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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 31.10.2008
Aktenzeichen: 3 K 200/08
Rechtsgebiete: FGO, EStG


Vorschriften:

FGO § 45 Abs. 3
FGO § 65
EStG § 63 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Der Kläger begehrt Abkommenskindergeld für seine in der Türkei lebenden Kinder für den Zeitraum einer geringfügigen Beschäftigung mit Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, gefolgt von der Altersrente.

Außerdem wendet er sich - ohne Vorverfahren - gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die vorherige Zeit der Ausbildung eines Kindes in Deutschland.

I. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und lebte mit einer Aufenthaltsberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland. Er bezog seit 1980 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg --LVA Hamburg-- (Finanzgerichtsakte - FG-A - Bl. 26).

Für seine Tochter A, geboren am ...1979, bescheinigte die X-Schule am 21. August 1998 den Schulbesuch vom 01. August 1998 bis voraussichtlich 31. Juli 1999 (FG-A Bl. 92).

Am 11. Februar 1999 wurde seine Frau zusammen mit den Kindern A, B, geboren am ...1982, und C, geboren am ...1987, in die Türkei abgeschoben (FG-A Bl. 6). Über diesen Zeitpunkt hinaus bezog der Kläger von der Beklagten (Familienkasse)

für die Tochter A bis Juli 1999 Kindergeld,

für den Sohn B bis Januar 2000 Teilkindergeld, neben einem Kinderzuschuss der LVA Hamburg (FG-A Bl. 24 = 31, 110=117,111=118),

für den Sohn C bis Mai 2000 Kindergeld (FG-A Bl.13).

Der Kläger nahm am 01. Juli 1999 eine geringfügige Beschäftigung bei einer Reinigungsfirma auf, für welche der Arbeitgeber Pauschalbeiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung abführte (FG-A Bl. 23 = 30 und 29 = 36).

Gemäß Haushaltsbescheinigung vom 02. Februar 2001 lebt die Tochter A nicht mehr in der familiären Lebensgemeinschaft (FG-A Bl. 88).

Für den Sohn B bezog der Kläger ab Juli 2000 laut Rentenbescheinigung der LVA Hamburg vom 07. Juni 2001 keinen Kinderzuschuss mehr (FG-A Bl. 26 = 33, 113).

Das Ministerium für nationale Verteidigung, Direktion des Wehrdienstbezirkes D/Türkei bescheinigte am 11. September 2002 für den Sohn B die Ableistung von Wehrdienst für einen Zeitraum vom 01. März 2002 bis voraussichtlich 01. September 2003 (FG-A Bl. 88 und 91).

Für den Sohn C liegt eine Schulbescheinigung des Gymnasiums D/Türkei vom 11. September 2002 vor, die jedoch keinen Zeitraum des Schulbesuches nennt (FG-A Bl. 90).

II. 1. Nachdem die Familienkasse im Juni 2000 von der Abschiebung der Kinder Kenntnis erlangt hatte, hob sie mit Bescheid vom 28. August 2000 die Kindergeldfestsetzung für die Kinder A, B und C für die Zeit ab März 1999 auf und forderte das gewährte Kindergeld von März 1999 bis Mai 2000 zurück (FG-A Bl. 12 - 14).

Hiergegen richtete sich der Einspruch des Klägers vom 28. September 2000.

Mit Bescheid vom 07. Juni 2001, dem Kläger am 11. Juni 2001 zugegangen, wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück (FG-A Bl.12). Ein Anspruch auf Kindergeld bestehe ab März 1999 nicht mehr, da die Kinder weder einen Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) oder in einem Land des europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) hätten. Ein Abkommenskindergeldanspruch gemäß Art. 33 Abs. 1 des deutsch-türkischen Abkommens über soziale Sicherheit (SozSichAbk TUR) für in der Türkei lebende Kinder bestehe ebenfalls nicht, da der Kläger in Deutschland weder beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei noch Arbeitslosengeld oder Krankengeld bezogen habe.

2. Mit Bescheid vom 13. Juli 2001 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind A für die Zeit von August 1998 bis Februar 1999 auf und forderte das für diese Zeit gewährte Kindergeld zurück. A habe laut Mitteilung der X-Schule die Schulausbildung am 06. Juli 1998 beendet (Kindergeldakte Band II --KG-A II-- Bl.155 f.)

