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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 21.08.2009
Aktenzeichen: 4 K 181/09
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 134
ZPO § 580
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Polen. Mit Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 nahm das beklagte Hauptzollamt den Kläger auf Zahlung von Einfuhrabgaben (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) sowie Zinsen in Höhe von insgesamt EUR 24.587.740,55 in Anspruch. In der Begründung des Bescheids heißt es u.a., dass sich der Kläger nach den Ermittlungen des Zollfahndungsamtes der gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Steuerhinterziehung in mindestens 60 Fällen in der Zeit vom 18.09.2001 bis 23.06.2003 schuldig gemacht habe, indem er gemeinschaftlich mit weiteren, gesondert verfolgten Personen handelnd unverzollte und unversteuerte Zigaretten aus Polen in das Zollgebiet der Gemeinschaft geschmuggelt habe, um diese über Deutschland nach Großbritannien weiterzutransportieren und dort abzusetzen.

Der Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 wurde dem Kläger am 31.08.2005 durch die polnischen Finanzbehörden bekannt gegeben. Der Kläger erhob gegen den Steuer- und Zinsbescheid am 11.10.2005 Einspruch, den das beklagte Hauptzollamt mit Einspruchsentscheidung vom 04.07.2006 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verwarf. Der Kläger erhob gegen die Einspruchsentscheidung vom 04.07.2006 in der Folgezeit keine Anfechtungsklage.

Am 04.09.2007 erhob der Kläger allerdings eine auf Feststellung der Nichtigkeit des Steuer- und Zinsbescheides vom 10.05.2005 gerichtete Klage, der das Finanzgericht mit Urteil vom 28.02.2008 (4 K 307/07) stattgab. Auf die vom beklagten Hauptzollamt gegen das finanzgerichtliche Urteil eingelegte Revision hob der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 17.03.2009 (VII R 40/08) das Urteil des Finanzgerichts vom 28.02.2008 (4 K 307/07) auf und wies die Klage ab.

Der Kläger hat am 19.06.2009 unter Hinweis auf § 134 FGO i.V.m. § 580 Nr. 7 b ZPO Restitutionsklage erhoben. Zur Begründung hat der Kläger eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft A vom 25.05.2009 sowie zwei Vermerke der Staatsanwaltschaft A aus dem März 2008 eingereicht, die ihm die Staatsanwaltschaft A am 25.05.2009 zugesandt hatte. In diesen Vermerken stellt die Staatsanwaltschaft A in Bezug auf den Kläger fest, dass die Ermittlungsergebnisse des Zollfahndungsamtes ausschließlich auf unverwertbaren Telefonüberwachungsmaßnahmen beruhten mit der Folge, dass das gegenüber dem Kläger eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachtes gemäß § 170 Abs. 2 StPO einzustellen sei. Mit Blick auf diese Einschätzung der Staatsanwaltschaft A meint der Kläger, dass auch der Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 auf unverwertbaren Erkenntnissen beruhe und deshalb nichtig sei. Da jedenfalls die Vermerke der Staatsanwaltschaft A im März 2008 bereits vorhanden gewesen seien, hätte er diese Urkunden in den Vorprozess einführen und verwenden können. Die erhobene Restitutionsklage rechtfertige sich vor dem Hintergrund, dass er von der Existenz dieser Beweismittel erst nach Abschluss des Vorprozesses erfahren habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17.03.2009 (VII R 40/08) aufzuheben und festzustellen, dass der Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 04.07.2006 nichtig ist.

Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es ist der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7 b ZPO seien nicht erfüllt. Außerdem äußert es Zweifel hinsichtlich der Zuständigkeit des Finanzgerichts. Da der Kläger die Aufhebung eines Urteils des Bundesfinanzhofs begehre, sei für die erhobene Restitutionsklage gemäß § 134 FGO i.V.m. § 584 ZPO der Bundesfinanzhof zuständig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 4 V 182/09 und 4 K 181/09 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

Die erhobene Restitutionsklage ist unzulässig.

Allerdings ist das Finanzgericht für das vom Kläger begehrte Restitutionsverfahren zuständig. Gemäß § 134 FGO i.V.m. § 584 ZPO ist nämlich für eine Klage auf Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens nur dann eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts gegeben, wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil aufgrund der §§ 579, 580 Nr. 4, 5 ZPO angefochten wird (vgl. BFH, Beschluss vom 26.06.2003, III K 1/03, BFH/NV 2003, 1436). In den Fällen des - wie hier - § 580 Nr. 7 ZPO ist für die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht der Bundesfinanzhof, sondern das Finanzgericht zuständig.

