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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 05.07.2007
Aktenzeichen: 4 V 202/06
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 2 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

4 V 202/06

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsgegner (Ag) zu Recht seine Zinsbescheide vom 15.05.2003 nur gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt hat.

Mit Rückforderungsbescheid vom 22.09.1999 in der Fassung späterer Berichtigungsbescheide forderte der Ag von der Antragstellerin (Ast) gewährte Ausfuhrerstattung, teilweise zuzüglich einer 50%igen Sanktion zurück. Über den gegen diese Bescheide eingelegten Einspruch wurde bislang noch nicht abschließend entschieden.

Die Vollziehung der angeforderten Beträge wurde mit Verwaltungsakt vom 27.03.2003 ausgesetzt. Für den Teilbetrag in Höhe von insgesamt 92.657,87 EUR wurde die Wirksamkeit der Aussetzung der Vollziehung jedoch von der Hinterlegung einer Sicherheit abhängig gemacht. Die Sicherheit wurde geleistet.

Ferner setzte der Ag für einen Teilbetrag der Rückforderung in Höhe von insgesamt 197.059,27 EUR mit Zinsbescheiden vom 15.05 Mai 2003 die bis zum 30.04.2003 aufgelaufenen Zinsen in Höhe von insgesamt 86.927,42 EUR fest. Gegen diese Zinsanforderung legte die Ast form- und fristgerecht Einspruch ein und stellte einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Der Einspruch wird beim Ag unter RL .../03 geführt.

Mit Verwaltungsakt vom 18. Juli 2003 setzte der Ag die Vollziehung der strittigen Zinsbescheide aus. Für einen Teilbetrag in Höhe von 17.629,32 EUR wurde die Aussetzung der Vollziehung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht. Gegen diese Entscheidung legte die Ast insoweit Einspruch ein, als für einen Teilbetrag in Höhe von 17.629,32 EUR die Leistung einer Sicherheit gefordert wurde.

Den Einspruch wies der Ag mit seiner Einspruchsentscheidung vom 21.09.2006 als unbegründet zurück. Die Ast begehrt deshalb vom Gericht die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung. Zur Begründung trägt sie u.a. Folgendes vor:

Zu Zinsbescheid Nr. ...04/01

Der diesem Zinsbescheid zu Grunde liegende Rückforderungsbescheid sei rechtswidrig. Da entgegen der Ansicht des Ag der im Erstattungsverfahren vorgelegte CMR-Frachtbrief vom 30.08.1995 den Anforderungen des Art. 18 Abs. 3 Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 entsprochen habe. Jedenfalls sei im Rückforderungsverfahren unstreitig ein vollständiges Beförderungspapier vorgelegt worden, weshalb eine Rückforderung ausscheide.

Zu Zinsbescheid Nr. ...05/01

Der diesem Zinsbescheid zu Grunde liegende Rückforderungsbescheid sei ebenfalls rechtswidrig. Denn die Rückforderung könne nicht damit begründet werden, dass für einen Großteil des nach Slowenien ausgeführten Rindfleisches eine Befreiung von Einfuhrabgaben gewährt worden sei. Denn Voraussetzung für die Gewährung einer differenzierten Erstattung sei nicht die Zahlung drittländischer Einfuhrabgaben, sondern die Vermarktung der Erstattungsware im Bestimmungsdrittland. Diese Vermarktung sei erfolgt. Es sei unstreitig, dass sie (die Ast) für eine Teilmenge eine Gutschrift aufgrund einer Reklamation des Kunden erteilt habe, so dass feststehe, dass dieser die Ware erhalten habe. Wenn der Ag behaupte, der Verbleib der Ware sei nicht nachweisbar, widerspreche er sich selber.

Die Ast beantragt,

die Vollziehung der Zinsbescheide des Ag vom 15.05.2003 Nr. ...04/01 und ...05/0 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Der Ag beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung vom 21.09.2006. Ergänzend trägt er u.a. Folgendes vor:

In rechtlicher Hinsicht sei zweifelhaft, ob ein Zinsanspruch gem. Art. 11 Abs. 2 Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 i.V.m. § 14 Abs. 1 MOG bestehe. Maßgeblich für die Klärung werde der Ausgang des beim Ag unter RL .../99 anhängigen Rechtsbehelfsverfahren sein. Da derzeit nicht mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit von der Rechtswidrigkeit der zu Grunde liegenden Rückforderung ausgegangen werden könne, sei weiterhin die Aussetzung der Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung geboten.

Der vom Senat in seinem Beschluss vom 24.01.2007, Az.: 4 V 201/06 vertretenen Auffassung, wonach in Fällen der Rückforderung von endgültig gewährter Ausfuhrerstattung bei Vorliegen von ernstlichen Zweifel die Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich ohne Sicherheitsleistung zu gewähren sei, könne der Ag nicht beipflichten. Dem stehe Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1290/2005 vom 21. Juni 2005 entgegen, wonach es Sache der Mitgliedstaaten sei, für einen wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu sorgen, insbesondere die infolge von Unregelmäßigkeiten abgeflossenen Beträge wieder einzuziehen. Es müssten deshalb alle Möglichkeiten und Mittel ausgeschöpft werden, um die Wiedereinziehung zu gewährleisten. Dazu gehöre in Zweifelsfällen wie dem vorliegenden auch die Anforderung einer Sicherheitsleistung.