III. Der Kläger hat am 11. Juli 2001 Klage erhoben bezüglich der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab März 1999 für die Kinder A, B und C und trägt zur Begründung vor (FG-A Bl. 3 = 10, 23 ff. = 30 ff., 46 = 49, 63 = 66):

Ein Anspruch auf Abkommenskindergeld gemäß Art. 33 SozSichAbk TUR bestehe für die ab 11. Februar 1999 in der Türkei lebenden Kinder A, B und C. Er (der Kläger) sei im Rückforderungszeitraum von Juli 1999 bis Mai 2000 geringfügig beschäftigt gewesen und erfülle damit die Voraussetzung der Beschäftigung im Abkommenssinne.

Aufgrund des Diskriminierungsverbotes in Art. 3 Abs. 1 Assoziationsratsbeschluss Europäische Wirtschaftsgemeinschaft -EWG--/Türkei (ARB) Nr. 3/80 habe ein türkischer Arbeitnehmer, der rechtmäßig nach Deutschland eingereist sei und sich rechtmäßig aufhalte, unter denselben Voraussetzungen einen Anspruch auf Kindergeld wie ein deutscher Staatsangehöriger. Für die erforderliche Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des ARB Nr. 3/80 reiche es aus, wenn die Person gegen ein einziges Risiko in einem allgemeinen oder besonderen System der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer pflichtversichert oder freiwillig versichert sei. Es komme nicht darauf an, ob die Person tatsächlich in einem Arbeitsverhältnis stehe. Diese Voraussetzungen seien in seiner (des Klägers) Person erfüllt. Zum einen habe er aufgrund der Erwerbsunfähigkeitsrente Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung geleistet und zum anderen habe der Arbeitgeber für die geringfügige Beschäftigung Pauschalbeiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung abgeführt.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 30. September 2002 und Antrag vom 11. Juli 2003 die Klage ausgedehnt auf den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Familienkasse vom 13. Juli 2001 bezüglich der Kindergeldfestsetzung von August 1998 bis Februar 1999 für das Kind A. Zur Begründung trägt er vor, dass für diesen Zeitraum ein Anspruch auf Kindergeld nach Einkommensteuergesetz (EStG) bestehe, und zwar gemäß Bescheinigung der X-Schule über den Schulbesuch von A seit August 1998 (FG-A Bl. 81 = 83, 86 = 89, 108 = 115).

Der Kläger beantragt sinngemäß (FG-A Bl. 3 = 10, 73, 84 = 87, 108 = 115),

1. unter Abänderung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 28. August 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07. Juni 2001 für die Kinder A, B und C Abkommenskindergeld gemäß Art. 33 SozSichAbk TUR ab 01. Juli 1999 festzusetzen, und zwar

für das Kind A (geb. ...1979) bis 10. August 2000,

für das Kind B (geb. ...1982) abzüglich geleisteten Kinderzuschusses der LVA Hamburg und

für das Kind C (geb. ...1987);

2. den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 13. Juli 2001 betreffend Kindergeld von August 1998 bis Februar 1999 für das Kind A aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt (FG-A Bl. 37),

die Klage abzuweisen.

Die Familienkasse bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung vom 07. Juni 2001 und trägt ergänzend vor (FG-A Bl. 37, 38, 52, 67, 93, 94):

Eines Rückgriffes auf die Bestimmungen des ARB Nr. 3/80 und der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) im Urteil vom 4. Mai 1999-C 262/96 "Sürül" aufgestellten Grundsätze zu Art. 3 Abs.1 ARB Nr. 1/80 bedürfe es nicht. Eine Ungleichbehandlung türkischer Staatsangehöriger mit deutschen sei vorliegend nicht zu besorgen. Der Kläger erfülle die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG), da er mit einer Aufenthaltsberechtigung in Deutschland lebe.

Kindergeld nach EStG sei gleichwohl nicht zu gewähren. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG scheide eine Berücksichtigung von Kindern mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt u.a. in der Türkei aus, und zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Bezugsberechtigten.

Ein Kindergeldanspruch des Klägers für Kinder in der Türkei könne sich lediglich aus Art. 33 Abs. 1 SozSichAbk TUR in Höhe der dort genannten Sätze ergeben. Voraussetzung hierfür sei insbesondere eine Beschäftigung des Kindergeldberechtigten im anderen Vertragsstaat, vorliegend also in Deutschland. Beschäftigt im Sinne des Abkommens seien nur solche Arbeitnehmer, die gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) III in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesanstalt für Arbeit stünden oder lediglich nach § 28 Nr. 1 SGB III wegen der Vollendung des 65. Lebensjahres, nicht aber aus anderen Gründen versicherungsfrei sein. Zu diesem Personenkreis zähle der Kläger als Rentenbezieher wegen Erwerbsunfähigkeit und als geringfügig Beschäftigter nicht.

