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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 04.12.2008
Aktenzeichen: 5 K 32/07
Rechtsgebiete: UStG, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG § 1 Abs. 1
UStG § 3 Abs. 9
UStG § 13b Abs. 2
UStG § 13b Abs. 4
UStG § 15 Abs. 4b
UStG § 25
Richtlinie 77/388/EWG
Der Anwendung des § 13 b Abs. 2 UStG steht nicht entgegen, dass der Leistungsempfänger selbst im Ausland ansässig ist.
Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Besteuerung von Personenbeförderungen mit im Inland nicht zugelassenen Omnibussen nach dem Umsatzsteuergesetz - UStG - und den Übergang der Steuerschuld (sog. Reverse-Charge-Verfahren).

Die Klägerin ist eine ... Aktiengesellschaft (A) mit Sitz in B. Sie betätigt sich als Reiseveranstalterin und organisiert Reisen in europäische Länder. Dabei erbringt sie gegenüber ihren Kunden u.a. Beförderungsleistungen mit Omnibussen. Für die Durchführung der Reisen nimmt die Klägerin die Leistungen von in ... ansässigen Busunternehmern in Anspruch. Diese führen die Beförderungen ausschließlich mit eigenen Bussen und Fahrern durch. Die Klägerin kauft die Leistungen der ... Busunternehmen zeitbezogen ein; sie bezahlt diese für jeden Tag ihrer Tätigkeit. In dem Leistungsentgelt der Klägerin enthalten sind die Kosten für die Zurverfügungstellung der Busse und der Fahrer, für Kraftstoff und für sonstige Aufwendungen, z.B. für Fähren, für Straßengebühren (Brücke zwischen D und E über ...).

Die Klägerin verfügte in C über eine Betriebsstätte. Mit Schreiben vom 08.12.2004 teilte sie dem Finanzamt C mit, dass die Betriebsstätte in der Zeit vom 1.1. bis 31.08.2003 mit einer Person besetzt gewesen sei. Deren einzige Aufgabe habe darin bestanden, die Geschäftsaktivitäten in Deutschland zu beenden.

Bei in den Jahren 2002 und 2003 gemäß § 18 Abs. 11 UStG durchgeführten Kontrollen des Zolls bei im Inland nicht zugelassenen Kraftomnibussen war die Klägerin von Fahrern der Busse als Beförderer angegeben worden. Diese Busse trugen zumindest zum Teil den Schriftzug der Klägerin.

Nachdem die Klägerin vergeblich aufgefordert worden war, Umsatzsteuererklärungen einzureichen, setzte das ehemals für sie zuständige Finanzamt C - das Finanzamt - die Umsatzsteuer für 2002 mit gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenem Bescheid vom 06.05.2004 auf 1.600 EUR fest. Hierbei hatte das Finanzamt die Umsätze zu 16% auf 10.000 EUR geschätzt, Vorsteuern wurden nicht berücksichtigt. Zugleich erließ das Finanzamt einen Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags in Höhe von 100 EUR. Mit Schreiben vom 14.05.2004 legte die Klägerin Einspruch gegen die "Steuerbescheide 2002" vom 06.05.2004 ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung der Steuerschulden in Höhe von 1600 EUR. Mit Schreiben vom 26.05.2004 stellte die Klägerin mittels der Prozessbevollmächtigten einen Antrag auf Erlass des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer 2002.

Das Finanzamt schätzte ebenfalls die Besteuerungsgrundlagen für 2003 und setzte mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenem Bescheid vom 02.11.2004 die Umsatzsteuer auf 0,00 EUR fest.

Nach Durchführung einer Umsatzsteuersonderprüfung für die Klägerin erließ das Finanzamt auf der Grundlage des Prüfungsberichts vom 19.05.2005 gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2002 und 2003, jeweils vom 13.10.2005, und setzte die Umsatzsteuer für 2002 auf 16.479,06 EUR und für 2003 auf 17.095,68 EUR fest. Hierbei wurden die durch den Zoll bei den Stichproben ermittelten Strecken und Personenzahlen hochgerechnet und mit einem Durchschnittsbeförderungsentgelt von 4,43 Cent pro Personenkilometer multipliziert. Dieser Wert entspricht Tz. 24 des Merkblatts des Bundesministeriums der Finanzen zur Umsatzbesteuerung von grenzüberschreitenden Personenbeförderungen mit Omnibussen, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen sind (Stand: 01.01.2005), wonach die Beförderungseinzelbesteuerung bei der Ein- oder Ausreise über eine Drittlandsgrenze berechnet wird. Der geänderte Umsatzsteuerbescheid 2002 wurde mit dem Hinweis darauf verbunden, dass der bisher festgesetzte Verspätungszuschlag unverändert bestehen bleibe. Gegen diese Bescheide legte die Klägerin am 25.10.2005 Einspruch ein.

Im Verlaufe des Einspruchsverfahrens legte die Klägerin mit Schreiben vom 07.07.2006 Unterlagen über die von ihr geschätzten Bemessungsgrundlagen für die nach § 13 b UStG geschuldete Steuer für Beförderungsleistungen vor, auf die Bezug genommen wird. Sie ermittelte eine Bemessungsgrundlage für die Jahre 2002 und 2003 von jeweils 43.000 EUR (Nettobetrag). Diese legte das Finanzamt den Änderungsbescheiden vom 17.08.2006 zu Grunde, mit denen es die Umsatzsteuer 2002 und 2003 auf jeweils 6.880 EUR festsetzte. Die von der Klägerin ermittelte Vorsteuer von jeweils 4.128 EUR berücksichtigte das Finanzamt dabei wegen fehlender Nachweise nicht. Gegen die Bescheide vom 17.08.2006 legte die Klägerin am 18.09.2006 Einspruch ein.

