Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 10.08.2005
Aktenzeichen: IV 181/04
Rechtsgebiete: VO (EG) Nr. 2988/95


Vorschriften:

VO (EG) Nr. 2988/95 Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Haftungsbescheid des beklagten Hauptzollamtes.

Die Firma L... Import-Export GmbH (im Folgenden: Firma L) meldete im Jahre 1995 31 lebende Schlachtrinder der Marktordnungs-Warenlistennummer 0102 9071 0000 zur Ausfuhr in die Türkei an und beantragte hierfür die Gewährung von Ausfuhrerstattung, die ihr das beklagte Hauptzollamt mit Erstattungsbescheid vom 19.4.1996 antragsgemäß gewährte. Da bei der Antragsbearbeitung die Verendung eines Tieres in Triest übersehen worden war, forderte das beklagte Hauptzollamt in der Folgezeit mit Berichtigungsbescheid vom 5.8.1999 von der Firma L Ausfuhrerstattung in Höhe von EUR 581,63 zurück.

Nachdem das beklagte Hauptzollamt davon Kenntnis erhalten hatte, dass die Firma L bereits mit Globalzessionsvertrag vom 22.8.1995 (in der Fassung des Vertrages vom 21.11.1995) ihre Ansprüche auf Zahlung von Ausfuhrerstattung an die Klägerin abgetreten hatte, erließ das beklagte Hauptzollamt unter dem 28.8.2000 gegenüber der Klägerin einen Haftungsbescheid, den es in der Folgezeit mit Bescheid vom 12.12.2001 wieder aufhob.

Ebenfalls unter dem 12.12.2001 erließ das beklagte Hauptzollamt gegenüber der Klägerin unter Hinweis auf Art. 11 Abs. 3 Unterabsatz 5 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 einen neuen Haftungsbescheid über einen Betrag von EUR 581,63, der der Klägerin indes erst im Mai 2004 zuging.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat die Klägerin am 12.10.2004 Klage erhoben. Mit Gerichtsbescheid vom 27.5.2005 hat der Senat den Haftungsbescheid vom 12.12.2001 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10.9.2004 unter Hinweis darauf aufgehoben, dass dem auf Art. 11 Abs. 3 Unterabsatz 5 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen vom 27.11.1987 (ABl. Nr. L 351/1), in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2945/94 der Kommission vom 2.12.1994 (ABl. Nr. L 310/57), gestützten Anspruch des beklagte Hauptzollamtes der Eintritt der Verjährung gemäß Art. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18.12.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. Nr. L 312/1) entgegenstehe.

In ihrem gegen den Gerichtsbescheid des Senats gerichteten Antrag auf mündliche Verhandlung wendet das beklagte Hauptzollamt ein, dass die Verordnung (EG) Nr. 2988/95 im Streitfall nicht anwendbar sei, weil die Klägerin bzw. die Firma L keine Unregelmäßigkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2988/95 begangen habe. Die Klägerin bzw. die Firma L habe das verendete Tier ordnungsgemäß angezeigt. Lediglich durch ein Versehen im Rahmen der Antragsbearbeitung sei dieses Tier später im Erstattungsbescheid nicht in Abzug gebracht worden. Die Nichtanwendbarkeit der Verordnung (EG) Nr. 2988/95 habe zur Folge, dass sich die Verjährung des streitgegenständlichen Anspruchs nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches richte. Bei Erlass des Haftungsbescheides vom 12.12.2001 sei die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB a.F., die 30 Jahre betrage, noch nicht abgelaufen gewesen.

Die Klägerin beantragt, den Haftungsbescheid vom 12.12.2001 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10.9.2004 aufzuheben.

Das beklagte Hauptzollamt beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 1.7.2005 hat der Senat den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 FGO dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakten des beklagten Hauptzollamtes verwiesen.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage führt zum Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Der Senat hat in seinem Gerichtsbescheid vom 27.5.2005 - u.a. - ausgeführt:

