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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 19.06.2007
Aktenzeichen: 4 K 341/03
Rechtsgebiete: ZK, VO Nr. 2913/92 EWG


Vorschriften:

ZK Art. 220 Abs. 1
ZK Art. 220 Abs. 2 b UAbs. 4
ZK Art. 221 Abs. 3
VO Nr. 2913/92 EWG Art. 20 Abs. 3d
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

4 K 341/03

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte zu Recht Zoll nach dem Regelzollsatz mit der Begründung nacherhoben hat, die zu Grunde liegenden Warenverkehrsbescheinigungen seien unzutreffend ausgestellt worden.

Mit Zollanmeldung vom 20.06.1996 beantragte die Klägerin beim Zollamt Hamburg-1 unter Vorlage der Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 Nr. ...25 für 1.650 kg "Malassol" Kaviar die Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr. Das Zollamt nahm die Zollanmeldung unter der Registrier-Nr. ...05 an und gewährte antragsgemäß den Präferenzzollsatz "frei".

Mit Zollanmeldung vom 05.12.1996 beantragte die Klägerin beim Zollamt Hamburg-1 unter Vorlage der Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 Nr. ...19 für 353 kg Kaviar die Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr. Das Zollamt nahm die Zollanmeldung unter der Registrier-Nr. ...38 an und gewährte antragsgemäß den Präferenzzollsatz "frei".

Mit Schreiben vom 23.06.1998 teilte die ständige Vertretung der Türkei in der Europäischen Union der Europäischen Kommission - UCLAF - mit, dass die türkische Zollverwaltung im Rahmen eines Nachforschungsprozesses festgestellt habe, dass zahlreiche Warenverkehrsbescheinigungen zu Unrecht ausgestellt worden seien. Unter den zu Unrecht ausgestellten Warenverkehrsbescheinigungen sei auch die Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 Nr. ...19.

Mit Steueränderungsbescheid vom 01.04.1999 erhob das ehemalige Hauptzollamt Hamburg-2 zu den vorgenannten Abfertigungen Zoll in Höhe von 116.107,16 DM nach, weil es die entsprechenden Warenverkehrsbescheinigungen als ungültig ansah. Im Verlauf des Verfahrens stellte es zudem fest, dass die Unterschrift der ausstellenden Behörde im Feld 12 fehlte und die Warenverkehrsbescheinigung A. TR. Nr. ...25 auch schon aus diesem Grunde nicht anzuerkennen sei.

Gegen den Steueränderungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 15.04.1999 Einspruch ein, den sie u.a. wie folgt begründete:

Die Nacherhebung der Abgaben sei nicht durch Art. 220 Zollkodex (ZK) gedeckt, da der Widerruf der A. TR. Nr. ...19 rechtswidrig und die A. TR. 1 Nr. ...25 handschriftlich von der ausstellenden Behörde unterzeichnet und deshalb gültig sei. Die Abgabenforderung sei auch verjährt, weil eine Mitteilung an den Zollschuldner gem. Art. 221 ZK nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Entstehen der Zollschuld nicht mehr habe erfolgen dürfen.

Mit Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 15.03.2001 wurden die Hauptzollämter neu gegliedert und in der Folge das Zollamt Hamburg-1 dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten zugeordnet. Mit Schreiben vom 20.01.2003 widersprach die Klägerin der beabsichtigten Fortführung des Verfahrens durch das zwischenzeitlich in Hauptzollamt Hamburg-3 umbenannte Hauptzollamt Hamburg-2. Die Bearbeitung des Verfahrens ging deshalb zuständigkeitshalber auf den Beklagten über. Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 01. Dezember 2003 wies der Beklagte den erhobenen Einspruch als unbegründet zurück. Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage vom 29. Dezember 2003, zu deren Begründung die Klägerin u.a. Folgendes vorträgt:

Die von ihr beantragte Präferenzbehandlung des eingeführten Kaviars sei von den Zollbehörden zu gewähren, da die Voraussetzungen für die Durchführung der Vorschriften über den freien Warenverkehr zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaft erfüllt gewesen seien. Der Nachweis hierüber sei von der Klägerin durch die Warenverkehrsbescheinigungen A. TR. 1 Nr. ...25 sowie Nr. ...19 erbracht.