Für 2004 und 2005 schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen zur Umsatzsteuer mit Umsätzen zu 16% in Höhe von 54.000 EUR, ohne einen Vorsteuerabzug zu berücksichtigen, und setzte die Umsatzsteuer auf jeweils 8.640 EUR mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheiden vom 17.08.2006 für 2004 und vom 05.12.2006 für 2005 fest. Zugleich setzte das Finanzamt einen Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 2004 in Höhe von 400 EUR fest. Hiergegen legte die Klägerin am 18.09.2006 für 2004 und am 14.12.2006 für 2005 Einspruch ein. Die Einsprüche wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 09.02.2007 als unbegründet zurück. Am 09.03.2007 hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Klägerin trägt vor:

§ 13 b Abs. 2 UStG finde keine Anwendung auf die Beförderungsleistungen der ausländischen Busunternehmer. Bei, wie in ihrem Fall, im Ausland ansässigen Leistungsempfängern werde das Ziel des § 13 b UStG - Zugriff auf einen im Inland registrierten Steuerschuldner zur Sicherung des Steueraufkommens nehmen zu können - nicht erreicht. Aus Sicht der Finanzverwaltung sei die Inanspruchnahme des ausländischen Unternehmers als Leistungserbringer mit eben so vielen Schwierigkeiten verbunden, wie die Inanspruchnahme eines ausländischen Leistungsempfängers. Zu berücksichtigen sei dabei, dass der ausländische Leistungsempfänger für einen anderen ausländischen Unternehmer sämtliche Steuerpflichten in Deutschland erfüllen solle. Neben der umsatzsteuerlichen Erfassung wären monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen zu erstellen sowie die entsprechenden Aufzeichnungen zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu führen.

Aufzuzeichnen wären im Streitfall die Streckenanteile, die die beauftragten Busunternehmer in Deutschland gefahren seien. Diese zu ermitteln sei bei der Vielzahl von beauftragten Busunternehmern eine zeit- und kostenintensive Angelegenheit. Es müsse ermittelt werden, ob der einzelne Busunternehmer nicht bereits eine Betriebsstätte in Deutschland habe; denn diese würde dazu führen, dass jener selbst die Umsatzsteuer schulde. Es müssten die in den Rechnungen der Busunternehmer abgerechneten Beförderungsentgelte aufgeteilt und die deutschen Streckenanteile errechnet werden. Dazu müssten die Busunternehmer ihre interne Kalkulation ihr, der Klägerin, gegenüber preisgeben. Letztlich könne, wie im Streitfall auch geschehen, die Bemessungsgrundlage nur geschätzt werden. Die Ermittlung eines korrekten Vorsteuerabzugs würde darüber hinaus gesonderte Aufzeichnungen über die Empfänger der Reiseleistungen (Privatpersonen oder Unternehmer) erfordern. Der Umfang dieser für eine ordnungsgemäße Besteuerung vorzunehmenden Aufzeichnungen übersteige den Rahmen dessen, was einem ausländischen Leistungsempfänger, auf den Steuerschulden anderer ausländischer Unternehmer übergingen, zugemutet werden könne.

Entgegen der Auslegung der Finanzverwaltung in Abschnitt 182 a Abs. 1 S. 2 der Umsatzsteuerrichtlinien - UStR - sei § 13 b Abs. 2 UStG nicht allgemein auf ausländische Leistungsempfänger anzuwenden, weil dies dem Ziel der Vorschrift, nämlich das Steueraufkommen durch den Übergang der Steuerschuldnerschaft zu sichern (Bundesrat Drucksache - BR Drs - 399/01, Begründung zu Art. 14 Nr. 4), nicht entspreche, der Gesetzgeber die Ausnahmeregelung des § 13 b Abs. 3 UStG mit der Begründung neu gefasst habe, dass sich im Ausland ansässige Unternehmer, an die derartige Leistungen erbracht würden, nicht in Deutschland zu Umsatzsteuerzwecken erfassen ließen (BT Drs 15/1945 - Begründung zu Art. 4 Nr. 12a - und 15/1798 - Begründung zu Art. 4 Nr. 12 a, Nr. 23 -), diese Vorschrift nicht mit Art. 21 Abs. 1 a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer vereinbar sei, der dahingehend zu interpretieren sei, dass auch der Empfänger einer steuerpflichtigen Lieferung bzw. Dienstleistung des nicht im Inland ansässigen Unternehmers dem Erfordernis der Erfassung als Unternehmer im Inland genügen müsse. Dies entspreche im übrigen der Auffassung des Gesetzgebers, der in der Regierungserklärung zum StÄndG 2001 davon ausgegangen sei, dass die Vorschrift auf Leistungsempfänger beschränkt sei, die für Umsatzsteuerzwecke bereits erfasst seien (BR Drs 399/01 a.a.O. und BT Drs 15/1798 zu Nr. 23, Art. 4 Nr. 12 a), der Übergang der Steuerschuldnerschaft für Beförderungsleistungen der ausländischen Busunternehmer auf Reiseveranstalter als Leistungsempfänger entsprechend dem Mitgliedstaatenwahlrecht nach Art. 21 Abs. 1 a der Richtlinie ausschließlich von Deutschland eingeführt worden sei und insbesondere bei der Besteuerung von Reiseleistungen wegen der Margenbesteuerung nach § 25 UStG zu Verwerfungen führe und zum Beispiel die Länder Schweden, Niederlande und Finnland als Voraussetzung für den Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger (sog. Reverse-Charge-Verfahren) geregelt hätten, dass der Leistungsempfänger für Zwecke der Umsatzsteuer im jeweiligen Land registriert sein müsse.

Ein Verspätungszuschlag habe nicht festgesetzt werden dürfen, da sie, die Klägerin, nicht zur Abgabe von Steuererklärungen verpflichtet gewesen sei. Die Festsetzung der Verspätungszuschläge sei ermessensfehlerhaft, weil die Versäumnisse entschuldbar erschienen. Als ausländische Gesellschaft habe sie, die Klägerin, keine Detailkenntnisse des deutschen Umsatzsteuerrechts. Auch sei erst im Rahmen dieses Verfahrens zu klären, ob überhaupt eine Steuerschuldnerschaft infrage komme.