"... Dem auf Art. 11 Abs. 3 Unterabsatz 5 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen vom 27.11.1987 (ABl. Nr. L 351/1), in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2945/94 der Kommission vom 2.12.1994 (ABl. Nr. L 310/57, im Folgenden: VO Nr. 3665/87), gestützten Anspruch des beklagten Hauptzollamtes steht der Eintritt der Verjährung gemäß Art. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18.12.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. Nr. L 312/1, im Folgenden: VO Nr. 2988/95) entgegen. In Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 ist bestimmt, dass die Verjährungsfrist für die Verfolgung vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Art. VO Nr. 2988/95 beträgt, wobei als Unregelmäßigkeit jeder Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gilt, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe (vgl. Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 2988/95). Dass die Verjährungsvorschrift des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 auch auf eine - wie hier - Fallkonstellation anwendbar ist, die die Rückforderung einer nach Auffassung des beklagten Hauptzollamtes zu Unrecht gewährten Ausfuhrerstattung betrifft, ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. EuGH, Urteil vom 24.6.2004 - C-278/02 -, juris; FG Hamburg, Urteil vom 21.4.2005 - IV 169/03 -). Hinsichtlich des Streitfalles begann die vierjährige Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 spätestens mit Erlass des Erstattungsbescheides vom 19.4.1996. Sie war folglich bei Erlass des in Rede stehenden Haftungsbescheides vom 12.12.2001, der im Übrigen der Klägerin erst Mai 2004 zugegangen war, bereits abgelaufen. Der erkennende Senat übersieht im vorliegenden Zusammenhang nicht, dass nach Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 Satz 1 VO Nr. 1988/95 die Verfolgungsverjährung durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde mit der Folge unterbrochen wird, dass die Verjährungsfrist nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung von neuem beginnt (Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 Satz 2 VO Nr. 2988/95). Der Haftungsbescheid vom 28.8.2000 kann jedenfalls schon vor dem Hintergrund keine Unterbrechung der Verjährung bewirkt haben, weil bei Erlass dieses Bescheides die vierjährige Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 bereits abgelaufen war. Auf die Frage, ob ein Bescheid, der von der Behörde wieder aufgehoben wird, überhaupt die Verjährung unterbrechen kann, kommt es im Streitfall mithin nicht an. Eine Unterbrechung der Verjährung ist im Übrigen auch nicht dadurch eingetreten, dass das beklagte Hauptzollamt gegenüber der Firma L im August 1999 einen Berichtigungsbescheid erlassen hatte. Denn dieser Bescheid ist der Klägerin nicht im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 Satz 1 VO Nr. 2988/95 zur Kenntnis gebracht worden. Der erkennende Senat hat schließlich berücksichtigt, dass die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 die Möglichkeit behalten, eine längere Frist als die in Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 vorgesehene Frist anzuwenden. Von dieser Ermächtigung hat die Bundesrepublik Deutschland jedoch keinen Gebrauch gemacht. Weder das Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation (MOG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.9.1995 (BGBl. I S. 1146) noch die Ausfuhrerstattungsverordnung vom 24.5.1996 (BGBl. I S. 766) enthält Regelungen, die sich mit der Verjährung von Ansprüchen aus dem Ausfuhrerstattungsverhältnis befassen. Die Verjährungsvorschriften nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sind schon deshalb nicht anwendbar, weil der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 eine Regelung über die Verjährung getroffen hat, die die Anwendung nationaler Verjährungsvorschriften sperrt. Dass der nationale Gesetzgeber mit den Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches auch nicht von seiner Befugnis nach Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 Gebrauch machen wollte, liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Erörterung ..."

Die vorstehenden Ausführungen des Senats macht sich das erkennende Gericht zu eigen. Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten merkt das Gericht ergänzend Folgendes an:

Dem beklagten Hauptzollamt ist zuzugeben, dass der Klägerin bzw. der Firma L eine Unregelmäßigkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 2988/95 eventuell im Hinblick darauf nicht anzulasten sein könnte, dass die Firma L dem beklagten Hauptzollamt mit Schreiben vom 17.1.1996 den Tod des verendeten Tieres angezeigt und um entsprechende Änderung ihres Zahlungsantrags gebeten hatte. Allerdings gilt als Unregelmäßigkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 2988/95 auch ein Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde. Vor diesem Hintergrund könnte der Klägerin bzw. der Firma L möglicherweise vorzuwerfen sein, dass sie es nach Erlass des Erstattungsbescheides vom 19.4.1996 unterlassen hat, das beklagte Hauptzollamt darüber zu informieren, dass ihr Ausfuhrerstattung auch für das verendete Tier gezahlt worden war. Diese Frage bedarf im Streitfall indes keiner abschließenden Klärung. Das erkennende Gericht hält nämlich dafür, dass die Verjährungsvorschrift des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 erst recht auch auf Sachverhaltskonstellationen Anwendung findet, bezüglich derer eine Unregelmäßigkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 2988/95 nicht festgestellt werden kann. Angesichts dessen steht dem auf Art. 11 Abs. 3 Unterabsatz 5 VO Nr. 3665/87 gestützten Anspruch des beklagten Hauptzollamtes nach jeder Betrachtensweise der Eintritt der Verjährung entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 4 MOG findet § 139 Abs. 2 FGO in marktordnungsrechtlichen Streitigkeiten keine Anwendung. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

Zurück