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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 02.08.2006
Aktenzeichen: 5 K 30/06
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 56
AO 1977 § 122 Abs. 1 S. 1
AO 1977 § 122 Abs. 1 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

5 K 30/06

Tatbestand:

A.

Streitig ist, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist zu gewähren ist.

Materiell-rechtlich geht es darum, ob im Rahmen der Einnahme-Überschussrechnung für das Jahr 2002 zusätzliche Betriebsausgaben zu berücksichtigen sowie von der Klägerin vorgenommene Einzahlungen als Privateinlagen zu behandeln und die Einkommen- und Umsatzsteuerfestsetzung für 2002 entsprechend anzupassen sind.

I.

1.

Die Klägerin betreibt im ... Einkaufszentrum in Hamburg eine Salat- und Saftbar.

2.

Die Gewinnermittlung der Klägerin nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) für das Jahr 2002 sowie die Einkommen- und Umsatzsteuererklärung für 2002 wurden von dem Steuerberater B erstellt. Beide Steuererklärungen einschließlich Gewinnermittlung gingen am 21. Juli 2003 beim FA ein (Einkommensteuer-Akte -ESt-A- Bl. 5 ff; Umsatzsteuer-Akte -USt-A- Bl. 1 f).

3.

Das Steuerberatungsunternehmen des Herrn B wurde im April 2004 von der ... Steuerberatungsgesellschaft mbH (F-GmbH) aus der Insolvenzmasse heraus gekauft. Herr B war ab diesem Zeitpunkt für die F-GmbH als Steuerberater tätig.

Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) änderte mit Änderungsnachweis vom 10. Mai 2005 die Daten des Empfangsbevollmächtigten der Klägerin entsprechend auf die der F-GmbH ab (ESt-A Bl. 19).

4.

Laut Schreiben der Steuerberaterkammer Hamburg vom 2. März 2006 ist Herr B ab dem 28. Januar 2005 kein Steuerberater und damit auch kein Mitglied der Steuerberaterkammer Hamburg mehr.

Geschäftsführer der F-GmbH war bis Mitte Februar 2006 Steuerberater J gewesen, seitdem ist es Steuerberater E (Finanzgerichtsakte -FG-A- Bl. 39 f, 50).

5.

Unter dem 31. Januar 2005 (Eingang: 2. Februar 2005) teilte die F-GmbH dem FA mit, dass sie die Klägerin nicht mehr betreue. Die Unterschrift auf dem Schreiben ist unleserlich (ESt-A Bl. 22), sie entspricht anderweitigen Unterschriften von Herrn B (vgl. z.B. Rechtsbehelfs-Akte -Rb-A- Bl. 15, FG-A Bl. 17).

II.

1.

Abweichend von den eingereichten Erklärungen der Klägerin für das Jahr 2002 behandelte das FA in dem Einkommensteuerbescheid und dem Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 1. April 2005 als Privateinlagen deklarierte Einzahlungen der Klägerin in Höhe von insgesamt 38.854,49 EUR stattdessen als steuerpflichtige Einnahmen und davon netto 36.312,60 EUR als Umsatzerlöse und versagte es aus drei Rechnungen in Höhe von zusammen netto 11.880,10 EUR + 16% USt 1.900,81 EUR = brutto 13.780,91 EUR den Betriebsausgaben- und Vorsteuerabzug (ESt-A Bl. 29 ff; USt-A Bl. 10 ff).

2.

Mit Schreiben vom 12. April 2005, eingegangen am 14. April 2005, legte die F-GmbH für die Klägerin Einspruch sowohl gegen den Einkommensteuerbescheid als auch gegen den Umsatzsteuerbescheid 2002 ein. Das Schreiben ist mit B unterzeichnet; der Briefkopf enthält die Angaben "... (B) Steuerberater (§ 58 StBerG)" (Rb-A Bl. 11).

3.

Das FA forderte daraufhin unter dem 18. April 2005 eine aktuelle Vollmacht von der F-GmbH an (Rb-A Bl. 13). Diese ging am 3. Mai 2005 mit Anschreiben unter den vorgenannten Briefkopfangaben der F-GmbH vom 27. April 2005 und mit Unterschrift "B..." beim FA ein (Rb-A Bl. 15 f). Die Vollmacht ist mit "R..." unterschrieben und mit dem Firmenstempel der F-GmbH versehen (Rb-A Bl. 16).

4.

Mit Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 wies das Finanzamt die Einsprüche der Klägerin als unbegründet zurück, da die Zahlungsvorgänge, die zu den streitigen Abweichungen in den Steuererklärungen geführt hätten, weiterhin nicht nachgewiesen seien. Die Feststellungslast (§§ 90 ff. Abgabenordnung -AO-) liege insoweit bei der Klägerin.

