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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 02.02.2007
Aktenzeichen: 2 K 106/06
Rechtsgebiete: InsO, AO 1977, BGB


Vorschriften:

InsO § 302 Nr. 1
AO 1977 § 251 Abs. 3
AO 1977 § 320
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
Steuerforderungen sind auch dann keine Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne von § 302 Nr. 1 InsO, wenn eine Steuerhinterziehung gemäß § 320 AO vorliegt.
Finanzgericht Hamburg

2 K 106/06

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Feststellungsbescheides gem. § 251 Abs. 3 Abgabenordnung (AO).

Mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom 31.03.2002 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger für das Jahr 1996 Umsatzsteuer und Gewerbesteuer nebst Zinsen gem. § 233a AO in Höhe von insgesamt 268.557,19 EUR fest (Vollstreckungsakte - VA - II Bl. 103, 106). Mit am 18.06.2002 rechtskräftig gewordenem Strafbefehl wurde der Kläger aufgrund von Verkürzung von Umsatzsteuer für 1996 in Höhe von 47.222,05 DM, Gewerbesteuer für 1996 in Höhe von 13.630 DM und Einkommensteuer in Höhe von 32.412 DM (insgesamt 93.264,05 DM = 47.685,15 EUR) wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 AO verurteilt (VA II Bl. 148). Am 15.08.2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet (vgl. VA II Bl. 89). Der Beklagte meldete mit Schreiben vom 21.09.2005 - neben weiteren Steuerforderungen - die vorerwähnten Umsatz- und Gewerbesteuerforderungen nebst Zinsen in Höhe von 268.557,19 EUR, zzgl. Säumniszuschlägen, d.h. in Höhe von 355.517 EUR zur Tabelle an (VA II Bl. 98ff), und zwar unter Bezugnahme auf den Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung als Deliktsforderungen im Sinne von § 302 Insolvenzordnung (InsO). Der Insolvenzverwalter widersprach dem insoweit, als die angemeldete Forderung über einen Betrag von 312.037,19 EUR hinausging (vgl. Insolvenztabelle, Insolvenzakte AG Hamburg 67a IN 326/05 Bl. 95). Im Prüfungstermin stellte der Insolvenzverwalter fest, dass der Schuldner einen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt hat, und widersprach der Kläger der Einordnung der angemeldeten Forderungen als Deliktsforderungen (Insolvenzakte Bl. 90f). Seine Einwendungen hielt der Kläger auch in einem anschließenden Schriftwechsel mit dem Beklagten aufrecht und forderte den Beklagten auf, das angekündigte Feststellungsverfahren gem. § 251 Abs. 3 AO nicht weiter zu verfolgen (VA II Bl. 129ff, 132).

Nach Teilerlass der Säumniszuschläge erließ der Beklagte unter dem 17.03.2006 einen Feststellungsbescheid, in dem er die Steuerforderungen in Höhe von 268.557,19 EUR zzgl. Säumniszuschläge in Höhe von 43.480 EUR, insgesamt 312.037,19 EUR, gem. § 251 Abs. 3 AO i.V.m. § 184 InsO als Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung i.S.v. § 302 InsO feststellte (VA II Bl. 138).

Hiergegen legte der Kläger am 06.04.2006 Einspruch ein, mit dem er sich weiter gegen die Qualifikation der geltend gemachten Forderungen als solche aus unerlaubter Handlung wendete und zudem auf die geringeren Beträge des Strafbefehls hinwies.

Mit Einspruchsentscheidung vom 03.05.2006 änderte der Beklagte den Feststellungsbescheid dahingehend, dass nunmehr nur noch Forderungen in Höhe von 47.685,15 EUR, und zwar Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Einkommensteuer 1996 jeweils in der sich aus dem Strafbefehl ergebenden Höhe als Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gem. § 302 Nr. 1 InsO festgestellt wurden. Im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet zurück. Für die Qualifizierung der Forderungen stützte er sich auf den Beschluss des AG Siegen vom 24.09.2002, 25 IN 203/01. Eine Auslegung des § 320 InsO ergebe, dass sich der Begriff der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht nur auf die §§ 823ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beziehe.

