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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 02.05.2007
Aktenzeichen: 4 K 12/07
Rechtsgebiete: FGO, BGB


Vorschriften:

FGO § 138 Abs. 1
FGO § 151 Abs. 1
FGO § 152
BGB § 389
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

4 K 12/07

Gründe:

I. Das Finanzgericht Hamburg hatte mit Urteil vom 20.9.2006 (4 K 115/06) den Antragsgegner verurteilt, an die Antragstellerin einen Betrag in Höhe von DM 916.890,28 zu zahlen. Dieser Zahlungsverpflichtung kam der Antragsgegner in der Folgezeit in der Weise nach, dass er gegenüber der Antragstellerin mit Schreiben vom 18.10.2006 die Aufrechnung mit einer Forderung aus einem von der Antragstellerin angefochtenen Rückforderungsbescheid vom 23.2.2000 erklärte; mit diesem Rückforderungsbescheid verlangte der Antragsgegner von der Antragstellerin Ausfuhrerstattung in Höhe von rund 1 Mio. DM zurück.

Nachdem der Antragsgegner zunächst mit Bescheid vom 3.5.2006 die Vollziehung des Rückforderungsbescheides vom 23.2.2000 ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt hatte, widerrief er mit Bescheid vom 17.7.2006 die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung und machte nunmehr die Aussetzung der Vollziehung von der Leistung einer Sicherheit abhängig, die von der Antragstellerin indes nicht erbracht wurde.

Im Hinblick auf den Rückforderungsbescheid vom 23.2.2000 stellte die Antragstellerin am 20.10.2006 beim Finanzgericht Hamburg einen Antrag gemäß § 69 Abs. 3 FGO auf Aufhebung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung, dem das Gericht mit Beschluss vom 24.1.2007 (4 V 201/06, juris) entsprach; der Beschluss vom 24.1.2007 ist an den Antragsgegner am 29.1.2007 abgesandt worden.

Am 24.1.2007 hat die Antragstellerin sodann bei Gericht einen Antrag nach § 152 FGO auf Vollstreckung aus dem Urteil vom 20.9.2006 gegenüber dem Antragsgegner gestellt. Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 16.2.12007 mitgeteilt, dass er aufgrund des AdV-Beschlusses des Gerichts vom 24.1.2007 am 7.2.2007 die Auszahlung des Betrages aus dem Urteil vom 20.9.2006 an die Antragstellerin veranlasst habe.

Am 5.4.2007 haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 4 K 12/07, 4 V 201/06 und 4 K 115/06 verwiesen.

II. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO durch Beschluss einzustellen und nurmehr gemäß § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Vorliegend entspricht es billigem Ermessen im Sinne des § 138 Abs. 1 FGO, dass die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin auferlegt werden.

Zwar hat der Antragsgegner am 7.2.2007 die Auszahlung des Betrages aus dem Urteil vom 20.9.2006 an die Antragstellerin veranlasst und dadurch eine Erledigung des Rechtsstreits herbeigeführt. Er hat sich hiermit allerdings nicht freiwillig in die Position der unterlegenen Partei begeben, so dass ihm gemäß § 138 Abs. 2 FGO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen gewesen wären. Vielmehr hat der Antragsgegner mit der Veranlassung der Auszahlung des streitigen Betrages allein die Konsequenzen aus dem Beschluss des Gerichts vom 24.1.2007 (4 V 201/06) gezogen, mit dem das Gericht die Vollziehung des Rückforderungsbescheides vom 23.2.2000 - scil. die mit Schreiben vom 18.10.2006 erklärte Aufrechnung mit der Forderung aus dem Rückforderungsbescheid vom 23.2.2000 - aufgehoben hatte. Vor diesem Hintergrund ist im Streitfall die Kostenentscheidung nicht nach § 138 Abs. 2 FGO, sondern gestützt auf § 138 Abs. 1 FGO unter Berücksichtigung des in dieser Vorschrift normierten Maßstabs zu treffen. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entspricht es aber billigem Ermessen (§ 138 Abs. 1 FGO), der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Denn der von ihr gemäß § 152 FGO gestellte Vollstreckungsantrag war verfrüht. Der Antragsgegner hatte noch keine Veranlassung gegeben, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzuleiten.

