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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 30.05.2007
Aktenzeichen: 3 K 142/06
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 23 Abs. 3 S. 8
EStG § 52 Abs. 39 S. 7
FGO § 100 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

3 K 142/06

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Vortrag von Verlusten, die der Kläger aus privaten, im Streitjahr 2000 nicht ausgleichsfähigen Wertpapierveräußerungsgeschäften erlitten hat. Die Verluste betrugen - wie zwischen den Beteiligten zwischenzeitlich unstreitig - insgesamt DM 361.648,37.

1. a) In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger jedoch Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften nur in Höhe von DM 12.064 geltend.

Das seinerzeit für die Kläger zuständige Finanzamt Hamburg-1 (im Folgenden: FA) übernahm diesen Betrag erklärungsgemäß. Da Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nur mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften ausgeglichen werden durften, floss dieser Betrag jedoch nicht in den Gesamtbetrag der Einkünfte ein.

Der Bescheid war teilweise vorläufig im Hinblick auf hier nicht relevante Rechtsfragen.

b) Am 3. Mai 2004 erließ das FA einen Änderungsbescheid (Bl. 179 EStA) mit geänderten Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb.

Am selben Tag erließ es einen Bescheid zum 31. Dezember 2000 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer (Bl. 182 EStA), in dem ein verbleibender Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG von DM 12.064 festgestellt wurde.

c) Am 21. Mai 2004 erließ das FA einen weiteren Änderungsbescheid (Bl. 190 EStA), dessen Änderung wiederum nur Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb betraf.

Am selben Tag übersandte das FA den Klägern ein "Berechnungsblatt zum 31.12.2000 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer" (Bl. 193 EStA). Die Feststellungen entsprechen denen im Verlustvortragsbescheid vom 3. Mai 2004. In den Erläuterungen heißt es allerdings, "dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 3. Mai 2004".

2. Die Kläger erhoben fristgerecht Einsprüche sowohl gegen die Bescheide vom 3. Mai 2004 als gegen die Bescheide vom 21. Mai 2004. Sie ließen die Einsprüche jedoch ohne Begründung. Die Einsprüche wurden vom Beklagten, der an die Stelle des FA getreten ist, mit Einspruchsentscheidungen vom 23. November 2004 zurückgewiesen.

3. Am 23. Dezember 2004 haben die Kläger Klage erhoben.

Die zunächst auch gegen die Einkommensteuerbescheide 2000 erhobene Klage haben die Kläger während des Verfahrens zurückgenommen. Insoweit ist das Verfahren abgetrennt und eingestellt worden (Aktenzeichen III 145/05). Die Klage richtet sich somit nur noch gegen den Bescheid, in dem die Verluste aus privaten Veräußerungsverlusten des Klägers festgestellt worden sind.

a) Die tatsächlichen Verluste des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften wurden in voller Höhe erstmals mit der Klagbegründung von den Klägern erklärt.

Die Kläger behaupten (Bl. 17 GA), die Geltendmachung des Verlustes sei mehrfach mit dem Beklagten erörtert worden mit dem Ergebnis, dass der Beklagte den Klägern eine Frist eingeräumt habe, die Anlage SO später ergänzen zu dürfen. Die Kläger behaupten weiterhin, es sei mit den Mitarbeitern die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angesprochen worden. Eine Entscheidung dazu habe der Beklagte nicht getroffen.

b) Zwischenzeitlich ruhte der Rechtsstreit wegen eines Verfahrens vor dem Bundesfinanzhof zum dortigen Aktenzeichen IX R 21/04 2005. Mit Urteil vom 22. September 2005 entschied der Bundesfinanzhof in jener Sache - gegen eine bestehende Verwaltungsanweisung des BMF -, dass über die Verrechenbarkeit von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften, die im Entstehungsjahr 2000 nicht ausgeglichen werden können, erst im Jahr der Verrechnung zu entscheiden sei, weil für ein gesondertes Feststellungsverfahren die Rechtsgrundlage gefehlt habe (BFHE 212, 41, BFH/NV 2006, 1185 , HFR 2006, 672).

c) In der Folgezeit hat der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006 das Einkommensteuergesetz (EStG) zum 1.1.2007 hinsichtlich der Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften wie folgt geändert (BGBl. I 2006, S. 2878):

§ 23 Abs. 3 Satz 9 EStG, der die Verrechnung u.a. von Verlusten aus Veräußerungsgeschäften von Wertpapieren in anderen Veranlagungszeiträumen gestattet, ist um einen zweiten Halbsatz ergänzt worden. In ihm ist entsprechende Geltung des § 10d Abs. 4 EStG geregelt, der Vorschrift über die gesonderte Feststellung eines am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibenden Verlustes.