Hierauf hat der Kläger am 30.05.2006 Klage erhoben.

Der Kläger trägt vor:

Es fehle schon eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Feststellungsbescheides. Diese ergebe sich insbesondere nicht aus § 251 Abs. 3 AO. Die Feststellung ermögliche dem Gläubiger die Teilnahme an dem insolvenzrechtlichen Verteilungsverfahren. Im Falle des Bestreitens der Forderung durch den Schuldner bestehe die Bedeutung der Vorschrift allein darin, dem Gläubiger die Möglichkeit der Vollstreckung aus der Tabelle nach Beendigung des Insolvenzverfahrens zu ermöglichen. Im Streitfall sei die Feststellung zur Tabelle jedoch unstreitig erfolgt. Sei der als Insolvenzforderung angemeldete Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis selbst unstreitig, berechtige § 251 Abs. 3 AO nicht zur Feststellung allein ihrer Eigenschaft als Forderung aus unerlaubter Handlung mit den Rechtswirkungen des § 302 Nr.1 InsO. Streitigkeiten hierüber seien in einem regulären Feststellungsprozess außerhalb des insolvenzrechtlichen Feststellungsverfahrens zu klären. Hätte der Gesetzgeber nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung einen gegenüber der Zeit der Geltung der Konkursordnung erweiterten Anwendungsbereich des § 251 Abs. 3 AO gewollt, so hätte er nach Auffassung des Klägers dies positiv geregelt und angesichts der Tragweite regeln müssen.

Zum anderen habe der Beklagte eine Steuerhinterziehung des Klägers weder substanziiert dargelegt noch bewiesen. Die Rechtskraft des Strafbefehls habe für das vorliegende Verfahren keine präjudizielle Wirkung. Der Kläger bestreite die sich aus dem Strafbefehl und aus dem Bericht über Steuerstraftaten vom 18.01.2002 ergebenden Vorwürfe. Er habe den Strafbefehl nur deshalb nicht angefochten, weil ihm hierzu die notwendigen finanziellen Mittel gefehlt hätten.

Ungeachtet dessen handele es sich bei den Forderungen, auch soweit sie mit einer Steuerhinterziehung im Zusammenhang stehen sollten, nicht um Forderungen aus unerlaubter Handlung i.S.v. § 302 Nr.1 InsO. Dies entspreche der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung und der Literatur. Die zu § 850f Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) ergangene Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24.10.1996 VII R 113/94 sei auch auf § 302 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu übertragen. Anderenfalls würde dem Steuerhinterzieher die Restschuldbefreiung mit Hinweis auf eine unerlaubte Handlung versagt, aber Vollstreckungsschutz gem. § 850f ZPO mit der Begründung zugestanden, dass keine unerlaubte Handlung vorliege. Der Steueranspruch entstehe aufgrund Gesetzes und nicht aufgrund unerlaubter Handlung. Weder handele es sich bei dem durch § 370 AO geschützten Staatsvermögen um ein absolut geschütztes Rechtsgut i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB noch sei § 370 AO ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Ebenso wenig verstoße eine Steuerhinterziehung gegen die guten Sitten i.S.v. § 826 BGB. Eine von dem Beklagten unter Bezugnahme auf das AG Siegen befürwortete Anwendung des § 302 InsO über den Bereich der unerlaubten Handlungen gem. §§ 823ff BGB hinaus überschreite die Grenzen der Auslegung und werde dem Zweck des Gesetzes nicht gerecht. Dies werde durch die Begründung von § 251 des Regierungsentwurfs zur Insolvenzordnung (später § 302 InsO) bestätigt, in der von Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung die Rede sei. Das Insolvenzverfahren diene nicht dem Zweck, den Schuldner für wie auch immer geartetes Unrecht zu pönalisieren. Die Bedeutung der Redlichkeit des Schuldners sei in § 290 InsO abschließend geregelt; allein die dort aufgeführten Gründe der Unredlichkeit zögen die Versagung der Restschuldbefreiung nach sich. § 302 InsO zeige demgegenüber, dass der Schuldner, gegen den Forderungen aus unerlaubter Handlung bestünden, nicht als unredlich angesehen werde; denn nur diese Forderungen würden von der Restschuldbefreiung ausgenommen, während die Restschuldbefreiung für alle anderen Verbindlichkeiten erteilt werde.

