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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 30.05.2008
Aktenzeichen: 3 K 84/08
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 24 Nr. 1
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 4
1. Geht ein Arbeitnehmer in den Vorruhestand und erhält er aufgrund von Vereinbarungen im Aufhebungsvertrag eine Einmalzahlung und aufgrund einer betrieblichen Versorgungszusage für den Fall des Vorruhestands in späteren Jahren bis zum Eintritt des Rentenalters von seinem Arbeitgeber Vorruhestandszahlungen, so handelt es sich insgesamt um eine einheitliche Entschädigung im Sinne des § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, für die mangels Zusammenballung kein Anspruch auf begünstigte Besteuerung besteht.

2. Der Vertrauensschutz des § 176 Abs. 1 Nr. 3 EStG schützt einen Steuerpflichtigen auch vor solchen Rechtsprechungsänderungen, die erst während des Rechtsmittelverfahrens eintreten, sofern der Einspruch gegen die Änderung eines bestandskräftigen Bescheids geführt wird, der nach alter Rechtsprechung ergangen ist, und die Gründe für die Änderung des Bescheids einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. Die Änderung der Begründung eines Änderungsbescheids ist damit im Hinblick auf den Vertrauenstatbestand des § 176 AO dem Erlass eines Änderungsbescheids gleichzustellen.


Finanzgericht Hamburg

3 K 84/08

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob eine Abfindungszahlung, die der Kläger 1998 im Zusammenhang mit der Aufhebung seines Arbeitsvertrages erhielt, nach § 34 Abs. 1 Einkommensteuergesetz in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) ermäßigt zu besteuern ist.

I.

1. Der Kläger ist am ... geboren.

a) Im Jahr ... begann der Kläger seine Berufstätigkeit bei der Fa. C.

Fa. C war an der Werbeagentur "D" beteiligt. Als Fa. C ... ihre Beteiligung auf eine Mitgesellschafterin übertrug, wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers von der Fa. D GmbH (im Folgenden: Arbeitgeber) übernommen, die zu dem Konzern der Fa. B, Inc. gehört. Bei seinem Arbeitgeber war der Kläger zuletzt als Geschäftsführer tätig und zuständig für den Bereich Finanzen und Controlling.

b) In seinem Arbeitsvertrag vom ... (Bl. 6G der Gerichtsakte - GA -) ist unter Ziffer 2 vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit abgeschlossen ist und beiderseits mit einer Frist von sechs Monaten zum Quartal gekündigt werden kann und ohne dass es der Kündigung bedarf mit dem 65. Lebensjahr des Klägers ende.

c) Während seiner Beschäftigungszeit erhielt der Kläger eine so genannte SERA-Zusage (Senior Manager Early Retirement Arrangement), die ausweislich ihres Inhalts eine bis dahin schon bestehende Versorgungszusage ablöste bzw. verbesserte. In einem vom Kläger vorgelegten Formularschreiben aus dem Dezember 1992 (Bl. 6A GA) heißt es insoweit:

"Ergänzend hierzu" (zu der bestehenden betrieblichen Altersversorgung) "erteilen wir Ihnen mit sofortiger Wirkung eine SERA-Zusage, die Ihre betriebliche Versorgung verbessert und die Möglichkeit schafft, vorzeitig in Pension zu gehen. Im einzelnen gelten hierfür folgende Grundsätze:

1. Pensionsalter

SERA bietet Ihnen die Möglichkeit, auf eigenen Wunsch bereits ab Vollendung des 55. Lebensjahres in Pension zu gehen.

Die Beschäftigungsfirma hat die Möglichkeit, Sie ab Lebensalter 60 zu pensionieren.

Voraussetzung hierfür ist, dass der endgültige Termin der Pensionierung ein Jahr im voraus angekündigt und schriftlich bestätigt wird.

2. Höhe der Versorgung

Ausgangspunkt für die Berechnung der SERA-Versorgung sind die Versorgungsbezüge, die Sie bei einer Pensionierung mit Lebensalter 65 erhalten würden. Als Basis werden die oben genannten Versorgungszusagen und Ihr versorgungsfähiges Einkommen zum Stichtag des Ausscheidens herangezogen. Bei einer Berechnung des versorgungsfähigen Einkommens werden "Incentive Cash Awards" berücksichtigt. ...

Aus diesen Versorgungsbezügen per Alter 65 leitet sich die Höhe Ihrer SERA-Versorgung entsprechend dem Pensionsalter wie folgt ab:

Pensionsalter SERA-Versorgung in% der Brutto-Versorgungsbezüge bei Pensionierung mit 65 Jahren

 65100
64100
63100
6299
6197
6095
5983
5875
5767
5659
5550

4. Gesetzliche Rente

Die gesetzliche Rente ist Bestandteil dieser Zusage, d.h. die Rente wird in die Berechnung der firmenseitigen Versorgungsleistungen und in die Finanzierung dieser Zusage einbezogen ...

...

6. Anpassungen

Die betrieblichen Versorgungsleistungen dieser Zusage werden entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen überprüft und gegebenenfalls an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst.

Dies gilt auch für den Teil der betrieblichen Versorgungsbezüge, der die gesetzliche Rente bis zu deren Zahlungsbeginn ersetzt.

Abweichend von dem gesetzlich vorgeschriebenen Drei-Jahres-Rhythmus wird die Anpassungsprüfung jährlich durchgeführt.

...

11. Sonderzuwendung anlässlich Pensionierung

Die Firma wird Ihnen bei Ihrer Pensionierung eine Einmalzahlung leisten, die nach den Regelungen der Sonderzuwendung anlässlich Pensionierung ermittelt wird.

..."