Der Hilfsantrag begründet die Klägerin wie folgt:

Der Beklagte habe bei seiner Entscheidung über die Versagung des geschätzten Vorsteuerabzugs außer acht gelassen, dass der Begründung des Einspruchs gegen die Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2004 eine Auswertung aus dem Buchhaltungssystem über die gesamten Verkäufe an Reisebüros als Nachweis der Leistungen an Unternehmer beigefügt gewesen sei. Er hätte diese berücksichtigen müssen. Der Beklagte habe auch fälschlicherweise nicht berücksichtigt, dass § 25 UStG nicht anwendbar sei, soweit Reisepakete an Unternehmer (Reisebüros) verkauft würden. Dieser Umsatz unterliege der normalen Umsatzbesteuerung, bei der der Vorsteuerabzug nicht nach § 25 Abs. 4 UStG ausgeschlossen sei. In ihrem Gesamtumsatz seien auch die Umsätze enthalten, die auf Reisen nach oder durch Deutschland entfielen. Es sei daher sachgerecht anzunehmen, dass der Gesamtanteil aller verkauften Reisen an Reisebüros dem Anteil entspreche, der auf über Reisebüros verkaufte Reisen mit einem Deutschlandbezug entfalle. Nach § 15 Abs. 4 S. 2 UStG sei es zulässig, den nicht abziehbaren Teil der nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG grundsätzlich abziehbaren Steuer sachgerecht zu schätzen. Hierbei sei auf das Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, abzustellen, da eine andere wirtschaftliche Zuordnung nicht möglich sei (§ 15 Abs. 4 S. 3 UStG). Da Umsätze nach ... Recht in der Buchhaltung zu erfassen seien und eine Trennung nach Debitoren leicht eine Unterteilung in Unternehmer und Privatleute erlaube, könne der prozentuale Anteil der Umsätze mit Unternehmern als sachgerechter Maßstab für die Aufteilung der Vorsteuer herangezogen werden.

Darüber hinaus ergäben sich aus dem geschäftlichen Umfang auch keine Anzeichen für die von dem Beklagten vorgenommene pauschale Hochrechnung für 2004 und 2005 um 25%. Im Ergebnis sei es sachgerecht, für die Schätzung der Umsatzsteuer und der Vorsteuer unterschiedliche Herangehensweisen anzuwenden. Während bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen sei, dass es sich um eine fremde Bemessungsgrundlage handele, nämlich die der Busunternehmer, könne der Aufteilungsmaßstab für die Vorsteuer dagegen wegen der eigenen Leistungen aus dem Buchhaltungssystem ermittelt werden.

Die Betriebsstätte der Klägerin in Deutschland bestehe faktisch seit 2002 nicht mehr, da keine Umsätze mehr erzielt worden seien. Damit sei das Kriterium der Erfassung "im Inland für Zwecke der Mehrwertsteuer" im Sinne des Art. 21 Abs. 1 a 6. EG-Richtlinie nicht mehr erfüllt.

Von den von ihr, der Klägerin, in den Jahren 2002 bis 2005 erwirtschafteten Jahresumsätzen entfielen 61,3% in 2002, 44,0% in 2003 und jeweils 41,9% in 2004 und 2005 auf sonstige Leistungen, die gegenüber Unternehmern und nicht gegenüber Privatkunden erbracht worden seien.

Die Klägerin beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 09.02.2007 und die Bescheide über Umsatzsteuer für 2002 bis 2004, jeweils vom 17.08.2006, sowie für 2005 vom 05.12.2006, sowie die Bescheide über die Festsetzung von Verspätungszuschlägen zur Umsatzsteuer für 2002 vom 13.10.2005 und für 2004 vom 17.08.2006 aufzuheben

hilfsweise,

die Bescheide über Umsatzsteuer für 2002 bis 2004, jeweils vom 17.08.2006, sowie für 2005 vom 05.12.2006 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer

für 2002 auf 2.662,56 EUR,

für 2003 auf 3.852,80 EUR,

für 2004 auf 3.997,28 EUR und

für 2005 auf 3.997,28 EUR

festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor:

Die objektiv-teleologische Auslegung der Klägerin greife nicht. Vielmehr sei der grammatikalischen Auslegung, der Auslegung nach dem Wortlaut, Vorrang einzuräumen. Das Tatbestandsmerkmal "Unternehmer" knüpfe an die Legaldefinition in § 2 UStG an. Danach sei lediglich eine unternehmerische Tätigkeit im Erhebungsgebiet notwendig; auf weitere Voraussetzungen wie Wohnsitz, Sitz, Ort der Geschäftsleitung oder Nationalität des Unternehmers komme es nicht an. Der Besteuerungstatbestand dürfe nicht davon abhängen, ob der Betreffende bereits zuvor als Steuerpflichtiger erfasst worden sei. Im Übrigen müsse eine Berücksichtigung der Vorsteuer solange außer Betracht bleiben, wie die Klägerin bei der Ermittlung der von ihr zu erklärenden Daten unterschiedliche Maßstäbe anwende. Während sie bei der Bemessungsgrundlage überschlägig außerhalb der Buchführung geschätzte Zahlen zu Grunde lege und hochrechne, würden die Daten zum Vorsteuerabzug aus dem Buchhaltungssystem generiert und auf den Cent genau erklärt.

Es komme nicht darauf an, ob ein Leistungsempfänger bereits im Inland für Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst sei. Ausländische Unternehmer, die als Steuerschuldner nach § 13 b Abs. 2 UStG in Betracht kämen, müssten sich bei dem für sie zuständigen Finanzamt registrieren lassen; diese Auffassung werde in der einschlägigen Literatur geteilt.

