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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 05.03.2009
Aktenzeichen: 3 K 176/08
Rechtsgebiete: AO, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO § 122
AO § 124
AO § 362
AO § 367
FGO § 81 Abs. 1
FGO § 96
ZPO § 418
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Streitig ist, ob im Einspruchsverfahren nach Verböserungshinweis des Beklagten (des Finanzamts --FA--) diesem die Einspruchsrücknahme vor der Einspruchsentscheidung zugegangen ist oder ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

I. Mit notariellem Vertrag vom 3. September 2003 übertrug der Vater des Klägers ein Grundstück auf eine neu gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), bestehend aus sich selbst, seiner Ehefrau, dem Kläger und dessen Bruder. Die Söhne erhielten jeweils 20% der Anteile. Der Vater behielt sich auf seine Lebensdauer das unentgeltliche Nießbrauchsrecht an den Gesellschaftsanteilen vor. Er verpflichtete sich, für die im Grundbuch als Belastungen eingetragenen Verbindlichkeiten sowohl die Zinsen als auch die Tilgungen für die Dauer des Nießbrauchs zu tragen (Schenkungsteuer-Akte --SchenkSt-A-- Bl. 3).

II. 1. Nach Eingang der notariellen Anzeige beim FA im September 2003 reichte der Kläger seine Schenkungsteuer-Erklärung im Juli 2004 ein. Darin erklärte er im Zusammenhang mit der Grundstücksübergabe übernommene Darlehensverbindlichkeiten (20% von 855.535,29 =) 171.107,06 Euro und sonstige Verbindlichkeiten aus der Abwicklung des Übergabevertrags (20% von 11.063,21 =) 2.212,64 Euro; zusammen (20% von 866.598,49 =) 173.319,70 Euro (SchenkSt-A Bl. 1, 18, 20).

2. Der Grundbesitzwert auf den 3. September 2003 wurde mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 24. April 2006 für den Kläger mit 20% von 1.982.000 Euro auf 396.400 Euro festgestellt (SchenkSt-A Bl. 23).

3. Mit Schenkungsteuer-Bescheid vom 28. August 2006 ging das FA wegen der erklärten Darlehensübernahme von einer gemischten Schenkung aus. Dazu legte es anstelle des festgestellten Grundbesitzwerts einen auf 560.000 Euro geschätzten Verkehrswert zugrunde und zog es davon Belastungen von 173.320 Euro ab, so dass sich ein Verkehrswert der Bereicherung bzw. Steuerwert der freigebigen Zuwendung von 273.714 Euro ergab. Die Steuer errechnete das FA für den Fall der Stundung bis zum Erlöschen des Nießbrauchs beim Tod des Schenkers mit 7.557 Euro; den Barwert für den Fall der sofortigen Ablösung setzte es auf 3.574 Euro fest (§ 25 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz i.d.F. des Streitjahrs --ErbStG--; SchenkSt-A Bl. 28, 26).

4. Der Kläger legte am 26. September 2006 Einsruch ein und beantragte die Stundung der Steuer bis zum Erlöschen des Nießbrauchs (SchenkSt-A Bl. 30).

5. Das FA kündigte nach nochmaliger Überprüfung des Sachverhalts mit Schreiben vom 21. Mai 2008 eine Verböserung an und gewährte eine Frist zur Stellungnahme bis 30. Juni 2008. Da der Schenker für die Dauer des Nießbrauchs auch die Darlehen tilge, sei der Kläger durch diese im Schenkungszeitpunkt nicht belastet. Es handele sich somit nicht um eine gemischte, sondern um eine normale Schenkung. Die Darlehensverbindlichkeiten seien aufschiebend bedingte Lasten, die erst nach Erlöschen des Nießbrauchs mit dem Tod des Schenkers im Wege eines Berichtigungsantrags gemäß § 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Bewertungsgesetz (i.d.F. des Streitjahrs --BewG--) zu beziffern und zu berücksichtigen seien. Bis dahin belaufe sich die zu stundende Steuer auf 20.801 Euro bzw. der Betrag für ihre sofortige Ablösung auf 8.861,23 Euro (SchenkSt-A Bl. 40).