Diese Warenverkehrsbescheinigungen seien gültig. Dies ergebe sich aus Art. 4 i.V.m. Art. 3 des Beschlusses Nr. 1/95 des Assoziationsrates EG - Türkei vom 22.12.1995 über die Durchführung der Endphase der Zollunion. Danach werde für die Gewährung des Präferenzzollsatzes nicht allein auf den Ursprung der Waren in der Türkei abgestellt, vielmehr sei ausreichend, dass sich die Waren in der Türkei im freien Verkehr befunden hätten (sog. Freiverkehrseigenschaft). Jedenfalls diese Freiverkehrseigenschaft habe hinsichtlich des von der Klägerin importierten Kaviars vorgelegen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten weise die Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 Nr. ...25 eine Unterschrift auf. Denn unter dem im Feld 12 der Warenverkehrsbescheinigung aufgebrachten Stempel unterhalb des Aufdrucks "stamp" sei eine Unterschrift zu erkennen.

Zudem wäre selbst aus einer fehlenden Unterschrift im Streitfall keine Ungültigkeit der Warenverkehrsbescheinigung abzuleiten. Denn das Fehlen einer Unterschrift könne dann als unbeachtlich angesehen werden, wenn - wie im Streitfall - aus den gesamten Umständen zweifelsfrei hervorgehe, dass es sich um eine abschließende, für den Bürger bestimmte Entscheidung handle.

Die Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 Nr. ...19 sei nicht in Folge eines Widerrufs ungültig geworden. Das Schreiben der ständigen Vertretung der Türkei bei der Europäischen Union vom 23.06.1998 sei nicht geeignet, die Richtigkeit der vorgenannten Warenverkehrsbescheinigung in Zweifel zu ziehen. Weder sei in dem Schreiben ein Widerruf der Warenverkehrsbescheinigung Nr. ...19 erklärt noch sei die ständige Vertretung der Türkei für einen Widerruf dieses A. TR. 1-Zeugnisses zuständig oder ermächtigt gewesen.

Eine Nachbelastung durch den angefochtenen Steuerbescheid sei auch nicht innerhalb der in Art. 221 Abs. 3 ZK festgelegten Frist erfolgt und deshalb unzulässig.

Jedenfalls sei ihr (der Klägerin) Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 b ZK u.a. deshalb zu gewähren, weil sie im Hinblick auf die Ursprungseigenschaft gutgläubig gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Steueränderungsbescheid des Hauptzollamtes Hamburg-2 vom 01.04.1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 01.12.2003 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung, worauf Bezug genommen wird. Ergänzend trägt er u.a. Folgendes vor:

Verjährung sei nicht eingetreten. Die Zollschuld sei mit der Annahme der jeweiligen Zollanmeldung zur Überführung in den freien Verkehr am 02.06.1996 bzw. am 05.12.1996 entstanden. Der Steueränderungsbescheid sei am 08.04.1999, und damit innerhalb der Frist von drei Jahren gem. Art. 221 Abs. 3 ZK, der Klägerin mitgeteilt worden.

Die Warenverkehrsbescheinigung A. TR.1 Nr. D...25 sei schon wegen der fehlenden Unterschrift ungültig.

Soweit zur Gültigkeit der vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen erstmalig im Klagverfahren vorgetragen werde, dass sich der importierte Kaviar in der Türkei auf jedem Fall im freien Verkehr befunden habe, sei dem zu entgegnen, dass entgegen der Auffassung der Klägerin die Präferenzregeln im Warenverkehr mit der Türkei bei der Einfuhr der streitbefangenen Ware nur dann angewendet werden könnten, wenn die Ware ihren Ursprung in der Türkei habe (Anhang Nr. 6 Art. 16 des Zusatzprotokolls zum Abkommen über die Assoziation zwischen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 23.11.1970 (Amtsblatt der EG Nr. 1 293 vom 29.12.1972 i.V.m. dem Beschluss des Assoziationsrats Nr. 4/72 vom 29.12.1972, Amtsblatt EG Nr. 1 59 vom 05.03.1973). Nach der Mitteilung der ständigen Vertretung der Türkei bei der Europäischen Union vom 11.08.1999 (Heft II Bl. 171) sei zumindest der in der Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 Nr. ...19 beschriebene Kaviar im Rahmen einer aktiven Veredlung aus Russland in die Türkei eingeführt und nach dem Verpacken in die EU wieder ausgeführt worden. Die Ware habe also weder ihren Ursprung in der Türkei noch habe sie sich in der Türkei im freien Verkehr befunden.

