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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 07.09.2006
Aktenzeichen: 13 K 3592/04
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, SGB X


Vorschriften:

AO 1977 § 226 Abs. 1
BGB § 387 ff.
SGB X § 104 Abs. 1
SGB X § 104 Abs. 2
SGB X § 107 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hessen

13 K 3592/04

Kindergeld (betr. XXX)

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Senat des Hessischen Finanzgerichts mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 7. September 2006 unter Mitwirkung

des Präsidenten des Hessischen Finanzgerichts, des Richters am Hessischen Finanzgericht sowie des Richters am Hessischen Finanzgericht als ehrenamtlicher Richter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 508,40 EUR zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Mit Bescheiden vom 24.03.2003 hatte die Beklagte gegenüber dem Kindesvater die Festsetzung von Kindergeld für D. W. und M. Q. aufgehoben. Zusammen mit der Aufhebung für D. W. wurde der Kindesvater zur Erstattung einer Überzahlung von 2.326,95 EUR, die sich nach für den vorliegenden Rechtsstreit unerheblichen Verrechnungen auf 1.549,95 EUR verminderte, aufgefordert. Ein hiergegen eingelegter Einspruch wurde am 11.07.2003 zurückgewiesen. Einem Einspruch gegen die Aufhebung des Kindergeldes für M. Q. wurde nach Empfehlung der Rechtsbehelfsstelle vom 21.05.2003 mit undatiertem Bescheid abgeholfen und Kindergeld ab Februar 2003 festgesetzt. Gleichzeitig wurde dem Kindesvater mitgeteilt, dass eine Nachzahlung in Höhe von 895,-- EUR für den Zeitraum Februar 2003 bis Juni 2003 an die Kasse des Landesarbeitsamtes Hessen zur Verrechnung einer bestehenden Überzahlung überwiesen werde.

Mit Schriftsatz vom 28.04.2003, bei der Beklagten eingegangen am 02.05.2003, hatte der Kläger mitgeteilt, dass für M. Q. seit 28.04.2003 Sozialhilfe in Höhe von zur Zeit monatlich 235,-- EUR gewährt werde. Als Leistungsträger im Sinne der §§ 12, 28 Abs. 2 SGB I würde hiermit Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 5 EStG in Verbindung mit § 104 SGB X auf Kindergeld angemeldet. Mit Schreiben vom 16.06.2003 erinnerte das Amt für Soziale Sicherung des Klägers die Beklagte an die Beachtung des Erstattungsanspruches. Mit Schreiben vom 05.08. 2003 lehnte es die Beklagte ab, dem Erstattungsersuchen zu entsprechen.

Zur Begründung wurde angeführt, dass die Erstattungsforderung der Klägerin bei der Familienkasse erst eingegangen sei, nachdem die Beträge bereits zur Auszahlung angewiesen worden waren.

Mit Schreiben vom 14.08.2003 wies das Amt für Soziale Sicherung des Klägers nochmals auf die Geltendmachung des Erstattungsanspruches am 28.04.2003 hin. Damit habe die Beklagte Kenntnis von den Sozialhilfeleistungen erlangt.

Es sei nicht von Bedeutung, dass dieser Vorgang nur der Widerspruchssachbearbeitung, nicht aber der Sachbearbeitung vorgelegen habe. Organisatorische Mängel der Beklagten könnten nicht zulasten des Klägers als dem erstattungsberechtigten örtlichen zuständigen Sozialhilfeträger gehen. Diesen Schriftsatz hat die Beklagte als Einspruch gewertet, der mit der Einspruchsentscheidung vom 01.06.2004 als unzulässig verworfen wurde, da das angefochtene Schreiben der Familienkasse vom 05.08.2003 keinen Verwaltungsakt darstelle. Die Einspruchsentscheidung war mit dem Hinweis versehen, dass eine Aufrechnung durch die Familienkasse grundsätzlich Vorrang vor Forderungen Dritter (z.B. Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG) habe.

Mit am 21.10.2004 bei dem Hessischen Finanzgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Zahlungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, eine Aufrechnungslage hätte erst zu einem Zeitpunkt entstehen können, als der Kostenerstattungsanspruch des Klägers bereits entstanden und angemeldet worden war.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte als Familienkasse zu verurteilen, an den Kläger 580,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, aufgrund des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 24.03.2003, das Kind D. W. betreffend, sei der Beklagte berechtigt gewesen aufzurechnen (§ 75 EStG). Im Hinblick darauf, dass die Aufrechnungslage (24.03.2003) vor dem Erstattungsanspruch (28.04.2003) entstanden sei, sei der Beklagte auch gegenüber dem Kläger zur Aufrechnung berechtigt.

Dem Erstattungsberechtigten (hier dem Kläger) könnten alle Einwendungen entgegengehalten werden, die auch dem Berechtigten (hier dem zum Kindergeldberechtigten bestimmten B. Q.) entgegengehalten werden. § 75 EStG gehe den §§ 387 und 395 BGB als lex specialis vor.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist überwiegend zulässig und begründet.

Die Klage ist als nicht fristgebundene allgemeine Leistungsklage zulässig. Der Kläger macht als nachrangig verpflichteter Leistungsträger einen (vermeintlichen) Erstattungsanspruch gemäß § 104 SGB X gegen einen vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltend. Zwischen den Leistungsträgern besteht kein Über- und Unterordnungsverhältnis, das zu einer Entscheidung durch Verwaltungsakt berechtigen würde (BFH Urteil vom 14.05.2002 VIII R 88/01 BFH/NV 2002, 1156). Deshalb bedurfte es auch keines Abrechnungsbescheides.