6. Der Ankündigung entsprechend setzte das FA die Schenkungsteuer mit Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2008 herauf (SchenkSt-A Bl. 43, FG-Anl.).

7. Mit Eingangsstempel vom 19. August 2008 ging beim FA ein Schreiben ein vom Steuerberater und jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem Datum 25. Juli 2008. Darin wurde um Entschuldigung für die späte Antwort gebeten und die Rücknahme des Einspruchs erklärt unter der Voraussetzung der Stundung der Schenkungsteuer bis zum Tod des Schenkers (SchenkSt-A Bl. 58; FG-Anl.).

Die Absendung des Schreibens ist zusammen mit verschiedenen weiteren Briefen vom 25. Juli 2008 taggleich im Postausgangsbuch des Steuerberaters und jetzigen Prozessbevollmächtigten vermerkt (FG-Anl.).

8. Mit Antwort vom 25. August 2008 teilte das FA mit, dass das Schreiben vom 25. Juli 2007 erst am 19. August 2008 und somit nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung eingegangen sei; danach habe der Einspruch gemäß § 362 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) nicht mehr zurückgenommen werden können (SchenkSt-A Bl. 59, FG-Anl.).

9. Am 29. August 2008 beantragte der Steuerberater und jetzige Prozessbevollmächtigte beim FA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Hinweis auf die im Postausgangsbuch notierte taggleiche Absendung des Schreibens vom 25. Juli 2008. Während seines zwischenzeitlichen Urlaubs habe er auf die Einspruchsentscheidung nicht reagieren können (SchenkSt-A Bl. 60, FG-Anl.).

10. Das FA folgte mit seiner Antwort vom 4. September 2009 dem Antrag nicht. Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren sei durch die Einspruchsentscheidung abgeschlossen. Eine Wiedereinsetzung scheide im Übrigen aus, weil es sich nur um eine behördliche und nicht um eine gesetzliche Frist i.S.v. § 110 AO gehandelt habe (SchenkSt-A Bl. 61).

III. Die Klage ging beim Finanzgericht (FG) am 29. August 2008 und damit binnen der Monats-Klagefrist nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ein (zugleich am selben Tag wie der Wiedereinsetzungsantrag beim FA; oben 7, 9). Zur Begründung trägt der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten vor (Finanzgerichts-Akte --FG-A-- Bl. 1, 2 = 4, 11, 23):

Infolge rechtzeitiger Rücknahme des Einspruchs entfalle die Verböserung. Er (der Prozessbevollmächtigte) habe die Einspruchsrücknahme am 25. Juli 2008 in Übereinstimmung mit dem Postausgangsbuch vor Abfahrt in den Urlaub zusammen mit einer Reihe von Briefen versandt und dazu selbst in den Briefkasten gesteckt.

Der Kläger beantragt sinngemäß (FG-A Bl. 2 = 4, 25),

die Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2008 aufzuheben mit der Folge, dass der Schenkungsteuerbescheid vom 28. August 2006 wieder in Kraft tritt und durch die erklärte Einspruchsrücknahme bestandskräftig wird.

Das FA beantragt (FG-A Bl. 20, 25),

die Klage abzuweisen.

Das FA trägt in Ergänzung der Einspruchsentscheidung vor (FG-A Bl. 20):

Die Einspruchsrücknahme nach wirksamer Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (§ 124 AO) sei verspätet und damit wirkungslos. Die Aufforderung, den Einspruch zur Vermeidung einer Verböserung bis zu einem bestimmten Datum zurück zu nehmen, löse keine gesetzliche Frist i.S.v. § 110 AO aus.

IV. Der Senat hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 5. Januar 2009 auf den Einzelrichter übertragen (FG-A Bl. 13).