Schließlich sei im Hinblick auf etwaige deliktische Ansprüche nach den maßgeblichen Vorschriften des BGB Verjährung eingetreten; schon dies stehe der Feststellung der Ansprüche entgegen. Der Kläger berufe sich daher vorsorglich auf die Einrede der Verjährung.

Der Kläger beantragt,

den Feststellungsbescheid vom 17.03.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.05.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor:

§ 251 Abs. 3 AO sei Rechtsgrundlage auch für die Feststellung einer bestrittenen Eigenschaft einer im Übrigen unstreitigen angemeldeten Steuerforderung. § 251 Abs. 3 AO entspreche dem für andere Forderungen in § 184 InsO geregelten Klageweg. Die Erfassung auch der Eigenschaft der Forderung in einem Feststellungsbescheid folge letztlich aus der notwendigen Identität zwischen der angemeldeten und der festgestellten Forderung.

Aufgrund des rechtskräftigen Strafbefehls gehe der Beklagte zudem weiter vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung des Klägers aus.

Eine Auslegung des § 302 Nr. 1 InsO unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Restschuldbefreiung und der Insolvenzordnung (§ 1 S. 2 InsO) insgesamt spreche mit dem AG Siegen dafür, den Begriff der unerlaubten Handlung nicht auf die zivilrechtlichen Vorschriften in §§ 823ff BGB zu beschränken, sondern hierunter auch andere unerlaubte Handlungen wie z.B. die Steuerhinterziehung zu fassen. Die Insolvenzordnung wolle allein dem redlichen Schuldner die Gelegenheit zu einem Neuanfang einräumen. Es sei nicht Sinn der Insolvenzordnung, einem Straftäter die Früchte der Straftat zu belassen. Demzufolge sei sowohl eine etwaige Geldstrafe als auch die aus der Steuerhinterziehung resultierende Steuerforderung aus der Restschuldbefreiung auszunehmen. Dass die Steuern keiner Steuerhinterziehung bedürften, um zur Entstehung zu gelangen, stehe dem nicht entgegen. Im Vordergrund stehe hier nicht das Entstehen der Steuern, sondern die kriminelle Energie zu Lasten der Allgemeinheit. Der Vergleich mit § 290 InsO trage nicht; bei der Versagung der Restschuldbefreiung als Ganzes und der auf einzelne Forderungen bezogenen Versagung gem. § 302 InsO handele es sich um eigenständige Regelungsbereiche. Im Übrigen verlange § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO eine Falschangabe innerhalb der letzten 3 Jahre vor der Antragstellung. Erlange das Finanzamt innerhalb dieser Zeit keine Kenntnis, habe es nicht die Möglichkeit, die Versagung einer Restschuldbefreiung zu beantragen. Hier sei zu fragen, ob derjenige, der unentdeckt geblieben sei, besser zu stellen sei als derjenige, der früher entdeckt worden sei. Die Entscheidung des BFH zu § 850f Abs. 2 ZPO habe die sich für § 302 InsO stellende Auslegungsfrage nicht geklärt, zumal der BFH durchaus auch für den Begriff der unerlaubten Handlung auf unterschiedliche Meinungen hingewiesen habe. Entgegen der Auffassung des BFH handele es sich bei § 370 AO möglicherweise doch um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Im Übrigen sei es denkbar, dass der BFH heute auf der Grundlage der neuen Insolvenzordnung und der aufgehobenen Vorrangstellung der Steuerforderungen zu einer anderen Beurteilung käme.