Die vom Kläger erhobene Restitutionsklage ist indes nicht statthaft. Denn der Kläger hat keinen Restitutionsgrund schlüssig dargelegt.

Gemäß § 134 FGO i.V.m. § 580 Nr. 7 b ZPO findet eine Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine (andere) Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand versetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Der Begriff der Urkunde im Sinne der genannten Vorschrift ist zwar nach einhelliger Auffassung weit auszulegen (vgl. nur VG Ansbach, Urteil vom 16.03.2005, AN 3 K 04.30049, [...]) und umfasst grundsätzlich alle schriftlichen Gedankenerklärungen (vgl. Musielak, in: Musielak, ZPO, 5. Auflage, § 580, Rz. 16). In der Rechtsprechung und Literatur ist allerdings auch geklärt, dass an den Inhalt einer Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO bestimmte Anforderungen zu stellen sind. So müssen sich aus der in Rede stehenden Urkunde insbesondere Tatsachen ergeben, die den Streitgegenstand des Vorprozesses betreffen und sich auf den Tatsachenstoff beziehen, auf den der Kläger in diesem Verfahren seine Klage gestützt hat (vgl. Musielak, in: Musielak, ZPO, 5. Auflage, § 580, Rz. 17), die Urkunde muss augenfällig machen, dass das mit ihr angegriffene Urteil möglicherweise der sachlichen Rechtslage nicht entspricht (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 580, Rz. 16). Die Vorschrift des § 580 Nr. 7 b ZPO verlangt mithin eine Urkunde, die aufgrund ihres spezifischen urkundlichen Erkenntnis- und Beweiswertes hinsichtlich der dem Urteil zu Grunde zu legenden Tatsachen eine für die Partei günstigere Entscheidung herbeiführen könnte (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 02.02.2006, 4 U 41/05, [...]). Unter den Begriff der Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO fallen daher beispielsweise nicht solche Urkunden, die lediglich neue Bekundungen von Sachverständigen enthalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.07.1994, 11 B 87/94, [...]; Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 580, Rz. 21). Auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stellt folglich keine Urkunde im Sinne der genannten Vorschrift dar, da es regelmäßig lediglich eine Rechtsfrage beantwortet (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 02.02.2006, 4 U 41/05, [...]). So liegt der Fall denn auch hier:

Die Vermerke der Staatsanwaltschaft A aus dem März 2008 befassen sich ausschließlich mit der rechtlichen Fragestellung, ob bezogen auf die Person des Klägers die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren verwertet werden durften. Sie enthalten weder neue Einlassungen der Beschuldigten noch sonst wie bislang nicht bekannte tatsächliche Erkenntnisse.

Das erkennende Gericht hat im zu betrachtenden Kontext bedacht, dass auch Strafbefehle und Strafurteile zum Beweis geeignete Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO sein können (vgl. BGH, Urteil vom 07.11.1990, IV ZR 218/89, NJW-RR 1991, 380; Urteil vom 06.07.1979, I ZR 135/77, NJW 1980, 1000). Ein Strafurteil bzw. Strafbefehl ist indes nicht hinsichtlich seines Ausspruchs (Tenors), sondern lediglich in Bezug auf die ihm zugrunde liegenden (tatsächlichen) Vorgänge eine zum Beweis geeignete Urkunde im Sinne der Vorschrift des § 580 Nr. 7 b ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 07.11.1990, IV ZR 218/89, NJW-RR 1991, 380). Vor diesem Hintergrund kommt dann auch die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft A vom 25.05.2009 als Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO a limine nicht in Betracht, gibt diese doch lediglich das rechtliche Ergebnis des Ermittlungsverfahrens - scil. Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts - wieder. Darüber hinaus scheidet die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft als Restitutionsgrund auch deshalb aus, weil sie erst nach Erlass des angefochtenen Urteils ergangen ist; eine im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO anzuerkennende Urkunde muss aber grundsätzlich bereits in dem Zeitpunkt errichtet worden sein, in dem sie die Partei im Vorprozess noch hätte benutzen können (vgl. nur Musielak, in: Musielak, ZPO, 5. Auflage, § 580, Rz. 21; Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 580, Rz. 16 a).

Angesichts der vorstehenden Erörterungen war die Restitutionsklage gemäß § 134 FGO i.V.m. § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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