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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 19.09.2005
Aktenzeichen: IV 229/03
Rechtsgebiete: EGV 800/99, EGV 2988/95, BGB, VwVfG


Vorschriften:

EGV 2988/95 Art. 3 Abs. 1
EGV 800/99 Art. 52
BGB § 195
VwVfG § 48 Abs. 2
Verfahrensgang
BFH VII R 45/06
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Ausfuhrerstattung durch das beklagte Hauptzollamt.

Die Klägerin ließ im Jahre 1993 mit verschiedenen Kontrollexemplaren T 5 Rindfleisch der Marktordnungs-Warenlistennummer 0201 3000 15000 zur Ausfuhr nach Ägypten abfertigen und beantragte hierfür beim beklagten Hauptzollamt im Wege der Vorfinanzierung die Gewährung von Ausfuhrerstattung, was ihr mit mehreren Erstattungsbescheiden vom 17.12.1993 bzw. 14.1.1994 antragsgemäß gewährt wurde. Nachdem die Klägerin dem beklagten Hauptzollamt mit Schreiben vom 12.7.1994 den von der ... Kontrollgesellschaft am 4.7.1994 ausgestellten Primärnachweis übersandt hatte, ausweislich dessen das Rindfleisch via Aquade/Jordanien in den Irak exportiert und dort zum freien Verkehr abgefertigt worden war, gab das beklagte Hauptzollamt Anfang August 1994 die Sicherheiten frei.

Mit Schreiben vom 24.9.1998 teilte das beklagte Hauptzollamt der Klägerin mit, dass hinsichtlich des Rechnungsabschlussjahres 1994 Untersuchungen der Europäischen Kommission Zweifel an der korrekten Ausstellung von Ankunftsnachweisen nach Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 für Exporte von Rindfleisch und Lebendvieh in Drittländer durch deutsche Kontroll- und Überwachungsgesellschaften (KÜG) ergeben hätten. Die EAGFL-Dienststellen seien im Rahmen dieser Untersuchungen zu der Auffassung gelangt, dass die von den Ausführern eingereichten KÜG-Bescheinigungen nicht als Ankunftsnachweis anerkannt werden könnten.

Mit Rückforderungsbescheid vom 15.12.1998 forderte das beklagte Hauptzollamt sodann die der Klägerin gewährte Ausfuhrerstattung in Höhe von insgesamt DM 278.649,57 mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2340/90 die Ausfuhr von Erzeugnissen mit Gemeinschaftsursprung in den Irak verboten sei. Die Ausfuhr von Lebensmitteln sei nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr.2340/90 i.V.m. Art. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 3155/90 nur unter Vorlage einer Ausfuhrgenehmigung zulässig, die der Klägerin nicht erteilt worden sei. - Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Rückforderungsbescheides vom 15.12.1998 Bezug genommen.

Ihren gegen den Rückforderungsbescheid vom 15.12.1998 gerichteten Einspruch wies das beklagte Hauptzollamt mit Einspruchsentscheidung vom 4.8.2003 zurück. Auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung wird verwiesen.

Mit ihrer am 5.9.2003 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Sie meint zum einen, dass die Verordnungen (EWG) Nr. 3155/90 und Nr. 2340/90 nicht Bestandteil des Ausfuhrerstattungsrechts seien. Keine Bestimmung dieser Verordnungen lege fest, dass eine Verletzung embargorechtlicher Vorschriften zum Verlust des Ausfuhrerstattungsanspruchs führe. Zum anderen ist die Klägerin der Ansicht, dass einer Rückforderung der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegenstehe, der in der Vorschrift des Art. 52 Abs. 4 Unterabsatz 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr.800/1999 seine allgemeine Ausprägung erhalten habe.

Die Klägerin beantragt, den Rückforderungsbescheid vom 15.12.1998 sowie die Einspruchsentscheidung vom 4.8.2003 aufzuheben.

