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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 10.06.2009
Aktenzeichen: 13 K 624/06
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 7g
AO § 174 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HESSISCHES FINANZGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 13 K 624/06

In dem Rechtsstreit

wegen Einkommensteuer 1999 und 2000

hat der 13. Senat des Hessischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 10. Juni 2009 unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Hessischen Finanzgericht des Richters am Hessischen Finanzgericht der Richterin am Hessischen Finanzgericht sowie Angestellter und geschäftsführende Gesellschafterin als ehrenamtliche Richter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erzielte in den Streitjahren als Arzt mit seiner Röntgenpraxis Einkünfte aus selbstständiger Arbeit. Den Gewinn ermittelte er nach § 4 Abs. 3 EStG durch den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben.

Im Jahre 1997 brachte er eine Ansparabschreibung in Höhe von 65.000,-- DM in Ansatz; im Jahre 1998 eine solche in Höhe von 60.000,-- DM und im Jahre 1999 eine solche in Höhe von 50.000,-- DM. Aufgelöst wurde die Ansparabschreibung 1997 in 1998 in Höhe von 25.000,- DM. Im Jahre 2000 erfolgte eine Auflösung der Ansparabschreibung in Höhe von 30.000,-- DM. Im Jahre 2001 wurde der Betrieb aus Gesundheitsgründen aufgegeben. Die noch bestehende Ansparabschreibung in Höhe von 120.000,-- DM wurde aufgelöst.

Die Kläger reichten ihre Einkommensteuererklärung 1999 am 03.04.2001 und die Erklärung für 2000 am 06.03.2002 beim Finanzamt ein. Die Veranlagungen, auch für das Jahr 2001, erfolgten zunächst erklärungsgemäß. Im April und Mai 2005 erfolgte bei den Klägern eine Betriebsprüfung. Die Betriebsprüferin stellte fest, dass es sich beim Kläger um keinen so genannten Existenzgründen Sinne des § 7g Abs. 7 EStG a.F. gehandelt habe, so dass die in 1997 und 1998 gebildeten Ansparabschreibungen nicht - wie vom Kläger ursprünglich vorgenommen - in 2001, sondern in den Kalenderjahren 1999 und 2000 aufzulösen waren. Die Betriebsprüferin errechnete so eine Minderung der Betriebseinnahmen für 2001 und eine Erhöhung der Gewinne für 1999 und 2000. Das Finanzamt schloss sich dieser Auffassung an und änderte die Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 gemäß § 174 Abs. 3 AO mit Bescheiden jeweils vom 02.09.2005. Hiergegen haben die Kläger, vertreten durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten, Einspruch eingelegt.

Sie vertreten folgende Rechtsansicht:

Zumindest für das Steuerjahr 1999 sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Verjährungsfrist betrage vier Jahre. Vorliegend beginne die Festsetzungsfrist am 01.01.2001 und ende am 31.12.2004. Der geänderte Bescheid 1999 hätte daher nicht erlassen werden dürfen.

Eine Änderung wegen neuer Tatsachen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO komme nicht in Betracht, da während der Betriebsprüfung keine neuen Tatsachen nachträglich bekannt geworden seien, die zu einer höheren Steuer geführt hätten. Es komme auch keine Änderung wegen einer widerstreitenden Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 3 AO in Betracht. Die Sachfrage, um die es vorliegend gehe, sei die Existenzgründereigenschaften des Klägers. Es könne allerdings keine Rede davon sein, dass dieser Sachverhalt "bestimmt" sei. Welche rechtlichen Erwägungen bei der Beurteilung der Frage eine Rolle gespielt hätten, ob der Kläger in den Jahren 1997 bis 1999 tatsächlich als Existenzgründer nach § 7g Abs. 7 S. 2 EStG anzusehen gewesen sei, lasse sich im Jahre 2005 nicht mehr nachprüfen. Wahrscheinlich habe der Kläger die Zuführungen zu der Rücklage jedoch zu Recht vorgenommen. Zutreffend sei jedoch, dass seit dem Zeitpunkt der Rücklagenbildung in den Jahren 1997 und 1998 kein Zeitraum von fünf Jahren vergangen sei, indem der Kläger keine Gewinneinkünfte erzielt habe. Hierauf komme es jedoch nicht an, da die Frage der Existenzgründereigenschaft nur davon abhänge, ob innerhalb von fünf Jahren vor der Existenzgründung bereits Gewinneinkünfte erzielt worden seien oder nicht. Bei vorliegender Existenzgründereigenschaft können Ansparabschreibungen nach § 7g Abs. 7 EStG innerhalb des fünfjährigen Zeitraums vorgenommen werden. Die Existenzgründereigenschaft sei nur im Jahre der Bildung der Rücklage zu prüfen. Im Zuge der Betriebsprüfung hätte allenfalls geprüft werden können, ob aus den rechtskräftigen Einkommenssteuerfestsetzungen 1997 bis 1999 rechnerisch die zutreffenden Rechtsfolgen abgeleitet worden seien. Da eine spätere Nachprüfung der damals angestellten rechtlichen Erwägungen nicht in Frage komme und der Sachverhalt nicht erneut Gegenstand der Betriebsprüfung 2001 und 2003 sein könne, komme die Anwendung von § 174 Abs. 3 AO nicht in Betracht.

