Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Gerichtsbescheid verkündet am 29.05.2007
Aktenzeichen: 6 K 200/05
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 9
UStG § 15a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

6 K 200/05

Tatbestand:

Streitig ist, ob eine Grundstücksveräußerung der Umsatzsteuer unterliegt.

Die Klägerin ist eine in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft betriebene Immobilienentwicklungsgesellschaft. Ihr Unternehmensgegenstand sind der Erwerb, die Verwaltung, Entwicklung und Veräußerung von Grundvermögen.

Mit notariellem Vertrag vom 18.12.2001 veräußerte die Klägerin ein unbebautes Grundstück an eine Erwerbergemeinschaft (im Folgenden: Erwerber; Grundstückskaufvertrag) für deren Unternehmen. Der Kaufpreis betrug ... Mio. EUR (ohne Ausweis von Umsatzsteuer) und war zum 04.01.2002 zu leisten. Vereinbarter Übergabetag des Grundstücks war der auf die vollständige Kaufpreiszahlung folgende Kalendertag, vorausgesetzt, dass bis zu diesem Zeitpunkt auch der nach dem Generalübernehmervertrag (vgl. hierzu sogleich) zu zahlende Pauschalfestpreis gezahlt wurde (§ 4 Grundstückskaufvertrag). Die Eigentumsumschreibung des Grundstücks auf die Erwerber erfolgte am 17.04.2002.

Mit weiterer notarieller Urkunde vom 18.12.2001 verpflichtete sich die Klägerin, als Generalübernehmerin auf dem veräußerten Grundstück den Erwerbern ein schlüsselfertiges Büro- und Geschäftshaus zu einem Preis (brutto) von 8.647.655,20 EUR (7.436.923,97 EUR zuzüglich 1.210.731,23 EUR ausgewiesener Umsatzsteuer) zu errichten (Generalübernehmervertrag). Die Vergütung wurde als Teil eines Gesamtpreises verstanden, der von den Parteien für das Grundstück nach dem Grundstückskaufvertrag und für die Bau- und sonstigen Leistungen ermittelt wurde (§ 5.1 Generalübernehmervertrag). Vertraglicher Fertigstellungstermin für das Objekt war der 1./15.04.2003.

Die Klägerin sicherte den Erwerbern zu, dass die im Generalübernehmervertrag vereinbarte Leistung der Umsatzsteuer unterliege und optierte für den Generalunternehmervertrag "rein vorsorglich" gemäß § 9 i.V.m. § 4 Nr. 9a UStG zur Umsatzsteuer (§ 2 Generalübernehmervertrag).

Der Grundstückskaufvertrag und der Generalübernehmervertrag wurden durch wechselbezügliche Rücktrittsrechte miteinander verknüpft. Nach dem Willen der Vertragsparteien --und der tatsächlichen Vertragsdurchführung-- sollte der eine Vertrag nicht ohne den anderen zustande kommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Vertragsurkunden (UR-Nr. ...59/2001 und 1860/2001 ...60/2001 des Hamburgischen Notars Dr. A) verwiesen.

Die Klägerin erklärte die Veräußerung des unbebauten Grundstücks in ihrer Umsatzsteuererklärung für 2002 als steuerfreien Umsatz i. S. des § 4 Nr. 9a UStG. Der Beklagte stimmte der Erklärung mit Mitteilung vom 23.09.2003 zu --vgl. § 168 AO.

Nach einer bei der Klägerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung änderte der Beklagte die Umsatzsteuer-Festsetzung für 2002 mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16.06.2004. Er folgte der Berichtsausführung vom 03.05.2004, wonach die Lieferung des Grundstücks steuerpflichtig sei. Die zivilrechtlich getrennten Grundstückskauf- und Generalübernehmerverträge enthielten umfangreiche Rücktritts- und Rückabwicklungsvereinbarungen, die u.a. die alleinige Erfüllung nur eines Vertrags ohne gleichzeitige Erfüllung des anderen Vertrags verhinderten. Die Verknüpfung beider Verträge sei Ausdruck des Willens, den Leistungsempfängern als einheitlichen Leistungsgegenstand ein bebautes Grundstück zu verschaffen. Da nach der EuGH-Rechtsprechung der Verzicht auf Steuerbefreiungen nur einheitlich für Gebäude und den dazugehörigen Grund und Boden ausgeübt werden könne, erstrecke sich die im Generalübernehmervertrag erklärte Option auch auf die Grundstückslieferung. Die steuerpflichtigen Umsätze und die geschuldete Umsatzsteuer seien daher entsprechend zu erhöhen gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 03.05.2004 verwiesen.

Hiergegen legte die Klägerin am 16.07.2004 Einspruch ein.