Die Sachvorgänge des Ag haben vorgelegen.

II. Der zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung ist zulässig und begründet.

1. Im Streitfall beurteilt sich die begehrte finanzgerichtliche Aussetzung der Vollziehung nach Maßgabe des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 und 3 FGO. Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 - 6 FGO entsprechen. Danach soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen.

Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, dass im Hinblick auf die angefochtenen Zinsbescheide derartige ernstliche Zweifel bestehen, so dass die Aussetzung der Vollziehung anzuordnen ist.

2. Die Aussetzung der Vollziehung ist im Streitfall nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.

a) Die Entscheidung über die Anordnung einer Sicherheitsleistung stellt gem. § 69 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO eine Ermessensentscheidung dar, die im Fall des gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung das Gericht originär zu treffen hat; das Gericht ist hierbei nicht auf die Überprüfung der Entscheidung der Verwaltung beschräkt. Die zu treffende Ermessensentscheidung hat sich regelmäßig am Zweck der Sicherheitsleistung zu orientieren, nämlich Steuer- und Abgabenausfälle bei einem für den Steuer- bzw. Abgabenpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang zu vermeiden.

Die Gefahr von Steuerausfällen kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen bestehen, wobei die Sicherheitsleistung ausschließlich vor einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse schützen soll.

b) Andere rechtliche Maßstäbe lassen sich auch nicht aus Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 3 VO (EG) Nr. 1290/2005 (nachfolgend: Finanzierungsverordnung) entnehmen, wonach die Mitgliedstaaten alle sonstigen Maßnahmen erlassen, um einen wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu gewährleisten, insbesondere um die infolge von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge wieder einzuziehen. Dieser Regelung - und auch keiner anderen in dieser Verordnung - kann nicht entnommen werden, dass in Fällen der Rückforderung von endgültig gewährter Ausfuhrerstattung die Aussetzung der Vollziehung bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren ist. Denn ein wirksamer Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft ist auch dann gewährleistet, wenn auf die Gefahr des Forderungsausfalls abgestellt wird. Ist die Gefahr eines Forderungsausfalls bei einem für den Antragsteller ungünstigen Prozessausgang nicht gegeben, dann erfordert dieser Schutz nicht die Anordnung einer Sicherheitsleistung.

Da dem so ist, kann offen bleiben, ob die Finanzierungsverordnung im Streitfall überhaupt Anwendung finden kann. Denn in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 3 VO (EG) Nr. 1290/2005 ist von "abgeflossenen Beträgen" die Rede. Solche "abgeflossenen Beträge" dürften zu Unrecht ausgezahlte Ausfuhrerstattungen sein, aber wohl nicht die auf die Rückforderungsbeträge angeforderten Zinsen.

Schließlich kann auch offen bleiben, ob die Finanzierungsverordnung, die das Verhältnis der Europäischen Union (des EAGFL) zu den Mitgliedstaaten betrifft, überhaupt Auswirkungen auf § 69 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO und damit auf die vom Gericht zu treffende Ermessensentscheidung haben kann, die die Rechtsbeziehung EU-Bürger zur nationalen Behörde regelt.

c) Im Streitfall ist die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung zu gewähren. Der angeforderte Zinsbetrag in Höhe von insgesamt 17.629,32 EUR ist verhältnismäßig gering. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Gefahr des Abgabenausfalls aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ast bei einem ihr ungünstigen Verfahrensausgang gegeben sein könnte. Bei dieser Sachlage obliegt es der Ast nicht, Umstände glaubhaft zu machen, die das Sicherungsbedürfnis des Ag entkräften (vgl. Tipke/Kruse, § 69 FGO, Rz. 109 mit Rechtsprechungsnachweisen).

3. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 24.01.2007, 4 V 201/06 die Auffassung vertreten, dass wegen der Besonderheiten bei der Rückabwicklung von Subventionsverhältnissen in Fällen der Rückforderung von endgültig gewährten Ausfuhrerstattungen bei Vorliegen ernstlicher Zweifel die Vollziehung grundsätzlich ohne Sicherheitsleistung auszusetzen ist Daran hält er fest.

Es kann offen bleiben, ob im Streitfall die Nichtanordnung einer Sicherheitsleistung auch auf diesen Gesichtspunkt gestützt werden könnte, da schon wegen der fehlenden Gefährdung des Zinsanspruchs eine Sicherheitsleistung nicht in Betracht kommt.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 135 Abs. 1, 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO. Der Senat hat die Beschwerde nicht zugelassen, da die Entscheidung über die Anforderung einer Sicherheitsleistung eine originäre Ermessensentscheidung des Senats ist.

Die Beschlüsse des BFH vom 14.06.2006 VII B 317/05 und 318/05 stehen der Entscheidung des Senats nicht entgegen. Der BFH ist dort der vom Senat vertretenen Ansicht, dass eine große Wahrscheinlichkeit für die Nichtgeltung der Vorlagefristen im Rückforderungsverfahren spreche (bestätigt durch EuGH, Urt. v. 21.06.2007, C-428/05) und deshalb die Anforderung einer Sicherheitsleistung entbehrlich sei, nicht gefolgt. Auf diesen Gesichtspunkt stützt sich im Streitfall die Entscheidung nicht.

Ende der Entscheidung

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