Das beklagte Hauptzollamt beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide mit den Gründen der Einspruchsentscheidung und wendet im Hinblick auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ein, dass die Vorschrift des Art. 52 Abs. 4 Unterabsatz 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 800/1999 auf Ausfuhrfälle vor dem 1.7.1999 keine Anwendung finde.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakten des beklagten Hauptzollamtes Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage führt zum Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten ( § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO ).

Dem auf die Vorschrift des § 10 Abs. 1, Abs. 3 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen vom 27.8.1986 (BGBl. I S. 1397, im Folgenden: MOG) gestützten Rückforderungsanspruch des beklagten Hauptzollamtes steht der Eintritt der Verjährung gemäß Art. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18.12.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. Nr. L 312/1, im Folgenden: VO Nr. 2988/95 ) entgegen. Insoweit merkt das erkennende Gericht im Einzelnen Folgendes an:

In Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 ist bestimmt, dass die Verjährungsfrist für die Verfolgung vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 beträgt, wobei als Unregelmäßigkeit jeder Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gilt, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe (vgl. Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 2988/95 ).

Dass die Verjährungsvorschrift des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 auch auf eine - wie hier - Fallkonstellation anwendbar ist, die die Rückforderung einer nach Auffassung des beklagten Hauptzollamtes zu Unrecht gewährten Ausfuhrerstattung betrifft, ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. EuGH, Urteil vom 24.6.2004 - C-278/02 -, juris; FG Hamburg, Urteil vom 21.4.2005 - IV 169/03 -). Durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist ebenfalls geklärt, dass die Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 auch auf vor In-Kraft-Treten der Verordnung Nr. 2988/95 entstandene Sachverhalte Anwendung findet (vgl. EuGH, Urteil vom 13.3.2003 - T-125/01 - juris; vgl. hierzu auch FG Hamburg, Urteil vom 21.4.2005 - IV 169/03 -).

Hinsichtlich des Streitfalles begann die vierjährige Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 entweder mit der durch Schriftsatz vom 12.7.1994 erfolgten Einreichung des Primärnachweises, ausweislich dessen das Rindfleisch via Aquade/Jordanien in den Irak exportiert und dort zum freien Verkehr abgefertigt worden war, oder mit der Freigabe der Sicherheiten im August 1994. Sie war folglich nach jeder Betrachtungsweise bei Erlass des in Rede stehenden Rückforderungsbescheides vom 15.12.1998 bereits abgelaufen.

Das erkennende Gericht übersieht im vorliegenden Zusammenhang nicht, dass nach Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 Satz 1 VO Nr. 1988/95 die Verfolgungsverjährung durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde mit der Folge unterbrochen wird, dass die Verjährungsfrist nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung von neuem beginnt (Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 Satz 2 VO Nr. 2988/95 ). Eine Unterbrechung der Verjährung ist im Streitfall indes nicht eingetreten. Insbesondere hat das Schreiben des beklagten Hauptzollamtes vom 24.9.1998 keine Unterbrechung der Verjährung bewirkt, weil bei Abfassung bzw. Zugang dieses Schreibens die vierjährige Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 bereits abgelaufen war.

Eine Unterbrechung der Verjährung ist im Übrigen auch nicht dadurch eingetreten, dass die Europäische Kommission im Jahre 1998 für das Rechnungsabschlussjahr 1994 eine Untersuchung betreffend die korrekte Ausstellung von Ankunftsnachweisen nach Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 eingeleitet hatte. Denn diese Untersuchung ist der Klägerin jedenfalls nicht im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 Satz 1 VO Nr. 2988/95 bezogen auf die in Rede stehenden Ausfuhren zur Kenntnis gebracht worden.