Der Gesamtvorgang sei als Geschäftsveräußerung im Ganzen gemäß § 1 Abs. 1a UStG insgesamt nicht steuerbar. Der angegriffene Bescheid sei bereits aus diesem Grunde rechtswidrig. Ferner handele es sich bei den Leistungen gemäß Grundstückskauf- und Generalübernehmervertrag nicht um eine einheitliche Leistung i. S. des § 1 UStG. Beide Verträge seien getrennt zu beurteilen. Wirtschaftlich seien die Grundstückslieferung und die Baubetreuung nicht gleichwertig. Zudem führe nach ständiger Rechtsprechung des BFH die bloße rechtsgeschäftliche Verbindung der Leistungen nicht zu einer umsatzsteuerrechtlichen Leistungseinheit.

Schließlich seien die Leistungen gemäß Generalübernehmervertrag nicht optierbar. Die Leistungen unterfielen nicht § 4 Nr. 9a UStG und wären zwingend steuerpflichtig. Die mit dem angegriffenen Bescheid festgesetzte Steuernachforderung in Höhe von 447.775,20 EUR sei daher rückgängig zu machen.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 15.08.2005 zurück. Die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen lägen nicht vor. Zudem sei für die Frage der Einheitlichkeit einer Leistung das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln und dabei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtung sollte im Streitfall ein mit einem Geschäftshaus-Neubau bebautes Grundstück geliefert werden. Deshalb erstrecke sich die im Generalübernehmervertrag wirksam ausgeübte Option auch auf die Veräußerung des Grundstücks, mit der Folge, dass auch dieser Teil des Umsatzes steuerpflichtig sei.

Die Klägerin hat am 19.09.2005 Klage erhoben.

Die in Erfüllung des Grundstückskaufvertrags erbrachte Lieferung des Grundstücks sei gemäß § 4 Nr. 9a UStG umsatzsteuerfrei. Von dem Optionsrecht des § 9 UStG habe sie --die Klägerin-- nach dem eindeutigen Wortlaut des Grundstückskaufvertrags keinen Gebrauch gemacht. Die Leistungen gemäß Grundstückskauf- und Generalübernehmervertrag bildeten auch keine umsatzsteuerrechtliche Leistungseinheit. Diese könne nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann angenommen werden, wenn einzelne Faktoren einer Leistung so ineinander greifen, dass sie bei natürlicher Betrachtung hinter dem Ganzen zurücktreten. In dem hier zu entscheidenden Fall seien aber bei natürlicher Betrachtung die Grundstücksveräußerung und die Verpflichtung zur Errichtung eines Neubaus voneinander zu trennen. Beide Leistungen seien eigenständige Leistungen mit einem gleichwertigen wirtschaftlichen Gehalt. Das werde auch dadurch unterstrichen, dass der Generalübernehmervertrag zur Erreichung desselben wirtschaftlichen Erfolgs mit einem Dritten hätte geschlossen werden können.

Schließlich habe sie --die Klägerin-- in dem Generalübernehmervertrag auch keine Option i. S. des § 9 UStG mit Wirkung für den Grundstücksumsatz erklärt. Zum einen beziehe sich § 2 Generalübernehmervertrag ausschließlich auf die Generalübernehmerleistungen; und zum anderen handele es sich bei der "vorsorglich" erklärten Option um eine bedingte Erklärung. Man habe nur für den Fall, dass die Leistungen gemäß Generalübernehmervertrag entgegen dem eigenen Rechtsverständnis umsatzsteuerfrei sein sollten, auf die Steuerbefreiung verzichten wollen. Da die Bauleistungen jedoch nicht umsatzsteuerbefreit seien, gehe die Option ins Leere und sei ohne rechtliche Wirkung.

Die Klägerin beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 15.08.2005 und den Bescheid für 2002 über Umsatzsteuer vom 16.06.2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die Ausführungen seiner Einspruchsentscheidung.

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Zwischenentscheidung nach § 99 Abs. 2 FGO vorsorglich einverstanden.

Dem Gericht lagen die den Streitfall betreffenden Steuerakten vor, nämlich

1 Bd. Umsatzsteuerakten

1 Bd. Rechtsbehelfsakten

1 Bd. Betriebsprüfungsakten

1 Bd. Allgemeines

1 Sonderhefter Verträge.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht entscheidet durch Zwischen-Gerichtsbescheid, §§ 90a, 99 Abs. 2 FGO.