2. Mit Aufhebungsvertrag vom ... 1998 (Bl. 42 der Rechtsbehelfsakte ESt 1999 und ESt 1998 - RbA 99/98) wurde das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 30. September 1998 beendet (Bl. 16 GA Az. 3 K 108/07). Grund dafür war ein vom Arbeitgeber bzw. der Muttergesellschaft angestrebter allgemeiner Generationswechsel in der Führungsebene (Protokoll des Erörterungstermins am 18. Dezember 2007, S. 2, Bl. 66 GA Az. 3 K 108/07).

a) Zunächst hatte der Kläger am 8. Juli 1998 ein Schreiben der Muttergesellschaft seines Arbeitgebers (Bl. 56 GA Az. 3 K 108/07) mit der Mitteilung erhalten, dass sein Arbeitsverhältnis zum 30. September 1998 enden werde.

In diesem Schreiben wurde dem Kläger eine Einmalzahlung von DM 400.000 in Aussicht gestellt und weitere Zahlungen von DM 26.000 und DM 34.000 für Krankenversicherung und Kraftfahrzeug. Weiter wurden für die Zeit von seinem 60. bis zu seinem 63. Lebensjahr monatliche Zahlungen in Höhe von 100% der SERA-Beträge angekündigt, die sich auf DM 191.000 pro Jahr belaufen sollten; ab dem 63. Lebensjahr würde er diesen zuletzt genannten Betrag jährlich als Pension erhalten.

Weiter hieß es in dem Schreiben, dass für die Ausübung der ihm bereits gewährten Aktienoptionen eine Frist von drei Jahren ab dem 30. September 1998 gelte.

b) Der Kläger und sein Arbeitgeber verhandelten in der Folgezeit die Bedingungen seines Ausscheidens und schlossen am ... 1998 einen Aufhebungsvertrag (Bl. 42 RbA 99/98), in dem es u.a. heißt:

"1.

Ihr Beschäftigungsverhältnis mit der Agentur endet per Aufhebungsvertrag mit dem 30. September 1998.

Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfolgt auf Veranlassung der Agentur, hat rein wirtschaftliche Gründe und ist nicht in der Person des Vertragspartners begründet.

2.

Als Entschädigung für die mit der Auflösung des Arbeitsvertrages verbundenen Nachteile erhält der Vertragspartner von der Agentur eine Abfindung in Höhe von DM 621.000 brutto.

Von diesem Betrag sind DM 36.000 netto/steuerfrei gemäß § 3 Ziffer 9 EStG. Der Rest unterliegt gemäß § 24 Nr. 1a und § 34 Abs. 1 EStG einem ermäßigten Steuersatz.

...

7.

Mit der Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen, heutigen und künftigen Ansprüche aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, bis auf die zugesagte Altersversorgung, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten. ..."

c) Aufgrund der entsprechenden Regelung in Ziffer 2 des Vertrages erhielt der Kläger im Jahr 1998 den Betrag von DM 621.000.

In der Zeit zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 1998 des seinerzeit ...jährigen Klägers und der Vollendung seines 60. Lebensjahres am ... 2000 erhielt der Kläger keine weiteren Zahlungen.

Ab der Vollendung seines 60. Lebensjahres erhielt der Kläger monatliche Bezüge entsprechend 100% der SERA-Zusage: im Jahr 2000 in Höhe von DM 102.831, im Jahr 2001 in Höhe von DM 205.662, im Jahr 2002 in Höhe von EUR 109.248.

In welcher Höhe der Kläger Leistungen nach diesem Zeitpunkt erhielt, ist in diesem Verfahren nicht ermittelt worden.

II.

1. In dem Einkommensteuerbescheid 1998 vom 29. November 1999 (Bl. 195 der Einkommensteuerakte - EStA - Bd. III) wurde die in 1998 gezahlte Abfindung nach Abzug des Freibetrags von 36.000 DM (§ 3 Nr. 9 EStG) antragsgemäß als außerordentliche Einkünfte begünstigt mit dem halben Steuersatz besteuert.

2. Dieser Bescheid wurde nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) durch Änderungsbescheid vom 5. Mai 2003 dahingehend geändert, dass die begünstigte Besteuerung der Abfindung in Höhe von 585.000 DM versagt wurde.

Grund für die Änderung war, dass der Beklagte während des Verfahrens über den Einspruch, den der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid für 1999 eingelegt hatte, Kenntnis von dem Inhalt des Aufhebungsvertrags erlangte und damit auch von der dortigen Ziffer 7, der Regelung zu den Aktienoptionen. Der Beklagte vertrat daraufhin die Auffassung, dass die hier streitige Abfindungszahlung im Jahr 1998 nur ein Teil der dem Kläger im Zusammenhang mit der Aufhebung seines Arbeitsvertrages gewährten Entschädigung gewesen sei. Der andere Teil bestehe in den Aktienoptionen, die dem Kläger gewährt worden waren und die er in den Folgejahren ausgeübt hatte. Damit seien die Voraussetzungen für eine Begünstigung nach § 34 EStG mangels Zusammenballung der Entschädigung nicht mehr gegeben.

III.

1. Der Kläger legte am 5. Juni 2003 (Bl. 146 RbA 99/98) gegen den streitgegenständlichen Änderungsbescheid für das Jahr 1998 fristgerecht Einspruch ein.

2. Der Beklagte wies die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 1998 und 1999 mit einer Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 2007 als unbegründet zurück (Bl. 25 GA). Wegen der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

IV.

Der Kläger erhob am 15. Juni 2007 Klage.

1. Soweit die Klage den Einkommensteuerbescheid 1999 betraf, hat das Gericht das Verfahren abgetrennt, nachdem der Beklagte erstmals in seinem an das Gericht gerichteten Schriftsatz vom 24. April 2008 (Bl. 83 der Gerichtsakte 3 K 108/07) vorgetragen hatte, auch die zwischen Vollendung des 60. und des 63. Lebensjahres erfolgten Zahlungen seien Teil der Entschädigung für die Vertragsbeendigung, um die Anwendbarkeit des § 34 EStG in Frage zu stellen.