Das erkennende Gericht hat schließlich berücksichtigt, dass die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 die Möglichkeit behalten, eine längere Frist als die in Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 vorgesehene Frist anzuwenden. Von dieser Ermächtigung hat die Bundesrepublik Deutschland jedoch keinen Gebrauch gemacht. Weder das Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation noch die Ausfuhrerstattungsverordnung vom 17.2.1988 (BGBl. I S. 155) enthält Regelungen, die sich mit der Verjährung von Ansprüchen aus dem Ausfuhrerstattungsverhältnis befassen. Die Verjährungsvorschriften nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sind schon deshalb nicht anwendbar, weil der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 eine Regelung über die Verjährung getroffen hat, die die Anwendung nationaler Verjährungsvorschriften sperrt. Dass der nationale Gesetzgeber mit den Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches auch nicht von seiner Befugnis nach Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 Gebrauch machen wollte, liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Erörterung.

Unbeschadet der vorstehenden Darlegungen steht der Rückforderung der der Klägerin gewährten Ausfuhrerstattungen auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegen.

Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung und muss von den Mitgliedsstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsverordnungen einräumen, beachtet werden (vgl. EuGH, Urteil vom 03.12.1998 - C-318/97 -, juris; Urteil vom 26.04.1998 - C-316/86 -, juris). Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist deshalb auch im Rahmen eines auf eine nationale Vorschrift gestützten Rückforderungsanspruchs zu berücksichtigen. Freilich setzt die Anwendung des Vertrauensschutzgrundsatzes nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zum einen voraus, dass der gute Glaube des Beihilfe- bzw. Erstattungsempfängers nachgewiesen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19.09.2002 - C-336/00 -, juris). Zum anderen lässt sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften klar entnehmen, dass die Berufung auf den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes erst nach Ablauf eines erheblichen Zeitraumes seit der Zahlung der betreffenden Beihilfe bzw. Erstattung in Betracht kommt (vgl. EuGH, Urteil vom 12.05.1998 - C-366/95 -, juris). Vor diesem Hintergrund hat der Senat entschieden, dass die Vorschrift des Art. 52 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 800/1999 der Kommission über gemeinsame Durchführungsbestimmungen für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen vom 15.4.1999 (ABl. Nr. L 102/11, im Folgenden: VO Nr. 800/1999 ), die unmittelbar erst auf Ausfuhren ab dem 1.7.1999 Anwendung findet, als Festschreibung des gemeinschaftsrechtlich anerkannten Grundsatzes des Vertrauensschutzes zu verstehen ist mit der Konsequenz, dass die in dieser Norm aufgestellten Wertungen von der nationalen Behörde auch in Rückforderungsfällen zu beachten sind, die die Gewährung von Ausfuhrerstattungen für Ausfuhren vor dem 1.7.1999 betreffen (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 10.11.2004 - IV 57/03 -, juris).

In Art. 52 Abs. 4 Unterabsatz 1 VO Nr. 800/1999 hat der Gemeinschaftsverordnungsgeber festgeschrieben, dass eine Rückzahlung zu Unrecht gewährter Erstattungen nicht mehr in Betracht kommt, wenn die Zahlung infolge eines Fehlers der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten selbst oder einer anderen betroffenen Behörde erfolgt ist, wenn dieser Fehler vom Begünstigten nicht erkannt werden konnte und wenn der Begünstigte seinerseits in gutem Glauben gehandelt hat (lit. a) bzw. wenn zwischen dem Tag der Mitteilung der endgültigen Entscheidung über die Gewährung der Erstattung an den Begünstigten und dem Tag, an dem der Begünstigte erstmals von einer nationalen oder einer Gemeinschaftsbehörde davon unterrichtet wurde, dass die Zahlung zu Unrecht erfolgt war, mehr als vier Jahre vergangen sind (lit. b). Letzteres trifft vorliegend zu. Denn zwischen dem Tag der endgültigen Gewährung der Ausfuhrerstattungen und dem Tag, als der Klägerin der Rückforderungsbescheid vom 15.12.1998 zuging, waren mehr als vier Jahre vergangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO . Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 , 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 , 711 ZPO . Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 4 MOG findet § 139 Abs. 2 FGO in marktordnungsrechtlichen Streitigkeiten keine Anwendung. Gründe, die Revision zuzulassen ( § 115 Abs. 2 FGO ), sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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