Schließlich sei entgegen der Ansicht des Klägers Verjährung nicht eingetreten, da die streitigen Forderungen aus der Steuerhinterziehung nicht den Regelungen der §§ 823, 826, 852 BGB, sondern den Verjährungsregelungen der Abgabenordnung unterlägen und hiernach keine Verjährung eingetreten sei.

Dem Senat haben 3 Bände Vollstreckungsakten und eine Insolvenzakte des AG Hamburg 67a IN 326/05 vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Klage ist zulässig.

Als Adressat des Feststellungsbescheides und der Einspruchsentscheidung ist der Kläger ungeachtet das laufenden Insolvenzverfahrens aktivlegitimiert.

Das Feststellungsverfahren gem. §§ 184, 185 InsO, 251 Abs. 3 AO findet neben dem fortlaufenden Insolvenzverfahren statt.

2. Die Klage ist begründet.

a) Im Streitfall kann unentschieden bleiben, ob bei bestandskräftig festgesetzter Steuerschuld die Feststellung allein des Rechtsgrundes der Forderung im Sinne der §§ 174 Abs. 2, 175 Abs. 2 InsO von dem Anwendungsbereich des § 251 Abs. 3 AO erfasst ist und ob ein Rechtsschutzbedürfnis des Beklagten zum Erlass eines Feststellungsbescheides im Falle des Bestreitens allein des Schuldners und beschränkt auf den bezeichneten Rechtsgrund der unerlaubten Handlung besteht (vgl. zu letzterem trotz zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtskräftigen Titels bejahend BGH, Urteil vom 18.05.2006, a.a.O.; s.a. BGH, Beschluss vom 18.09.2003, IX ZB 44/03, NZI 2004, 39; so auch OLG Rostock, Beschluss vom 13.06.2005, 3 U 57/05, ZVI 2005, 2005; OLG Hamm, Beschluss vom 15.10.2003, 13 W 42/03, ZIP 2003, 2311; LG Köln, Urteil vom 10.02.2005, 2 O 651/03, NZI 2005, 406; Wimmer in: Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung 4. Aufl. § 179 Rn. 6b, § 302 Rn. 11, 11a; a.A. Uhlenbruck a.a.O. § 302 Rn. 24 zur Feststellungsklage gem. § 184 InsO im Sinne einer Klagelast des Schuldners; vgl. allgemein zur Erforderlichkeit des Feststellungsbescheides gem. § 251 Abs. 3 AO im Falle festgesetzter Steuerschuld BFH, Urteil vom 23.02.2005, VII R 63/05, BStBl II 2005, 591; s. a. BFH, Urteil vom 07.03.2006, VII R 11/05, BStBl II, 06, 573,575). Für ein Rechtsschutzinteresse wird überwiegend das Interesse des Gläubigers an einer frühzeitigen Klärung der Rechtslage bei zu erwartenden späteren Rechtsbehelfen des Schuldners im Vollstreckungsverfahren angeführt.

b) Der Feststellungsbescheid ist schon deshalb rechtswidrig, weil es sich bei den in Rede stehenden Verbindlichkeiten ungeachtet einer etwaigen Steuerhinterziehung nicht um solche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne von § 302 Nr. 1 InsO handelt (so allgemein zu Steuerforderungen, hinsichtlich derer eine Steuerhinterziehung vorliegt, Wimmer in: Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung 4. Aufl. § 179 Rn. 6b, § 302 Rn. 11; Uhlenbruck Insolvenzordnung Kommentar 12. Aufl. § 302 Rn. 24; Landfermann in: Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung 4. Aufl. § 302 Rn.6).