Die Klägerin habe nicht dargelegt, welche Leistungen in der Bemessungsgrundlage zusammengefasst worden seien. Sie biete Flug-, Bus- und Schiffsreisen in viele europäische Länder an. Hier dürften jedoch nur die Umsätze aus den Busreisen mit Deutschlandbezug berücksichtigt werden. Es werde nicht einmal ansatzweise erläutert, weshalb das Verhältnis der Umsätze mit Privatleuten zu Umsätzen mit anderen Unternehmern exakt dem Anteil von Busreisen mit Deutschlandbezug an der Bemessungsgrundlage entsprechen solle.

Am 22.08.2008 hat ein Erörterungstermin und am 04.12.2008 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden; auf die Niederschriften über diese Termine wird Bezug genommen.

Dem Gericht haben die Rechtsbehelfsakten, die Umsatzsteuerakten Band I und II, die Betriebsprüfungsakten und ein Band Allgemeines sowie ein Band Kontrollmitteilungen, jeweils zur Steuernummer .../.../..., und Band II der Umsatzsteuer-Sonderprüfungsakten zur Steuernummer .../.../... vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

A. Die Klage ist zulässig, und mit dem Hilfsantrag teilweise begründet.

I. Die Klägerin ist durch die Festsetzung der Umsatzsteuer 2002 bis 2005 insoweit in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO, als der Beklagte eine höhere Umsatzsteuer als 2.873 EUR für 2002, 4.004 EUR für 2003, 4.348 EUR für 2004 und 4.703 EUR für 2005 festgesetzt hat.

1. Zu Recht hat der Beklagte die Klägerin als Leistungsempfängerin von in Deutschland erbrachten Beförderungsleistungen der ... Vorunternehmer für Umsatzsteuer gemäß § 13 b Abs. 2 UStG in Anspruch genommen.

Ein Unternehmer schuldet gemäß § 13 b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr.1 UStG die auf die von einem im Ausland ansässigen Unternehmer erbrachten, steuerpflichtigen Umsätze aus Werklieferungen und sonstigen Leistungen entfallene Steuer, wenn er Empfänger dieser Leistungen ist (sog. Reverse-Charge-Verfahren).

a) Die von der Klägerin in Anspruch genommenen ... Fuhrunternehmer erbrachten in den Streitjahren sonstige Leistungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG.

Nach dieser Vorschrift unterliegen der Umsatzsteuer u.a. sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt erbringt. Sonstige Leistungen sind nach § 3 Abs. 9 UStG alle Leistungen, die keine Lieferungen sind. Dem entspricht die gemeinschaftsrechtliche Regelung in Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie (nunmehr Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL), wonach als "Dienstleistung" jeder Umsatz gilt, der keine Lieferung von Gegenständen ist.

Im Streitfall erbrachten die ... Busunternehmer Leistungen in Gestalt der Personenbeförderung gegenüber der Klägerin gegen Entgelt. Die Klägerin wiederum hatte sich gegenüber ihren Auftraggebern zur Durchführung von Busreisen verpflichtet. Schließen mehrere Unternehmer über dieselbe sonstige Leistung nacheinander Umsatzgeschäfte ab und erfüllen sie diese dadurch, dass der erste Unternehmer die sonstige Leistung auftragsgemäß an den letzten Unternehmer in der Kette oder dessen Leistungsempfänger tatsächlich ausführt, so werden dadurch rechtlich Umsätze über diese sonstige Leistung zwischen den an dem jeweiligen Umsatzgeschäft Beteiligten bewirkt. Der erste Unternehmer erbringt die sonstige Leistung an seinen Leistungsempfänger und nicht an den letzten Empfänger. Die ... Busunternehmer tätigten die Umsätze in Gestalt der Personenbeförderung als Subunternehmer und Erfüllungsgehilfen der Klägerin.

b) Die Beförderungsleistungen der ... Busunternehmer, die zum Teil im Inland und zum Teil im Ausland erbracht wurden, sind mit ihrem inländischen Teil in Deutschland umsatzsteuerpflichtig gemäß § 3 b Abs. 1 UStG.

c) Diese in Deutschland umsatzsteuerpflichtigen Beförderungsleistungen wurden vorliegend von ... Fuhrunternehmen, also von im Ausland ansässigen Unternehmen erbracht. Gemäß § 13 b Abs. 4 S. 1 UStG ist ein im Ausland ansässiger Unternehmer ein Unternehmer, der weder im Inland noch auf der Insel Helgoland oder in einem der in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Zweigniederlassung hat.

d) Die Klägerin ist als Unternehmerin Leistungsempfängerin dieser umsatzsteuerpflichtigen Leistungen.

aa) Zwar kommt die Beförderungsleistung letztlich den Kunden der Klägerin zugute. Dies führt jedoch, entgegen der Auffassung der Klägerin, nicht dazu, dass die Kunden, also die beförderten Personen, Leistungsempfänger im Sinne des § 13 b Abs. 2 UStG sind. Die Klägerin - und nicht ihre Kunden - hatte einen vertraglichen Leistungsanspruch gegen die Fuhrunternehmen, während den Kunden der Klägerin nur Beförderungsansprüche gegen diese zustanden. Danach erbringt insbesondere im Beförderungsrecht der erste Unternehmer (Subunternehmer) die sonstige Leistung an seinen Leistungsempfänger und nicht an den letzten Empfänger (Kunde). Dem steht nicht die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Bundesfinanzhofes - BFH - vom 21.01.1993 V B 95/92 (BFH/NV 1994, 346) entgegen.