Es ist in der Rechtsprechung im Grundsatz geklärt, dass dem Vollstreckungsschuldner vor Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen Gelegenheit gegeben werden muss, die Vollstreckung durch freiwillige Leistung abzuwenden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.12.1998 - 2 BvR 1516/93 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 27.6.1993 - 2 BvR 1516/93 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 5.3.1991 - 1 BvR 440/83 -, juris; VGH München, Beschluss vom 2.3.2004 - 13 A 01.2055 -, juris; VG Stade, Beschluss vom 6.4.2005 - 6 D 287/05 -). Insoweit muss der Gläubiger dem Vollstreckungsschuldner eine angemessene Frist einräumen, wobei es vor dem Hintergrund des in § 152 Abs. 2 FGO geregelten Ankündigungsverfahrens zum Einräumen dieser Frist - dem Rechtsgedanken des § 882a Abs. 1 ZPO folgend - einer ausdrücklichen Anzeige der Absicht, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, nicht bedarf, vielmehr ein bloßes Zuwarten ausreichend ist. Freilich ist in der Finanzgerichtsordnung - ebenso wie in der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. § 170 VwGO) - die Fristdauer nicht geregelt. Zwar verweist § 151 Abs. 1 FGO hinsichtlich der Vollstreckung gegen die öffentliche Hand auf die Vorschriften des Achtes Buches der Zivilprozessordnung. Die dort normierten Wartefristen sind indes auf die Finanzgerichtsbarkeit nicht bzw. nicht generell übertragbar. So wird die Vorschrift des § 882a Abs. 1 ZPO, wonach die Zwangsvollstreckung gegen den Bund oder ein Land wegen einer Geldforderung erst vier Wochen nach Anzeige der Zwangsvollstreckungsabsicht beginnen darf, im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit durch § 152 FGO ersetzt, der der Vollstreckung wegen Geldforderungen, die sich gegen die öffentliche Hand richtet, ein gerichtliches Vollstreckungsverfahren vorschaltet. Die in § 798 ZPO normierte Wartefrist von zwei Wochen nach Zustellung des Schuldtitels ist entsprechend anwendbar lediglich auf Kostenfestsetzungsbeschlüsse, die gemäß § 151 Abs. 2 Nr. 3 FGO auch im Finanzgerichtsprozess Vollstreckungstitel darstellen.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hält das beschließende Gericht dafür, dass sich die Länge der dem Vollstreckungsschuldner einzuräumenden angemessenen Frist nach den Umständen des Einzelfalles richtet (im Ansatz ebenso FG Bremen, EFG 1993, S. 327, 328; VGH München, Beschluss vom 2.3.2004 - 13 A 01.2055 -, juris; VG Stade, Beschluss vom 6.4.2005 - 6 D 287/05). Entsprechend diesem rechtlichen Ansatz hat das Finanzgericht Bremen allerdings unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5.3.1991 (1 BvR 440/93, juris) die Einhaltung einer Frist von sechs Wochen nach Zustellung des vollstreckbaren Titels im Regelfall als einen angemessenen Zeitraum angesehen, innerhalb dessen die Finanzbehörde in der Lage sein müsse, titulierte Forderungen zu begleichen (vgl. FG Bremen, EFG 1993, S. 327, 328). Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Beschluss vom 5.3.1991 (1 BvR 440/93, juris) eine Frist von sechs Wochen damit begründet, dass für streitige Forderungen oft keine Haushaltsmittel zur Verfügung stünden; es könne deshalb durchaus einige Wochen in Anspruch nehmen, außerplanmäßige Mittel bereit zu stellen. Darüber hinaus sei normalen Verzögerungen, wie sie bei der Bearbeitung eines Vorgangs in einer Behörde leicht auftreten könnten, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.3.1991 - 1 BvR 440/93 -, juris).