Das Gericht hat hinsichtlich des Einkommensteuerbescheids 1999 mit Urteil vom 30. April 2008 (Az.: 3 K 108/07) dem Begehren des Klägers entsprochen, die Einkünfte im Zusammenhang mit der Ausübung der Aktienoptionen nach § 34 Abs. 1, 2 Nr. 4 EStG begünstigt zu besteuern, weil die Optionsrechte nicht Teil der wegen Aufhebung des Arbeitsvertrages gewährten Entschädigung gewesen sind.

2. Im Hinblick auf die Einkommensteuer 1998 vertritt der Kläger die Auffassung, die in diesem Jahr gezahlte Einmalzahlung stelle die gesamte Entschädigung für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses dar. Die Zahlungen, die er ab Juli 2000 vom Arbeitgeber erhalten habe, stellten hingegen keine Abfindung dar, sondern seien normale Pensionszahlungen, die ihm aufgrund der SERA-Zusage, die Teil seines Arbeitsverhältnisses gewesen sei, geleistet worden seien. Die SERA-Zusage habe die generelle Möglichkeit der Pensionierung mit 60 Jahren vorgesehen.

Der Kläger beantragt,

den geänderten Einkommensteuerbescheid 1998 vom 5. Mai 2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 2007 dahingehend abzuändern, dass auf die in 1998 geleistete Abfindung § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG in der für 1998 geltenden Fassung angewendet wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, die begehrte Begünstigung stehe dem Kläger nicht zu, weil es an dem Erfordernis der Zusammenballung fehle.

Die im Streitjahr 1998 erhaltene Zahlung vom DM 621.000 stehe nämlich im Zusammenhang mit den Zahlungen, die der Kläger in den Jahren 2000 bis 2002 erhalten habe. Ausweislich des Inhalts des Arbeitgeber-Schreibens vom 8. Juli 1998 (Bl. 56 GA 3 K 108/07) seien diese Beträge auch auf der Grundlage der Aufhebungsvereinbarung gezahlt worden - mit der steuerrechtlichen Folge, dass sie Teil der Abfindung gewesen seien. Die Abfindungszahlungen seien demnach über mehrere Jahre verteilt gezahlt worden, so dass die in der Begünstigungsnorm des § 34 EStG vorausgesetzte Zusammenballung nicht vorläge.

Der Beklagte hat vier Einkommensteuerakten (Band III, IV, IVa und V) und fünf Rechtsbehelfsakten (die Akten ESt 1998, ESt 2000, ESt 2001, ESt 2002 und die Akte ESt 1999 und 1998) vorgelegt, jeweils zur Steuernummer .../.../....

Ergänzend wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf das Protokoll des Erörterungstermins vor dem Berichterstatter vom 18. Dezember 2007 und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vor dem Senat am 30. April 2008 und am 30. Mai 2008.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet, weil der Einkommensteuerbescheid 1998 in der Form des Änderungsbescheids vom 5. Mai 2003 und der Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 2007 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Zwar ist der Änderungsbescheid materiellrechtlich nicht zu beanstanden: Dem Kläger ist von seinem Arbeitgeber für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine Gesamtentschädigung zugesagt worden, die sich einerseits aus einer Einmalzahlung in Höhe von DM 621.000 (Ziffer 2 des Aufhebungsvertrages) und andererseits aus den Vorruhestandsgeldern zusammensetzt, die dem Kläger ab seinem 60. Geburtstag am ... 2000 jedenfalls bis zur Vollendung seines 63. Lebensjahres gezahlt worden sind (vgl. Ziffer 7 Satz 1 a. E. des Aufhebungsvertrages, SERA-Zusage). Weil es sich auch bei den Vorruhestandsgeldern nach der aktuellen, geänderten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) um Entschädigungszahlungen im Sinne von § 24 Nr. 1 EStG handelt, hat der Kläger auf die Gewährung der § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG keinen Anspruch, denn es fehlt vorliegend an der von § 34 EStG vorausgesetzten Zusammenballung des Zuflusses der Gesamtentschädigung in nur einem Veranlagungszeitraum (I).

Der Umstand, dass sich die Rechtsprechung zur Beurteilung von Entschädigungsleistungen geändert hat, führt jedoch dazu, dass der Beklagte nicht berechtigt war, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1998 vom 29. November 1999, in dem die in 1998 gezahlte Abfindung nach Abzug des Freibetrags von 36.000 DM (§ 3 Nr. 9 EStG) antragsgemäß als außerordentliche Einkünfte begünstigt mit dem halben Steuersatz besteuert worden ist, unter Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Denn der Kläger genießt insoweit Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO im Hinblick darauf, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids am 5. Mai 2003 nach der seinerzeitigen höchstrichterlichen Rechtsprechung die Vorruhestandsgelder nicht als Entschädigungszahlungen i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. 1) EStG zu qualifizieren gewesen waren (II).

Im Einzelnen:

I.

Die Tatbestandsvoraussetzungen der begehrten Begünstigungsnorm § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 Buchst a EStG (1) sind im Hinblick auf die gewährte Abfindungszahlung erfüllt (2) - mit Ausnahme der dort vorausgesetzten Zusammenballung sämtlicher Entschädigungszahlungen in einem Veranlagungszeitraum, an der es hier fehlt, weil es sich nach der aktuellen Rechtsprechung des BFH auch bei den Vorruhestandszahlungen um Entschädigungszahlungen im Sinne von § 24 Nr. 1 EStG handelt (3).

1. Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen.

a) Allerdings sind außerordentliche Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 1, 2 EStG nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 14. Mai 2003 XI 12/00, BFHE 203, 38, BStBl II 2004, 449 m.w.N.) nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem einzigen Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch ihre Zusammenballung erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1, 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben.