§ 52 Abs. 39 Satz 7 EStG bestimmt, dass § 23 Abs. 3 Satz 9 zweiter Halbsatz auch in den Fällen anzuwenden ist, in denen am 1. Januar 2007 die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen war.

Die Kläger beantragen,

den Feststellungsbescheid vom 3. Mai 2004 in Gestalt des Bescheides bzw. Berechnungsblatts vom 21. Mai 2004 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. November 2004 dahin zu ändern, dass ein Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von DM 361.648,37 festgestellt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Meinung, dass die Neuregelung, nach der eine gesonderte Verlustfeststellung vorzunehmen sei, zwar auch für die Kläger gelte, denn sie setze (insoweit nur) voraus, dass am 1. Januar 2007 die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen sei. Die Verlustfeststellung selbst setze jedoch voraus, dass für den Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahres 2000 noch eine Änderungsmöglichkeit dem Grunde nach bestehe. Weil der Einkommensteuerbescheid 2000 vom 11. September 2002 jedoch bestandskräftig geworden sei, fehle es an der erforderlichen Änderungsmöglichkeit. Seine Bestandskraft stehe auch einer Änderung des Verlustfeststellungsbescheids vom 3. Mai 2004 entgegen.

Der Rechtsstreit wurde mit Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2006 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen und ist mit Einzelrichterbeschluss vom 16. Mai 2007 zurückübertragen worden auf den Senat.

Dem Gericht lagen vor folgende Akten des Beklagten zur o.g. Steuernummer: Beteiligungsakte Kalenderjahr 2000, Einkommensteuerakte Band XIX (EStA), Rechtsbehelfsakte "ESt 2000 ESt-Verlust 31.12.00" (RbA).

Ergänzend wird Bezug genommen auf die bei Gericht eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle des Erörterungstermins am 17. August 2005 und der mündlichen Verhandlungen am 23. November 2006 vor dem Einzelrichter und am 30. Mai 2007 vor dem Senat.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid zum 31. Dezember 2000 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer vom 3. Mai 2004 in der Gestalt des "Berechnungsblatts" vom 21. Mai 2004 und in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. November 2004 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Der Bescheid ist jedenfalls deswegen rechtswidrig, weil er den Verlust auf lediglich DM 12.064 festsetzt, obwohl er - wie auch zwischen den Beteiligten unstreitig - DM 361.648,37 betragen hat.

Gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO ist der Bescheid dahingehend zu ändern, dass der - unstreitige - Verlust in Höhe von DM 361.648,37 festgestellt wird.

1. Nach 23 Abs. 3 Satz 8 EStG dürfen Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nur bis zur Höhe des Gewinns, den ein Steuerpflichtiger im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenem Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat oder erzielt, § 23 Abs. 3 Satz 9, 1. Halbsatz EStG.

2. Nachdem es zunächst an einer Rechtsgrundlage für die Feststellung eines Verlustes aus privaten Veräußerungsgeschäften fehlte (vgl. BFH-Urteile vom 22. September 2005 IX R 21/04, BFH/NV 2006, 1185 und vom 27. Juni 2006 IX 50/05, BFH/NV 2006, 1836), findet sich nach den Änderungen des Jahressteuergesetzes 2007 eine Rechtsgrundlage - auch für Altfälle - nunmehr in § 23 Abs. 3 Satz 8, 9 i.V.m. § 10 d Abs. 4, § 52 Abs. 39 Satz 7 EStG in der Fassung vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, S. 2878 - EStG -): § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG n.F. regelt in Halbsatz 2 die entsprechende Geltung von § 10d Abs. 4 EStG, der Vorschrift über die gesonderte Feststellung eines am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibenden Verlustes. § 52 Abs. 39 Satz 7 EStG n.F. bestimmt, dass die entsprechende Geltung von § 10d Abs. 4 EStG auch in den Fällen anzuwenden ist, in denen am 1. Januar 2007 die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen war.

Nach Auffassung des Gerichts ist diese Vorschrift dahingehend zu verstehen, dass damit die Feststellungsfristen gemeint sind, die im Fall der Durchführung eines Feststellungsverfahrens gelten.

Die Neuregelung des Einkommensteuergesetzes ist auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Dass im vorliegenden Fall die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist, ergibt sich bereits deshalb, weil etwaige Fristen wegen der Rechtsmittel der Klägerin in ihrem Ablauf gehemmt sind, § 171 Abs. 3a, § 181 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO).

3. Der Feststellung des tatsächlichen Verlustes von DM 361.648,37 steht die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 2000 nicht entgegen. Zwar ist dieser Verlust höher als der zunächst erklärte Verlust von DM 12.064, den die Einkommensteuerbescheide 2000 vom 11. September 2002, 3. Mai 2004 und 21. Mai 2004 in den "Besteuerungsgrundlagen zur Steuerfestsetzung 2000" ausweisen und der daraufhin in dem ursprünglichen Feststellungsbescheid vom 3. Mai 2004 festgestellt worden ist. Der Ausweis eines bestimmten Betrags nicht ausgleichbarer Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften in der Besteuerungsgrundlage eines Einkommensteuerbescheids ist jedoch unbeachtlich, weil es sich dabei nur um eine unselbständige Besteuerungsgrundlage handelt, die weder für spätere Jahre bindet noch selbständig anfechtbar ist, § 157 Abs. 2 AO.