Die Einspruchsentscheidung wurde mit einfachem Brief zur Post gegeben und war an die Anschrift der F-GmbH gerichtet (Rb-A Bl. 30). Dort ging sie am 27. Oktober 2005 ein und wurde mit einem Eingangsstempel versehen. Unter dem Eingangsstempel befindet sich der handschriftliche Namensvermerk "...B./Pa" (FG-A Bl. 15).

Binnen der einmonatigen Frist wurde nach der Einspruchsentscheidung keine Klage erhoben.

5.

Zwischenzeitlich war Herr B bereits seit dem 30. September 2005 nicht mehr für die F-GmbH tätig, wie nach seiner schriftlichen Erklärung vom 1. Februar 2006 und nach Beweisaufnahme unstreitig ist (FG-A Bl. 17, 85).

6.

Aus einem Aktenvermerk des FA geht hervor, dass am 2. Januar 2006 "Herr und Frau R..." an Amtsstelle erschienen seien und erklärt hätten, nichts von der Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 gewusst zu haben (Rb-A Bl. 34).

7.

Laut einem weiteren Aktenvermerk des FA habe am 3. Januar 2006 Frau K von der F-GmbH angerufen und darum gebeten, keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Klägerin zu ergreifen. Sie wolle eine Vollmacht einreichen und sich bis zum 10. Januar 2006 melden (Rb-A Bl. 36).

8.

Aus einem anderen Telefonvermerk des FA ergibt sich, dass am 31. Januar 2006 ein "Herr B... (?)" angerufen und mitgeteilt habe, dass er die fehlenden Unterlagen für die Steuererklärungen 2002 nachreichen wolle. Nach einem Hinweis auf die bereits ergangene ablehnende Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 habe er geäußert, dass ihm diese nicht bekannt sei (Rb-A Bl. 36R).

Am gleichen Tag habe ausweislich eines weiteren Telefonvermerks auch ein "Herr R..." angerufen und von Auseinandersetzungen mit der F-GmbH berichtet. Er erhalte von dort keine Unterlagen, auch sei ihm die Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 nicht bekannt (Rb-A Bl. 37).

Ebenfalls unter dem 31. Januar 2006 kündigte die F-GmbH gegenüber der Klägerin das Mandat. Unter dem Briefkopf ist als Steuerberater nur noch der Geschäftsführer J aufgeführt. Unter der unleserlichen Unterschrift befindet sich der Hinweis "J... (nach Diktat verreist)" Mit diesem Schreiben übersandte die F-GmbH der Klägerin auch auszugsweise Kopien von deren Steuerunterlagen einschließlich Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 (FG-A Bl. 16).

Das FA vermerkte einen Tag später am 1. Februar 2006, dass der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Rechtsanwalt G, telefonisch bestätigt habe, dass ihm die Einspruchsentscheidung nunmehr vorliege (Rb-A Bl. 38).

9.

Im Schreiben vom 10. Februar 2006 an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestreitet die F-GmbH, wirksam das Mandat für die Klägerin übernommen zu haben. Die Klägerin habe vielmehr Herrn B bevollmächtigt. Dieser habe zwar jeglichen Schriftverkehr auf dem Briefpapier der F-GmbH durchgeführt, aber weder Geschäftsführungsbefugnisse noch andere Vertretungsberechtigungen gehabt. Die F-GmbH sei allein durch Steuerberater J gesetzlich vertreten worden (FG-A Bl. 20).

III.

Zur Begründung ihrer am 14. Februar 2006 erhobenen Klage trägt die Klägerin vor (FG-A Bl. 1 ff, 23 ff):

Ihr sei im Hinblick auf die versäumte Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da sie erst Anfang 2006 davon erfahren habe, dass eine Einspruchsentscheidung ergangen sein soll. Erst nachdem Herr D, der Lebensgefährte der Klägerin, bei der F-GmbH persönlich um Auskunft gebeten habe, habe sie (die Klägerin) mit Schreiben vom 31. Januar 2006 mit ihren Steuerunterlagen auch die Einspruchsentscheidung des FA erhalten. Die Zwei-Wochen-Frist für den Wiedereinsetzungsantrag habe daher frühestens am 1. Februar 2006 zu laufen begonnen.

