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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 30.03.2009
Aktenzeichen: 6 K 45/08
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 3
EStG § 19 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei Zahlungen, die die Klägerin in den Streitjahren 2002 bis 2004 erhalten hat, um steuerfreie Trinkgelder im Sinne des § 3 Nr. 51 EStG handelt.

Die Klägerin erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Sie war seit 1995 beim ...-Klinikum A angestellt. Sie arbeitete dort zunächst als Krankenschwester und später als Büroangestellte. Anfang des Jahres 2002 wurde sie der Abteilung "..." zugewiesen.

Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung stellte das Finanzamt für Großunternehmen in Hamburg fest, dass die Klägerin von dem Klinikdirektor in den Streitjahren Zahlungen in Höhe von 650,00 EUR (2002), von 1.250,00 EUR (2003) und von 1.100,00 EUR (2004) erhalten hatte, und übersandte dem Beklagten eine entsprechende Prüfmitteilung. Der Beklagte forderte die Klägerin daraufhin zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2002 bis 2004 auf.

Die Klägerin legte am 30.04.2007 entsprechende Erklärungen vor, machte jedoch geltend, dass es sich bei den Zahlungen des Klinikdirektors um steuerfreie Einnahmen im Sinne des § 3 Nr. 51 EStG (Trinkgelder) handele. Sie habe in den Streitjahren für den Klinikdirektor, der seinerseits Angestellter des ...-Klinikums A gewesen sei, Büroarbeiten verrichtet. Zu ihren Aufgaben als Angestellte des Klinikums habe es auch gehört, den Klinikdirektor bei etwa 20 eintägigen Fortbildungsveranstaltungen pro Jahr in technischer und (büro-)organisatorischer Hinsicht zu unterstützen. Diese Veranstaltungen habe der Klinikdirektor als freiberuflicher Dozent für niedergelassene Ärzte und Krankenhausärzte durchgeführt. Die Zahlungen habe sie als Anerkennung für ihren Einsatz bei den Fortbildungsveranstaltungen und für die zufriedenstellende Erledigung der angefallenen Hilfsarbeiten erhalten. Der Klinikdirektor sei nicht ihr Arbeitgeber gewesen und habe die Zahlungen freiwillig, ohne rechtliche oder vertragliche Verpflichtung geleistet.

Mit Bescheiden vom 26.06.2007 erfasste der Beklagte die jeweiligen Zahlungen gleichwohl als Einkünfte der Klägerin aus nichtselbstständiger Arbeit. Der dagegen gerichtete Einspruch der Klägerin vom 19.07.2007 wurde mit Entscheidung des Beklagten vom 18.02.2008 als unbegründet zurückgewiesen.