Das beschließende Gericht lässt im Ergebnis offen, ob der vorzitierten Rechtsprechung des Finanzgerichts Bremen zu folgen ist. Es gibt in diesem Zusammenhang jedoch zu bedenken, dass es schwerlich nachzuvollziehen ist, warum bei einer Vollstreckung gegen den Bund oder ein Land Vollstreckungsmaßnahmen vor Ablauf von sechs Monaten nach Zustellung des vollstreckbaren Titels nicht angezeigt sein sollen (so aber ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 5.3.1991 - 1 BvR 440/93 -, juris; FG Bremen, Beschluss vom 2.12.1992 - 292 183 V 2 -, juris). Das Argument, für streitige Forderungen stünden oft keine Haushaltsmittel zur Verfügung, trägt kaum, denn es dürfte Sache des Haushaltsgesetzgebers sein, diesbezügliche Ausgaben bei der Haushaltsaufstellung zu berücksichtigen. Im Übrigen halten auch Vollstreckungsschuldner, die keine Träger öffentlicher Verwaltung sind, in der Regel keine finanziellen Mittel zur Tilgung streitiger Forderungen vor. Dass bei der Bearbeitung eines Vorgangs in einer Behörde leicht Verzögerungen auftreten können, erweist sich in diesem Kontext ebenfalls nicht als überzeugender Gesichtspunkt für eine den Bundes- und Landesbehörden zuzubilligende Bearbeitungsfrist von sechs Wochen, im Gegenteil: Defizite innerhalb der behördlichen Organisationsstruktur und im behördlichen Verfahrensablauf als Rechtfertigung für längere Fristen zu bemühen, dürfte sich nur schwer mit der Bindung der Träger öffentlicher Verwaltung an Recht und Gesetz vereinbaren lassen. Ein weiterer Einwand kommt hinzu: Firmen und Bürger gleichermaßen sind in einem gesteigerten Maße darauf angewiesen, dass an sie Geldbeträge, die sie gegenüber einem Träger öffentlicher Gewalt gerichtlichen erstreiten mussten, nunmehr unverzüglich ausgezahlt werden. Es ist gerichtsbekannt, dass die rechtswidrige Vorenthaltung von Leistungen durch die öffentliche Hand Firmen nicht nur in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten stürzen, sondern auch Insolvenzen auslösen kann. Bedenkt man schließlich, dass Bundes- und Landesbehörden Abgabenschuldnern in der Regel (lediglich) ein Zahlungsziel von 30 Tagen einräumen, neigt das beschließende Gericht nicht nur unter Berücksichtigung des Gedankens der Parität zu einem Verständnis, dass bei einer Vollstreckung gegen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts Vollstreckungsmaßnahmen spätestens nach Ablauf von einem Monat nach Zustellung des vollstreckbaren Titels zulässig sind. Einer abschließenden Entscheidung dieser Rechtsfrage bedarf es vorliegend indes nicht.

Der vorliegende Rechtsstreit ist nämlich zum einen dadurch gekennzeichnet, dass der Antragsgegner die titulierte Forderung der Antragstellerin zunächst erfüllt hatte. Der Antragsgegner hatte nämlich mit Schreiben vom 18.10.2006 die Aufrechung mit einer Forderung aus dem Rückforderungsbescheid vom 23.2.2000 erklärt. Die vom Antragsgegner erklärte Aufrechnung bewirkte aber, dass die Forderungen, soweit sie sich deckten, als in dem Zeitpunkt als erloschen galten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenüber standen (vgl. § 389 BGB). Dass die Aufrechnung mit und gegen öffentlich-rechtliche Forderungen im Bereich sowohl des nationalen Steuerrechts als auch des Gemeinschaftsrechts zulässig ist und dass für den Bereich des gemeinschaftsrechtlichen Ausfuhrerstattungsrechts in Ermangelung besonderer öffentlich-rechtlicher Aufrechnungsvorschriften die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Aufrechnung entsprechend heranzuziehen sind, entspricht seit langem allgemeiner Ansicht (vgl. nur BFH, Urteil vom 17.9.1987 - VII R 50-51/86 -, juris; FG Hamburg, Urteil vom 20.9.2006 - 4 K 115/06 -, juris). Ebenfalls ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt, dass die Finanz- bzw. Zollbehörde grundsätzlich auch mit solchen Forderungen aufrechnen kann, die vom Aufrechnungsgegner bestritten und noch nicht rechtskräftig festgestellt worden sind; die Anfechtung der Gegenforderung stellt daher ebenso wie eine zwar beantragte, jedoch (bislang) nicht gewährte Aussetzung der Vollziehung kein Aufrechnungshindernis dar (vgl. BFH, Beschluss vom 20.12.2002 - VII B 67/02 - juris; FG Hamburg, Urteil vom 20.9.2006 - 4 K 115/06 -, juris). Im Streitfall stand folglich dem Eintritt der in § 389 BGB normierten Rechtsfolge (zunächst) nicht entgegen, dass die Antragstellerin den Rückforderungsbescheid vom 23.2.2000, der die Gegenforderung des Antragsgegners bildete, angefochten und unter dem 20.10.2006 beim Finanzgericht Hamburg einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung gestellt hatte.

