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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 31.10.2007
Aktenzeichen: IV 169/05
Rechtsgebiete: GKG, FGO


Vorschriften:

GKG § 52 Abs. 1
GKG § 53 Abs. 3 Nr. 1
FGO § 69
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

IV 169/05

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Höhe des im Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) anzusetzenden Streitwertes.

Der beschließende Senat hatte im Antragsverfahren nach § 69 FGO mit Beschluss vom 05.04.2003 die Vollziehung der Steueranmeldung der Antragstellerin vom ... 2005 über ... EUR gegen Sicherheitsleistung aufgehoben. MitBeschluss vom 06.08.2007 (VII B 108/06) hatte der Bundesfinanzhof zum einen die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Senats vom 05.04.2006 als unbegründet zurückgewiesen und zum anderen auf die Beschwerde der Antragstellerin den Beschluss des Senats vom 05.04.2006 dahin geändert, dass die Anordnung der Sicherheitsleistung aufgehoben wurde.

Am ... 2007 hat die Antragstellerin die Kostenfestsetzung für das AdV-Verfahren beantragt. In ihrer Berechnung geht sie von einem Streitwert in Höhe von 25% der angemeldeten Steuer aus. Diesem Ansatz tritt der Antragsgegner unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entgegen, wonach sich der Streitwert im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung auf 10% des beantragten Aussetzungsbetrages belaufe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG. Danach ist auch in Verfahren auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für diesen ergebende Bedeutung der Sache nach Ermessen durch das Gericht zu bestimmen. Maßgebend für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der die Instanz einleitenden Antragstellung. Vorliegend bemisst der beschließende Senat das finanzielle Interesse der Antragstellerin mit 25% des Streitwertes des Hauptsacheverfahrens.

Allerdings geht der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Streitwert in Aussetzungsverfahren nach § 69 FGO mit 10% des Betrages zu bemessen sei, dessen Aussetzung begehrt werde (vgl. nur BFH, Beschluss vom 28.9.2006, IV E 2/06, [...], unter Hinweis auf die gefestigte Rechtsprechung seit BFH-Beschluss vom 6.2.1967, VII B 29/66, sowie Beschluss vom 26.4.2001, V S 24/00, [...]). Auch die Finanzgerichte halten in Bezug auf AdV-Verfahren überwiegend einen Streitwert von 10% des Hauptsachestreitwertes für angemessen (vgl. insoweit nur FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.1.2006, 13 KO 5/05, [...]; FG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 30.5.2006, 1 KO 541/06, [...]; FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.11.2006, 4 KO 1333/06, [...]; FG Berlin, Beschluss vom 29.8.2006, 6 B 6046/06, [...]; FG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 3.8.2006, V 40/06, [...]). Demgegenüber wird von einzelnen Finanzgerichten die Auffassung vertreten, dass im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung der Streitwert mit 25% des Streitwerts der Hauptsache anzusetzen sei ( vgl. FG Berlin, Beschluss vom 10.12.1998, 2 B 2507/98, [...]; Thüringer FG, Beschluss vom 4.4.2001, III 425/99 V, [...]; FG Düsseldorf, Beschluss vom 25.5.2005, 11 V 5884/03 A (E), [...]; FG Münster, Beschluss vom 30.1. 2007 11 V 4418/05 AO, [...]; ebenso Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, vor § 135 FGO, Rz.165). Dieser Ansicht folgt auch der beschließende Senat:

