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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 01.03.2007
Aktenzeichen: 4 K 185/06
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, MOG


Vorschriften:

AO 1977 § 236
AO 1977 § 238
AO 1977 § 239
BGB § 291
MOG § 14 Abs. 2 S. 1
MOG § 6 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

4 K 185/06

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Prozesszinsen im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage.

Das beklagte Hauptzollamt setzte gegenüber der Klägerin mit bestandskräftigem Bescheid vom 22.11.1993 Ausfuhrerstattungen in Höhe von insgesamt DM 917.947,73 fest, die es jedoch lediglich in Höhe von DM 1.128,45 an die Klägerin auszahlte. In Höhe des nicht ausgezahlten Teils von DM 916.819,28 erklärte das beklagte Hauptzollamt in dem Bescheid vom 22.11.1993 die Aufrechnung mit Rückzahlungsforderungen aus zwei von der Klägerin angefochtenen Rückforderungsbescheiden vom 8. bzw. 16.7.1993.

Die Klägerin, die die Aufrechnung mit den von ihr angegriffenen Rückzahlungsforderungen für unwirksam hielt, erhob am 15.9.1997 gegen das beklagte Hauptzollamt Leistungsklage auf Zahlung der festgesetzten Ausfuhrerstattungen in Höhe von DM 916.890,28 zuzüglich 8,75% Zinsen seit Rechtshängigkeit; dieses Verfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen IV 818/97, später unter dem Aktenzeichen 4 K 115/06 geführt.

Nachdem das Finanzgericht Hamburg mit rechtskräftigen Urteilen vom 22.2.2006 (IV 83/05 bzw. IV 84/05) die Rückforderungsbescheide vom 8. und 16.7.1993 aufgehoben hatte, verurteilte das Finanzgericht Hamburg das beklagte Hauptzollamt mit Urteil vom 20.9.2006 (4 K 115/06) auf Zahlung von DM 916.890,28 an die Klägerin. Die von der Klägerin insoweit ebenfalls geltend gemachten Prozesszinsen hatte das Gericht zuvor mit Beschluss 20.9.2006 abgetrennt; dieser Zinsanspruch ist nunmehr Gegenstand dieses Verfahrens.

Die Klägerin beantragt insoweit,

das beklagte Hauptzollamt zu verurteilen, an sie 8,75% Zinsen seit Rechtshängigkeit bezogen auf das Verfahren 4 K 115/06 (vormals IV 818/97) auf DM 916.890,28 zu zahlen.

Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 4 K 115/06 und 4 K 185/06 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 90a Abs. 1 FGO entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.

Die erhobene Leistungsklage führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zum Erfolg (Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6% Zinsen seit Rechtshängigkeit bezogen auf das Verfahren 4 K 115/06 auf DM 916.890,28 zu zahlen). Die Klägerin hat gegenüber dem beklagten Hauptzollamt Anspruch auf die geltend gemachten Prozesszinsen, allerdings lediglich in Höhe von 6%.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Zinsanspruch ist die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen (MOG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.8.1996 (BGBl. I 1986, S. 1397). Danach sind Ansprüche auf besondere Vergünstigungen, zu denen auch Ausfuhrerstattungen zählen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 MOG), ab Rechtshängigkeit nach Maßgabe der §§ 236, 238 und 239 der Abgabenordnung (AO) zu verzinsen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Streitfall erfüllt.

Allerdings hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 29.4.1997 (VII R 91/96, juris) erkannt, dass die Vorschrift des § 14 Abs. 2 MOG eine Rechtsgrundverweisung beinhalte mit der Folge, dass sie den Regelungsgehalt der Bezugsnorm, soweit sie keine eigenständige Regelung enthalte, voll in sich aufnehme. Eigenständig regele § 14 Abs. 2 Satz 1 MOG aber lediglich den Gegenstand der Prozessverzinsung sowie den Verzinsungsbeginn. Im Übrigen werde durch die vom Gesetzgeber verwandte Formulierung "nach Maßgabe" auf § 236 AO verwiesen, dessen Voraussetzungen strikt zu beachten seien. Dieses Normverständnis hätte im konkreten Fall zur Konsequenz, dass die Klägerin die geltend gemachten Zinsen nicht beanspruchen könnte. Denn der Ausfuhrerstattungsbetrag über DM 916.890,28, dessen Verzinsung die Klägerin begehrt, ist ihr nicht - so wie es die Vorschrift des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO voraussetzt - durch bzw. aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung, sondern durch Erlass des seit langem bestandskräftigen Bescheides vom 22.11.1993 gewährt worden. Mit Urteil vom 20.9.2006 (4 K 115/06) hat das Gericht das beklagte Hauptzollamt lediglich verurteilt, der Klägerin die ihr mit Bescheid vom 22.11.1993 bereits gewährten - d.h. ihr gegenüber schon festgesetzten - Ausfuhrerstattungen auch auszuzahlen.