In der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2009 hat das Gericht das Original des Postausgangsbuchs des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit den Eintragungen vom 25. Juli 2009 und das Original des weiteren Schreibens des Prozessbevollmächtigten vom 25. Juli 2009 an dasselbe FA eingesehen und den Prozessbevollmächtigten als Zeugen informatorisch zur Absendung der Briefe an jenem Tag gehört (FG-A Bl. 22).

Eine in der Sitzung protokollierte Einigung ist binnen der vorbehaltenen Widerrufsfrist widerrufen worden (FG-A Bl. 25, 27 f.).

Ergänzend wird Bezug genommen auf das Verhandlungsprotokoll (FG-A Bl. 22) und auf die oben angeführten Unterlagen und die damit zusammenhängenden Vorgänge aus der Finanzgerichts-Akte (FG-A) nebst Anlagenband sowie aus der Schenkungsteuer-Akte (SchenkSt-A).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Das Gericht geht davon aus, dass die Einspruchsentscheidung formell rechtmäßig ist.

1. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Einspruchsrücknahme dem FA vor dem Datum des Eingangsstempels und vor wirksamer Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zugegangen ist (§ 362, § 367, § 122, § 124 AO).

a) Zwar hat das Gericht aufgrund der aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung (§ 96 Finanzgerichtsordnung --FGO--) keine Zweifel an der von dem Prozessbevollmächtigten glaubwürdig geschilderten und im Postausgangsbuch vermerkten taggleichen Absendung der Einspruchsrücknahme.

Jedoch begründet die Absendung des Schreibens keine Vermutung und keinen Anscheinsbeweis für den Zeitpunkt des Zugangs und reicht sie auch als alleiniges Indiz für einen Zugang vor der Einspruchsentscheidung oder deren Bekanntgabe nicht aus (vgl. Oberlandesgericht --OLG-- Hamm vom 11. Mai 2007 20 U 272/06, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 2007, 1397 m. w. N; FG Hamburg vom 7. Mai 1996 II 100/95 Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1996, 959 m.w.N., rechtskräftig durch Bundesfinanzhof --BFH-- vom 17. Januar 1997 I B 76/96).

b) Danach bleibt es bei der Beweiskraft des formell ordnungsgemäßen Eingangsstempels. Bei diesem handelt es sich um eine öffentliche Urkunde i.S.v. § 418 Zivilprozessordnung (ZPO). Diese erbringt im Regelfall nach allgemeinen Erfahrungssätzen den vollen Beweis für die darin beurkundete Tatsache - hier für Zeit und Ort des Eingangs - (vgl. BFH vom 20. Dezember 2006 X R 38/05, BFHE 216, 297, BStBl II 2007, 823 m.w.N., nachgehend Bundesverfassungsgericht --BVerfG-- vom 25. Februar 2008 2 BvR 805/07, [...]; ständige Rechtsprechung).

Der hohe Beweiswert des Urkundenbeweises durch den Eingangsstempel bei der freien Beweiswürdigung im finanzgerichtlichen Verfahren ergibt sich aus § 81 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 96 FGO, auch wenn § 82 FGO nicht auf die §§ 415 bis 444 ZPO verweist (vgl. BFH vom 29. März 2005 IX B 236/02, [...]; vom 9. August 2004 VI B 79/02, BFH/NV 2004, 1548).

Der entsprechend § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Eingangsstempels erfordert die volle Überzeugung von dem früheren Eingang, mit anderen Worten dass jede Möglichkeit der Richtigkeit des Stempeldatums ausgeschlossen ist. Bloße Zweifel an der Richtigkeit des Eingangsdatums - wie sie sich hier aus dem Absendedatum ergeben - genügen nicht (BFH vom 8. Juli 2003 VIII B 3/03, BFH/NV 2003, 1441, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst --DStRE-- 2003, 1301 m.w.N.; vom 19. Mai 1999 VI B 342/98, BFH/NV 1999, 1460).