In Übereinstimmung mit dem Bundesfinanzhof geht der Senat davon aus, dass das finanzielle Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel wesentlich geringer ist als sein Interesse am Ausgang des Hauptsacheverfahrens. Der beschließende Senat stimmt auch mit dem Bundesfinanzhof darin überein, dass das Kostenrisiko eines AdV-Verfahrens für den Bürger einschätzbar sein soll (vgl. insoweit BFH, Beschluss vom 26.4.2001, V S 24/00, [...]). Vor diesem Hintergrund ist es durchaus hilfreich, einen Durchschnittswert zu bilden. Diese Erwägungen legen indes nicht durchschlagend nahe, den Streitwert in Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung regelmäßig mit 10% des Hauptsachestreitwertes anzunehmen. Der beschließende Senat ist sich insoweit sehr wohl bewusst, dass es einem Antragsteller eines Verfahrens über die Aussetzung der Vollziehung insbesondere um die vorläufige Befreiung von der Pflicht zur alsbaldigen Befolgung des Leistungsgebotes geht (so ausdrücklich beispielsweise BFH, Beschluss vom 22.11.1995, II S 10/95, [...]). Mit Blick auf dieses Rechtsschutzanliegen lässt sich das finanzielle Interesse eines Antragstellers eines AdV-Verfahrens in der Tat (vor allem) in einer möglichen Zinsersparnis ausdrücken, wobei nach Auffassung des beschließenden Senats dieses finanzielle Interesse allein die Kosten umfasst, die der Abgabenpflichtige aufwenden müsste, um den angefochtenen Abgabenbetrag verfügbar zu machen. Abgesehen davon, dass der Bundesfinanzhof das so umschriebene Interesse lediglich im Rahmen "freien Ermessens" mit pauschal 10% des Hauptsachestreitwertes angesetzt, nicht jedoch verifizierbar begründet hat (vgl. BFH, Beschluss vom 6.2.1967, VII B 29/66, [...]), dürften in den letzten 40 Jahren auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf dem Kapitalmarkt nicht unverändert geblieben sein. So ist es gerichtsbekannt, dass sich die Zinssätze für Dispositionskredite auf einem unteren Niveau von wenigstens 9% p.a. bewegen. Für Ratenkredite bewegt sich der bonitätsabhängige Zinsrahmen etwa zwischen 4,5% und 11,5% p.a. bei einer Laufzeit von 24 Monaten (vgl. insoweit www.ratenkredit-testsieger.de). Vor dem Hintergrund, dass sich in den Jahren 2005 und 2006 beim Finanzgericht Hamburg die durchschnittliche Dauer eines Klageverfahrens auf 17,5 bzw. 15 Monate belief (vgl. Jahresbericht 2005 bzw. 2006, www.finanzgericht.hamburg.de) und beim Bundesfinanzhof die durchschnittliche Verfahrensdauer 11 (2005) bzw. 10 (2006) Monate betrug (vgl. Jahresbericht 2005 bzw. 2006, www.bundesfinanzhof.de), dürfte eine vom Bundesfinanzhof im Jahre 1967 mit 10% des Hauptsachestreitwertes pauschal zugrunde gelegte Zinsersparnis schon den gegenwärtigen, von einer Niedrig-Zinsphase geprägten Marktverhältnissen ersichtlich nicht (mehr) gerecht werden. In diesem Kontext kommt hinzu, dass zur Dauer des gerichtlichen Verfahrens das Einspruchsverfahren in der Regel zu addieren ist mit der Folge, dass die zu betrachtende Zinsersparnis auf Seiten des Antragstellers weiter ansteigt.

Darüber hinaus hält der beschließende Senat dafür, dass sich die im Sinne des § 52 Abs. 1 GKG "Bedeutung" eines AdV-Verfahrens häufig - wie auch hier - nicht in dem wirtschaftlichen Vorteil der späteren Zahlung des angefochtenen Abgabenbetrages erschöpft. Vielmehr werden Anträge auf Aussetzung der Vollziehung auch und vor allem deshalb anhängig gemacht, um das Prozessrisiko bezüglich des Hauptsacheverfahrens besser abschätzen zu können (ebenso Sächsisches FG, Beschluss vom 14.6.2006, 2 V 1922/04, [...]; FG Düsseldorf, Beschluss vom 25.5.2005, 11 V 5884/03 A (E), [...]; Thüringer FG, Beschluss vom 1.9.2000, II 691/00 Ko, [...]). Denn das Gericht legt in seinem AdV-Beschluss in der Regel seine vorläufige Rechtsauffassung dar und benennt die aus seiner Sicht streitentscheidenden Sach- und Rechtsfragen, die den weiteren Fortgang des Hauptsacheverfahrens erheblich beeinflussen. Vor diesem Hintergrund besteht die Bedeutung eines AdV-Antrags auch darin, eine "schnelle und kostengünstige Vorabentscheidung für die Hauptsache" zu erlangen (Thüringer FG, Beschluss vom 1.9.2000, II 691/00 Ko, [...]).

Der beschließende Senat hat sich schließlich von der Erwägung leiten lassen, dass im Interesse der rechtsschutzsuchenden Bürgerinnen und Bürger der Streitwert in vorläufigen Rechtsschutzverfahren betreffend Abgabenangelegenheiten gerichtsbarkeitsübergreifend einheitlich festgesetzt werden sollte. Hierfür spricht zunächst, dass die Streitwertnormierungen des § 52 GKG gemeinsame Vorschriften für die Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit enthalten, was auf eine Vereinheitlichung der Streitwerte hindeutet, zumal diese auch der Rechtsklarheit und damit der Überschaubarkeit aus der Sicht des Rechtsschutzsuchenden dienen. Das Gebot der einheitlichen Streitwertregel tritt noch deutlicher hervor, wenn man berücksichtigt, dass Streitverfahren über die von den Gemeinden festgesetzten Steuern, wozu in den Flächenstaaten auch die Gewerbesteuer gehört, den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnen. Der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 sieht in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO 1/4 des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes vor. Aus der Sicht des rechtsschutzsuchenden Bürgers erschiene es schwer nachvollziehbar, sollte der Streitwert eines AdV-Verfahrens in Bezug auf die Gewerbesteuer 25%, in Bezug auf den Gewerbesteuermessbetrag oder die Einkommensteuer dagegen 10% des Hauptsachestreitwertes betragen. Der vom beschließenden Senat präferierte pauschale Ansatz in Höhe von 25% des Hauptsachestreitwertes trägt mithin auch zur gebotenen Vereinheitlichung der Streitwertrechtsprechung der Finanzgerichte und Verwaltungsgerichte bei.

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