Im Übrigen begründe die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung keine eigenständige Versicherung, sondern erweitere lediglich die Beitragsgrundlage einer bereits vorhandenen Versicherung. Ein Krankengeldanspruch sei für den Kläger als Bezieher einer Erwerbsunfähigkeitsrente gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ausgeschlossen.

IV. Der Berichterstatter hat die Sache mit den Beteiligten am 16. April und 20. August 2002 erörtert (FG-A Bl. 51, 71). Nach schriftlichen Hinweisen vom 10. April und 18. Juni 2003 (FG-A Bl. 97, 104) hat das Klageverfahren auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten gemäß Beschluss vom 13. Juli 2003 geruht bis zur Entscheidung über die Revision VIII R 20/03 bzw. nunmehr III R 79/03 durch Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Februar 2008 (FG-A Bl. 120, 131; BFHE 220, 439, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2008, 708, BFH/NV 2008, 1036).

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 01. Oktober 2008 auf den Einzelrichter übertragen (FG-A Bl. 129). Nach Hinweisbeschluss vom 30. Oktober 2008 (FG-A Bl. 142) ist die Sache am Freitag 31. Oktober 2008 mündlich verhandelt und übereinstimmend gemäß Bescheidlage unter Widerrufsvorbehalt für erledigt erklärt worden (FG-A Bl. 150). Binnen der einwöchigen Widerrufsfrist hat der Kläger am Freitag 07. November 2008 die Einigung widerrufen (FG-A Bl. 153).

Der Kläger ist sowohl zu den Erörterungsterminen am 16. April und 20. August 2002 (FG-A Bl. 51, 71) als auch zur mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 2008 (FG-A Bl. 150) trotz Ladung nicht erschienen. Die Klägervertreterin hat erklärt, dass der Kläger in der Türkei erreichbar sei (FG-A Bl. 52). Der Einzelrichter hat in der mündlichen Verhandlung auf Zweifel an dem im Aktivrubrum angegebenen Wohnsitz hingewiesen (FG-A Bl. 151).

Ergänzend nimmt das Gericht Bezug auf die Sitzungsniederschriften sowie auf die oben angeführten Unterlagen und die damit zusammenhängenden Vorgänge aus der Finanzgerichts-Akte (FG-A) sowie aus der Kindergeldakte Band II.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

I. Die Klage ist hinsichtlich beider Anträge unzulässig.

Erscheint der Kläger - wie hier - trotz Ladung an drei Terminen nicht, weil er sich jeweils in der Türkei befindet, bestehen Zweifel an der in der Klage angegebenen Adresse in Deutschland. Für das Aktivrubrum ist die Angabe des tatsächlichen Wohnortes Sachentscheidungsvoraussetzung gemäß § 65 Finanzgerichtsordnung --FGO-- (vgl. BFH vom 07. Dezember 2007 VII S 17/07, BFH/NV 2008, 589; Finanzgericht --FG-- Hamburg vom 28. Juni 2007 3 K 237/06, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2008, 768, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst --DStRE-- 2008, 1284; BFH vom 5. April 2001 XI B 42-44/00, BFH/NV 2001, 1282, nachgehend BVerfG vom 02. Juli 2003 2 BvR 1416/01, Steuer-Eildienst --StE-- 2003, 531; BFH vom 19. Oktober 2000 IV R 25/00, BFHE 193, 52, BStBl II 2001, 112.

Ein Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung besteht nicht. Trotz widerrufener Einigung sind keine tatsächlichen Umstände belegt worden, die auf einen Wohnsitz in Deutschland schließen lassen (wie z.B. Mietvertrag, Kontoabhebungen oder Telefonrechnungen).

II. Im Übrigen ist der Klageantrag zu 1 auch unbegründet.

Zu Recht hat die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für A, B und C ab März 1999 aufgehoben und das gewährte Kindergeld für die Zeit von März 1999 bis Mai 2000 zurückgefordert, denn es besteht kein Anspruch auf Kindergeld.

