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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: 7 K 27/06
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 3 Abs. 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

7 K 27/06

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob Umsätze aus dem Verkauf von Popcorn und Nachos als sonstige Leistung zu besteuern sind.

Die Klägerin betreibt ... Kinos ... in mehreren Städten.

In den Foyers der Kinos befinden sich in unterschiedlicher Anzahl jeweils Stehtische, Barhocker, zum Teil Sitzbänke, Stühle, Sitztische und teilweise so genannte Stehboards bzw. Wandtresen. Es sind jedoch nicht in jedem Kino sämtliche der genannten Einrichtungsgegenstände vorhanden.

Neben diversen Süßwaren und Getränken können Kinobesucher in den Foyers auch Popcorn und Tortilla-Chips (Nachos) in verschiedenen Größen erwerben. An den Verkaufsständen selbst befinden sich keine Ablageflächen, Tische oder ähnliche Gegenstände. In den Kinosälen befinden sich lediglich in den Kinos ... an drei Standorten Getränkehalter an den Kinosesseln. Sonstige Ablageflächen sind in den Kinosälen nicht vorhanden. Die Einlasskontrolle in die Kinosäle befindet sich, unter anderem abhängig von dem jeweiligen Besucheraufkommen und je nach Kino, vor oder hinter den Verkaufstresen oder aber direkt vor den jeweiligen Kinosälen.

Das Popcorn wird derart hergestellt, dass Zucker, Mais, Popcornsalz und Fett in einem bestimmten Verhältnis in eine Popcornmaschine gefüllt wird. Durch Erhitzen brechen die Maiskörner auf und quellen auf. Ein Teil der Ware gelangt danach umgehend in die an der Verkaufstheke vorhandenen Tresenwärmer, in denen das Popcorn mittels warmer Luft lauwarm gehalten wird. Bei einer Bestellung durch die Kinobesucher wird dann aus diesem Tresenwärmer das Popcorn mittels einer Schaufel in unterschiedlich große Papiertüten gefüllt und an den Kinobesucher verkauft. Die restliche Ware wird in großen Tüten oder Wannen gelagert und dann nach Bedarf in die Tresenwärmer umgefüllt.

Die Nachos werden in der Regel in Packungen zu je 500 g bei entsprechenden Lieferanten bestellt. Ein Teil der Ware gelangt dann ebenfalls in einen Tresenwärmer, in dem die Nachos mittels warmer Luft lauwarm gehalten werden. Der zu den Nachos angebotene Salsa- und Käsedip wird in größeren Behältern servierfertig angeliefert. Ein Teil der Salsasauce wird in eine extra hierfür vorgesehene Schale am Tresen umgefüllt, aus der dann die Portionierung erfolgt. Die Käsesauce wird zwecks Erwärmung in ein spezielles Gefäß gestellt. Bei Bedarf wird sie direkt aus diesem portioniert. Eine Zubereitung der Saucen findet nicht statt. Die servierfertigen Saucen werden lediglich (zum Teil) gewärmt und portioniert. Bei einer Bestellung durch die Kinobesucher wird eine Einwegschale, die ein größeres Fach für die Nachos und ein kleineres für den Dip enthält, von einem Mitarbeiter mit den lauwarmen Nachos und der gewünschten Sauce befüllt.

In der Umsatzsteuervoranmeldung für Juni 2005, die einen Umsatzsteuer-Überschuss in Höhe von 66.331,63 EUR zu ihren Gunsten auswies, erklärte die Klägerin die Umsätze aus dem Verkauf des Popcorns und der Nachos als steuerpflichtige Umsätze zu 7 v.H. Auf diese Umsätze entfiel ein Betrag in Höhe von 105.691,66 EUR brutto (Umsatzsteuernebenakten Bl. 59 f.). Der Beklagte stimmte dieser Voranmeldung nicht zu und erließ am 05.09.2005 einen Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Juni 2005, in dem er einen Umsatzsteuerüberschuss zugunsten der Klägerin in Höhe von 58.667,94 EUR festsetzte. Dabei setzte er diese Umsätze mit dem entsprechend ermittelten niedrigeren Nettobetrag an und besteuerte sie mit dem Regelsteuersatz (Umsatzsteuernebenakten Bl. 63 f.).

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 14.09.2005 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 09.01.2006 zurückwies.