c) Im Übrigen haben auch die Nachforschungen im FA zu keinem anderen Ergebnis geführt. Das auf Bitten des Gerichts vorgelegte, ausweislich des Portovermerks im Postausgangsbuch des Prozessbevollmächtigten des Klägers im selben Umschlag an das FA gesandte weitere Schreiben trägt ebenfalls erst den Eingangsstempel vom 19. August 2008 (oben A IV).

d) Die Feststellungslast für die Einspruchsrücknahme einschließlich des Zeitpunkts ihres Zugangs vor der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung trägt der Kläger; der sich auf den Zugang vor dem Datum des Eingangsstempels beruft (vgl. BFH vom 9. August 2004 VI B 79/02, BFH/NV 2004, 1548; vom 8. Juli 2003 VIII B 3/03, BFH/NV 2003, 1441, DStRE 2003, 1301 m.w.N.) und auf diesem Wege die Herabsetzung der Steuer - auf die Höhe vor der Verböserung - begehrt (vgl. BFH vom 19. Januar 1994 I R 40/92, BFH/NV 1995, 181; vom 10. August 1988 II R 252/83, BFHE 154, 232, BStBl II 1988, 987; ständige Rechtsprechung).

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeten Zugangs der Einspruchsrücknahme erst nach der Einspruchsentscheidung oder wegen Versäumung der in der Verböserungsankündigung gewährten Stellungnahmefrist kommt nicht in Betracht gemäß § 110 Abgabenordnung (AO). Denn es geht nicht um die Versäumung einer "gesetzlichen Frist" im Sinne dieser Vorschrift, das heißt um einen kraft Gesetzes eingeräumten Zeitraum für die Obliegenheit, zur Vermeidung eines Rechtsnachteils eine Verfahrenshandlung vorzunehmen (vgl. Bundesverwaltungsgericht --BVerwG-- vom 21. September 2006 2 C 5/06, Bayerische Verwaltungsblätter --BayVBl-- 2008, 91).

Für den Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung selbst und für den davon gemäß § 362 AO abhängigen letztmöglichen Zeitpunkt der Einspruchsrücknahme ist gar keine Frist bestimmt. Auch bei Versäumung der Jahresfrist für die eventuelle Geltendmachung einer Unwirksamkeit einer Einspruchsrücknahme durch den Steuerpflichtigen kommt wegen ihres abschließenden Charakters keine Wiedereinsetzung in Betracht (vgl. insoweit Sächsisches Finanzgericht vom 27. Januar 2003 3 K 2069/99, [...] Rd. 28 m.w.N.).

Bei der vorher in der Verböserungsankündigung gewährten Stellungnahmefrist handelte es sich nur um eine behördliche Frist, deren Versäumung keine Wiedereinsetzung zulässt (vgl. Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. vom 4. Juli 1990 III/3 E 2935/88, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report --NVwZ-RR-- 1991, 453; Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 110 Rd. 4 i.V.m. § 108 Rd. 4).

II. Auch materiell Fehler ist kein Fehler der Einspruchsentscheidung ersichtlich.

Insbesondere hat das FA zu Recht die Schenkungsteuer heraufgesetzt, weil bei der Schenkung des Grundstücks die darauf lastenden Verbindlichkeiten nicht abzuziehen sind bei weiterlaufender Verzinsung und Tilgung aus dem Nießbrauch durch den Schenker und Vorbehaltsnießbraucher (vgl. BFH vom 19. Oktober 2007 II B 107/06, BFH/NV 2008, 573; vom 17. Oktober 2001 II R 60/99, BFHE 197, 260, BStBl II 2002, 165, m.w.N.; FG München vom 25. Oktober 2006 4 K 1395/04, EFG 2007, 270; ständige Rechtsprechung).

III. Die Kosten fallen dem Kläger gemäß § 135 Abs. 1 FGO zur Last.

Revisions-Zulassungsgründe i.S.v. § 115 Abs. 2 FGO sind nicht ersichtlich.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter nach § 6 FGO.

Ende der Entscheidung

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