(1) Der als Deliktsforderung angemeldete Anspruch des Beklagten ist nicht unter dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung gem. §§ 823ff BGB begründet.

Zum einen handelt es sich bei der von dem Beklagten als Grundlage der unerlaubten Handlung angeführten Steuerhinterziehung nicht um eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 823ff BGB.

Ein Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB besteht nicht, weil die Steuerhinterziehung allenfalls zu einem Vermögensschaden des Fiskus geführt hat und das Vermögen kein von § 823 Abs. 1 BGB allein erfasstes absolut geschütztes Rechtsgut ist (Sprau in: Palandt BGB 66. Aufl. § 823 Rn. 11).

Ebenso wenig handelt es sich bei der Steuerhinterziehung um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist ein Schutzgesetz eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Es genügt, dass die Norm auch das in Rede stehende Interesse des Einzelnen schützt, mag sie auch in erster Linie die Interessen der Allgemeinheit im Auge haben. Allerdings ist es nicht ausreichend, wenn der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Voraussetzung für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB ist stets, dass der konkrete Schaden aus der Verletzung eines Rechtsguts entstanden ist, zu dessen Schutz die Rechtsnorm erlassen wurde (BGH, Urteil vom 18.11.2003, VI ZR 385/02, NJW 2004, 357). Die Eröffnung eines individuellen, auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgenden Schadensersatzanspruchs muss erkennbar vom Gesetz erstrebt sein oder zumindest im Rahmen des haftungsrechtlichen Gesamtsystems liegen (BGH, Urteil vom 13.12.1988, VI ZR 235/87, NJW 1989, 974). Dass staatliche Interessen als Vermögensinteressen zu qualifizieren sind, macht sie noch nicht dem Deliktsschutz zugänglich. Erforderlich ist darüber hinaus, dass die Schutznorm diese staatlichen Vermögensinteressen erkennbar ebenso wie diejenigen eines Bürgers in rechtlicher Gleichordnung mit diesen schützen will. Dies kommt für eigens auf die Sicherung des staatlichen Mittelaufkommens zugeschnittene Vorschriften grundsätzlich nicht in Betracht, sofern die Mittel nicht fiskalisches Sondervermögen bilden (BGH, Urteil vom 13.12.1988, a.a.O.). Auf dieser Grundlage hat der BGH (Urteil vom 13.12.1988) z.B. den Straftatbestand des Subventionsbetruges gem. § 264 Strafgesetzbuch (StGB) als Schutzgesetz gewertet, weil der Staat als öffentlicher Subventionsgeber zivilrechtlich nicht anders behandelt werden könne als ein privater Subventionsgeber, auch wenn er die Subventionen unmittelbar und nicht über Vergabestellen auf privatrechtlichem Weg vergibt.

Eine entsprechende Bewertung kommt für die Steuerhinterziehung nicht in Betracht (so auch BFH, Urteil vom 24.10.1996, VII R 113/94, BStBl II 1997, 308 zu § 850f Abs. 2 ZPO m.w.N.). § 370 AO schützt den Anspruch des Staates auf den Ertrag aus den jeweiligen Steuern mit dem Ziel, dem Staat die notwendigen Mittel zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens zur Verfügung zu stellen. Schutzrichtung ist mithin allein das Interesse der Allgemeinheit und nicht des Staates in einer Situation, in der er dem Bürger wie ein privater Funktionsträger gegenübertritt und entsprechenden Schutzes bedarf. Ein auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgender Schadensersatzanspruch ist im Zusammenhang mit § 370 AO vom Gesetzgeber erkennbar nicht angestrebt. Dafür sprechen die in der Abgabenordnung vorgesehenen Zwangsmaßnahmen (Verspätungszuschlag, Säumniszuschlag, Zinsanspruch) und das nach der AO den Finanzämtern obliegende Vollstreckungsverfahren (vgl. a. Grundmann, DStZ 1988, 387). Dass die insolvenzrechtliche Stellung des Steuergläubigers nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung die in der früheren Konkursordnung vorgesehene Vorrangstellung eingebüßt hat, vermag an der vorstehenden Beurteilung nichts zu ändern.