Nach den zwischenzeitlich eingeholten Auskünften der türkischen Behörden sei im Hinblick auf die Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 Nr. D...19 (nunmehr) wohl von einem für die Klägerin nicht erkennbaren Irrtum der zuständigen Behörden auszugehen. Gleichwohl könne der Klägerin kein Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 b ZK gewährt werden, da sie nicht gutgläubig gehandelt habe.

Die Sachakten des Beklagten haben vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Der Beklagte hat zu Recht Zoll in Höhe von DM 91.921,72 (zur Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 D...25) nacherhoben (dazu nachfolgend unter 1). In Höhe von DM 24.185,44 (zur Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 D...19) hat die Klage dagegen Erfolg, da zugunsten der Klägerin Vertrauensschutz eingreift (dazu nachfolgend unter 2).

1. Nacherhebung zur Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 D...25

a) Die beantragte Präferenzbehandlung kann nur gewährt werden, wenn die Voraussetzungen für die Durchführung der Vorschriften über den freien Warenverkehr zwischen der Türkei und der Gemeinschaft erfüllt sind. Der hierfür erforderliche Nachweis wird durch die Warenverkehrsbescheinigung A. TR.1 erbracht, Art.20 Abs. 3 d VO (EWG) Nr. 2913/92 (ABl. EG Nr. L 302/1 vom 19.10.1992 -Zollkodex-), in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 Beschluss Nr. 1/96 des Ausschusses für Zusammenarbeit im Zollwesen EG/Türkei zur Festlegung der Durchführungsvorschriften zu dem Beschluss Nr. 1/95 des Assoziationsrates EG/Türkei vom 20. Mai 1996 (ABl. EG Nr. L 200 vom 9.8.1996, S. 14) und Art. 3 Abs. 1 Beschluss Nr. 1/95 vom 22.12.1995 (ABl. EG Nr. L 35 vom 13.02.1996, S. 1).

b) Eine gültige Warenverkehrsbescheinigung setzt u.a. voraus, dass in Feld 12 der Stempelabdruck der zuständigen Behörde und die Unterschrift des abfertigenden Beamten angebracht ist. An Letzterem fehlt es bei der A. TR.1 D...25. Die unter dem Aufdruck "stamp" befindlichen verschmierten Striche vermag der Senat nicht als eine Unterschrift zu identifizieren.

Der Senat ist dem Antrag der Klägerin nicht gefolgt, die im Termin sistierte Zeugin zu dem Beweisthema zu hören, dass die Kopie der Warenverkehrsbescheinigung eine Unterschrift erkennen lässt. Denn die Kopie der Warenverkehrsbescheinigung ist rechtlich (völlig) unerheblich. Rechtlich maßgebend ist allein das von der Klägerin bzw. der von ihr beauftragten Spedition zur Zollabfertigung vorgelegte Original der Warenverkehrsbescheinigung. Zur Überzeugung des Senates steht aufgrund Augenscheinseinnahme des Originals fest, dass dort in Feld 12 kein Handzeichen zu erkennen ist, das als Unterschrift beurteilt werden kann.

c) Anders als die Klägerin meint kann das Fehlen einer Unterschrift auch nicht als unbeachtlich angesehen werden. Allein aus dem aufgebrachten Stempelausdruck kann nämlich noch nicht geschlossen werden, dass die streitgegenständliche Warenverkehrsbescheinigung eine endgültige Entscheidung der zuständigen Behörde darstellt.