Am 17.03.2008 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, die gesetzliche Regelung enthalte keine Definition des Begriffs "Dritter"; auch die Rechtsprechung habe die begriffliche Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmals bislang offen gelassen. Doch führe die Auslegung nach der allgemeinen Verkehrsauffassung über die einfache Zahlenlehre dazu, dass Dritter eine Person sei, die bezogen auf das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis weder Erster noch Zweiter, also weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer sei. Dies treffe auf jede Person zu, die hinsichtlich des konkreten Arbeitsverhältnisses als Außenstehender angesehen werden müsse, im Streitfall also auch auf den Chefarzt. Dieser sei nicht nur als Arbeitnehmer des Krankenhauses tätig geworden, sondern daneben auch im eigenen Namen, als freiberuflicher Arzt und als freiberuflicher Dozent. In seinem Arbeitsvertrag bzw. Dienstsvertrag sei ihm die Möglichkeit eingeräumt worden, auf Räumlichkeiten, Betriebsvorrichtungen und Personal des Klinikums zurückzugreifen. Nach ihrer Kenntnis zahle er dafür an das Klinikum ein sogenanntes Nutzungsentgelt für Kostenerstattung und Vorteilsausgleich. Es könne somit keinem Zweifel unterliegen, dass das Zurverfügungstellen von Räumlichkeiten und Betriebsvorrichtungen sowie das Gestellen von Personal Dienstleistungen des Klinikums gegenüber dem Chefarzt seien und dass auf diese Weise ein kundenähnliches Dienstverhältnis begründet werde. Ein solches Rechtsverhältnis sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs das maßgebliche Auslegungskriterium für den normativen Begriff des "Dritten" in § 3 Nr. 51 EStG. Auch habe es sich bei den hier streitigen Zahlungen um freiwillige Zuwendungen gehandelt. Ein Arbeitsvertrag zwischen ihr und dem Chefarzt habe nicht bestanden; einen Liquidationspool habe es in diesem Fall nicht gegeben. Die streitigen Beträge seien unmittelbar von einem persönlichen Konto des Chefarztes und seiner Frau an sie überwiesen worden. Allein der Chefarzt habe darüber bestimmt, ob überhaupt Zahlungen geleistet werden sollten und, wenn ja, in welcher Höhe. Sie selbst habe überhaupt erst durch den Geldeingang auf ihrem Konto Kenntnis von einer freiwilligen Zuwendung bzw. der jeweiligen Höhe erhalten. Auch habe ihr der Chefarzt nicht für jede Fortbildungsveranstaltung eine Zuwendung als Anerkennungsprämie gezahlt. Im Übrigen sei bei der Auslegung des § 3 Nr. 51 EStG die gesetzgeberische Intention zu berücksichtigen, die Situation von Beschäftigten vor allem im Niedriglohnsektor, insbesondere in Dienstleistungsbetrieben, zu verbessern. Für diese seien traditionell zusätzliche Zahlungen ein wichtiger Bestandteil der Entlohnung. Dies treffe auch auf Geldleistungen wie die hier streitigen zu, die daher dem überkommenen, durch den allgemeinen Sprachgebrauch geprägten und typologisch umschriebenen Trinkgeldbegriff des § 3 Nr. 51 EStG zuzuordnen seien.

Die Klägerin beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 18.02.2008 aufzuheben und die Bescheide für 2002, 2003 und 2004 über Einkommensteuer vom 26.06.2007 dahingehend zu ändern, dass die Zahlungen in Höhe von 650,00 EUR (2002), von 1.250,00 EUR (2003) und von 1.100,00 EUR (2004) erklärungsgemäß nicht der Einkommensteuer unterworfen werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor, die Besonderheit des Streitfalls liege darin, dass das Verhältnis eines Chefarztes zum Krankenhaus aufgrund der schuldvertraglichen und organisatorischen Einbindung des Arztes in den Krankenhausbetrieb nicht mit Verhältnissen verglichen werden könne, wie sie beispielsweise zwischen einem Kunden und einem Verkäufer/Dienstleister oder einem Gast und dem Inhaber eines Restaurants bestünden. Auch widersprächen die Höhe der Zahlungen und die Zeiträume, für die diese geleistet worden seien, der Einordnung als Trinkgeld.

Der Streitfall ist mit den Beteiligten am 06.02.2009 erörtert worden; auf die Niederschrift über den Erörterungstermin (Bl. 38 ff. der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.

Dem Gericht hat ein Band Rechtsbehelfsakten (angelegt: 2007) vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass es sich bei den hier streitigen Zahlungen nicht um Trinkgelder im Sinne des § 3 Nr. 51 EStG handelt.

1.

Die streitigen Zahlungen sind Arbeitslohn im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.

Unter den Begriff "Arbeitslohn" fallen alle Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Dies gilt auch für Zuwendungen eines Dritten, wenn diese Entgelt "für" eine Leistung bilden, die der Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses für seinen Arbeitgeber erbringt, erbracht hat oder erbringen soll. Voraussetzung ist, dass sich diese Zuwendungen für den Arbeitnehmer als Frucht der für den Arbeitgeber geleisteten Arbeit darstellen und im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH-Urteil vom 03.05.2007 - VI R 37/05, BStBl II 2007, 712, mit weiteren Nachweisen). Die von dem Klinikdirektor an die Klägerin geleisteten Zahlungen erfüllen diese Voraussetzungen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig (vgl. Einspruch der Klägerin vom 19.07.2007, Bl. 46 der Rechtsbehelfsakte).

2.