Für die Annahme eines Schadensersatzanspruchs gem. § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung genügt allein die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung jedenfalls solange nicht, wie nicht eine - im Streitfall nicht erkennbare - besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzukommt (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004, II ZR 217/03, NJW 2004, 2668).

(2) Es kann dahinstehen, ob der Begriff der unerlaubten Handlung im Sinne des § 302 InsO auch andere widerrechtliche Rechtsverletzungen außerhalb der §§ 823ff BGB erfasst und ob hierunter grundsätzlich auch eine Steuerhinterziehung zu subsumieren wäre (dagegen BFH, Urteil vom 24.10.1996, a.a.O. S. 311). Denn die hier in Rede stehenden Steuerverbindlichkeiten sind nicht solche aus einer unerlaubten Handlung im Sinne von § 302 Nr. 1 InsO. Vielmehr sind die Steuerschulden ungeachtet einer etwaigen Steuerhinterziehung allein aufgrund der Verwirklichung eines Steuertatbestands entstanden (so auch BFH a.a.O.).

Ebenso wenig handelt es sich bei den besteuerten Umsätzen oder Gewinnen um Vorteile/Früchte, die der Kläger aus der Straftat erlangt hat.

Insoweit ist der dem zitierten Beschluss des AG Siegen zugrunde liegende Sachverhalt mit dem hier zu entscheidenden Sachverhalt zudem nicht vergleichbar. Dort ging es um eine als Insolvenzforderung angemeldete Zollschuld, die im Zusammenhang mit Zigarettenschmuggel gegen einen wegen Steuerhehlerei gem. § 274 AO Verurteilten festgesetzt worden war. Rechtsgrundlage der dort in Rede stehenden Forderung war die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK). Anders als die Steuerschuld im Fall des § 370 AO entsteht die Zollschuld gem. § 202 ZK gerade wegen des vorschriftswidrigen Verbringens der Zollware und ist Schuldner nicht nur derjenige, der selbst vorschriftswidrig verbringt, sondern auch derjenige, der im Anschluss daran das Schmuggelgut in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des vorschriftswidrigen Verbringens besitzt oder erwirbt, im Falle des Vorsatzes also der Steuerhehler im Sinne des § 274 AO. In diesem Fall ist folglich die - objektive - Pflichtwidrigkeit, ggf. in Verbindung mit der Sorgfaltswidrigkeit bzw. Kenntnis in der Person des Erwerbers, Rechtsgrund des Entstehens der Zollschuld, die Zollschuld also ursächliche Folge der Pflichtwidrigkeit - wenngleich die im Fall des AG Siegen im Insolvenzverfahren angemeldete Zollschuld nicht mit den von dem AG erwähnten "Früchten der Straftat, ... dem Gewinn aus dem Zigarettenschmuggel", identisch ist oder Ausdruck dessen Abschöpfung darstellt.

(3) Eine erweiternde Auslegung des Anwendungsbereichs des § 302 InsO dahingehend, dass eine Pflichtwidrigkeit/Straftat - hier: Steuerhinterziehung - im Zusammenhang mit dem Entstehen der angemeldeten Forderung genügt, kommt nach Ansicht des Senats nicht in Betracht. Vielmehr muss die erwähnte unerlaubte Handlung selbst der Rechtsgrund der Forderung sein.

Eine andere Auslegung ist im Ergebnis nicht gerechtfertigt.