Für den Fall, dass mit dem Schreiben vom 12. April 2005 wegen Vertretungszweifeln noch kein wirksamer Einspruch gegen den Einkommen- und den Umsatzsteuerbescheid 2002 eingelegt worden sei, habe sie vorsorglich mit Schreiben vom 9. März 2006 erneut Einspruch beim FA gegen diese Bescheide eingelegt sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Materiell-rechtlich führt sie aus, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb nicht um die von ihr - der Klägerin - vorgenommenen Bareinlagen zu erhöhen seien. Es handele sich dabei um ein von dem Bruder ihres Lebensgefährten, Herrn M, gewährtes Darlehen. Die nicht als Betriebsausgaben anerkannten Rechnungsbeträge seien bereits durch Kopien belegt worden.

Der Klägerin beantragt sinngemäß (FG-A Bl. 1 f.),

jeweils unter Gewährung von Wiedereinsetzung in die Klagefrist

den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 1. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer herabgesetzt wird, indem bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb als weitere Betriebsausgaben Kosten für die Inneneinrichtung in Höhe von 13.780,91 EUR berücksichtigt und die vorgenommenen Einzahlungen in Höhe von insgesamt 38.854,49 EUR als Privateinlagen behandelt werden,

den Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 1. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 dahin zu ändern, dass weitere Vorsteuern in Höhe von 1.900,81 EUR berücksichtigt und die Umsätze um 36.312,60 EUR herabgesetzt werden.

Das FA beantragt (FG-A Bl. 47),

den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzulehnen und die Klage abzuweisen.

Das FA trägt vor (FG-A Bl. 47 f):

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren. Die angefochtene Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 sei wirksam zu Händen der F-GmbH bekannt gegeben worden. Die von der Klägerin auf die F-GmbH ausgestellte und am 3. Mai 2005 eingegangene Vollmacht sei zwischenzeitlich nicht widerrufen worden. Die F-GmbH habe die Versäumung der Klagefrist verschuldet, was sich die Klägerin zurechnen lassen müsse.

IV.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 22. Juni 2006 dem Einzelrichter übertragen.

Der Einzelrichter hat in der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2006 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen H und in der mündlichen Verhandlung vom 2. August 2006 durch Vernehmung der Zeugen E und M.

Der Einzelrichter nimmt ergänzend Bezug auf die Sitzungsniederschriften (FG-A Bl. 61 ff und 84 ff) und auf die oben angeführten Unterlagen und die damit zusammenhängenden Schriftstücke aus der Finanzgerichts-Akte (FG-A) sowie aus folgenden Steuerakten des FA:

Umsatzsteuerakte (USt-A)

Einkommensteuerakte (ESt-A),

Rechtsbehelfsakte (Rb-A).

Entscheidungsgründe:

B.

I.

Die Klage ist unzulässig. Sie ist verspätet erhoben worden. Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

1.

Die Klage vom 14. Februar 2006 ist nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist (§ 47 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-) beim Gericht eingegangen.

Die Klagefrist beginnt grundsätzlich mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (§ 47 Abs. 1 S. 1 FGO).

a) Die mit einfachem Brief zur Post gegebene und an die F-GmbH adressierte Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 gilt nach der Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO i.V.m. § 108 Abs. 3 AO am Montag 31. Oktober 2005 als bekannt gegeben (zur Anwendbarkeit von § 108 Abs. 3 AO vgl. BFH vom 14. Oktober 2003, IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898). Die einmonatige Klagefrist endete danach am 30. November 2005 (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung -ZPO-, § 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-).

b) Die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die F-GmbH wirkt auch gegenüber der Klägerin.

Gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist. Nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO kann der Verwaltungsakt auch einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden.

Im Streitfall hat das FA die Einspruchsentscheidung zutreffend der F-GmbH bekannt geben. Für die F-GmbH bestand (zumindest) im Außenverhältnis Vollmacht.

Ausweislich der auf Aufforderung des FA dort mit Schreiben vom 27. April 2005 unter dem Briefkopf der F-GmbH eingereichten Vollmachtsurkunde war die F-GmbH von der Klägerin bevollmächtigt, sie in steuerlichen Angelegenheiten vor Behörden und Gerichten zu vertreten und u.a. rechtsverbindliche Erklärungen entgegenzunehmen. Es bestand insofern für das FA zumindest der Rechtsschein einer wirksamen Bevollmächtigung der F-GmbH durch die Klägerin. Auch Personen, die nach Rechtsscheinsgrundsätzen bevollmächtigt sind, fungieren als Bevollmächtigte i.S.d. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO (BFH vom 3. März 2003, IX B 206/02, BFH/NV 2003, 884).

Bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ging beim FA auch kein diesbezüglicher Widerruf ein. Nach den §§ 170, 172 BGB bleibt eine Vollmacht, die einem Dritten durch Vorlage einer von dem Vollmachtgeber dem Vertreter ausgehändigten Vollmachtsurkunde angezeigt wird, dem Dritten gegenüber jedoch solange wirksam, als ihm nicht von dem Vollmachtgeber das Erlöschen dieser Vollmacht angezeigt wird.

2.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Klagefrist kommt nicht in Betracht. Die Voraussetzungen liegen nicht vor.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 56 FGO u.a. voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, und dass er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt.

Vorliegend ist der Klägerin ungeachtet der Frage, ob die zweiwöchige Antragsfrist des § 56 Abs. 2 Sätze 1 FGO gewahrt wurde, keine Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Selbst wenn die Frist nicht bereits Anfang Januar 2006, sondern - wie von der Klägerin vorgetragen - erst am 1. Februar 2006 zu laufen begonnen hätte, so fehlt es zumindest an der unverschuldeten Versäumung der Klagefrist.

Jedes Verschulden, auch einfache Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung aus (vgl. BFH vom 24. September 1985, III B 3/85, BFH/NV 1986, 190; vom 4. März 1998, XI R 44/97, BFH/NV 1998, 1056).

a) Dabei ist der Klägerin nach allgemeinen Grundsätzen das Verschulden ihres Bevollmächtigten zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Für eine solche Verschuldenszurechnung muss eine wirksame Vollmacht bestehen (Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 85 Rd. 9). Die Vertretung beginnt mit der Annahme des Mandats durch den Vertreter und endet mit der Erledigung des erteilten Auftrags oder vorzeitig durch Kündigung (Vollkommer in Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 85 Rd. 22 ff).

Im Streitfall bestand die Vollmacht der Klägerin für die F-GmbH nicht nur mit Außenwirkung gegenüber dem FA (oben I 1 b), sondern auch im Innenverhältnis zwischen der Klägerin und der F-GmbH.

aa) Bei der Vollmacht handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (Heinrichs in Palandt, BGB, 65. Aufl., § 167 Rd. 1). Als solche ist sie der F-GmbH gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugegangen. Die Vollmacht wurde für die F-GmbH (ausweislich des Weiterleitungsschreibens an das FA) zumindest von Herrn B entgegen genommen, der zu diesem Zeitpunkt dort noch tätig war und sogar noch als zeichnungsberechtigter "Steuerberater" auf dem Briefbogen ausgewiesen war (vgl. §§ 58, 60 Steuerberatungsgesetz -StBerG-).

bb) Zur Mandatsübernahme war er zumindest nach den Grundsätzen einer Duldungsvollmacht für die F-GmbH bevollmächtigt.

Der diesem zivilrechtlichen Rechtsinstitut zugrunde liegende Rechtsgedanke, dass es dem Geschäftsgegner nicht zuzumuten ist, die Bevollmächtigung nachzuprüfen, wenn das Verhalten des Vertretenen auf das Bestehen der Vollmacht schließen lässt, ist Ausfluss des für alle Rechtsgebiete geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben (Heinrichs in Palandt, BGB, 65. Aufl., § 173 Rd. 9). Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene es wissentlich geschehen lässt, dass ein Anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt und der Geschäftsgegner dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin versteht und auch verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt ist (Heinrichs in Palandt, BGB, 65. Aufl., § 173 Rd. 11).

Trotz des nachträglichen Schreibens des damaligen Geschäftsführers der F-GmbH, Steuerberater J, vom 10. Februar 2006, dass Herr B nicht für die F-GmbH vertretungsberechtigt gewesen sei, wird sowohl danach als auch durch die Beweisaufnahme bestätigt, dass Herr B sämtlichen Schriftverkehr mit dem oben beschriebenen Briefpapier der F-GmbH führte. Außerdem hat er zumindest bis einschließlich Mai 2005 sämtliche Post für die F-GmbH unterschrieben, wie der Zeuge E glaubhaft geschildert hat. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass es dem Geschäftsführer der F-GmbH Herrn J durchaus bekannt war, dass Herr B nach außen als Vertreter für die F-GmbH auftrat und Mandate im Namen der F-GmbH annahm und betreute.

cc) Das Mandat der F-GmbH endete danach erst durch ihre Kündigung mit Schreiben vom 31. Januar 2006.

b) Der für die Wiedereinsetzungsprüfung zugrunde zu legende Verschuldensmaßstab richtet sich nach den Gesamtumständen des Einzelfalles. An die Sorgfaltspflicht eines Steuerberaters bzw. einer Steuerberatungsgesellschaft sind zur Wahrung von Rechtsbehelfs- und Klagefristen grundsätzlich höhere Anforderungen als an Privatpersonen zu stellen.