Jedenfalls für Fälle nach § 52 Abs. 39 Satz 7 EStG findet sich - entgegen der Ansicht des Beklagten - keine Norm, die die Feststellung höherer Verluste deswegen ausschließt, weil der Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung bestandskräftig ist.

Vor der Ergänzung des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG um den zweiten Halbsatz, der die Geltung des § 10d Abs. 4 EStG für die Feststellung privater Veräußerungsverluste nunmehr gesetzlich anordnet, war es zwar durchaus streitig, ob es bei Anwendung von § 10d Abs. 4 EStG wegen der Regelungen in seinem Satz 4 und 5 EStG ausgeschlossen ist, Verluste festzustellen, wenn bereits ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid vorliegt, der diese Verluste nicht in seinen Besteuerungsgrundlagen nennt. Denn § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG bestimmt, dass Feststellungsbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern sind, soweit sich der verbleibende Verlustvortrag ändert und deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist; Satz 5 der Vorschrift regelt die entsprechende Anwendung, wenn der Erlass, die Aufhebung oder die Änderung des Steuerbescheids mangels steuerlicher Auswirkungen unterbleibt (vgl. insoweit folgende divergierende Entscheidungen der Finanzgerichte: FG München hat in seinem Urteil vom 20. April 2004 12 K 4579/02, EFG 2004, 1370, eine nachträgliche Feststellung abgelehnt; so im Grundsatz auch FG Münster, Urteil vom 16. November 2005 10 K 1086/04 F, EFG 2006, 418; anders FG Rheinland-Pfalz, nach dessen Urteil vom 21. Juni 2004 5 K 1445/02, EFG 204, 1690, die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids eine höhere Festsetzung nicht hindert).

Im vorliegenden Fall kommt es darauf indes nicht an. Denn aus der Vorschrift des § 52 Abs. 39 Satz 7 EStG ergibt sich, dass für Verluste, die vor dem 1. Januar 2007 entstanden sind, der Erlass eines Feststellungsbescheids nur voraussetzt, dass das in dieser Vorschrift geregelte Tatbestandsmerkmal - Nichtablauf der Feststellungsfrist - erfüllt ist. Es ist der Vorschrift auch im Wege der Auslegung nicht zu entnehmen, dass bei Fällen der Übergangsvorschrift darüber hinaus noch weitere, sich gegebenenfalls aus anderen Vorschriften ergebende Voraussetzungen zusätzlich erfüllt sein müssen. Denn ansonsten wäre es überflüssig gewesen, den Nichtablauf der Feststellungsfrist als Tatbestandsmerkmal in die Vorschrift aufzunehmen, weil bei der Geltung der allgemein geltenden Vorschriften der Ablauf der Feststellungsfrist ohnehin zu beachten wäre und es einer gesonderten Regelung nicht bedurft hätte. Weil der Gesetzgeber es aber für erforderlich gehalten hat, diese Voraussetzung gesondert in der Übergangsvorschrift zu regeln, ist weder davon auszugehen, dass andere Vorschriften, die in nicht nach der Übergangsregelung zu behandelnden Fällen zu beachten sind, bei Fällen der Übergangsregelung ebenfalls anzuwenden sind, noch dass eine planwidrige, im Wege der Auslegung zu füllende Regelungslücke hinsichtlich weiterer Voraussetzungen vorliegt.

4. Da die Feststellung der privaten Veräußerungsverluste aufgrund der Neuregelung ohne Berücksichtigung einer Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids des Verlustentstehungsjahres zu erfolgen hat, bedarf es keiner Erörterung, ob das FA den Klägern seinerzeit - wie diese behaupten - eine Frist für eine Ergänzung der Anlage SO eingeräumt hat und ob für die Ergänzung der Anlage SO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen wäre.

5. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 136 Abs. 1 FGO.

Zwar haben die Kläger erst im Klagverfahren den höheren Verlust geltend gemacht und belegt. Gleichwohl sind ihnen nicht gemäß § 137 Satz 1 FGO die Kosten aufzuerlegen, weil die Verfahrenskosten nicht durch ihr schuldhaftes Verhalten entstanden sind, wie das Fehlen der Abhilfebereitschaft des Beklagten zeigt (vgl. insoweit Brandis in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 137 FGO, Rdnr. 4).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 151 Abs. 3, § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10,§ 711 ZPO .

Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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