Zwar soll gem. § 1 S. 2 InsO die Restschuldbefreiung dem redlichen Schuldner vorbehalten bleiben. Der Gesetzgeber hat sich aber mit § 290 InsO im Interesse der Rechtssicherheit gegen eine Generalklausel und für eine abschließende Beschreibung der Versagungsgründe entschieden (BRDrs. 1/92 S: 190 zu § 239 der Begründung des Regierungsentwurfs; Uhlenbruck a.a.O. § 290 Rn.2). Von einer Generalklausel hat er auch für die Beschreibung der im Einzelfall von der Restschuldbefreiung nicht erfassten Verbindlichkeiten abgesehen. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 302 InsO (zu § 251 in der Fassung des ursprünglichen Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BRDrs. 1/92 S. 194) sollte durch diese Regelung verhindert werden, dass sich der Schuldner Schadensersatzpflichten aus unerlaubter Handlung sowie Geldstrafen und vergleichbaren (s. § 302 Nr.2 InsO) Verbindlichkeiten durch das neu geschaffene Verfahren der Restschuldbefreiung entzieht. Die Steuerschuld ist nach Ansicht des Senats einer Schadensersatzpflicht aus unerlaubter Handlung oder einer Geldstrafe auch nicht deshalb vergleichbar, weil sie zusätzlich Gegenstand einer Steuerhinterziehung war. Im Übrigen hat der Gesetzgeber in § 302 Nr. 2 InsO die den Geldstrafen vergleichbaren Verbindlichkeiten ausdrücklich aufgezählt und auch hiermit den abschließenden Charakter auch der Aufzählung in § 302 InsO deutlich gemacht. Auf der Grundlage der Rechtsansicht des Beklagten würde der Fiskus im Rahmen der Insolvenz zudem besser gestellt, als er stünde, wenn keine Steuerhinterziehung vorgelegen hätte. Ein Rechtsgrund hierfür ist nicht ersichtlich. Den Kläger aufgrund der Steuerhinterziehung in Bezug auf die Restschuldbefreiung für die Steuerschuld schlechter zu stellen, als er stünde, wenn er keine Steuerhinterziehung begangen hätte, hieße, im Rahmen des Insolvenzverfahrens eine im StGB nicht vorgesehene weitergehenden Strafe zuzulassen. Auch hierfür besteht keine Rechtsgrundlage.

c) Soweit sich der Feststellungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf die Einkommensteuerforderungen bezieht, ist er ungeachtet der vorstehenden Ausführungen rechtswidrig. In Bezug auf die Einkommensteuer hat soweit ersichtlich weder eine Anmeldung zur Tabelle stattgefunden (gem. VA II Bl. 109ff allenfalls noch Lohnsteuerforderungen in Höhe von 63.226,80 EUR) noch eine Anmeldung als Deliktsforderung. Ausweislich der Insolvenzakte ist zwar eine zweite Forderung des Beklagten in Höhe von 63.672,37 EUR als Steuerforderung angemeldet (und in Höhe von 35.434,26 EUR festgestellt) worden, aber ausweislich des Protokolls des Prüfungstermins vom 01.11.2005 nicht als eine Forderung aus unerlaubter Handlung. In seinem Schreiben an den Insolvenzverwalter vom 21.09.2005 hatte der Beklagte die Anmeldung als Deliktsforderung ausdrücklich auf die angemeldete Gewerbe- und Umsatzsteuer 1996 nebst Zinsen und Säumniszuschlägen bezogen. Die Feststellung darf sich jedoch nur auf angemeldete bzw. in dem Prüfungstermin genannte Ansprüche bzw. - die Rechtmäßigkeit im Rahmen des § 251 Abs. 3 AO unterstellt - Anspruchsgründe beziehen. Eine Auswechselung der Ansprüche ist nicht zulässig (vgl. Tipke-Kruse, AO § 251 Tz. 68; BFH, Urteil vom 26.11.1987, V R 130/82, BStBl II 1988, 124).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 155, 151 Abs. 3 FGO, 708 Nr.10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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