Dem vorstehend skizzierten Normverständnis vermag sich der erkennende Senat nur bedingt anzuschließen. Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 MOG geht zurück auf den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen (BT-Drucksache 10/5236 vom 20.3.1986). In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es insoweit: "Durch die Regelung in Absatz 2 wird bestimmt, daß in Gerichtsverfahren, in denen Ansprüche auf Gewährung von besonderen Vergünstigungen und von Interventionen geltend gemacht werden, die Zinsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind. Damit richtet sich in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten wegen derartiger Vergünstigungen und wegen Abgaben im Marktordnungsrecht die Verzinsung einheitlich nach der Abgabenordnung" (BT-Drucksache 10/5236 vom 20.3.1986, S. 14). Diese Begründung des Gesetzgebers erhellt zum einen, dass für Ansprüche auf Gewährung von besonderen Vergünstigungen - zu denen auch Ansprüche auf Ausfuhrerstattungen zählen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 MOG) - eine Prozessverzinsung eingeführt werden sollte. Ansprüche auf Gewährung von besonderen Vergünstigungen, die "in Gerichtsverfahren ... geltend gemacht werden" (BT-Drucksache 10/5236 vom 20.3.1986, S. 14), können sich indes nicht nur aus dem Gemeinschaftsrecht selbst, sondern auch aus Bescheiden ergeben, die diese Ansprüche zugunsten des Begünstigten bereits festgesetzt haben, aber - wie hier - nicht zur Auszahlung gelangt sind.

Die vorstehend skizzierte Begründung des Gesetzgebers stellt zum anderen klar, dass auf Ansprüche auf Gewährung von besonderen Vergünstigungen, die gerichtlich verfolgt werden, die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches und damit vor allem auch die Regelung des § 291 BGB keine Anwendung finden. Diese Klarstellung war und ist vor dem Hintergrund angezeigt, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG (= § 8 Abs. 1 Satz 1 MOG a.F.) die Vorschriften der Abgabenordnung lediglich auf Abgaben zu Marktordnungszwecken entsprechend anzuwenden sind. Nimmt aber die Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG die besonderen Vergünstigungen von dem Verweis auf die Vorschriften der Abgabenordnung aus, so wäre mit Blick auf die marktordnungsrechtlichen besonderen Vergünstigungen der dogmatische Weg einer entsprechenden Anwendung der Zinsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches eröffnet. Dass die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches für den Bereich des Marktordnungsrechtes entsprechend Anwendung finden, hat der Bundesfinanzhof hinsichtlich der Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches - soweit nicht die Verordnung (EG, Euratom Nr. 2988/95) des Rates vom 18.12.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. Nr. 1 312/1) zur Anwendung kommt - ausdrücklich erkannt (vgl. BFH, Urteil vom 7.5.2002 - VII R 5/01 -, juris).

Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu: Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 1 MOG regelt eigenständig lediglich den Gegenstand der Verzinsung - scil. die besonderen Vergünstigungen - sowie den Zinsbeginn - scil. ab Rechtshängigkeit -. Die weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs auf Prozesszinsen sollen den Vorschriften der §§ 236, 238 bzw. 239 AO zu entnehmen sein. Als solche weiteren Voraussetzungen gelten zum einen das Zinsende und zum anderen die Zinshöhe, wobei das Zinsende der Vorschrift des § 236 AO - scil. bis zum Auszahlungstag - und die Zinshöhe der Bestimmung des § 238 AO - scil. 6% p.a. - zu entnehmen ist. Auf diese Bedeutung beschränkt sich die Formulierung in § 14 Abs. 2 Satz 1 MOG "... nach Maßgabe der §§ 236, 238 und 239 der Abgabenordnung ...". Die Aufnahme auch des § 239 AO in die Verweisungsnorm des § 14 Abs. 2 Satz 1 MOG erfolgte aus Gründen der Rechtsklarheit, auch Prozesszinsen auf Ansprüche auf Gewährung von besonderen Vergünstigungen bedürfen der Festsetzung durch Bescheid und sollen einer besonderen Festsetzungsfrist unterliegen.

Der erkennende Senat hat schließlich sehr wohl bedacht, dass der Bundesfinanzhof in gefestigter Rechtsprechung unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.9.1977 (1 BvR 571/76, juris) davon ausgeht, dass es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz auf Verzinsung rückständiger staatlicher Leistungen gebe (vgl. BFH, Urteil vom 20.4.2006 - III R 64/04 -, juris; Urteil vom 23.2.2006 - III R 66/03 -, juris). Abgesehen davon, dass diese Rechtsprechung letztlich allein die Fragestellung der Verzinsung der Erstattungsansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betrifft, Ausfuhrerstattungen indes als besondere Vergünstigungen im Sinne des § 6 Abs. 1 MOG nicht zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass öffentlich-rechtliche Geldforderungen - und hierzu zählen auch und gerade Ansprüche auf besondere Vergünstigungen - ab Rechtshängigkeit zu verzinsen sind, sofern das einschlägige Fachgesetz keine abweichende Regelung enthält (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.1.2006 - 2 B 36/05 - juris; Beschluss vom 9.2.2005 - 6 B 80/04 - juris). Letzteres trifft auf besondere Vergünstigungen nicht zu, im Gegenteil: Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 1 MOG vielmehr deutlich gemacht, dass in Bezug auf die marktordnungsrechtlichen besonderen Vergünstigungen eine Prozessverzinsung gegeben sein soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. § 709 ZPO. Gemäß § 115 Abs. 2 FGO war die Revision zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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