Der Kläger, der als Sozialhilfeträger im Zeitraum vom 28.04.2003 bis 31.07.2003 an Frau M. Q. Hilfe zum Lebensunterhalt in einer Gesamthöhe von 508,40 EUR geleistet hat, kann von der Beklagten Erstattung dieses Betrages verlangen.

Diesem Anspruch kann die Beklagte nicht mit Erfolg eine erklärte Aufrechnung entgegenhalten.

Nach § 74 Abs. 2 EStG gelten für die Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen gegen die Familienkasse die §§ 102 bis 109 und 111 bis 113 SGB X entsprechend. Gemäß § 104 Abs. 1 SGB X ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, der Leistungsträger erstattungspflichtig gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat.

Nachrangig verpflichtet ist der Leistungsträger, der bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Nach § 104 Abs. 2 SGB X gilt dies auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind (hier Hilfe zum Lebensunterhalt an Tochter) und ein anderer (Vater) mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat. Die Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt ist gegenüber dem Anspruch auf Kindergeld eine nachrangige Leistung. Für das Kindergeld nach dem vor 1996 geltenden Bundeskindergeldgesetz ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass das Kindergeld eine gegenüber der Hilfe zum Lebensunterhalt vorrangige Sozialleistung im Sinne des § 104 SGB X sei. Durch die Neuregelung des Kindergeldes, das seit 1996 gemäß § 31 S. 3 EStG als Steuervergütung ausgestaltet ist, hat sich gegenüber dem vorangegangenen Rechtszustand keine grundsätzliche Änderung ergeben. (Vergleiche Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 23.06.2004 3 K 1659/02, EFG 2004, 1783 m.w.N.).

Der Erstattungsanspruch ist auch nicht nach § 104 Abs. 1 S. 1 zweiter Halbsatz SGB X ausgeschlossen, denn die Beklagte hatte nicht bereits selbst geleistet, bevor sie von der Leistung des Klägers Kenntnis erlangt hatte. Zwar lässt sich der Zeitpunkt der Bewilligung des Kindergeldes für M. Q. nicht exakt aus den Akten bestimmen, da der Bescheid kein Datum trägt. Er muss aber zwingend nach der Abhilfeempfehlung der Rechtsbehelfsstelle vom 21.05.2003 liegen.

Die Beklagte war aber bereits mit am 02.05.2003 eingegangenem Schriftsatz - 7 - über das Erstattungsverlangen des Klägers informiert worden. Dass dieser Schriftsatz wegen eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens die zuständige Stelle offenbar erst am 22.07.2003 erreicht hat, ist unerheblich. Entscheidend ist der Eingang bei der Familienkasse als solcher. Interne Kommunikationsstörungen können nicht zulasten des Erstattungsberechtigten gehen.

Diesem Erstattungsanspruch des Klägers kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Anspruch auf Kindergeld für M. Q. durch die gegenüber Herrn B. Q. erklärte Aufrechnung erloschen ist. Für die Aufrechnung des Rückzahlungsanspruchs wegen überzahlten Kindergeldes mit anderen Ansprüchen gelten nach § 226 Abs. 1 AO die §§ 387 bis 396 BGB sinngemäß. Diese Bestimmungen werden für den Bereich des Kindergeldes durch § 75 EStG nicht verdrängt, sondern nur in hier nicht erheblichen Teilbereichen modifiziert (Felix, Kindergeldrecht, Kommentar, 1. Auflage, § 75 EStG Rdnr. 3).

Die Aufrechnung setzt u.a. voraus, dass die Hauptforderung (hier Kindergeldanspruch des B. Q.) erfüllbar und die Gegenforderung (hier Anspruch auf Rückzahlung überzahlten Kindergeldes) fällig ist. Im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung Ende Mai 2003 lagen diese Voraussetzungen nicht vor. Nach § 107 Abs. 1 SGB X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht.

Mit Aufnahme der Zahlungen der Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung des Kindergeldes entstand der Erstattungsanspruch des Klägers aus § 104 Abs. 1 SGB X. Damit galt der Kindergeldanspruch des B. Q. als erfüllt. Zum Zeitpunkt der Aufrechnung bestand somit keine erfüllbare Hauptforderung mehr. Es fehlte mithin an der für die Aufrechnung erforderlichen Aufrechnungslage.

Da vorliegend bereits die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aufrechnung nicht vorliegen, kann Abschnitt 74.3.4 S.4 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (Bundessteuerblatt I 2000, 742, 828) wonach eine Aufrechnung durch die Familienkasse grundsätzlich Vorrang vor Forderungen Dritter haben soll, keine entgegenstehende Bedeutung zukommen.

Hingegen war die Klage im Hinblick auf den geltend gemachten Zinsanspruch abzuweisen. Die Zahlung von Prozesszinsen nach § 236 AO erfolgt von Amts wegen. Da die Familienkassen ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Prozesszinsen im Allgemeinen von sich aus nachkommen, besteht für ein auf Zahlung von Prozesszinsen gerichtetes Leistungsbegehren regelmäßig kein Rechtsschutzinteresse (Finanzgericht Köln Urteil vom 17.05.2006 15 K 1053/06 in JURIS).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 S. 3 Finanzgerichtsordnung ( FGO ).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 analog, 711, 709 S. 2 Zivilprozessordnung.



Ende der Entscheidung

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