Soweit der BFH in seiner Entscheidung von dem Reisenden als Leistungsempfänger spricht, bezieht sich diese Bezeichnung auf das Verhältnis zwischen Reiseunternehmen und Reisenden und nicht auf die Beziehung zu einem dritten Unternehmen, das Teilleistungen als Reisevorleistungen im Sinne des § 25 UStG erbringt. In seiner Entscheidung stellt der BFH vielmehr ausdrücklich fest, dass Leistungsbeziehungen nur zwischen dem Reiseunternehmen und dem Dritten auf der einen Seite und zwischen dem Reiseunternehmen und dem Reisenden auf der anderen Seite bestehen. Wörtlich heißt es "[...], so führt der Dritte (i. S. des § 25 Abs. 1 Satz 5 UStG 1980) eine sonstige Leistung an den Unternehmer aus, indem er dem Reisenden den Inhalt der Leistung zuwendet". Nur für die im Rahmen des § 25 UStG maßgebliche Frage, ob die vom Dritten erbrachten Leistungen dem Reisenden unmittelbar zugute kommen, sind die zivilrechtlichen und umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen unerheblich. Die Frage, wem die erbrachten Leistungen zugute kommen, betrifft aber eine andere Ebene der Beziehung zwischen den Beteiligten als in § 13 b Abs. 2 UStG und ist für die in diesem Rahmen entscheidende Frage des Leistungsempfängers unerheblich.

bb) Auch der von der Klägerin angeführte Abschnitt 272 Abs. 1 S. 9 der Umsatzsteuerrichtlinien - UStR - 2008 bezieht sich nur auf das Verhältnis zwischen Reiseunternehmen und Reisenden und nicht auf das Verhältnis zwischen dem Unternehmen, das Reisevorleistungen im Sinne des § 25 UStG erbringt (Subunternehmer), und den Reisenden.

cc) Ebenfalls unzutreffend ist es, davon auszugehen, dass die Kunden der Klägerin einen unmittelbaren Leistungsanspruch gegen die die Beförderungsleistung erbringenden Busunternehmer haben. Der Leistungsanspruch verbleibt stets bei dem beauftragenden Reiseunternehmen, so dass dieses sowohl im Rahmen des § 25 UStG als auch des § 13b Abs. 2 UStG Leistungsempfänger ist.

dd) Der Anwendung des § 13 b Abs. 2 UStG auf die Klägerin steht auch nicht entgegen, dass diese selbst im Ausland ansässig ist. § 13 Abs. 2 UStG erfordert nicht, dass der Leistungsempfänger im Inland ansässig ist (vgl. hierzu Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, USt, 211. Aktualisierung Juni 2008, § 13 b Rn. 15; Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, Lfg. 132 Oktober 2007, § 13 b Rn. 112; siehe auch Abschn. 182 a Abs. 1 S. 2 UStR 2005/2008). Dies folgt bereits unmittelbar aus § 15 Abs. 4 b UStG, der ausdrücklich von "nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmern, die nur die Steuer nach § 13 b Abs. 2 UStG schulden" spricht. Dem lässt sich zugleich entnehmen, dass auch keine bereits bestehende Erfassung für Umsatzsteuerzwecke für eine Inanspruchnahme erforderlich ist. Denn § 15 Abs. 4 b UStG geht gerade von einem im Ausland ansässigen Unternehmer aus, der nur die Steuer nach § 13 b Abs. 2 UStG schuldet, also auch nicht bereits aus anderen Gründen umsatzsteuerrechtlich erfasst sein kann.

ee) Diese Auslegung steht, entgegen der Auffassung der Klägerin, auch im Einklang mit der in den Streitjahren geltenden Richtlinie 77/388/EWG. Nach dieser sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 21 Nr. 1 Buchstabe a) ermächtigt, wenn Umsätze von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht werden, Regelungen zu treffen, nach denen die Steuer von einer anderen Person als dem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen geschuldet wird. Auch nach der Richtlinie ist nicht erforderlich, dass der belastete Steuerpflichtige selbst im Inland ansässig ist. Dies folgt aus dem Umkehrschluss des Art. 21 Nr. 1 Buchstabe b) der Richtlinie, der lediglich für den Fall der Erbringung von Dienstleistungen im Sinne des Art. 28 b Teile C, D, E und F der Richtlinie vorsieht, dass bei der Leistungserbringung durch einen im Ausland Ansässigen zwingend der Leistungsempfänger Steuerschuldner ist, wenn dieser bereits im Inland für Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt daher aus Art. 21 Nr. 1 Buchstabe b) gerade nicht, dass die Steuerschuldnerschaft generell nur auf im Inland bereits für Umsatzsteuerzwecke erfasste Leistungsempfänger verlagert werden darf. Vielmehr ist in diesen Fällen die Verlagerung zwingend. In allen anderen Fällen besteht ein Wahlrecht des nationalen Gesetzgebers, welches in Deutschland in Form einer generellen Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei der Leistungserbringung durch einen im Ausland ansässigen Unternehmer umgesetzt wurde.

An dieser Ermächtigung wurde auch bei der inzwischen geltenden Richtlinie 2006/112/EG festgehalten. Auch hier sehen die Art. 195 und 196 für bestimmte Fälle eine Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers vor, wenn dieser bereits für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, während Art. 194 die Mitgliedsstaaten generell ermächtigt, bei der steuerpflichtigen Lieferung von Gegenständen bzw. steuerpflichtigen Dienstleistungen von nicht im Mitgliedsstaat ansässigen Unternehmern die Steuerpflicht auf den Leistungsempfänger zu übertragen (vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, Lfg. 132 Oktober 2007, § 13 b Rn. 112). Dass ein solches Wahlrecht nicht von allen Mitgliedsstaaten ausgeübt wird und es somit in den einzelnen Ländern zu unterschiedlichen Regelungen kommt, ist jedem in einer europäischen Richtlinie vorgesehenen Wahlrecht der Mitgliedsstaaten immanent und kann nicht von vornherein zu einer einschränkenden Auslegung der einzelnen nationalen Bestimmung führen.