Wegen Einzelheiten dieses Vorbringens wird auf den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 29.09.2005 (Blatt 1 - 7 der Rechtsbehelfsakte) Bezug genommen.

Das Finanzamt folgte dem nicht und wies mit Einspruchsentscheidung vom 03.02.2006 die Einsprüche als unbegründet zurück.

Das Finanzamt vertritt folgende Rechtsauffassung:

Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten. Die Einkommensteuererklärungen für die Kalenderjahre 1999 und 2000 seien am 03.04.2001 und 06.03.2002 beim Finanzamt eingereicht worden. Somit beginne die Festsetzungsfrist für die betroffenen Jahre mit Ablauf des 31.12.2001 bzw. 31.12.2002 und ende mit Ablauf des 31.12.2005 bzw. 31.12.2006. Die Änderungsbescheide datieren jedoch bereits vom 02.09.2005. Die Änderungen seien auch zutreffend auf § 174 Abs. 3 AO gestützt worden.

Bei dem Kläger habe es sich nicht um einen so genannten Existenzgründer im Sinne des § 7g Abs. 7 EStG gehandelt. Denn der Kläger habe bereits als Vertretungsarzt in der Zeit vor der Eröffnung seiner eigenen Praxis im Kalenderjahr 1995 Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit erzielt. Damit sei mangels eines Anschaffungsvorgangs die Auflösung der Rücklage am Ende des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres, hier also 1999 und 2000, in der dann noch bestehenden Höhe zwingend angezeigt. In der irrigen Annahme, beim Kläger handele es sich um einen Existenzgründer, sei die Rücklage jedoch erst im Jahre 2001 aufgelöst worden. Nachdem im Zuge der Betriebsprüfung bereits für das Kalenderjahr 2001 die richtigen steuerlichen Folgen gezogen worden seien, hätte dies auch für die Steuerfestsetzungen der Kalenderjahren 1999 und 2000 geschehen müssen, da die gewinnerhöhende Auflösung der Rücklagen sonst in keinem der betroffenen Kalenderjahren mehr berücksichtigt worden wäre.

Wegen Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 03.02.2006 hingewiesen.

Hiergegen haben die Kläger, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben, mit der sie ihr Ziel unter Wiederholung ihres außergerichtlichen Vorbringens weiterverfolgen.

Die Kläger beantragen,

1. den geänderten Einkommensteuerbescheid 1999 vom 02.09.2005 sowie den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000, ebenfalls vom 02.09.2005, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2008, aufzuheben,

2. die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen,

3. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auch das Finanzamt hält im gerichtlichen Verfahren an seiner außergerichtlichen Rechtsauffassung fest.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

1. Festsetzungsverjährung ist nicht eingetreten.

Die Einkommensteuererklärung 1999 wurde am 3.4.2001 beim Finanzamt eingereicht.

Die Verjährungsfrist begann somit am 31.12.2001 (§ 170 Abs.2 Nr.1 AO) und endete mit Ablauf des 31.12.2005. Die Einkommensteuererklärung 2000 wurde am 06.03.2002 eingereicht, so dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des 31.12.2006 endete. Die Änderungsbescheide datieren vom 2.9.2005, so dass keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

2. Das Finanzamt konnte die streitigen Bescheide auch nach § 174 Abs. 3 AO ändern. Nach dieser Bestimmung kann die Steuerfestsetzung geändert werden, wenn ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden ist, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt.