Die streitigen Zahlungen sind steuerpflichtig; sie sind nicht als Trinkgeld nach § 3 Nr. 51 EStG steuerfrei.

a)

Gemäß § 3 Nr. 51 EStG in der seit dem Streitjahr 2002 geltenden Fassung sind Trinkgelder, die anlässlich einer Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer von Dritten freiwillig und ohne dass ein Rechtsanspruch auf sie besteht, zusätzlich zu dem Betrag gegeben werden, der für diese Arbeitsleistung zu zahlen ist, steuerfrei.

Nach Auffassung des erkennenden Senats wird der Begriff "Trinkgeld" durch die genannte Bestimmung nicht abschließend definiert. Das bedeutet, dass nicht jede "anlässlich einer Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer von Dritten freiwillig und ohne dass ein Rechtsanspruch auf sie besteht, zusätzlich zu dem Betrag ..., der für diese Arbeitsleistung zu zahlen ist", hingegebene Geldleistung ein Trinkgeld im Sinne des § 3 Nr. 51 EStG ist. Es handelt sich vielmehr um einen durch den allgemeinen Sprachgebrauch geprägten unbestimmten Gesetzesbegriff (Typusbegriff), den der Gesetzgeber in die gesetzliche Regelung übernommen hat (vgl. auch BFH-Urteil vom 18.12.2008 - VI R 49/06, DStRE 2009, 210 = BFH/NV 2009, 479: typologisch umschriebener Trinkgeldbegriff; vgl. allgemein zur Rechtsfigur des Typusbegriffs auch Drüen in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Tz. 395 ff.).

Ob eine Leistung Trinkgeld im Sinne des § 3 Nr. 51 EStG ist, lässt sich demnach nicht generell, sondern nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles entscheiden. Wesentlich und prägend ist dabei die Beziehung zwischen dem Geber und dem Empfänger des Trinkgelds. Diese wird in der Rechtsprechung - typisierend - wie folgt umschrieben: Trinkgeld sei eine "dem dienstleistenden Arbeitnehmer vom Kunden oder Gast gewährte zusätzliche Vergütung", die "eine gewisse persönliche Beziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Dritten" voraussetze (BFH-Urteil vom 18.12.2008 - VI R 49/06, DStRE 2009, 210 = BFH/NV 2009, 479). Es handle sich um eine "freiwillige und typischerweise persönliche Zuwendung an den Bedachten als eine Art honorierende Anerkennung seiner dem Leistenden gegenüber erwiesenen Mühewaltung in der Form eines kleineren Geldgeschenks" (BFH-Urteil vom 03.05.2007 - VI R 37/05, BStBl II 2007, 712; vgl. auch BFH-Urteil vom 19.07.1963 - VI 73/62 U, BFHE 77, 433, BStBl III 1963, 479).

b)

Die Zahlungen, die die Klägerin von dem Klinikdirektor erhalten hat, können danach nicht dem Typus "Trinkgeld" zugeordnet werden. Dabei braucht der erkennende Senat nicht zu entscheiden, ob der Klinikdirektor "Dritter" im Sinne des § 3 Nr. 51 EStG ist (auch wenn nach dem Rekurs des Bevollmächtigten der Klägerin auf die "einfache Zahlenlehre" einiges für diese Auffassung spricht). Jedenfalls ist aber das Verhältnis zwischen der Klägerin als der Empfängerin der Geldleistung zu dem Klinikdirektor als dem Geber derselben kein solches, das man typischerweise mit dem zu einem Kunden oder einem Gast vergleichen würde (a. A.: Hagen/Lucke, Neue Wirtschaftsbriefe, Fach 6 S. 4693). Gleichermaßen widerstrebt es dem allgemeinen Sprachempfinden, den Klinikdirektor als "Kunden" des ...-Klinikums zu bezeichnen, und zwar auch dann, wenn er im Rahmen seiner freiberuflichen Nebentätigkeit Ressourcen des ...-Klinikums nutzt. Er tut dies eben nicht wie ein Kunde oder Gast (etc.), sondern als leitender Angestellter, der über die ihm zugewiesene Haupttätigkeit hinaus für eigene Zwecke über sächliche und personelle Mittel seines Arbeitgebers verfügen kann. Der Hinweis des Bevollmächtigten auf das sog. Nutzungsentgelt, das der Klinikdirektor seinerseits an das ...-Klinikum zu entrichten hat, ändert daran nichts.

3.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 115 Abs. 2 FGO.

Ende der Entscheidung

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