Ein Anhaltspunkt für eine Einschränkung der Umsatzsteuerpflicht nach § 13 b Abs. 2 UStG von im Ausland ansässigen Leistungsempfängern lässt sich nur der amtlichen Begründung zur Einführung des § 13 b Abs. 2 UStG entnehmen. In dieser heißt es, dass die Vorschrift auf Leistungsempfänger beschränkt sei, "die für Umsatzsteuerzwecke bereits erfasst sind bzw. denen eine solche Erfassung zur Sicherstellung des Umsatzsteueraufkommens zugemutet werden kann" (vgl. BR-Drs. 399/01, S. 64).

Diese Einschränkung, die im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden hat, treffe jedoch auf die Klägerin auch nicht zu. Sie besaß bis zum 31.08.2003 eine Betriebsstätte in C und war in jedem Fall aus diesem Grund bis zum Ende des Jahres 2003 für Umsatzsteuerzwecke in Deutschland bereits erfasst. Der Klägerin wäre es darüber hinaus auch zumutbar, dass sie sich zur Sicherstellung des Umsatzsteueraufkommens in der Bundesrepublik Deutschland umsatzsteuerlich erfassen lässt. Bei der Klägerin handelt es sich um eines der größten Reiseunternehmen in E. Sie erbringt fortlaufend eine Vielzahl von Reiseleistungen im gesamten europäischen Raum und bedient sich für die Durchführung der Beförderungen einer Vielzahl von im Ausland ansässigen Fuhrunternehmen, deren Busse zum Teil sogar mit dem Schriftzug der Klägerin versehen sind. Im Rahmen dieser europaweiten Reiseleistungen führt auch jährlich ein erheblicher Teil der Reiserouten durch die Bundesrepublik Deutschland. Eine Erhebung der Umsatzsteuer für die in Deutschland zurückgelegten Strecken bei den einzelnen Fuhrunternehmen würde zu einem Umsatzsteuerausfall führen. Diese Fuhrunternehmen ließen sich nur lückenhaft über Kontrollmitteilungen des Zolles über Personenbeförderungen mit nicht im Inland zugelassenen Kraftomnibussen feststellen. Zudem haben die Fahrer der Fuhrunternehmen in der Vergangenheit bei derartigen Kontrollen - teilweise - die Klägerin als Beförderin angegeben und nicht das Fuhrunternehmen, bei dem sie beschäftigt sind. Durch den Schriftzug der Klägerin auf den Bussen bestehen für die kontrollierenden Beamten auch keine Anhaltspunkte für einen anderen Beförderer. Da die Klägerin Leistungsempfängerin einer großen Zahl von inländischen Beförderungsleistungen ist, steht der Belastung der Klägerin durch die umsatzsteuerliche Erfassung auch ein entsprechendes Umsatzsteueraufkommen gegenüber, so dass die von der Klägerin in Deutschland zu erfüllenden Pflichten nicht außer Verhältnis zum Steueraufkommen stehen.

2. Die dem Grunde nach von der Klägerin zu Recht geschuldete Umsatzsteuer 2002 bis 2005 ist indes der Höhe nach niedriger festzusetzen.

a) Da sich die genaue Höhe der steuerpflichtigen Umsätze in den Streitjahren nicht ermitteln ließ, sind diese gemäß § 96 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 FGO i.V.m. § 162 Abs. 1 AO zu schätzen.

Im Rahmen der Schätzung ist zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass diese ihren aus § 90 Abs. 1 AO folgenden Mitwirkungspflichten nicht ausreichend nachgekommen ist. Aus der gemeinsamen Verantwortung von Steuerpflichtigem einerseits und Finanzbehörde andererseits für die vollständige Sachaufklärung im Geltungsbereich des Abgabenrechts folgt u.a., dass sich dann, wenn ein Steuerpflichtiger ihm auferlegte allgemeine oder besondere Mitwirkungs-, Informations- oder Nachweispflichten verletzt, grundsätzlich die Ermittlungspflicht der Finanzbehörde (§ 88 Abs. 1 AO) oder des Finanzgerichts (§§ 76 Abs. 1, 96 Abs. 1 S. 1 FGO) entsprechend mindert (vgl. BFH Urteil vom 15.02.1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462). Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Gedanken der Beweisnähe zu: Die Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Aufklärung des Sachverhalts ist um so größer (die von Finanzbehörden und Finanzgericht um so geringer), je mehr Tatsachen oder Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und/oder Tätigkeitssphäre angehören (vgl. BFH Urteile vom 07.07.1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760; vom 20.03.1987 III R 172/82, BFHE 149, 536, BStBl II 1987, 679; vom 19.06.1985 I R 109/82, BFH/NV 1986, 249). Die gleiche Erwägung liegt der gesetzlichen Sonderregelung für die Abgrenzung von Sachaufklärungs- und Mitwirkungspflichten in § 90 Abs. 2 AO zugrunde: Sie ist die gesetzliche Konkretisierung eines allgemeinen Prinzips, demzufolge sich die Verantwortung für die Sachaufklärung im Abgabenrecht maßgeblich nach den Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Sachverhaltsgestaltung und Sachverhaltsermittlung bestimmt (vgl. BFH Urteil vom 15.02.1989 X R 16/86, BFHE 156, 38). Nach der Auffassung des Senats wäre es der Klägerin möglich gewesen, mittels ihrer Buchhaltung, den Buchungsunterlagen und den Rechnungen der Fuhrunternehmen für jedes Streitjahr individuell die exakte Anzahl der Busreisen mit Deutschlandbezug, sowie die durchschnittlichen Kosten für die Busse pro Tag nachzuweisen und damit eine tatsächliche Grundlage für die Schätzung der Bemessungsgrundlage zu liefern.