d) Da die Klägerin nicht den ihr obliegenden Nachweis für die Präferenzbehandlung der eingeführten Waren geführt hat, hat der Beklagte nach Art. 220 Abs. 1 ZK in nicht verjährter Zeit zu Recht Abgaben nach dem Regelzollsatz von 24% in Höhe von DM 91.921,72 nacherhoben.

e) Gegen diese Nacherhebung kann die Klägerin sich nicht etwa auf Vertrauensschutz, auch nicht auf Vertrauensschutz gemäß Art. 220 Abs. 2 b ZK in der Fassung der VO (EG) Nr. 2700/00 (ABl. EG Nr. L 311 vom 12.12.2000, S. 17) berufen, da es an einer formell einwandfreien Warenverkehrsbescheinigung fehlt.

2. Vertrauensschutz zur Warenverkehrsbescheinigung A. TR.1 D...19

Der Nacherhebung in Höhe von DM 24.185,44 steht dagegen Vertrauensschutz entgegen.

a) Nach der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 9.3.2006, C-293/04 ist die durch die VO (EG) Nr.2700/2000 eingeführte Neuregelung des Art. 220 Abs. 2 b ZK auch rückwirkend und damit auch auf den Streitfall anwendbar. Da die Warenverkehrsbescheinigung A. TR. 1 D...19 formell einwandfrei und gültig ist, kommt sie als Grundlage für einen Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 b ZK in Betracht.

b) Den vom Beklagten eingeholten Auskünften der türkischen Behörden vom 25.07.2005 und 02.04.2007 lässt sich nicht entnehmen, dass die - unterstellte - unrichtige Bescheinigung auf einer unrichtigen Darstellung der Fakten seitens des Ausführers beruht, so dass von einem für die Klägerin nicht erkennbaren Irrtum der Zollbehörden auszugehen ist.

c) Dem Vertrauensschutz steht nicht - wie der Beklagte meint - fehlende Gutgläubigkeit der Klägerin nach Art. 220 Abs. 2 b UAbs. 4 ZK entgegen.

Gutgläubigkeit setzt voraus, dass der Einführer festgestellt haben muss, dass für die beabsichtigte Einfuhrware bei der ihm bekannten Herstellung oder Fertigung im Ausfuhrland die Präferenzbehandlung rechtlich und tatsächlich möglich ist. Eine Informationspflicht des Einführers, sich nach Herkunft und Zollstatus einzelner Waren zu erkundigen, besteht nur bei Zweifeln, zumal sich mit dem Einführer nicht verbundenen Ausführer insoweit auf ihr Geschäftsgeheimnis berufen können (EuG v. 10.5.2001 T-186/97; Witte/Alexander, ZK, 4. Aufl., Art. 220 Rz. 77, 78).

Der Geschäftsführer der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 15. November 2006 zu Protokoll glaubhaft erklärt, dass er in dem fraglichen Zeitraum wiederholt in der Türkei gewesen sei, dort die Verhältnisse des Exporteurs beurteilt und selber festgestellt habe, dass dort Kaviar in erheblichen Mengen gewonnen werde. Der Geschäftsführer hat weiterhin darauf hingewiesen, dass von den im fraglichen Zeitraum importierten 19.000 kg Kaviar (nur) 8.000 kg Kaviar mit der Warenverkehrsbescheinigung A. TR.1 eingeführt worden sei. Für den Rest (11.000 kg) sei keine Bescheinigung A. TR.1 beantragt worden, weil es sich eben nicht um Kaviar türkischen Ursprungs gehandelt habe. Dieses ist nach Ansicht des Senats ein Indiz dafür, dass die Klägerin sorgfältig und gewissenhaft mit der Anwendung von Zollpräferenzen umgegangen ist. Anhaltspunkte für eine fehlende Gutgläubigkeit der Klägerin sind für den Senat nicht ersichtlich.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 151 Abs. 2, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe gem. § 115 Abs. 2 FGO die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben. Die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalles.



Ende der Entscheidung

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