Dementsprechend sind Entschädigungen i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, die gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG als zu begünstigende außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, grundsätzlich nur dann außerordentliche Einkünfte, wenn die Entschädigung vollständig in einem Betrag gezahlt wird oder wenn die Entschädigung nur Einnahmen eines Jahres ersetzt, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammenfällt und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren (nennenswerten) Einnahmen gehabt hat.

Für die Frage der Zusammenballung sind Entschädigungen, die aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gewährt werden, grundsätzlich einheitlich zu beurteilen (Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung); dementsprechend gehören zur Entschädigung für entgehende Einnahmen sämtliche Leistungen, zu denen sich der (frühere) Arbeitgeber im Aufhebungsfall verpflichtet hat, soweit sie nicht Erfüllung des bisherigen Arbeitsvertrages sind (vgl. BFH, Urteil vom 14. Mai 2003 XI 12/00, BFHE 203, 38 , BStBl II 2004, 449 m.w.N.).

b) Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der BFH allerdings in solchen Fällen für geboten gehalten, in denen - neben der Hauptentschädigungsleistung - in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden. Die Unbeachtlichkeit solcher ergänzenden Zusatzleistungen beruht auf einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Diesem Grundsatz widerspräche es, die anlässlich der Entlassung eines Arbeitnehmers aus Fürsorgegesichtspunkten für eine Übergangszeit erbrachten Zusatzleistungen als für die tarifbegünstigte Besteuerung der Hauptentschädigungsleistungen schädlich zu beurteilen. Allerdings ist betragsmäßig von einem ergänzenden Zusatz zur Hauptleistung nur auszugehen, wenn dieser die Hauptleistung bei weitem nicht erreicht (BFH, Urteil vom 23. Dezember 2004 XI B 117/03, BFH/NV 2005, 1252 m.w.N.).

c) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ferner voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben. Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige hinsichtlich der Veräußerung der Anteile oder hinsichtlich der Aufgabe seiner Pensionsansprüche in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann (vgl. BFH, Urteil vom 13. Dezember 2005 XI R 55/04, BFH/NV 2006, 2042 m.w.N.).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt eine Begünstigung der streitigen Abfindungszahlung nach §§ 34, 24 EStG in Betracht, soweit der Kläger weitere Entschädigungsleistungen nicht erhalten hat.

a) Das Arbeitsverhältnis ist vorzeitig beendet worden.

Der vorliegende Arbeitsvertrag sah zunächst vor, dass das Arbeitsverhältnis ohne eine Kündigung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres andauert; allerdings hat der Arbeitgeber das Ruhestandsalter vor dem Ausscheiden des Klägers generell vorverlegt auf das Ende des 63. Lebensjahres eines Arbeitnehmers.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist indes nicht bis zum 63. Geburtstag des Klägers im ... 2003 durchgeführt worden, sondern bereits in seinem 59. Lebensjahr durch Abschluss des Aufhebungsvertrages vom ... 1998 mit Wirkung zum 30. September 1998 und damit vorzeitig beendet worden.

b) Der Kläger ist durch die Abfindungszahlung für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses entschädigt worden.

Mit Wirksamwerden des Aufhebungsvertrages hat der Kläger seine Ansprüche auf Beschäftigung und Vergütung seiner Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber verloren (vgl. Ziffer 7 Satz 1 des Aufhebungsvertrages), die ansonsten bis zur Vollendung seines 63. Lebensjahres bestanden hätten.

Stattdessen hat er die in dem Aufhebungsvertrag geregelten Ansprüche erhalten - hier von Bedeutung der Anspruch auf die Einmalzahlung von DM 621.000 -, die nach dem Vortrag des Klägers, an dessen Richtigkeit das Gericht keinen Anlass zu zweifeln hat, auch dafür gedacht gewesen sein sollten, seinen Verdienstausfall bis zum Erreichen des 60. Lebensjahres abzudecken.

3. Bei Anwendung der aktuellen Rechtsprechung des BFH handelt es sich allerdings auch bei den Zahlungen, die der Kläger von Vollendung seines 60. Lebensjahrs bis zur Vollendung seines 63. Lebensjahrs erhalten hat, um Entschädigungszahlungen im Sinne von § 24 Nr. 1 EStG, so dass es an der von § 34 EStG vorausgesetzten Zusammenballung des Zuflusses der Gesamtentschädigung in nur einem Veranlagungszeitraum fehlt.

a) Gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Zahlungen, die nicht an die Stelle weggefallener Einnahmen treten, sondern bürgerlich-rechtlich Erfüllungsleistungen des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses sind, sind keine Ersatzleistungen i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Mithin muss für die Annahme einer Entschädigung in diesem Sinne die an die Stelle der bisherigen Einnahmen tretende Ersatzleistung auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruhen; es reicht nicht aus, wenn die bisherige vertragliche Basis bestehen geblieben ist und sich nur Zahlungsmodalitäten geändert haben (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil vom 16. Juni 2004 XI R 55/03, BFHE 206, 544, BStBl II 2004, 1055 m.w.N.). Für die Frage, ab wann vertragliche Ansprüche nicht mehr auf der alten Rechtsgrundlage entstehen können, ist dabei von dem Zeitpunkt auszugehen, zu dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Dienstverhältnis wirksam beendet haben (BFH-Urteil vom 15. Oktober 2003 XI R 17/02, BFHE 203, 490, BStBl II 2004, 264, m.w.N.).

b) Nach der früheren Rechtsprechung des BFH stellten Vorruhestandsgelder dann keine Entschädigung, sondern Erfüllungsleistungen dar, wenn ihre Zahlung als Bestandteil des Arbeitsvertrages des Arbeitnehmers anzusehen war, z.B. im Zusammenwirken mit tarifvertraglichen Regelungen. Zahlungen, die nicht an die Stelle weggefallener Einnahmen treten, sondern bürgerlich-rechtlich Erfüllungsleistungen eines früheren Rechtsverhältnisses sind, unterfielen demnach § 24 Nr. 2 EStG - "Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit" - und gehörten daher nicht zu den Entschädigungen des § 24 Abs. 1 EStG. Dementsprechend wurde eine Entschädigung nur dann angenommen, wenn sie an die Stelle der bisherigen Einnahmen aufgrund einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage trat; diese musste Rechte oder Pflichten begründen, die sich aus dem ursprünglichen Schuldverhältnis nicht ergeben hatten.