Am 08.02.2006 hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin ist der Auffassung, dass es sich bei dem Verkauf von Popcorn und Nachos um eine Lieferung von in der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG aufgeführten Gegenständen handele und deshalb ermäßigt zu besteuern sei. Eine sonstige Leistung liege nicht vor, da die Waren in der Regel in den Kinosälen verzehrt würden. Zwischen den Foyers, in denen die Waren gekauft werden, und den Kinosälen fehle ein räumlicher Zusammenhang, da beispielsweise die Einlasskontrolle eine räumliche Grenze bilde. Die Kinosäle befänden sich auch teilweise in verschiedenen Stockwerken, was eine besondere räumliche Trennung zu den Verkaufstresen zur Folge habe. Die vorhandenen Ablage- und Sitzgelegenheiten im Foyer seien nicht für den Verzehr bestimmt noch würden sie tatsächlich hierfür genutzt. Zudem komme es auf die Bestimmung der Ablage- und Sitzgelegenheiten durch den Kinobetreiber an. Die Klägerin habe diese aufgestellt, damit die Kinobesucher dort auf das Eintreffen weiterer Besucher warten und die dort ausgelegten Flyer lesen könnten. Auch die Kinosessel in den Sälen würden nicht für den Verzehr an Ort und Stelle bestimmt sein, da diese ausschließlich dafür bereitgehalten würden, um den jeweiligen Film im Sitzen sehen zu können. Neben dem Verkauf der Waren erbringe die Klägerin keine weiteren Dienstleistungen. Sie halte weder Geschirr bereit noch würden die Kinobesucher beraten oder sonst über den reinen Verkaufsvorgang hinaus bedient. Die Reinigung der Kinosäle nach jeder Vorführung diene lediglich dem Vorbereiten des Saales für die nächste Vorführung.

Die Klägerin beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid vom 05.09.2005 über Vorauszahlung Juni 2005 und die Einspruchsentscheidung vom 09.01.2006 in der Weise zu ändern, dass die Umsatzsteuervorauszahlung auf -66.331,69 EUR festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass ein räumlicher Zusammenhang bereits dadurch gegeben sei, dass sich sowohl der Abgabe- als auch der Verzehrort im selben Gebäude befinden. Neben den Sitzmöglichkeiten in den Foyers dienten auch die Kinosessel dem Verzehr des Popcorn und der Nachos.

Dem Gericht hat die Umsatzsteuernebenakte Bd. IV des Finanzamtes Hamburg-... zur Steuernummer ... vorgelegen.

Ergänzend wird auf den Akteninhalt und die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, insbesondere auf die eingereichten Fotos und Pläne über die Einrichtung der Foyers in den Kinos, sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig. Der Beklagte hat zu Recht die streitigen Umsätze als sonstige Leistung erfasst und mit dem Regelsteuersatz besteuert.

Es handelt sich nicht um die Lieferung der in der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG bezeichneten Gegenstände, bei denen sich die Steuer auf 7 v.H. ermäßigt.

Zwar werden die Waren von der laufenden Nr. 31 der Anlage 2 erfasst, da sie dem Kapitel 19 des Zolltarifs unstreitig zuzuordnen sind.

Die Leistung der Klägerin ist jedoch keine Lieferung, sondern eine sonstige Leistung im Sinne von § 3 Abs. 9 UStG. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG, die im Licht der EuGH-Rechtsprechung auszulegen sind, liegen vor.

Gemäß § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Gemäß § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG sind sonstige Leistungen die Leistungen, die keine Lieferungen sind. Dies entspricht auch Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 (6. MwSt-RL, ABl. L 145, S. 1).

Die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle ist eine sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 Satz 4 UStG). Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden (§ 3 Abs. 9 Satz 5 UStG).

§ 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG, die über den Text der 6. MwSt-RL hinausgehen, sind richtlinienkonform auszulegen (vergleiche hierzu auch Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 3 Anm. 3742 ff.). Dabei ist zugrunde zu legen, dass nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln ist, ob bestimmte Umsätze ihrem Wesen nach Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen sind. Die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr (Restaurationsumsatz) ist dabei das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen. Hierbei wird dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt. Der Restaurationsumsatz ist durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen bei weitem überwiegen, so dass er als Dienstleistung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der 6. MwSt-RL zu betrachten ist. Etwas anderes gilt hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel "zum Mitnehmen" bezieht und daneben keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen (EuGH-Urteil vom 02.05.1996, Rs. C-231/94 - Faaborg-Gelting Linien A/S - Slg. Bd. I 1996, 2395, HFR 1996, 612).

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich der normale Steuersatz gilt und der ermäßigte Steuersatz die Ausnahme ist. Dementsprechend sind Tatbestandsmerkmale, die zu dieser Ausnahme führen, eng auszulegen (vgl. auch EuGH-Urteil vom 18.01.2001, Rs. C-83/99 - Kommission/Spanien, EuGHE I 2001, 445). Dies führt nach Auffassung des erkennenden Senats dazu, dass im vorliegenden Fall die Tatbestandsmerkmale einer Lieferung eng auszulegen sind.