1. Gemäß dem Territorialitätsprinzip des deutschen Kindergeldrechts kommt für in der Türkei bzw. außerhalb Deutschlands oder der EU oder des EWR lebende Kinder kein deutsches Kindergeld in Betracht (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Dementsprechend würde der Kläger auch bei Einbürgerung unter Aufgabe seiner türkischen Staatsangehörigkeit keinen Kindergeldanspruch für in der Türkei lebende Kinder haben (FG Düsseldorf vom 21. Februar 2002 10 K 4820/99 kg, EFG 2002, 924).

2. Insoweit ergibt sich keine Besserstellung gegenüber Deutschen durch europäisch-türkisches Recht, speziell durch das europäisch-türkische Assoziierungsabkommen --AssoziierungsAbk EWG/TUR- - 1963 (BGBl. II 1964, 509, 510) nebst Zusatzprotokoll 1972 (BGBl. II 1972, 385, 387) und Beschlüssen des Assoziationsrats - -ARB-- Nr. 1/80 (Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit -ANBA-- 1981, 4) und Nr. 3/80 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft -Abl-- 1983 C 110, S. 60; Beck-online; Renner, Ausländerrecht, Texte).

Nach Zusatzprotokoll Art. 39 Abs. 5 bleiben auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für türkische Staatsangehörige günstigere bilaterale Regelungen unberührt.

Laut Art. 14 ARB Nr. 1/80 bleiben Rechte aus zweiseitigen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten unberührt, soweit sie für ihre Staatsangehörigen keine günstigere Regelung vorsehen.

Der ARB Nr. 3/80 betrifft gemäß seinem Art. 4 Abs. 1 Ziff. viii die soziale Sicherheit einschließlich Familienleistungen. Art. 3 Abs. 1 regelt die Gleichbehandlung der in einem Mitgliedstaat wohnenden Personen mit den Staatsangehörigen dieses Staates. Art. 5 regelt den Vorrang gegenüber zwei- oder mehrseitig zwischen Mitgliedstaaten abgeschlossenen Abkommen (d.h. nicht zwischen einem Mitgliedstaat und der Türkei). Nach Art. 18 gilt bei Familienbeihilfen für den Erwerb des Leistungsanspruchs Art. 72 der EWG-VO Nr. 1408/71. Gemäß Art. 2 gilt der Beschluss für die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnenden Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer.

Dementsprechend folgt aus diesem europäisch-türkischen Assoziationsrecht kein Kindergeldanspruch für in der Türkei lebende Kinder (FG Baden-Württemberg vom 13. Juli 2007 9 K 153/02, EFG 2008, 1216, Rev. III R 6/08). Hier geht es nicht um den Kindergeldanspruch (und Aufenthaltsstatus) eines türkischen Arbeitnehmers für in Deutschland lebende Kinder (vgl. Bundesverwaltungsgericht --BVerwG-- vom 06. Dezember 2001 3 C 25/02, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 2002, 864; Sozialgericht --SG-- Aachen vom 23. März 2000 S 15 KG 5/99, Informationsbrief Ausländerrecht --InfAuslR-- 2000, 353; EuGH vom 04. Mai 1999 C-262/96 "Sürül", EuGHE 1999 I, 2685), auch bei geringfügiger Beschäftigung (vgl. FG Düsseldorf vom 20. März 2007 10 K 5698/04 Kg, DStRE 2007, 1371).

3. Danach reduziert sich der Streit auf die Voraussetzungen für eine Besserstellung des türkischen Arbeitnehmers durch Kindergeld für Kinder in der Türkei gemäß deutsch-türkischem Abkommen über Soziale Sicherheit --SozSichAbk TUR-- 1964 (BGBl. II 1965, 1169, 1588) nebst Änderungsabkommen 1969 (BGBl. II 1972, 1, 838), Zwischenabkommen 1974 (BGBl. II 1975, 373, 1265), Zusatzabkommen 1984 und Durchführungsvereinbarung 1984 (BGBl. II 1986, 1038; II 1987, 188; II 1989, 351) in Verbindung mit der Regelung über die Höhe des Abkommens-Kindergelds in Art. 46 Einkommensteuerreform-Einführungsgesetz (EG-EStRG).