In diesem Sinn hatte der BFH etwa entschieden(Urteil vom 18. September 1991 XI R 8/90 BFHE 165, 285, BStBl II 1992, 34), dass ein bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Tarifvertrages zu zahlendes Übergangsgeld keine Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ist, weil es im Rahmen der vertraglich getroffenen Vereinbarungen gezahlt wird.

Mit Urteil vom 10. Oktober 2001 (XI R 7/01, BFH/NV 2002, 337) hatte der BFH ebenso für Vorruhestandsgelder entschieden, die aufgrund Tarifvertrages gezahlt werden. Die so genannten Inhaltsnormen eines Tarifvertrages würden Bestandteil der Arbeitsverträge der branchenzugehörigen Arbeitnehmer aufgrund der Zugehörigkeit zu der entsprechenden Gewerkschaft oder einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung.

Nach dieser Rechtsprechung wären die an den Kläger geleisteten Vorruhestandszahlungen keine Entschädigung gewesen, weil sie aufgrund der SERA-Zusage erfolgt sind, die Teil des Arbeitsvertrages des Klägers geworden war.

c) Diese Rechtsprechung, die von der Annahme ausging, dass eine Zahlung dann nicht auf einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage beruht, wenn sie bereits im Arbeitsvertrag für den Fall der Entlassung vereinbart worden ist, hat der BFH mit Urteil vom 10. September 2003 XI R 9/02 (BFHE 204, 65, BStBl II 2004, 349) ausdrücklich aufgegeben (bestätigt durch Urteil vom 16. Juni 2004 XI R 55/03, BFHE 206, 544, BStBl II 2004, 1055). Nach der neueren Rechtsprechung beruht eine Zahlung auch dann - verglichen mit dem bisherigen Anspruch auf Erfüllung von Gehaltsforderungen - auf einem neuen Rechtsgrund und stellt damit eine Ersatzleistung dar, wenn sie bereits im Arbeitsvertrag vereinbart war.

Demnach liegt ein "Ersatz" für entgangene oder entgehende Einnahmen vor, wenn die bisherige rechtliche Grundlage für die Einnahme wegfällt und eine andere an ihre Stelle tritt. Dieses Erfordernis ist auch dann erfüllt, wenn bereits im Dienstvertrag die Ersatzleistung für den Fall der Entlassung geregelt ist; denn auch dieser nur unter der Voraussetzung einer Kündigung o. Ä. entstehende Ersatzanspruch beruht - verglichen mit dem bisherigen Anspruch auf Erfüllung von Gehaltsforderungen - auf einem neuen Rechtsgrund. Keine Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, sondern Erfüllung im Sinne der genannten Rechtsprechung liegt demgegenüber dann vor, wenn bzw. solange das Dienstverhältnis fortbesteht und dementsprechend kein "Ersatz", sondern die für die Arbeitsleistung geschuldete Gegenleistung erbracht wird. Ebenso wenig wie jede Leistung aufgrund einer Vertragsänderung bereits eine Entschädigung ist, ist jede in einem Vertrag für den Fall der Entlassung vorgesehene Abfindungsregelung eine die Entschädigung ausschließende "Erfüllungsleistung" im Sinne der Rechtsprechung. Bis zu welchem Zeitpunkt bestehende Ansprüche erfüllt bzw. ab welchem Zeitpunkt Ersatzleistungen erbracht werden, richtet sich nach dem Zeitpunkt der wirksamen Vertragsbeendigung.

Insbesondere im Hinblick auf den von § 34 Abs. 1 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG verfolgten Zweck, die Progression bei zusammengeballtem Zufluss von Entschädigungen zu glätten, macht es keinen entscheidungserheblichen Unterschied, ob der Ersatzanspruch bereits mit der Beendigung des Dienstverhältnisses aufgrund Gesetzes, Tarifvertrages, Betriebsvereinbarung bzw. individualvertraglicher Vereinbarung entsteht oder erst anlässlich der Beendigung vereinbart wird.

d) Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze sind die Vorruhestandszahlungen als Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu werten und kann eine Begünstigung der Entschädigungsleistungen - also der Vorruhestandszahlungen und der hier streitigen Abfindungszahlung in 1998 - nach § 34 EStG mangels Zusammenballung nicht beansprucht werden.

aa) Der Qualifizierung der Versorgungsleistung als Entschädigung im Sinne von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steht nicht entgegen, dass der Anspruch des Klägers auf diese Zahlungen nicht in dem Aufhebungsvertrag begründet worden ist. Dieser Anspruch bestand bereits aufgrund der so genannten SERA-Zusage. Die SERA-Zusage regelt die Möglichkeit, "vorzeitig in Pension zu gehen". Sie bot einerseits dem Kläger die Möglichkeit, auf eigenem Wunsch bereits ab Vollendung des 55. Lebensjahres in Pension zu gehen und andererseits dem Arbeitgeber die Möglichkeit, den Kläger ab Lebensalter 60 zu pensionieren (Ziffer 1, Abs. 1 und 2 der SERA-Zusage). Je nach Pensionsalter regelte die SERA-Zusage die Gewährung von Versorgungsbezügen bis zum Erreichen des regulären Pensionsalters.

Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des BFH macht es jedoch keinen entscheidungserheblichen Unterschied, ob der Ersatzanspruch bereits mit der Beendigung des Dienstverhältnisses aufgrund Gesetzes, Tarifvertrages, Betriebsvereinbarung bzw. individualvertraglicher Vereinbarung entsteht oder erst anlässlich der Beendigung vereinbart wird.

Entscheidend ist vielmehr, dass die bisherige rechtliche Grundlage für die Einnahme wegfällt - hier der Arbeitsvertrag mit den im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Pflichten zur Erbringung der Arbeitsleistung einerseits und zu ihrer Vergütung andererseits - und an ihre Stelle eine andere Grundlage tritt - hier die SERA-Zusage. Da die SERA-Zusage gerade für den Fall der vorzeitigen Pensionierung gegeben worden ist, ist es ohne Bedeutung, dass die auf ihr beruhenden Vorruhestandszahlungen ab dem 60. Lebensjahr im Aufhebungsvertrag nicht mehr ausdrücklich erwähnt worden sind.

bb) Die Versorgungsleistungen sind kein Fall der vom BFH entwickelten Fürsorge aus sozialen Gründen, bei dem Zahlungen, die neben der Abfindung vom Arbeitgeber geleistet werden, für die Frage der Gewährung der Vergünstigung des § 34 EStG außer Betracht bleiben. Denn der Kläger hat in der Zeit von der Vollendung seines 60. bis zur Vollendung seines 63. Lebensjahres Versorgungsleistungen bezogen, die in ihrer Summe rund 600.000 DM betrugen. Sie erreichten damit in etwa die Höhe der Einmalzahlung und stellen damit nicht nur einen ergänzenden Zusatz zu einer Hauptleistung dar, wie es die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt (s. o. BFH, Urteil vom 23. Dezember 2004 XI B 117/03, BFH/NV 2005, 1252 m.w.N.).

II.

Der Beklagte war jedoch nicht berechtigt, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1998 vom 29. November 1999, in dem die in 1998 gezahlte Abfindung (nach Abzug des Freibetrags von 36.000 DM, § 3 Nr. 9 EStG) antragsgemäß als außerordentliche Einkünfte gemäß § 34 EStG begünstigt mit dem halben Steuersatz besteuert worden ist, unter Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Denn der Kläger genießt insoweit Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO im Hinblick darauf, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids am 5. Mai 2003 nach der seinerzeitigen höchstrichterlichen Rechtsprechung die Vorruhestandsgelder nicht als Entschädigungszahlungen i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu qualifizieren gewesen waren (s. o. I 3 b).

1. Zwar waren die Tatbestandsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt, um die im Ursprungsbescheid zunächst zu Unrecht gewährte Begünstigung gemäß § 34 EStG durch einen Änderungsbescheid zu entziehen.

Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

Dem Beklagten ist erst im Rahmen der Veranlagungen für die Zeiträume ab dem Jahr 2000 und damit nach Erlass des Ursprungsbescheids vom 29. November 1999 die Tatsache bekannt geworden, dass der Kläger auch in diesen Jahren Vorruhestandszahlungen seines Arbeitgebers erhalten hat und dass damit neben der für das Streitjahr erklärten Abfindungszahlung weitere Entschädigungsleistungen für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses geleistet wurden.

Für die Tatbestandserfüllung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist in diesem Zusammenhang unschädlich, dass nicht diese Tatsache Anlass für den angefochtenen Änderungsbescheid vom 5. Mai 2003 gewesen ist, sondern die vom Beklagten zu Unrecht als weitere Abfindungsleistungen qualifizierten Einnahmen aus der Ausübung von Aktienoptionen (siehe Verfahren Finanzgericht Hamburg zum Az. 3 K 108/07). Denn eine Änderung ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 AO von Amts wegen vorzunehmen und ist keine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde (Pahlke/Koenig, AO, § 173 Rdnr. 166), so dass es grundsätzlich genügt, dass die Finanzbehörde die Änderung auf Grund neuer Tatsachen vorgenommen hat und tatsächlich neue Tatsachen gegeben sind, die eine Änderung rechtfertigen, auch wenn es sich dabei um andere Tatsachen handelt.

2. Allerdings war dem Beklagten der Erlass des Änderungsbescheids aufgrund der Vertrauensschutzregelung in § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO versagt, weil zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids am 5. Mai 2003 nach der seinerzeitigen höchstrichterlichen Rechtsprechung die Vorruhestandsgelder nicht als Entschädigungszahlungen i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu qualifizieren gewesen waren.

a) Nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO darf bei Aufhebung oder Änderung eines - bestandskräftigen (vgl. Loose in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 176 AO Rdnr. 1) - Steuerbescheides nicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.

Satz 2 der Vorschrift bestimmt, dass die Regelung in dem Fall, dass die bisherige Rechtsprechung bereits in einer Steuererklärung oder einer Steueranmeldung berücksichtigt worden ist, ohne dass das für die Finanzbehörde erkennbar war, nur gilt, wenn anzunehmen ist, dass die Finanzbehörde bei Kenntnis der Umstände die bisherige Rechtsprechung angewandt hätte.