1. Bei der Frage, ob die Klägerin einen einheitlichen Umsatz "Lieferung eines bebauten Grundstücks" getätigt hat, handelt es sich um eine entscheidungserhebliche Vorfrage, ohne deren Beantwortung ein Urteil über die geltend gemachte Rechtsbeeinträchtigung nicht möglich ist. Ist ein einheitlicher Umsatz zu verneinen, dann wäre der Klage stattzugeben; ist hingegen ein einheitlicher Grundstücksumsatz zu bejahen, dann könnte die Klägerin die Option gemäß § 9 UStG nur einheitlich für den Grund und Boden und das zu errichtende Gebäude ausüben. Sollte die Klägerin in diesem Fall nicht zur Steuerpflicht optieren, so wäre der gesamte Umsatz steuerfrei, mit der Folge, dass ggf. auch § 15a UStG hinsichtlich der in früheren Besteuerungszeiträumen in Anspruch genommenen grundstücksbezogenen Leistungen in die Beurteilung der geltend gemachten Rechtsbeeinträchtigung einzubeziehen wäre, wohingegen die Klägerin im umgekehrten Falle eines Optionsverzichts durch die angegriffene Steuerfestsetzung nicht (mehr) beschwert wäre.

2. Die Vorfrage ist im Sinne der Entscheidung zu beantworten.

a. Besteuerungsgegenstand ist umsatzsteuerrechtlich grundsätzlich die ausgeführte einzelne Leistung (BFH-Beschluss vom 30.10.1986 V B 44/86, BFHE 148, 80, BStBl II 1987, 145). Sie wird bestimmt durch die Art ihrer Ausführung (Lieferung oder sonstige Leistung), den Gegenstand, auf den die Ausführung gerichtet ist (z.B. Lieferung eines unbebauten oder bebauten Grundstücks), durch die Beteiligten (Leistender, Leistungsempfänger) und durch ihre Entgeltlichkeit.

Eine "Bündelung" ist umsatzsatzsteuerrechtlich nur von Leistungen desselben Unternehmers und nur nach den Gründsätzen der Einheitlichkeit der Leistung und von Haupt- und Nebenleistung zulässig (vgl. BFH-Urteile vom 07.02.1991 V R 53/85, BFHE 164, 482, BStBl II 1991, 737; vom 29.08.1991 V R 87/86, BFHE 166, 185, BStBl II 1992, 206 m.w.N.).

Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung umfasst der Umsatz weitere Leistungen nur, wenn sie mit dem Leistungsgegenstand so abgestimmt sind, dass sie in ihm aufgehen und ihre Selbstständigkeit verlieren (vgl. BFH-Urteil vom 29.08.1991 V R 87/86, BFHE 166, 185, BStBl II 1992, 206 m.w.N.). Eine einheitliche Leistung aus mehreren untereinander gleichwertigen auf ein einheitliches wirtschaftliches Ziel gerichteten Bestandteilen ist dann anzunehmen, wenn die einzelnen Faktoren so ineinandergreifen, dass sie bei natürlicher Betrachtung hinter dem Ganzen zurücktreten (vgl. BFH-Urteil vom 10.09.1992 V R 99/88, BFHE 169, 255, BStBl II 1993, 316 m.w.N.).

b. Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall ein einheitlicher Grundstücksumsatz "Lieferung eines bebauten Grundstücks" vor. Zwar handelt es sich grundsätzlich bei der Lieferung eines unbebauten Grundstücks und bei den Leistungen eines Generalübernehmers nicht um Haupt- und Nebenleistungen; keine der beiden Leistungen ist im Vergleich zu der jeweils anderen nebensächlich und ergänzt diese nur bzw. wird üblicherweise nur zusammen mit dieser ausgeführt. Jede der Leistungen hat --losgelöst von dem hier zu beurteilenden Sachverhalt-- im Gegenteil einen eigenständigen wirtschaftlichen Wert und wird am Markt für sich angeboten und gehandelt. Im Streitfall sind die Leistungen indes nach dem Parteiwillen so miteinander verbunden worden, dass die Lieferung des Grund und Bodens und die Generalübernehmerleistungen nicht unabhängig voneinander erfolgen sollten und erfolgt sind (vgl. hierzu die im Grundstückskauf- und Generalübernehmervertrag wechselbezüglich ausbedungenen Rücktrittsrechte, § 10 Grundstückskaufvertrag, § 3 Generalübernehmervertrag). Die Vertragsparteien verpflichteten sich nur auf die Summe beider Verträge als einheitlichem Leistungsziel, was nicht zuletzt auch in der Bemessung der Generalübernehmervergütung als Teil eines Gesamtpreises für das Grundstück und die Bauleistungen (vgl. § 5.1 Generalübernehmervertrag) zum Ausdruck gekommen ist. Bei natürlicher Betrachtung sollte die Klägerin den Erwerbern somit ein bebautes Grundstück liefern. Hinter diesem "Ganzen" traten die Lieferung des Grund und Bodens und die Bauleistungen als dessen integrierte Bestandteile zurück.

3. Eine Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.



Ende der Entscheidung

Zurück