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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 19.12.2008
Aktenzeichen: 3 K 139/08
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 62 |
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kindergeldberechtigung des Klägers.
1. a) Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Seine Ehefrau und ihre ... gemeinsamen Kinder, die zwischen ... und ... geboren sind, leben in Polen, wo der Kläger auch eine landwirtschaftliche Fläche von ca. 2 Hektar Größe zu seinem Eigentum hat. Er ist bei der A (...), der Sozialversicherungsgesellschaft für Landwirte in Polen, sozialversichert.
b) Seit April 2006 ist der Kläger in Deutschland gemeldet und zwar unter der Wohnanschrift seiner Schwägerin B. Sie hat unter dem 16. April 2008 schriftlich erklärt, er zahle aufgrund seines niedrigen Verdienstes nicht mehr als 50 EUR monatlich Miete.
Am 10. April 2006 meldete er in Hamburg ein Gewerbe an mit der Tätigkeitsangabe "Transporte mit einer Nutzlast bis zu 3,5 t".
2. a) Am 8. Juni 2007 stellte der Kläger einen Kindergeldantrag (KA Bl. 6 f.), in dem er angab, unter seiner deutschen Meldeadresse als selbstständiger ... tätig, in Deutschland aber nicht sozialversichert zu sein.
Seine Ehefrau sei in Polen selbstständig im Handel tätig. Familienleistungen in Polen habe er bis zum 31. Dezember 2006 bezogen.
b) Der Beklagte forderte mit einem Schreiben, das an den Kläger unter Angabe seiner Meldeanschrift adressiert war, unter anderem Nachweise über seine Tätigkeit, seinen Wohnsitz und seine unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Dieses Schreiben kam mit dem Zustellervermerk, dass der Empfänger nicht ermittelt werden konnte, an den Beklagten zurück.
c) Der Beklagte sendete das Schreiben sodann erneut an den Kläger mit dem Zusatz im Adressenfeld "bei B".
Dem Beklagten wurden daraufhin - offenbar veranlasst durch den Kläger - u.a. zwei Schreiben des Finanzamtes C zugefaxt, die an den Kläger adressiert waren und in denen es u.a. heißt: "Aus dem eingereichten Fragebogen sowie der Gewerbeanmeldung vom 10. April 2006 ergibt sich, dass der o. g. Steuerpflichtigen ab dem Jahr 2006 in Hamburg seine Geschäftsleitung hat. Somit wird er beschränkt einkommensteuerpflichtig und gewerbesteuerpflichtig". Zugleich wurde dem Kläger eine Steuernummer zugeteilt.
d) Der Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Gewährung von Kindergeld mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger weder Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe noch in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei.
Der in der Kindergeldakte befindliche Ausdruck (KA Bl. 34) ist mit dem Stempeldatum 21. August 2007 versehen; bei der dem Kläger zugeschickten Ausfertigung des Bescheids ist dieser Stempelaufdruck durchgestrichen und mit einem Stempelaufdruck 29. August 2007 versehen.
4. a) Der Kläger hat hiergegen mit Schriftsatz vom 28. September 2007, beim Beklagten eingegangen am selben Tag, Einspruch erhoben (KA Bl. 38). Zur Begründung des Einspruchs trug der Kläger vor, er wohne seit dem 4. April 2006 in Hamburg und habe auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort. Er übe in Deutschland seit dem 10. April 2006 ununterbrochen eine selbstständige Tätigkeit aus und habe lediglich inländische Einkünfte.
b) Der Beklagte erließ am 04. Juni 2008 eine Einspruchsentscheidung, mit der der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen wurde (KA Bl. 56). Der Kläger übe als Landwirt eine selbstständige Tätigkeit in Polen aus und sei nur dort sozialversichert. Deshalb sei im Hinblick auf das Kindergeld nur das polnische Recht anwendbar.
5. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 07. Juli 2008 Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, er wohne seit dem 04. April 2006 in Deutschland und übe hier eine selbstständige Tätigkeit im ... aus und sei in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Seine ältesten ... Kinder studierten in Polen, die ... jüngeren seien Schüler. Seine Ehefrau sei Hausfrau ohne eigenes Einkommen.
Er übe keine selbstständige Tätigkeit als Landwirt in Polen aus, sondern besitze lediglich eine landwirtschaftliche Fläche, aus der er aber keine Einnahmen erziele.
Der Kläger meint, dass die Vorschriften Europäischen Union seinem Anspruch nicht entgegen stünden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 29. August 2007 in Form der Einspruchsentscheidung vom 04. Juni 2008 dem Kläger Kindergeld ab dem 01. Januar 2007 zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte nimmt Bezug auf seine Einspruchsentscheidung und führt vertiefend aus, dass nach Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71 Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates ihrer Beschäftigung nur Arbeitnehmer und bestimmte Selbständige hätten, zu denen der Kläger jedoch nicht zähle, weil er mit der von ihm behaupteten selbstständigen Tätigkeit nicht in Deutschland sozialversicherungspflichtig sei. Der Kläger weist insoweit auch auf die VO (EG) Nr. 118/97 hin.