Das SozSichAbk TUR bezieht sich gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Bstb. e (i.d.F. von 1969) auch auf Kindergeld.

a) In Art. 33 Abs. 1 i.d.F. von 1974 heißt es:

"Nach Maßgabe der folgenden Absätze hat eine Person, die im Gebiet der einen Vertragspartei beschäftigt ist, nach deren Rechtsvorschriften für Kinder, die sich im Gebiet der anderen Vertragspartei gewöhnlich aufhalten, Anspruch auf Kindergeld, als hielten sich die Kinder gewöhnlich im Gebiet der ersten Vertragspartei auf. Das gilt auch für eine Person, die nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung, soweit die Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in Betracht kommen Arbeitslosengeld, erhält und sich im Gebiet der ersten Vertragspartei aufhält."

Art. 28 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens (SozSichAbk YUG) 1968 (BGBl. II 1969, 1437, 1438) i.d.F. von 1974 (BGBl. II 1975, 389, 390) hat insoweit einen übereinstimmenden Wortlaut (vgl. BFH vom 8. Oktober 2001 VI B 138/01, BFHE 198, 91, BStBl II 2002, 480).

b) Der Begriff der "Beschäftigung" ist gemäß Art. 1 Nr. 9 SozSichAbk TUR -und Art. 1 Nr. 7 SozSichAbk YUG- im Sinne der anzuwenden Rechtsvorschriften zu verstehen, das heißt in Deutschland gemäß ständiger Rechtsprechung als Beschäftigungsverhältnis im Sinne des deutschen Sozialversicherungsrechts; u.a. wird eine nichtselbständige Arbeit i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV vorausgesetzt (Bundessozialgericht --BSG-- vom 09. Dezember 1987 10 RKg 3/86, InfAuslR 1988, 145; vom 28. Februar 1985 10 RKg 7/84, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht --FamRZ-- 1985, 1128, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht --NZA-- 1985, 790).

Der enge Arbeitnehmerbegriff wird durch die Entstehungsgeschichte der Abkommen bestätigt und nicht durch die Kindergeldregelung in Art. 33 SozSichAbk TUR - ebenso wenig wie durch Art. 28 SozSichAbk YUG - erweitert. Bei dieser Regelung geht es um das Wohnland- statt Territorialitätsprinzip für die Kinder bei gleichzeitiger Begrenzung der Kindergeldhöhe (BSG vom 13. Dezember 2000 B 14 KG 1/00 R, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 2001, Beil. 6 Heft 7, 63; vom 12. April 2000 B 14 KG 3/99 R, BSGE 86, 115).

c) Gemäß Abkommensauslegung nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte sind außerhalb des sozialversicherungsrechtlich definierten Beschäftigungsverhältnisses nur die eng begrenzten Ausnahmen für die Bezieher von Krankengeld und Arbeitslosengeld vorgesehen (BSG vom 22. August 1990 10 RKg 30/89, Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht --EzAR-- 454 Nr. 4; FG Düsseldorf vom 21. Februar 2002 10 K 4820/99 Kg, EFG 2002, 924).

Danach besteht für Kinder in der Heimat kein Anspruch auf Abkommenskindergeld während des Bezugs von Arbeitslosenhilfe bzw. heute von Arbeitslosengeld II (BFH vom 08. Oktober 2001 VI B 138/01, BFHE 198, 91, BStBl II 2002, 480; FG Münster vom 24. April 2007 15 K 3830/04 Kg, EFG 2007, 1700, rkr.) oder einer Rente wegen Erwerbsminderung oder Erwerbsunfähigkeit (vgl. FG München vom 11. August 2003 10 K 4820/02, [...], Beck-online; vom 27. Januar 2000 16 K 3569/98, EFG 2000, 574). Gleiches gilt für Bezieher einer Altersrente (BFH vom 19. September 2008 III B 113/07, [...]; vorgehend FG Münster vom 12. Juni 2007 14 K 4073/06 Kg, n.v.)

Ebenso wenig besteht Anspruch auf Abkommenskindergeld für außerhalb der EU oder des EWR wohnende Kinder bei Arbeitsplatzverlust und nur i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV a.F. geringfügiger Beschäftigung eines Elternteils (vgl. Sachverhalt BFH vom 15. März 2007 III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298, HFR 2007, 994). Die geringfügige Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V, § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB III versicherungsfrei in der Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Von der Rentenversicherung ist die geringfügige Beschäftigung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit, solange nicht auf die Befreiung verzichtet wurde. Dagegen genügt die Abführung pauschaler Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung nach § 172 Abs. 3 SGB VI i.d.F. vom 24. März 1999 nicht für ein Sozialversicherungs-Beschäftigungsverhältnis im Abkommensinne, wie der Bundesfinanzhof mit dem - nach hiesigem Ruhensbeschluss abgewarteten - Urteil vom 21. Februar 2008 III R 79/03 entschieden hat (HFR 2008, 709, BFH/NV 2008, 1036).

