Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 07.03.2007
Aktenzeichen: 1 K 1046/03
Rechtsgebiete: ErbStG, BewG


Vorschriften:

ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG § 9 Abs. 1
ErbStG § 12 Abs. 1
BewG § 12 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HESSISCHES FINANZGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 1 K 1046/03

In dem Rechtsstreit

wegen Erbschaftsteuer

hat der 1. Senat des Hessischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 07. März 2007 unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Hessischen Finanzgericht

des Richters am Hessischen Finanzgericht

der Richterin am Hessischen Finanzgericht

sowie und

als ehrenamtliche Richter

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Erbschaftsteuerbescheid vom xx.xx.1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom xx.xx.2003 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, wann und mit welchem Wert eine Lebensversicherung bei der Erbschaftsteuer zu erfassen ist, die auf das Leben einer dritten Person abgeschlossen wurde.

Am 01.09.1986 schloss der Erblasser mit der X -Lebensversicherung einen Vertrag über eine kapitalbildende Lebensversicherung mit abgekürzter Beitragszahlung ab, bei der die versicherte Person seine 19.. geborene Ehefrau war. Als Beitrag waren 6 Jahre lang zu zahlen, für das letzte Jahr der Beitragszahlung spätestens am xx.xx1992. Die garantierte Ablaufleistung zum Fälligkeitstag 01.09.1999 betrug x DM. Wegen der Einzelheiten wird auf den Versicherungsvertrag Bezug genommen. Die Lebensversicherung diente als Absicherung für Darlehen vom xx.xx.1987 und xx.xx.1991, die am Todestag des Erblassers in Höhe von ca. 2/3 der eingezahlten Beträge valutierten.

Nach Zahlung aller vereinbarten Beiträge schloss der Erblasser mit der Klägerin am xx.01.1993 vor dem Notar ... in ... (UR-Nr. .../1993) einen Erbvertrag, wonach die Klägerin unter anderem als Vermächtnisnehmerin alle Rechte und Pflichten aus diesem Lebensversicherungsvertrag übernehmen und der Sohn des Erblassers Alleinerbe werden sollte. Für den Fall, dass die Lebensversicherung beim Tod des Erblassers bereits ausgezahlt sein sollte, sollte die Klägerin ein Geldvermächtnis in Höhe von mehr als den eingezahlten Versicherungsbeiträgen erhalten. Im Gegenzug verzichtete die Klägerin auf ihre zukünftigen Pflichtteilsansprüche. Wegen der Einzelheiten wird auf den Erbvertrag Bezug genommen.

Der Erblasser verstarb am xx.05.1993. Zu dieser Zeit betrug die beitragsfreie Versicherungssumme bereits mehr als die eingezahlten Beiträge und der Rückkaufswert lag darüber. Mit der Annahme der Klägerin als Versicherungsnehmerin trat sie zugleich in die Darlehensvereinbarungen ein, für welche die Lebensversicherung bereits als Sicherheit diente. Im Jahr 1994 trat sie einen Teilbetrag aus der Lebensversicherung zur Absicherung eines Darlehens i.H.v. ca. 2/3 der eingezahlten Beiträge (d.h. in Höhe der Restschuld aus den alten Darlehensvereinbarungen) an die Y - Bank ab sowie im Jahr 1998 einen weiteren Teilbetrag von 850.000 DM zur Absicherung eines weiteren Darlehens. In der Erbschaftsteuererklärung setzte die Klägerin für diese Lebensversicherung 2/3 der eingezahlten Beiträge an.

Der Beklagte behandelte die Forderung gegen die Lebensversicherung mit Bescheid vom xx.xx.1999 als betagte Forderung auf den Fälligkeitszeitpunkt 01.09.1999, die er, mangels konkreter Kenntnis der ausgezahlten Summe, auf xDM schätzte. Die bereits am Todestag ermittelten Werte für Grundbesitz, Barvermächtnis und eine weitere - in der Höhe geschätzte - Versicherungsleistung abzüglich Grundstücksbelastung, insgesamt ein negativer Wert, wurden abgezogen. Außerdem wurden bei der Berechnung der Steuer Vorschenkungen vom xx.xx.1992 und aus dem Jahr 1988 berücksichtigt, wobei die Vorschenkung aus dem Jahr 1988 im Hinblick auf den Freibetrag als außerhalb des 10-Jahres-Zeitraums liegend behandelt wurde. Die Erbschaftsteuer wurde in diesem Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf x DM = x € festgesetzt.

Der fristgerechte Einspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, die Lebensversicherung sei auf den Todestag des Erblassers mit 2/3 der eingezahlten Beiträge zu erfassen, hatte keinen Erfolg. Mit der am xx.xx.2003 abgesandten Einspruchsentscheidung vom xx.xx.2003 erhöhte der Beklagte die Erbschaftsteuerfestsetzung, indem er die fristgerecht am 01.09.1999 ausgezahlte Ablaufleistung in Höhe von x DM als Erwerb zu Grunde legte, und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

Mit der fristgerecht erhobenen Klage macht die Klägerin weiterhin geltend, die Lebensversicherung müsse auf den Todestag des Erblassers erfasst und gemäß § 12 Abs. 4 Bewertungsgesetz (BewG) mit 2/3 der eingezahlten Beiträge angesetzt werden. Schließlich sei die Klägerin mit dem Todestag Vollrechtsinhaberin des Lebensversicherungsvertrages geworden. Von diesem Tag an habe sie alle Rechte und Pflichten aus dem Vertrag inne gehabt und die Lebensversicherung auch schon vor Fälligkeit als Kreditsicherheit verwendet. Bei Berücksichtigung der insgesamt negativen Vorerwerbe sei keine Erbschaftsteuer entstanden.