Gemäß § 3 b Abs. 1 UStG unterliegt bei Beförderungen, die sich nicht nur auf das Inland erstrecken, nur der Teil der Beförderungsleistung der Umsatzsteuer, der auf das Inland entfällt. Die tatsächlich in Deutschland zurückgelegten Streckenanteile konnte die Klägerin nicht nachweisen. Sie rechnete mit den beauftragten Fuhrunternehmen nicht nach gefahrenen Kilometern, sondern nach Tagessätzen ab. Aus diesem Grund enthalten die von den Fuhrunternehmen ausgestellten Rechnungen weder Angaben über die insgesamt gefahrenen Kilometer noch eine Aufteilung der gefahrenen Strecke nach Ländern. Für die Streitjahre 2002 und 2003 haben die Beteiligten für die Schätzung der Umsatzsteuer übereinstimmend eine Anzahl von 50 Busreisen mit Deutschlandbezug pro Jahr mit einer durchschnittlichen Dauer der Reisen durch Deutschland von 2 Tagen sowie einem durchschnittlichen Tagesatz von 430 EUR pro Tag und Bus zugrunde gelegt. Hieraus ergibt sich für die Streitjahre 2002 und 2003 eine Bemessungsgrundlage von 43.000 EUR. Hieran hält der erkennende Senat fest.

Die von dem Beklagten für die Streitjahre 2004 und 2005 vorgenommene Hinzuschätzung von im Ergebnis rund 25%, indem er für diese Jahre von 60 Busreisen und einem Tagesatz von 450 EUR ausgegangen ist, stellt jedoch, auch unter Berücksichtigung der Verletzung der Mitwirkungspflicht, keine zulässige Schätzung mehr dar. Die Finanzbehörde muss auch bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten im Rahmen der Beweiswürdigung zum Nachteil des Steuerpflichtigen von einem Sachverhalt ausgehen, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht (vgl. BFH Beschluss vom 21.01.2005 VIII B 163/03, BFH/NV 2005, 835; Urteil vom 15.02.1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462). Eine durchschnittliche Umsatzsteigerung von 12,5% pro Jahr dürfte in der Reisebranche nicht zu erzielen gewesen sein.

Die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2004 und 2005 schätzt der Senat gegenüber denen der Jahre 2002 und 2003 um jeweils 5% erhöht auf 45.150 EUR für 2004 und 47.408 EUR für 2005. Zum einen werden allein durch die Entwicklung der Kraftstoffpreise die durchschnittlichen Kosten für die Busse gestiegen sein. Zum anderen wird die Klägerin selbst auch eine Umsatzsteigerung erzielt haben.

b) Die angegriffenen Umsatzsteuerbescheide verletzen die Klägerin darüber hinaus in ihren Rechten, soweit sie die von der Klägerin geltend gemachte Vorsteuer vollständig unberücksichtigt lassen.

aa) Die Klägerin ist gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG grundsätzlich zum Abzug der von ihr gemäß § 13 b Abs. 2 UStG geschuldeten Umsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt. Soweit die von der Klägerin gemäß § 13 b Abs. 2 UStG geschuldete Umsatzsteuer jedoch auf Beförderungsleistungen entfällt, die gegenüber privat reisenden Leistungsempfängern erbracht worden sind, ist die Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehbar. Diese Beförderungsleistungen stellen für die Klägerin Reisevorleistungen im Sinne des § 25 Abs. 1 UStG dar. In den Fällen des § 25 UStG ist die nach § 13 b Abs. 2 UStG geschuldete Umsatzsteuer vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.

Dies ist für das Streitjahr 2005 ausdrücklich in § 25 Abs. 4 S. 1 UStG geregelt. Darüber hinaus gilt dies auch für die anderen Streitjahre. Der Ausschluss des Abzugs der nach § 13 b Abs. 2 UStG geschuldeten Umsatzsteuer als Vorsteuer für Reisevorleistungen ergibt sich unmittelbar aus dem Regelungsgefüge des § 25 UStG. Dieses sieht für Reiseleistungen eine Margenbesteuerung vor. Es wird nur die Differenz aus den Zahlungen der Reisenden und den Kosten der Reisevorleistungen inklusive Mehrwertsteuer besteuert. Da ein Unternehmen in den Fällen, in denen es Reiseleistungen erbringt, die für Reisevorleistungen gezahlte Umsatzsteuer aufgrund der Margenbesteuerung nicht als Vorsteuer abziehen kann, muss dies auch für die im Rahmen von § 13 b Abs. 2 UStG unmittelbar selbst erbrachte Umsatzsteuer gelten. Die Änderung des § 25 Abs. 4 S. 1 UStG stellt daher nur eine Klarstellung und keine Änderung der Rechtslage dar (vgl. Begründung zu Nummer 16 (§ 25 Abs. 4 Satz 1) des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes - EURLUmsG, BT-Drs. 15/3677, S. 44; Wenzel in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, Lfg. 123 Juli 2005, § 25 Rn. A2).

bb) Die Klägerin hat keinen ausreichenden Nachweis darüber geliefert, in welcher Höhe die geschätzten Umsätze auf Reisevorleistungen im Sinne des § 25 UStG beruhen, so dass dieser Anteil ebenfalls gemäß § 96 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 FGO i.V.m. § 162 Abs. 1 AO zu schätzen ist. Insoweit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass nicht alle Umsätze auf Reiseleistungen im Sinne des § 25 UStG entfallen.

Dabei berücksichtigt der Senat, dass im Falle des Reverse-Charge-Verfahrens der Grundsatz der steuerlichen Neutralität erfordert, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (zum fehlenden Rechnungsnachweis: EuGH Urteil vom 01.04.2004 C-90/02, G. Bockemühl). Verfügt daher die Steuerverwaltung über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass der Steuerpflichtige als Empfänger der fraglichen Dienstleistung die Mehrwertsteuer schuldet, so darf sie hinsichtlich seines Rechts auf Abzug dieser Steuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts vereiteln können (vgl. EuGH Urteil vom 08.05.2008 C-95/07 und C-96/07, Ecotrade SpA).

cc) Der Senat schätzt die abziehbare Vorsteuer für das Jahr 2002 auf 4.007 EUR, für 2003 auf 2.876 EUR, für 2004 auf 2.876 EUR und für 2005 auf 2.882 EUR.

