt es sich um sogenannte Nichtverwaltungsakte. Sie sollten nach der Vorstellung der Bekl zwar nach Inhalt, Form und Verfahren wirksame Verwaltungsakte sein, sind aber mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht wirksam geworden. Ein solcher Nichtverwaltungsakt erzeugt keine Rechtswirkungen und ist als rechtliches Nullum grundsätzlich unbeachtlich. Damit sind die streitgegenständlichen Bescheide eigentlich unaufhebbar und unanfechtbar. Da sie als Äußerung einer mit staatlicher Autorität ausgestatteten Behörde - hier der Bekl - scheinbar Rechtswirkungen auslösen, können sie aus praktischen Gründen gleichwohl angefochten und aufgehoben werden. Wird die Nichtigkeit bzw. Nichtexistenz auf eine Anfechtungsklage erst durch das Finanzgericht festgestellt, so ist der nichtige Verwaltungsakt bzw. der Nichtverwaltungsakt zur Beseitigung des Scheins seiner Wirksamkeit gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuheben (BFH-Urteil vom 07.08.1985 - I R 309/82 - BStBl II 1986, 42 - vgl. zu allem auch Tipke/Kruse-Tipke AO § 122 Rd. 12 u. § 124 Rd. 22 ff m.w.N.).

e. Die weitere von der Bekl aufgeworfene Fragestellung, ob sich die Kl ein Organisationsverschulden bei der internen Postverteilung in der Kanzlei ihres Ehemanns und den daraus resultierenden mangelnden persönlichen Zugang der Bescheide, wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss, mit der Folge, dass eine Wiedereinsetzung nach § 110 AO zu versagen war, war vom Senat mangels wirksamer Bekanntgabe durch die nichtfeststellbare Zustellung in der Kanzlei nicht zu entscheiden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO sind im Streitfall nicht gegeben.



Ende der Entscheidung

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