Die Klägerin beantragt,

den Erbschaftsteuerbescheid vom xx.xx.1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom xx.xx.2003 ersatzlos aufzuheben, hilfsweise, für den Fall der vollständigen oder teilweisen Klageabweisung, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner Auffassung fest, dass die Lebensversicherung zur Fälligkeit mit der Ablaufleistung als betagte Forderung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) zu erfassen sei. Diese vom Hessischen Finanzgericht im Urteil vom 31.03.1998 (1 K 2508/96, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1998, 1347) vertretene Ansicht sei zwischenzeitlich durch den Bundesfinanzhof (BFH) in einem anderen Fall bestätigt worden (Urteil vom 27.08.2003 II R 58/01, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2003, 921).

Dem Senat hat die Erbschaftsteuerakte vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Auf die zulässige Klage war der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid aufzuheben.

Die Lebensversicherung war nicht auf den 01.09.1999 mit der Ablaufleistung, sondern auf den Todestag des Erblassers mit 2/3 der eingezahlten Beiträge als Erwerb zu erfassen.

Es handelt sich um einen Erwerb von Todes wegen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, für den die Steuer nach § 9 Abs. 1 ErbStG grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers entsteht. Allerdings sieht § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alternative 2 ErbStG eine Ausnahme für den Erwerb betagter Forderungen vor. Eine betagte Forderung ist zivilrechtlich gegeben, wenn eine Forderung bereits entstanden, die Fälligkeit dieser Forderung aber noch hinausgeschoben ist (Westermann in Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch -BGB-, 4. Aufl. 2001, § 163 Rdnr. 3; Heinrichs in Palandt, Kommentar zum BGB, 66. Aufl. 2007, § 163 Rdnr. 2; Wolf in Soergel, BGB mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. 1999, §§ 162, 163 Rdnr. 61 u.a.). Das ist bei einer Forderung gegen eine Lebensversicherung - abgesehen von der reinen Risikoversicherung - zwar grundsätzlich der Fall und der BFH hat auch stets die bürgerlich-rechtliche Prägung des Erbschaftsteuerrechts betont (vgl. BFH-Urteil vom 15.10.1997 II R 68/95, BStBl II 1997, 820, 822 m.w.N.). Dennoch hat er unter Bezug auf das Urteil des Reichsfinanzhofs vom 08.09.1931 I e A 173/31 (Reichssteuerblatt 1931, 895) diese Ausnahmeregelung für die Fälle nicht anwendbar erklärt, in denen die Forderungen zu einem feststehenden Zeitpunkt fällig werden (BFH-Urteil vom 27.08.2003 II R 58/01, BStBl II 2003, 921). Auch wenn diese abweichende Definition in der Literatur teilweise auf Kritik gestoßen (vgl. Schuck in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, ErbStG, BewG Kommentar, 2 Aufl. 2004, § 9 Rdnr. 22) und die Behandlung der Betagung nach der zivilrechtlichen Definition im Urteil des Hessischen Finanzgerichts in EFG 1998, 1347 teilweise begrüßt wurde (Fiedler, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2001, 1648, 1650; DStR 2005, 1966; Hild, Der Betrieb 1990, 153; ablehnend Fromm, DStR 2005, 1465; DStR 2005, 1969; Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG Kommentar, § 9 RdNr. 42), schließt sich der erkennende Senat der modifizierten Definition des BFH an. Denn in den Fällen, in denen bei normalem Ablauf die Forderungen zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig werden, folgt aus der bewertungsrechtlichen Behandlung solcher Forderungen gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. § 12 Abs. 3 BewG, dass die Steuer dafür bereits mit dem Tod des Erblassers entsteht und gegebenenfalls mit dem abgezinsten Wert anzusetzen ist (BFH-Urteil in BStBl II 2003, 921). Im Streitfall war jedenfalls der Zeitpunkt der spätesten Fälligkeit (01.09.1999) bestimmt. Auch war mit dem Erbfall die wirtschaftliche Bereicherung der Klägerin bereits eingetreten. Denn die Klägerin war in vollem Umfang in die Rechtsstellung des Erblassers eingetreten. Damit war ein "Bereicherungszustand" i.S. des BFH-Urteils in BStBl II 2003, 921, gegeben insoweit, als die Klägerin den Versicherungsvertrag zum Schluss des jeweils laufenden Versicherungsjahres kündigen und sich den Rückkaufswert auszahlen lassen konnte oder den Anspruch auf die Versicherungsleistung z.B. - wie auch geschehen - problemlos zur Besicherung von Krediten einsetzen konnte.

Für noch nicht fällige Ansprüche aus Lebensversicherungen sind nach § 12 Abs. 4 Satz 1 BewG 2/3 der eingezahlten Beiträge anzusetzen, sofern nicht der Rückkaufswert nachgewiesen wird. Wenngleich hier Kapitalforderungen gegen Lebensversicherungen gegenüber anderen Kapitalforderungen möglicherweise unter Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz privilegiert werden, sieht sich der erkennende Senat an diese gesetzliche Regelung und damit an die Entscheidung der Klägerin, die Bewertung mit 2/3 der eingezahlten Prämien geltend zu machen, gebunden. Denn der Gesetzgeber hat die in Art. 11 im Entwurf eines Gesetztes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetzt 2001) vorgesehene Änderung, wonach nur noch der Rückkaufswert angesetzt werden sollte (Bundestags-Drucksache 14/6827 vom 07.09.2001, Seite 10, Begründung Seite 32), gerade nicht Gesetz werden lassen.

Da die Klage Erfolg hat, ergeht die Kostenentscheidung nach § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

Zurück