4. Ferner kann sich ein Kindergeldanspruch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Gleichbehandlung aufgrund des von der Familienkasse herausgegebenen "Merkblatts über Kindergeld für türkische Staatsangehörige" ergeben. Wenngleich das Merkblatt und seine Gliederung in Anbetracht der Vielfalt der angesprochenen Fälle nicht leicht zu überschauen sind, ergibt sich schon unter Ziffer 3 die oben ausgeführte Einschränkung bezüglich der Kinder in der Türkei ("nur für diejenigen Monate, in denen in Deutschland eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ausgeübt wird, wenn während dieser Beschäftigung Arbeitslosenversicherungspflicht besteht").

5. Darüber hinaus fehlt es schon an Ausbildungsnachweisen gemäß Art. 33 Abs. 1 Satz 1 SozSichAbk TUR i.V.m. § 63 Abs. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG für eine Berücksichtigung der Kinder, soweit diese das 18. Lebensjahr vollendet haben.

Für die Tochter A liegt für die Zeit von Juli 1999 bis 10. August 2000 gar kein Ausbildungsnachweis vor.

Für den Sohn B, der im ...2000 das 18. Lebensjahr vollendet hat, begründet die vorgelegte Wehrdienstbescheinigung aus der Türkei für den Zeitraum 01. März 2002 bis voraussichtlich 1. September 2003 (oben A I) keinen Kindergeldanspruch. Gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 EStG könnte hierdurch allenfalls für die Dauer des inländischen gesetzlichen Grundwehrdienstes ein Kindergeldanspruch über die Altershöchstgrenze hinaus eröffnet sein, wenn die Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 4 EStG erfüllt wären. Eine Ausbildungsbescheinigung liegt jedoch nicht vor.

Für den Sohn C, der im ... 2005 das 18. Lebensjahr vollendet hat, fehlt es ebenfalls an einem Ausbildungsnachweis. Die vorgelegte Schulbescheinigung vom 11. September 2002 (oben A I) reicht insoweit nicht aus.

6. Solange und soweit der Kläger jetzt nicht mehr in Deutschland wohnt, steht ihm auch deswegen kein Anspruch auf Abkommenskindergeld zu. Ein Anspruch gegen die Familienkasse setzt gemäß Art. 33 SozSichAbk TUR voraus, dass sich der Kläger in Deutschland aufhält.

III. Soweit sich der Kläger mit seinem Klagantrag zu 2 gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid betreffend Kindergeldanspruch von August 1998 bis Februar 1999 für das Kind A wendet, ist die Klage auch deswegen unzulässig, weil es mangels durchgeführten Vorverfahrens gemäß § 44 FGO an einer weiteren Sachentscheidungsvoraussetzung fehlt. Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 13. Juli 2001 keinen Einspruch eingelegt.

Die Voraussetzungen einer Sprungklage sind auch nicht erfüllt. Deren Zulässigkeit erfordert gemäß § 45 Abs. 1 FGO, dass die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hat, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klagschrift dem Gericht gegenüber zustimmt. Eine Äußerung der Familienkasse liegt nicht vor.

Eine Abgabe an die Familienkasse zur Behandlung als außergerichtlicher Rechtsbehelf gemäß § 45 Abs. 3 FGO entfällt, weil feststeht, dass auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Vorverfahrens nicht erfüllt wären (vgl. FG Hamburg vom 02. November 1994 V 259/93, EFG 1995, 464; vom 15. Dezember 1995 II 81/94, EFG 1996,498; BVerfG vom 07. März 1997 2 BvR 163/97, StEd 1997, 236). Der Kläger hat die Einspruchsfrist gemäß § 355 Abs. 1 AO versäumt. Gegen den Bescheid vom 13. Juli 2001 hat sich der Kläger erst mit Schriftsatz vom 30. September 2002 und Antrag vom 11. Juli 2003 gewandt (oben A III).

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen nach § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter kraft Übertragung durch den Senat gemäß § 6 FGO (oben A IV).

Ende der Entscheidung

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