Unerlässliche Voraussetzungen einer zur Fristenkontrolle einschließlich der Ausgangskontrolle geeigneten Büroorganisation sind nach ständiger Rechtsprechung ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung sowie die dortige Eintragung der Frist, die Notierung der Absendung fristwahrender Schriftstücke in einem Postausgangsbuch und das Löschen der Frist aufgrund der Postausgangsnotierung (BFH vom 27. Februar 2006, III B 54/05, BFH/NV 2006, 1130; vom 14. Dezember 2001, XI R 21/01, BFH/NV 2002, 657; vom 13. November 1998, X R 31/97, BFH/NV 1999, 941; vom 7. Dezember 1988, X R 80/87, BStBl II 1989, 266; FG Hamburg vom 29. April 2004, VI 179/02, DStRE 2004, 1102).

Angesichts dieser Grundsätze hat die von der Klägerin bevollmächtigte F-GmbH die Fristversäumnis verschuldet.

aa) Es bestand keine vorschriftsmäßige Fristenkontrolle innerhalb der F-GmbH.

Ein Fristenkontrollbuch ist nicht geführt worden. Der Zeuge E hat in der mündlichen Verhandlung bekundet, dass erst seit Dezember 2005 ein elektronisches Fristenbuch geführt werde. Dies wird durch die Zeugin M bestätigt, die angab, dass es bis zu ihrem Ausscheiden aus der F-GmbH Ende Oktober 2005 kein Fristenkontrollbuch gegeben hätte.

Es ist auch nicht dargelegt worden, dass über eine vergleichbare Einrichtung die rechtzeitige Bearbeitung fristgebundener Schriftstücke sichergestellt war. Dem Vortrag der Zeugen E und M kann stattdessen entnommen werden, dass es gerade für die ehemals von Herrn B betreuten Mandate nach dessen Ausscheiden keine zuverlässige Posteingangsbearbeitung einschließlich Fristenberechnung, Fristennotierung und Fristenkontrolle gab. Die Zeugin M berichtete, es habe lediglich Listen gegeben, aus denen sie entnommen habe, welcher Mitarbeiter welches Mandat betreue. Als die Bearbeiter für das Mandat der Klägerin nicht mehr für die F-GmbH tätig gewesen seien, habe sie (die Zeugin) die Verteilung sogar weiter anhand dieser veralteten Listen vorgenommen, da ihr nicht gesagt worden sei, wen sie sonst hätte eintragen sollen. So erkläre sich auch der von ihr angebrachte Namensvermerk "...B./Pa" auf der Einspruchsentscheidung.

Der Zeuge E hat darüber hinaus bekundet, dass das Arbeitszimmer des Herrn B nicht unmittelbar nach dessen Ausscheiden zum 30. September 2005, sondern erst im Dezember 2005 durchgesehen worden sei. Dabei sei dann auch eine Postmappe, welche unter anderem die Einspruchsentscheidung des FA vom 26. Oktober 2005 enthielt, gefunden worden.

Der Vortrag der beiden Zeugen lässt keine Organisation dahin erkennen, welche Absprachen für den Büroablauf grundsätzlich bestanden und wer nach dem Ausscheiden der Sachbearbeiter für das Mandat tätig werden sollte und durch wen oder wie die Rechtsbehelfs- und Klagefristen überwacht werden sollten. Im Gegenteil, die Zeugenaussagen beweisen geradezu groteske umfassende Organisationsmängel bei der Fristenkontrolle.

bb) Im Übrigen gab es auch keine einem Postausgangsbuch vergleichbare Kontrolle. Den Zeugenaussagen konnte nicht entnommen werden, dass der Postausgang fristgebundener Schriftstücke in der F-GmbH so organisiert war, dass er anhand der Eintragungen im Postausgangsbuch oder jedoch zumindest anhand einer Löschung im Fristenkontrollbuch objektiv nachvollzogen werden kann. Eine Postausgangskontrolle ist auch nicht anderweitig i.S.v. § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO glaubhaft gemacht worden.

cc) Die mangelnde organisatorische Gewährleistung der Fristen- bzw. Ausgangskontrolle war vorliegend auch ursächlich für die Versäumung der Frist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wurde die Einspruchsentscheidung erst über einen Monat später in einer Postmappe im alten Büro des ehemaligen Mitarbeiters B unbearbeitet aufgefunden.

II.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 FGO durch den Einzelrichter.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 115 Abs. 2 FGO.



Ende der Entscheidung

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