Im Streitfall überwiegt bei richtlinienkonformer Auslegung des § 3 Abs. 9 Satz 5 UStG der Dienstleistungscharakter bei der Abgabe der Nachos und des Popcorns.

Nach den Umständen der Abgabe sind die Nachos und das Popcorn, die als verzehrfertige Lebensmittel Speisen sind, dazu bestimmt, vor Ort verzehrt zu werden. Sie werden in den Foyers der Kinos verkauft. Die Verkaufstresen sind in der Art in die Räumlichkeiten des Kinogebäudes/der Foyers integriert, dass die Kinobesucher diese als unselbstständigen Teil des Ganzen im Rahmen ihres Kinobesuchs ansehen können. Da das Popcorn und die Nachos durch die Erwärmung bzw. Herstellung der Ware und das Warmhalten in gewisser Form zubereitet und lauwarm verkauft werden, ohne dass sie in Warmhaltebehältnisse abgefüllt werden, sind sie dazu bestimmt, unverzüglich gegessen zu werden. Dass das Popcorn und die Nachos außerhalb des Kinogebäudes gegessen werden und insofern eine "Mitnahme außer Haus" vorliegt, ist weder vorgetragen noch für das Gericht erkennbar. Dies wird von der Klägerin selbst auch nicht angenommen. Im Übrigen kommt es für die Frage, ob die Abgabe dazu bestimmt ist, an einem bestimmten Ort verzehrt zu werden, weder auf die Absicht des leistenden Unternehmers noch auf das tatsächliche Verhalten des Käufers an (Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 3 Anm. 3882).

Der Verzehr erfolgt auch an einem Ort, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht. Nach Auffassung des Gerichtes kommt es hierfür nicht darauf an, dass der Verzehr in einem vom Abgabeort unterschiedlichen Raum erfolgt (vgl. auch Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 3 Anm. 3831; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 66 Rz. 203), wenn ein räumlicher Zusammenhang aus anderen Gründen vorliegt. Dieser räumliche Zusammenhang ist im Streitfall gegeben. Das Popcorn und die Nachos werden entweder bereits (teilweise) im Foyer verzehrt oder mit in den Kinosaal genommen, d.h. in dem allgemein für die Öffentlichkeit zugänglichen Teil des Kinogebäudes. Eine Mitnahme der Speisen entsprechend dem Verkauf über die Straße, erfolgt im Streitfall gerade nicht.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Klägerin in Form der Stehtische in den Foyers besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle im Sinne des § 3 Abs. 9 Satz 5 UStG bereithält. Zwar spricht nach Auffassung des erkennenden Senates einiges dafür, da das Popcorn und die Nachos sowohl in den Foyers als auch in den Kinosälen im Rahmen des Kinobesuchs verzehrt werden können und die Klägerin in räumlicher Nähe zu den Verkaufsständen in den Foyers Sitzgelegenheiten und ähnliches bereit hält bzw. aufgestellt hat (vgl. auch Waza in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Rn. 115; Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 3 Anm. 3901 - Kino, Theater, Sportstätte). Jedenfalls ist § 3 Abs. 9 Satz 5 UStG richtlinienkonform in der Weise auszulegen, dass besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle nur indizielle Bedeutung für die Abgrenzung einer sonstigen Leistung zur Lieferung haben (vgl. auch Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 3 Anm. 3742).

Der Senat kommt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu der Überzeugung, dass im Rahmen einer Gesamtbetrachtung im Streitfall die Abgabe des Popcorns und der Nachos über einen Umsatz von Nahrungsmitteln "zum Mitnehmen" hinausgeht. Die Klägerin bietet für den Verzehr an Ort und Stelle einen ansprechenden Rahmen insgesamt. So bietet sie ein Gesamterlebnis "Kinovergnügen", in das die Abgabe des Popcorns und der Nachos einbezogen ist, auch wenn umsatzsteuerlich jeweils eigenständige Leistungen vorliegen. Der Dienstleistungscharakter zeigt sich neben dem bereits oben Erwähnten (gewisse Form der Zubereitung, keine Abgabe zum Mitnehmen "außer Haus", Gesamtambiente der Räumlichkeiten) insbesondere auch darin, dass die Klägerin die Räumlichkeiten ständig bzw. vor und nach den jeweiligen Vorstellungen reinigen lässt. Dabei dürfte der größte Teil der Verschmutzung auf die Abgabe von Speisen, die im räumlichen Zusammenhang mit dem Kinosaal erfolgt, zurückzuführen sein. Die gesamten Umstände führen dazu, dass die Klägerin über die bloße Lieferung von Speisen hinaus eine sonstige Leistung erbringt, um das Gesamterlebnis "Kinovergnügen" dem Besucher angenehm zu gestalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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