Sachverhalt im Sinne dieser Norm ist der einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Der Begriff des bestimmten Sachverhalts ist dabei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Unerheblich ist, ob der für die rechtswidrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen gelegen hat (BFH-Urteil vom 02.05.2001 VIII R 44/00, BStBl. II. 2001, 562; Loose in Tipke/Kruse Abgabenordnung, § 174 Tz. 5 jeweils mit weiteren zahlreichen Nachweisen).

Entgegen der klägerischen Rechtsansicht ist Lebenssachverhalt in diesem Sinne nicht die einmalige, punktuelle, Beurteilung der Frage, ob der Kläger Existenzgründer ist oder nicht. Im Rahmen des hier anzuwendenden § 7g EStG kann der Lebenssachverhalt nur auf die Zeitdauer bezogen werden, in welcher die Ansparabschreibung bei Nichtanschaffung eines Wirtschaftsgutes aufzulösen ist. Der Senat folgt insoweit der vom Finanzamt in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung.

Vorliegend war der Kläger zwar kein Existenzgründer im Sinne des § 7g Abs. 7 EStG a.F., weil er vor Bildung der Rücklage Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit bezog; er erfüllte jedoch die Voraussetzungen für eine Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 3 EStG a.F., so dass die Rücklage zunächst zulässigerweise in Anspruch genommen wurde. Erst für die Frage der Auflösung der Rücklage bei einer fehlenden Investition wird erheblich, ob es sich um einen Existenzgründer handelt (fünfjähriger Auflösungszeitraum) oder nicht (zweijähriger Auflösungszeitraum). Somit kann, wie oben dargestellt, die Problematik eines bestimmten Lebenssachverhaltes nicht punktuell bei erstmaliger Rücklagenbildung beurteilt werden, sondern muss zeitraumbezogen betrachtet werden. Das heißt, das Finanzamt muss für die rechtlich zutreffende Auflösung jährlich neu überprüfen, ob derjenige, der eine Ansparabschreibung in Anspruch nimmt, Existenzgründer ist oder nicht. Geht das Finanzamt - wie vorliegend - davon aus, dass eine Existenzgründereigenschaft vorliegt, hat es spätestens nach fünf Jahren die Rücklage aufzulösen; im Übrigen nach zwei Jahren. Im vorliegenden Sachverhalt hatte das Finanzamt daher nach zwei Jahren keine Veranlassung die Rücklage aufzulösen, da es fehlerhaft von einem fünfjährigen Auflösungszeitraum ausging. Wenn das Finanzamt jedoch davon ausgeht, ein bestimmter Sachverhalt werde steuerliche Folgen in einem späteren Veranlagungszeitraum entfalten, obwohl in Wahrheit die steuerlichen Folgen früher zu berücksichtigen waren, ist eine Änderung der § 174 Abs. 3 AO zulässig (BFH-Urteil vom 27.05.1993 IV R 65/91, BStBl.II 1994, 76).

Wegen der fehlenden Existenzgründereigenschaft und der fehlenden Investition waren die Rücklagen angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 7g Abs. 4 S. 2 EStG a.F. zwingend innerhalb von zwei Jahren aufzulösen. Eine Nachholung in einem späteren Veranlagungszeitraum kommt nicht in Betracht (BFH-Beschluss vom 31.03.2008 VIII B 212/07, BFH/NV 2008, 1322). Um widerstreitende Steuerfestsetzungen zu vermeiden, waren daher durch Korrektur der Rücklagenauflösung 2001 zwingend auch die vorliegend streitgegenständlichen Bescheide der Jahre 1999 und 2000 zu ändern.

Ein Ermessen stand dem Finanzamt insoweit nicht zu (BFH-Urteil vom 13. November 1985 II R 208/82, BStBl II 1986, 241).

Schließlich war für den Kläger auch erkennbar, dass das Finanzamt in der fehlerhaften Annahme der Existenzgründereigenschaft die Rücklage nicht in einer zweijährigen Frist, sondern erst in einer fünfjährigen Frist auflösen wollte. Der Kläger selbst ist von einer Existenzgründerrücklage gemäß § 7g Abs. 7 EStG a.F. ausgegangen, wie dies im Einspruchsschreiben vom 29.09.2005 ausgeführt wird.

Da somit die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 174 Abs. 3 AO vorlagen, war die Klage mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO - abzuweisen.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.

Ende der Entscheidung

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