Auch bei der Schätzung der abziehbaren Vorsteuer ist zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass diese ihre Mitwirkungspflichten verletzt hat. Die Klägerin hat zwar eine allgemeine, aus ihrer Debitorenliste erstellte generelle, prozentuale Aufteilung zwischen privaten und unternehmerischen Leistungsempfängern vorgelegt, nach der sich ein Anteil von unternehmerischen Leistungsempfängern in Höhe von 61,3% für 2002, 44,0% für 2003 und 41,9% für 2004 ergibt. Dieser Prozentsatz ist jedoch auf der Grundlage aller Reisen und nicht nur der Reisen mit Deutschlandbezug erstellt worden. Der Senat geht davon aus, dass es der Klägerin möglich wäre, über ihr Buchungssystem und die Buchhaltung konkret zu belegen, in welchem Umfang Plätze auf den jeweiligen Reisen mit Deutschlandbezug von unternehmerischen Leistungsempfängern gebucht worden sind. Die Verletzung abgabenrechtlicher Mitwirkungspflichten kann, wenn sie Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen betrifft, dazu führen, dass aus seinem Verhalten für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden (vgl. BFH Urteil vom 09.06.2005 IX R 75/03, BFH/NV 2005, 1765).

Angesichts dieser Ungewissheiten hält der Senat einen Abschlag auf die von der Klägerin errechneten Werte von 5% für angemessen.

Die Umsatzsteuer berechnet sich danach wie folgt:

 2002200320042005
Steuerpflichtige Umsätze43.000 EUR43.000 EUR45.150 EUR47.408 EUR
Umsatzsteuer 16%6.880 EUR6.880 EUR7.224 EUR7.585 EUR
Anteil der unternehmerischen Leistungsempfänger in%61,3044,0041,9040,00
abzgl. 5%58,2441,8039,8138,00
Vorsteuer nach diesen %-Sätzen4.007 EUR2.876 EUR2.876 EUR2.882 EUR
festzusetzende USt2.873 EUR4.004 EUR4.348 EUR4.703 EUR

II. Die Klägerin ist durch die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer 2002 in Höhe von 100 EUR sowie zur Umsatzsteuer 2004 in Höhe von 400 EUR nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

1. Die Klägerin hat gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags für 2002 verspätet Einspruch eingelegt.

Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Einspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 1 AO) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen.

a) Zwar hat die von den Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin fristgerecht den Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 06.05.2004 mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs angefochten. Dieser Einspruch vom 14.05.2004 umfasst indes seinem Wortlaut nach nicht auch die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer 2002. Das Einspruchsschreiben kann auch nicht dahin ausgelegt werden, dass der Verspätungszuschlag 2002 angefochten werden sollte. Denn der zugleich gestellte Aussetzungsantrag bezieht sich ausschließlich auf die festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von 1.600 EUR. Für diese Auslegung spricht schließlich das weitere Verhalten der Klägerin. Denn diese stellte am 26.05.2004 einen Erlassantrag für den Verspätungszuschlag 2002. Erst nach Änderung der Umsatzsteuer 2002 mit Bescheid vom 13.10.2005, der mit dem Hinweis verbunden wurde, dass der festgesetzte Verspätungszuschlag bestehen bleibe, legte die Klägerin am 25.10.2005 gegen den Verspätungszuschlag 2002 Einspruch ein. Zu diesem Zeitpunkt war die einmonatige Frist für die Einlegung eines Einspruchs gegen den Bescheid vom 06.05.2004 bereits abgelaufen.

b) Die mit dem Einspruch angefochtene Verfügung vom 13.10.2005 stellt lediglich einen wiederholenden Verwaltungsakt (Zweitakt) ohne eigenen Regelungsgehalt dar, denn der vorangegangene Verwaltungsakt (Festsetzung des Verspätungszuschlags mit Bescheid vom 06.05.2004) ist ohne neue Sachaufklärung, Begründung oder erneute Sachentscheidung lediglich wiederholt worden. Dieser Zweitakt kann, da er keine eigenständige Regelung enthält (§ 118 AO), nicht erneut mit Rechtsbehelfen angefochten werden (vgl. BFH Urteil vom 06.08.1996 VII R 77/95, BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79).

2. Der Beklagte hat den Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 2004 ermessenfehlerfrei festgesetzt. Gemäß § 152 Abs. 1 AO kann gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Die Klägerin ist gemäß § 149 Abs. 1 AO i.V.m. § 18 Abs. 4 a UStG zur Abgabe von Steuererklärungen verpflichtet. Sie hat ihre Umsatzsteuererklärung 2004 erst am 26.09.2006 abgegeben, nachdem der Beklagte bereits einen Steuerbescheid für 2004 erlassen hatte, in dem er die steuerpflichtigen Umsätze geschätzt hat. Die verspätete Abgabe ist auch nicht im Sinne des § 152 Abs. 1 S. 2 AO entschuldbar. Spätestens nachdem der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 23.01.2006 und 02.03.2006 zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2004 aufgefordert hatte, war für die Klägerin auch als nicht inländische Unternehmerin erkennbar, dass sie zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung verpflichtet ist.

Auch die Höhe des Verspätungszuschlages liegt innerhalb der gemäß § 152 Abs. 2 AO zulässigen Grenze von 10% der festgesetzten Steuer und ist auch ansonsten nicht unverhältnismäßig. Die Klägerin hat auch in den Vorjahren ihre Umsatzsteuererklärungen verspätet oder gar nicht abgegeben. Der Beklagte durfte daher davon ausgehen, dass ein niedrigerer Verspätungszuschlag keinerlei Wirkung entfaltet hätte.

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO sowie aus §§ 708 Nr.10 und 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 115 Abs. 2 FGO.

Ende der Entscheidung

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