6. a) Dem Gericht lag die Kindergeldakte des Beklagten zur Kindergeldnummer ... vor. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 19. Dezember 2008.
b) Der Senat hat die Sache mit Beschluss vom 02. Dezember 2008 dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Es kann dahinstehen, ob bei dem Kläger die Voraussetzungen eines Kindergeldanspruchs nach den Vorschriften der §§ 62 ff. EStG vorliegen. Denn nach dem vorrangig zu beachtenden Recht der Europäischen Union (1) findet im Hinblick auf das Kindergeldrecht das deutsche Recht auf den Kläger keine Anwendung (2).
1. Die Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (im Folgenden: VO) sind auf den Kläger anzuwenden.
a) Art. 2 VO bestimmt den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung und erfasst in Abs. 1 unter anderem Arbeitnehmer und Selbständige sowie Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiete eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.
Nach Art. 1 Buchst. a) Nr. i) VO ist Arbeitnehmer oder Selbständiger im Sinne der VO jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.
b) Der Kläger unterfällt der Geltung der Verordnung.
Er ist Staatsangehöriger Polens, das Mitgliedstaat der Europäischen Union ist.
Er ist weiterhin Selbständiger im Sinne der Verordnung, denn er ist gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst Landwirte pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert, weil er durch die A, der Sozialversicherungsgesellschaft für Landwirte in Polen, sozialversichert ist. Auch Landwirte sind Selbständige im Sinne der Verordnung.
2. Aufgrund der Vorschriften der VO unterfällt der Kläger im Hinblick auf einen etwaigen Kindergeldanspruch nur dem polnischen Recht, nicht aber den deutschen Kindergeldvorschriften.
a) Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO bestimmt, dass - vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Artikel 14 c und 14 f VO - Personen, für die die Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen.
Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b) VO unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbstständige Tätigkeit ausübt, den Rechtvorschriften dieses Staats, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt.
Etwas anderes gilt u.a. gemäß Art. 14 a Nr. 2 VO für eine Person, die eine selbstständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, sie unterliegt den Rechtvorschriften des Mitgliedsstaats, in dessen Gebiet wie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt.
b) Im Sinne der VO übt der Kläger im Gebiet Polens eine selbstständige Tätigkeit aus, weil er dort eine landwirtschaftliche Fläche besitzt, weswegen er der dortigen Sozialversicherung unterfällt.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob er persönlich oder durch andere die Fläche tatsächlich bewirtschaftet oder dort Einkünfte erzielt. Denn nach der Begriffsbestimmung in Art. 1 Buchst. a) Nr. i) VO reicht es um Selbständiger im Sinne der VO zu sein aus, dass die Person einem System der sozialen Sicherheit für Selbständige angehört.
Dass darüber hinaus auch noch eine konkrete Betätigung der Person verlangt wird, kann nicht erkannt werden. Vielmehr ist die von der Vorschrift des Art. 13 Abs. 2 Buchst. b) VO erfasste "Person, die eine ... selbstständige Tätigkeit ausübt" nichts anderes als ein "Selbständiger" der Begriffsbestimmung des Art. 1 Buchst. a) Nr. i) VO, unter die der Kläger fällt (s. o.).
Dass beide in der deutschen Fassung der Verordnung verwendeten Begriffe ("Person, die eine selbstständige Tätigkeit ausübt" und "Selbständiger") synonym sind, zeigt auch der Blick auf die englische Fassung, in der in beiden Vorschriften jeweils nur von "self-employed persons" die Rede ist:
Art. 1 Buchst. a) Nr. i)
"Employed person and self-employed person mean respectively:'
(i) any person who i.S. insured, compulsorily or on an optional continued basis, for one or more of the contingencies covered by the branches of a social security scheme for employed or self-employed persons or by a special scheme for civil servants;
..."
Art. 13 Abs. 2
"Subject to Articles 14 to 17:
...
(b) a person who i.S. self-employed inthe territory of one Member State shall be subjected to the legislation of that State even i.F. he resides in the territory of another Member State;
..."
c)
In Deutschland übt der Kläger hingegen keine selbstständige Tätigkeit im Sinne der Verordnung aus, weil er in Deutschland keinem System der Sozialversicherung unterliegt.
d)
Da der Kläger nur in einem Mitgliedstaat eine selbstständige Tätigkeit im Sinne der Verordnung ausübt, nämlich in Polen, unterliegt er nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO auch nur dem dortigen Recht.
Es bedarf daher keiner weiteren Überprüfung der vom Kläger behaupteten Umstände, insbesondere ob der Kläger überhaupt in Deutschland wohnt und dort im erforderlichen Maße einer Erwerbstätigkeit nachgeht.
3.
Im Hinblick auf die abweichende Rechtsprechung des Finanzgerichts Düsseldorf (Urteil vom 11. Februar 2008 10 K 2579/06 Kg, [...], nach Zulassung durch den BFH dort im Revisionsverfahren anhängig unter dem Aktenzeichen III R 66/08; Urteil vom 31. August 2008 15 K 4375/07 Kg, [...], Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, BFH III B 189/08), wird die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Ende der Entscheidung
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