b) Die Vorschrift geht davon aus, dass eine geänderte Rechtsprechung auf alle Steuerfälle anzuwenden ist, selbst wenn sich die Sachverhalte zu einer Zeit ereignet haben, in der noch die günstigere Rechtsprechung galt, sofern es sich um noch nicht abgeschlossenen Steuerfälle handelt (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 3/06, BFH/NV 2008, 1075;Urteil vom 31. Juli 2002 X R 39/01, BFH/NV 2002, 1575). § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO schützt das Vertrauen in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung, in der die Finanzbehörde die günstigere (alte) Rechtsprechung zugrunde gelegt hat (BTDrucks 7/4292, S. 34; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Februar 2007 XI R 30/05, BFH/NV 2007, 1397, m.w.N.). Dem Steuerpflichtigen soll eine bereits durch einen Verwaltungsakt aufgrund der günstigeren "alten" Rechtsprechung bestätigte Rechtsposition nicht durch eine nach Ergehen des Verwaltungsaktes erfolgte Änderung der Rechtsprechung wieder genommen werden.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 176 Abs. 1 AO müssen die Tatbestandsvoraussetzungen "bei der Aufhebung oder Änderung ..." vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn die Rechtsprechungsänderung in der Zeit nach dem Erlass des ursprünglichen Bescheids, aber vor dem Erlass des Änderungsbescheids erfolgt ist (BFH-Urteile vom 11. Januar 1991 III R 60/89, BFHE 163, 286, BStBl II 1992, 5, 8;vom 2. August 1994 IX R 65/92, BFH/NV 1995, 298, 299; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 176 Rz. 18), nicht aber, wenn zunächst ein Änderungsbescheid ergeht und erst im Anschluss hieran eine Rechtsprechungsänderung erfolgt, durch die der Änderungsbescheid materiell-rechtlich legitimiert wird (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1991 IX R 247/87, BFH/NV 1991, 744, 745, sowie zu § 176 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 BFH-Urteil vom 22. Februar 1990 V R 117/84, BFHE 160, 74, BStBl II 1990, 599, 601; übereinstimmend z.B. v. Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 176 AO Rz. 18).

Ändert sich die Rechtsprechung erst während eines laufenden Einspruchsverfahrens gegen den Änderungsbescheid, so ist es der Finanzbehörde grundsätzlich nicht verwehrt, die Einspruchsentscheidung darauf zu stützen, dass eine neue Entscheidung eines Obersten Gerichts die Auffassung des zu Lasten des Steuerpflichtigen ergangenen Änderungsbescheides bestätigt (vgl. Beschluss vom 10. Dezember 2007 V S 22/07, [...]; Urteil vom 14. Februar 2007 XI R 30/05, BFHE 216, 559, BStBl II 2007, 524 ,jeweils m.w.N.).

c) Da jedoch mit der Vorschrift des § 176 AO verhindert werden soll, dass die Rechtmäßigkeit eines Änderungsbescheids anhand einer neuen Rechtsprechung geprüft wird (BFH, Urteil vom 28. Mai 2002 IX R 86/00, BFHE 199, 1, BStBl II 2002, 840 unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 11. Oktober 1988, BFHE 155, 298, BStBl II 1989, 284, m.w.N., undvom 31. März 1987 IX R 111/86, BFHE 150, 7, BStBl II 1987, 668) besteht der Vertrauensschutz auch bei im Rechtsbehelfsverfahren und im finanzgerichtlichen Verfahren ergehenden Einspruchsentscheidungen und Urteilen (BFH, Urteil vom 28. Mai 2002 IX R 86/00, BFHE 199, 1, BStBl II 2002, 840 m.w.N.; Frotscher in Schwarz, AO, § 176 Rdnr. 5). Hat die Finanzbehörde den Steuerbescheid aus Gründen geändert, die das Finanzgericht für unzutreffend hält, so darf der Steuerpflichtige nicht dadurch einen Nachteil erleiden, dass das Finanzgericht bei seiner Entscheidung statt dessen eine zwischen dem Erlass des ursprünglichen Bescheids und des angefochtenen Änderungsbescheids eingetretene Rechtsprechungsänderung zu Lasten des Steuerpflichtigen berücksichtigt (BFH, Urteil vom 28. Mai 2002 IX R 86/00, BFHE 199, 1, BStBl II 2002, 840, Rüsken in Klein, AO § 176 Rdnr. 9). Wird die von der Finanzbehörde der Änderung zugrunde gelegte Rechtsanwendung vom Gericht bei seiner Überprüfung des Änderungsbescheids nicht geteilt, ist daher für die weitere Überprüfung des Bescheids auch eine zwischenzeitlich zuungunsten des Steuerpflichtigen ergangene Rechtsprechung unbeachtet zu lassen (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 16. Dezember 2005 VII 198/05, EFG 2006, 1466, rk).

d) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze darf hier die erst nach Erlass des Änderungsbescheids vom 5. Mai 2003 etablierte Rechtsprechung des BFH zur Beurteilung von Vorruhestandszahlungen nicht angewendet werden.

aa) Die frühere (für den Kläger günstigere) Rechtsprechung des BFH als oberstem Gerichtshof zur Frage, wann Entschädigungsleistungen vorliegen, ist in dem Einkommensteuerbescheid 1998 vom 29. November 1999 angewendet worden. Dem Kläger ist die Begünstigung des § 34 EStG für die Einmalzahlung gewährt worden. Diese Behandlung entsprach der seinerzeitigen Rechtsprechung des BFH (s. o.), die damit auch im Sinne der Vorschrift des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO angewendet worden ist. Dafür ist hinreichend, dass die Steuerfestsetzung inhaltlich mit der damaligen Rechtsprechung übereinstimmt. In einem solchen Fall wird unterstellt, dass eine bei Erlass des Bescheides veröffentlichte Rechtsprechung angewendet worden ist; nicht erforderlich ist, dass der Bedienstete der Finanzverwaltung bei Erlass des Bescheides die Rechtsprechung bewusst und gewollt angewendet hat (vgl. BFH, Urteil vom 11. Januar 1991 III R 60/89, BFHE 163, 286, BStBl II 1992, 5; Loose in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 176 AO, Rdnr. 17 m.w.N.).

bb) Der Einkommensteuerbescheid 1998 ist auch noch im Jahr 1999 bestandskräftig geworden.