Die Besonderheit des vorliegenden Rechtsstreits besteht zum anderen darin, dass das Finanzgericht Hamburg mit Beschluss vom 24.1.2007 (4 V 201/06, juris) die Vollziehung des Rückforderungsbescheides vom 23.2.2000 aufgehoben hat mit der Folge, dass die vom Antragsgegner erklärte Aufrechnung wirkungslos geworden ist und ihre im Hinblick auf die mit Urteil vom 20.9.2006 (4 K 115/06) titulierte Forderung erfüllende Wirkung verloren hat. Freilich sind diese Rechtswirkungen erst eingetreten, als dem Antragsgegner der AdV-Beschluss vom 24.1.2007 (4 V 201/06) bekannt gegeben worden ist, das war der 29.1.2007 und damit fünf Tage nach Eingang des Antrags nach § 152 FGO bei Gericht. Bei Eingang des Antrags nach § 152 FGO bei Gericht - scil. am 24.1.2007 - konnte daher die Frist, die dem Antragsgegner als Vollstreckungsschuldner einzuräumen war, noch gar nicht abgelaufen gewesen sein.

Das beschließende Gericht hat schließlich erwogen, ob ein zunächst verfrühter Antrag nach § 152 FGO in die Zulässigkeit hineinwachsen kann. Dann müsste das Erfordernis des Zuwartens einer angemessenen Frist keine besondere Zugangsvoraussetzung, sondern eine bloße Sachentscheidungsvoraussetzung darstellen. Jedoch ist auch diese rechtliche Überlegung der Antragstellerin letztlich nicht behilflich. Insoweit ist nämlich einerseits zu bedenken, dass der Lauf der Frist, innerhalb derer der Antragsgegner Gelegenheit hatte, eine Vollstreckung durch freiwillige Leistung abzuwenden, erst am 29.1.2007 mit Bekanntgabe des AdV-Beschlusses vom 24.1.2007 beginnen konnte. Andererseits darf nicht außer Betracht bleiben, dass der Antragsgegner in Reaktion auf den ihm am 29.1.2007 bekannt gegebenen Beschluss des Finanzgerichts bereits am 7.2.2007 und damit rund eine Woche später die Auszahlung des titulierten Anspruchs an die Antragstellerin veranlasste und diese hierüber auch mit Schriftsätzen vom 7. und 8.2.2007 unterrichtete. Wiederum etwa eine Woche später - scil. am 14.2.2007 - erfolgte dann die Freigabe des Betrages durch die Bundeskasse. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände des zu entscheidenden Falles - denen die Antragstellerin eindeutig entnehmen konnte, dass der Antragsgegner die Forderung nunmehr ohne Verzögerungen begleichen wird - hält das beschließende Gericht dafür, dass die Antragstellerin gehalten gewesen wäre, gerichtliche Schritte bis zum Ablauf von wenigstens zwei Wochen nach Erhalt der Schriftsätze vom 7. und 8. 2 2007 zurückzustellen. Als diese Frist ablief, hatte indes die Bundeskasse den in Rede stehenden Betrag schon freigegeben. Der von der Antragstellerin gestellte Antrag nach § 152 FGO erweist sich folglich nach jeder Betrachtungsweise als verfrüht.

Die Unanfechtbarkeit der Entscheidung folgt aus § 128 Abs. 4 FGO.

Ende der Entscheidung

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