cc) Unbeachtlich ist, ob der Beklagte zu diesem Zeitpunkt überhaupt Kenntnis von den zu diesem Zeitpunkt dem Kläger bereits zugesagten, aber erst ab 2000 erfolgten Versorgungsleistungen gehabt hat, weil der Kläger diese - in Übereinstimmung mit der damaligen Rechtsprechung - in der Steuererklärung 1998 nicht erklärt hatte. Denn in § 176 Abs. 1 Satz 2 AO ist für den Fall der mangelnden Erkennbarkeit bestimmter Umstände geregelt, dass der Vertrauensschutz insoweit gleichwohl gilt, sofern die Finanzbehörde bei Kenntnis der Umstände die bisherige Rechtsprechung angewandt hätte. Die Annahme, dass die Finanzbehörde die Rechtsprechung bei Kenntnis der Umstände angewandt hätte, ist stets begründet, solange nicht durch Verwaltungsanweisung angeordnet ist, die Rechtsprechung nicht anzuwenden (Loose in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 176 AO, Rdnr. 19 m.w.N.). Einen derartigen Nichtanwendungserlass hat es hier nicht gegeben.

dd) In der Rechtsfolge der Vorschrift des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AO darf bei der Änderung des Steuerbescheids die Änderung der Rechtsprechung nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. Denn zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids am 5. Mai 2003 war eine Versagung der Begünstigung des § 34 EStG nicht veranlasst gewesen und zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beklagte die Begünstigung im Hinblick auf die Vorruhestandszahlungen versagt wissen wollte, nämlich im gerichtlichen Anfechtungsverfahren, war die entsprechende Rechtsprechungsänderung zwischenzeitlich erfolgt und durfte nach den o. g. Rechtsgrundsätze nicht mehr zur Begründung eines Änderungsbescheids herangezogen werden.

Anlass für den Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids am 5. Mai 2003 war nur der Umstand, dass der Kläger in den Jahren nach 1999 Einnahmen bei der Ausübung von Aktienoptionen erzielte. Der Beklagte betrachtete die Optionen als weitere Entschädigungen für die Aufhebung des Arbeitsvertrages, und verweigerte die Begünstigung des § 34 EStG für die streitgegenständliche Einmalzahlung im Hinblick auf diese Optionen mit dem Fehlen einer Zusammenballung. Da es sich allerdings bei den Optionen nicht um Entschädigungsleistungen gehandelt hat, hätte der Änderungsbescheid im Hinblick darauf am 5. Mai 2003 nicht ergehen dürfen (vgl. Urteil des Senats vom 30. April 2008 FG Hamburg 3 K 108/07).

Kein Anlass für den Erlass des Änderungsbescheids war hingegen die Zahlung von Versorgungsleistungen ab dem Jahr 2000 - diesen Punkt griff der Beklagte erstmals in seinem an das Gericht gerichteten Schriftsatz vom 24. April 2008 auf, um die Nichtanwendbarkeit des § 34 EStG und damit den Änderungsbescheid - neu - zu begründen.

Dem Kläger kann der Vertrauensschutz nicht mit dem Argument vorenthalten werden, dass mit Erlass des Änderungsbescheids sein Vertrauen auf den Bestand der ursprünglichen Einkommensteuerveranlagung bereits zerstört war und er insofern durch die erst nach Erlass des Änderungsbescheids eingetretene Änderung der Rechtsprechung in einem schutzwürdigen Vertrauen nicht mehr betroffen sein konnte. Der Schutz des Vertrauens des Steuerpflichtigen durch die Vorschrift des § 176 AO beschränkt sich nicht darauf, dass nach Änderung einer Rechtsprechung zu diesem Zeitpunkt bestandskräftige Bescheide nicht mehr wegen dieser Rechtsprechungsänderung nicht mehr zu Ungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden. In derselben schutzwürdigen Lage befindet sich nämlich derjenige, dessen bestandskräftiger Bescheid zu seinen Ungunsten aus einem Grund geändert worden ist, der eine Änderung nicht gerechtfertigt hat, sofern zu seinen Lasten eine Rechtsprechungsänderung während der Zeit eintritt, in der das Rechtsmittelverfahren gegen die zu Unrecht ergangene Änderung stattfindet.

Diese Auslegung der Vorschrift des § 176 Satz 1 Nr. 3 AO steht nicht im Widerspruch dazu, dass in den Entscheidungen des BFH zum Teil ausdrücklich formuliert wird, der Vertrauensschutz gelte nur, wenn die Rechtsprechungsänderung vor Erlass des Änderungsbescheids erfolgt ist (so etwa Beschluss vom 10. Dezember 2007 V S 22/07, [...];Urteil vom 11. Oktober 2007 V R 27/05, BFHE 219, 266, BFH/NV 2008, 895;Urteil vom 14. Februar 2007 XI R 30/05, BFHE 216, 559, BStBl II 2007, 524; jeweils m.w.N.). Denn diese Entscheidungen betrafen jeweils Fälle, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Änderung des Bescheids und der späteren Änderung der Rechtsprechung bestand, die Änderung der Rechtsprechung also durch den Änderungsbescheide bereits vorweggenommen wurde und sodann die Änderungsbescheide durch die Rechtsprechungsänderung eine Bestätigung erfahren haben.

Hier liegt hingegen ein davon abweichender Fall vor, in dem der Lebenssachverhalt, der Grund für Erlass des Änderungsbescheids gewesen ist (Optionsgeschäfte des Klägers), mit der später eingetretenen Rechtsprechungsänderung (die Abgrenzung Erfüllungs- von Entschädigungsleistungen betreffend) in keinem Zusammenhang steht.

Im Hinblick auf den Vertrauenstatbestands des § 176 AO ist demnach die Änderung der Begründung eines Änderungsbescheids dem Erlass eines Änderungsbescheids gleichzustellen. Eine Berücksichtigung der zuungunsten des Steuerpflichtigen geänderten Rechtsprechung erfolgt auch in einem solchen Fall "bei" Änderung des Steuerbescheids und ist damit unzulässig.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.



Ende der Entscheidung

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